Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.08.2020, Az. 6 StR 115/20

6. Strafsenat | REWIS RS 2020, 11283

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[X.]:[X.]:[X.]:2020:260820U6STR115.20.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
6
StR
115/20

vom
26. August 2020
in der Strafsache
gegen

wegen Betruges

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Der 6.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom

26. August
2020, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender [X.]
am [X.]
Prof. Dr. [X.],

[X.]in am [X.]
Dr. [X.],
die [X.] am [X.]
Dr. [X.],
[X.],
Fritsche

als beisitzende [X.],

Bundesanwalt
beim [X.]

als Vertreter
des Generalbundesanwalts,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

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für Recht erkannt:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft
wird das Urteil des [X.]s [X.]
vom 10. Januar 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.

-
Von Rechts wegen
-

Gründe:
Das [X.] hat das Verfahren gegen den Angeklagten durch [X.] nach § 260 Abs. 3 StPO wegen [X.]s eingestellt.
Hiergegen wendet sich erfolgreich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die [X.] formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.

I.
Dem
Angeklagten liegt zur Last, vom 23. Juni bis 7. Juli 2017 als Ge-schäftsführer der S.

GmbH auf der
Internetplatt-form e.

Elektronikartikel
zum Kauf angeboten und die per Vorauszahlung entrichteten Kaufpreise vereinnahmt zu haben, obwohl er weder leistungsfähig noch -willig war. Im Einzelnen listet die Anklage
106 im Verhältnis der Tatmehr-heit stehende Taten auf
und benennt
jeweils den Zeitpunkt der [X.], teilweise ergänzend auch denjenigen des Erwerbs. Das [X.] hat 1
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das Hauptverfahren mit der Maßgabe eröffnet, dass auch Betrug in 106 tatein-heitlichen Fällen in Betracht komme.

In der Hauptverhandlung hat das [X.]
festgestellt, dass der An-geklagte inzwischen durch Strafbefehl des [X.] rechtskräftig wegen Betruges verurteilt wurde, weil er am 25. Juni 2017 über die S.

GmbH auf der Internetplattform e.

an den Geschädigten G.

einen Internetrouter verkauft
und den Kaufpreis vereinnahmt
hatte,
oh-ne die Ware zu liefern. Es
hat angenommen, dass hierdurch Strafklagever-brauch eingetreten sei, weil dem Strafbefehl und der Anklage dieselbe pro-zessuale Tat zugrunde liege. Hierbei ist es
von einer einheitlichen Tat im Sinne des §

erhaltung eines auf Betrugstaten ausgerichteten Geschäftsbetriebes auf der Plattform e.

die in Ausübung dieses Geschäftsbetriebes verwirklichten Einzeldelikte (106 Verkäufe) als

uneigentliches

II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
Die Einstellung des Verfahrens wegen des [X.]
(Art. 103 Abs. 3 GG)
hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Das [X.] hat
in
rechtsfehlerhafter Weise
keine eigenen Feststellungen getroffen,
die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob es sich bei den
gegen den Angeklagten im vorliegenden Verfahren erhobenen Tatvorwürfen
um dieselbe Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO handelt, die be-reits den Gegenstand des Strafbefehls des [X.] bildete.
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1. Stellt das Tatgericht
das Verfahren durch Urteil wegen eines [X.] ein, hat es
ausgehend
von der zugelassenen Anklage anzu-geben, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen die Durchführung des Strafverfahrens unzulässig ist. Der Umfang der Darlegungen richtet sich dabei nach den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls, insbesondere der Eigenart des Verfahrenshindernisses (vgl. [X.], Urteil vom 23. Mai 2019

4 StR 601/18, NStZ
2020, 235 mwN).
Hängt dessen Vorliegen von der strafrechtlichen Würdigung der Sache ab, erfordert die
abschließende Beurteilung der Frage, ob ein Verfahrenshin-dernis vorliegt, entsprechende Feststellungen (vgl. [X.], Urteil vom 23. Mai 2019

4 StR 601/18, [X.], 235).
Der [X.] hat
demgemäß

Feststellungen
für die Beurteilung der Verjährungsfrage (vgl. Urteil vom 19. Ok-tober 2010

1 StR 266/10, [X.]St 56, 6, 8), für die Prüfung der anderweitigen Rechtshängigkeit (vgl. Urteil vom 23. Mai 2019

4 StR 601/18, aaO, 236) und diejenige des Verbots der Doppelbestrafung nach Art. 54 [X.] (vgl. Beschluss vom 4. Juni 2019

5 [X.], NStZ-RR 2019, 259)
sowie bei Annahme eines Verfahrenshindernisses aufgrund rechtsstaatswidriger
Tatprovokation (vgl. Ur-teil vom 4. Juli 2018

5 [X.]/17) für erforderlich gehalten.
2. Eine solche vom Tatgericht im [X.] festzustellende Sachver-haltsgrundlage ist ebenfalls notwendig, wenn es von einem [X.] ausgehen möchte.
Denn ob eine nach Art. 103 Abs. 3 GG verbotene Doppelbe-strafung vorliegt,
kann nicht nach Aktenlage geklärt werden, sondern hängt von den tatsächlichen
Umständen der in der Anklage bezeichneten Tat
ab.
Das Tatgericht muss
daher Feststellungen zu dieser
treffen, sie
in den [X.] darlegen und auf deren Grundlage eine konkurrenzrechtliche
Bewertung des Verhaltens des Angeklagten vornehmen.
Erst auf dieser Grundlage kann

unter Berücksichtigung des für die Frage des [X.]s zu beach-6
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tenden [X.] (vgl. [X.], Urteil vom
1. August 2018

3 [X.]; Beschlüsse vom 4. Juni 2019

5 [X.], aaO, 260, und
vom 20. März 2002

5 StR 574/01; [X.]/[X.], 26. Aufl., § 261 Rn. 123)

entschieden wer-den, ob dem Fortgang des Verfahrens das Verbot der Doppelbestrafung entge-gensteht.
3. Diesen Maßstäben
genügt das angefochtene Urteil nicht.
a) Das [X.] ist im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegan-gen, dass sich das Vorliegen eines etwaigen
[X.]s
danach rich-tet, ob die zur Aburteilung stehende prozessuale Tat im Sinne von § 264 Abs. 1 StPO mit derjenigen identisch ist, die dem rechtskräftigen Erkenntnis zu Grunde lag (vgl. [X.], Urteil vom 12. Dezember 2013

3 StR 531/12, [X.]St 59, 120, 124; Beschlüsse
vom 8. Januar 2020

5 StR 366/19, [X.] 2020, 589, 592; vom 18. Dezember 2019

3 [X.], NStZ-RR 2020, 172, 173, und
vom 18.
Dezember 2018

StB 52/18, [X.]St 64, 1, 6).
Für die Identität eines so umschriebenen [X.] ist nach der Rechtsprechung des [X.] das materiell-rechtliche Konkur-renzverhältnis
der [X.] zueinander
bedeutsam. Tateinheit gemäß
§ 52 StGB wird in aller Regel zur Annahme einer einheitlichen Tat
im prozessu-alen Sinne führen
(vgl. [X.], Urteil vom 23. Mai 2019

4 StR 601/18, [X.], 235, 236; Beschluss vom 19. Dezember 1995

[X.], [X.]St 41, 385, 389), während im Falle sachlich-rechtlicher Tatmehrheit mehrere Taten im prozessualen Sinne naheliegen werden (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezem-ber
2018

StB 52/18, [X.]St 64, 1, 7; Urteil vom 5. Mai 1998

1 [X.], [X.]St 44, 91, 94; KK-StPO/[X.], 8. Aufl., § 264 Rn. 14). Dabei sind aber die Besonderheiten der abgeurteilten Delikte ebenso in den Blick zu nehmen wie der Umstand,
dass bei einem weiten Verständnis des prozessualen Tatbegriffs 9
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die Kognitionspflicht des zuerst entscheidenden Tatgerichts ausgedehnt und damit dessen Leistungsfähigkeit möglicherweise überschritten wird.
b) Für die Beurteilung der materiell-rechtlichen Lage ist beim Betrug über Onlineverkaufsplattformen

wie auch sonst

zunächst entscheidend, ob
der Angeklagte eine oder mehrere ([X.] begangen hat. Eine Handlung im natürlichen Sinn liegt vor, wenn die Plattform gleich einem Webshop

die Möglichkeit vorsieht, dass mehrere Kunden einen einmalig ein-gestellten Artikel bestellen können. Eine Verknüpfung mehrerer
Handlungen im natürlichen Sinn zur
Handlungseinheit kommt
in Betracht, wenn entweder die Gegenstände in einem engen zeitlichen
Zusammenhang und aufgrund eines einheitlichen Entschlusses eingestellt wurden
oder eine Überschneidung der Täuschungshandlungen vorliegt (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 7. März 2017

1 StR 41/17, [X.], 484, 485). Dabei können
auch die Umstände des Vertragsschlusses
maßgeblich
sein, insbesondere wenn dieser
aufgrund der Art des Angebots erst durch Annahme des Verkäufers zustande kommt.
Sofern das Tatgericht hierzu allerdings
keine näheren Feststellungen treffen kann, ist unter Heranziehung des [X.] von einer prozessualen Tat und damit von [X.] auszugehen
(vgl. [X.], Beschlüsse vom 4. Juni 2019

5 [X.], NStZ-RR 2019, 259, 260; vom 20. März 2002

5 StR 574/01;
Urteil vom 1. August 2018

3 [X.]; [X.]/[X.], aaO).

4. Das Fehlen derartiger
Feststellungen zwingt zur Aufhebung des Urteils und zur Neuverhandlung der Sache durch ein anderes Tatgericht.
Dieses wird bei der konkurrenzrechtlichen Bewertung zu bedenken ha-ben, dass die vom [X.] ergänzend herangezogenen Grundsätze des uneigentlichen
Organisationsdelikts (vgl. [X.], Beschluss vom 20. September 2016
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3 StR 302/16)

jedenfalls nach dem Anklagesachverhalt

nicht zur Anwen-dung gelangen können, weil hiernach der Angeklagte allein tätig wurde
und es deshalb keine Tatbeiträge gibt, die zu einer einheitlichen Tat zusammengefasst werden können.
[X.]

[X.]

[X.]

Tiemann

Fritsche

Vorinstanz:
[X.], [X.], 10.01.2020 -
160 [X.] 21 KLs 16/19

Meta

6 StR 115/20

26.08.2020

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.08.2020, Az. 6 StR 115/20 (REWIS RS 2020, 11283)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11283

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 RVs 294/16 (Oberlandesgericht Köln)


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