Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.12.2010, Az. StB 21/10

3. Strafsenat | REWIS RS 2010, 749

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Gegenstand

Sächsisches Polizeirecht: Rechtsbeschwerde zum BGH gegen eine landgerichtliche Beschwerdeentscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer des Polizeigewahrsams


Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.] vom 17. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Der Betroffene wurde am 17. Oktober 2009 in [X.] in Gewahrsam genommen. Mit Beschluss vom selben Tage ordnete das Amtsgericht [X.] nach § 22 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 7, 8 [X.] Polizeigewahrsam bis längstens 18. Oktober 2009, 8.00 Uhr, an. Der Betroffene wurde noch am 17. Oktober 2009 entlassen. Seine Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung hat das Landgericht [X.] mit Beschluss vom 17. Juni 2010 zurückgewiesen. Der Betroffene will hiergegen Rechtsbeschwerde zum [X.] erheben und beantragt, ihm hierfür Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.

II.

2

Der Antrag dringt nicht durch. Eine Rechtsbeschwerde zum [X.] nach den allein in Betracht kommenden §§ 70 ff. des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) hat keine Aussicht auf Erfolg; denn diese Vorschriften finden hier keine Anwendung. Das beabsichtigte Rechtsmittel ist deshalb nicht statthaft. Im Einzelnen:

3

1. Die §§ 70 ff. FamFG gelten als im Allgemeinen Teil dieses Gesetzes enthaltene Vorschriften zunächst für die in den weiteren Büchern des FamFG näher geregelten Verfahren und für alle weiteren Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit diese durch Bundesgesetz den Gerichten zugewiesen sind (§ 1 FamFG). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es handelt sich insbesondere nicht um eine Freiheitsentziehungssache nach den §§ 415 ff. FamFG. [X.] in diesem Sinne sind Verfahren, die eine aufgrund von Bundesrecht angeordnete Freiheitsentziehung betreffen, soweit das Verfahren bundesrechtlich nicht abweichend geregelt ist (§ 415 Abs. 1 FamFG). Rechtsgrundlage der Maßnahme gegen den Betroffenen ist jedoch § 22 [X.] und damit eine landesgesetzliche Bestimmung.

4

2. Die §§ 70 ff. FamFG finden auch nicht aufgrund einer entsprechenden Regelung in den maßgebenden landesgesetzlichen Vorschriften Anwendung. Will der Landesgesetzgeber bestimmen, dass auf das gerichtliche Verfahren der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit über eine polizeirechtliche Freiheitsentziehung, das er in Anwendung des § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO den Amtsgerichten erstinstanzlich übertragen hat, die Verfahrensvorschriften des FamFG Anwendung finden sollen, so bedarf es einer entsprechenden Verweisung auf dieses Gesetz (BT-Drucks. 16/6308 S. 291; [X.] in: [X.]/[X.]/[X.], FamFG, § 415 Rn. 2). Eine derartige Regelung ist § 22 [X.] nicht zu entnehmen.

5

§ 22 Abs. 8 Satz 2 [X.] in der bis zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung gültigen Fassung ordnet vielmehr an, dass sich das Verfahren nach den Vorschriften des zum 1. September 2009 außer [X.] getretenen Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen vom 29. Juni 1956 ([X.]) richtet. Dieses trifft in den §§ 4 ff. [X.] Bestimmungen über das Verfahren und ordnet nach § 3 [X.] die ergänzende Geltung des ebenfalls seit dem 1. September 2009 nicht mehr gültigen Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ([X.]) an. Der dort geregelte Instanzenzug unterscheidet sich wesentlich von den diesbezüglichen neuen Regelungen des FamFG; er sieht insbesondere eine Rechtsbeschwerde zum [X.] nicht vor. Nach § 27 [X.] ist gegen die Beschwerdeentscheidung des [X.] vielmehr das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde zulässig, über das nach § 28 Abs. 1 [X.] allerdings nicht der [X.], sondern das [X.] zu entscheiden hat. Die Zuständigkeit des [X.]s kann sich nicht aufgrund eines weiteren Rechtsmittels durch den Betroffenen, sondern allenfalls nach einer Vorlage durch das [X.] gemäß § 28 Abs. 2 [X.] ergeben, wenn dieses von der Rechtsauffassung des [X.]s oder derjenigen eines anderen [X.]s abweichen will (sog. Divergenzvorlage).

6

Die Untätigkeit des [X.] nach Inkrafttreten des FamFG am 1. September 2009 ist zwar nicht dahin zu interpretieren, dass nunmehr die Grundregel des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO gelten und die Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über die Rechtsmittel gegen eine Ingewahrsamnahme nach § 22 [X.] zuständig sein sollen. Hiergegen spricht schon § 22 Abs. 8 Satz 1 [X.], der für die Anordnung der Maßnahme ausdrücklich die Zuständigkeit des Amtsgerichts vorsieht.

7

Die in § 22 Abs. 8 Satz 2 [X.] enthaltene Verweisung auf das [X.] kann aber - obwohl der jeweilige Regelungsgehalt des [X.] sowie des [X.] nunmehr Gegenstand des FamFG ist - nicht als "dynamische" Verweisung auf das FamFG einschließlich der Regelungen über die Rechtsbeschwerde zum [X.] verstanden bzw. in diesem Sinne "korrigierend" ausgelegt werden ([X.], FamFG, 16. Aufl., § 415 Rn. 1; [X.] in [X.] OK FamFG § 415 Rn. 4). Einer derartigen Interpretation steht zum einen der eindeutige Wortlaut des § 22 Abs. 8 Satz 2 [X.] entgegen. Zum anderen ist der Vorschrift trotz des Zusatzes, wonach das [X.] "in der jeweils geltenden Fassung" Anwendung finden soll, ein Wille des [X.] dahin, dass die Verfahrensvorschriften des nunmehr gültigen FamFG einschließlich der Rechtsbeschwerde zum [X.] anwendbar sein sollen, jedenfalls nicht in der gebotenen Klarheit zu entnehmen. Dagegen spricht schon, dass der Landesgesetzgeber u.a. auch die Möglichkeit hat, für das Verfahren zwar auf das FamFG zu verweisen, die Vorschriften über die Rechtsbeschwerde aber von der Verweisung auszunehmen mit der Folge, dass der [X.] mit den landesrechtlichen Freiheitsentziehungsverfahren nicht befasst werden kann. Von dieser Gestaltungsmöglichkeit hat etwa der [X.] in § 18 Abs. 3 [X.] Gebrauch gemacht. Vor diesem Hintergrund verbietet sich ohne ausdrückliche diesbezügliche Änderung des § 22 Abs. 8 [X.] die Annahme, der Wille des [X.] [X.] gehe dahin, im Gegensatz zur früheren Rechtslage den Instanzenzug wesentlich umzugestalten und das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zum [X.] zuzulassen. Eine derartig grundlegende Änderung im Vergleich zur früheren Rechtslage bedarf vielmehr einer ausdrücklichen, an die neue bundesrechtliche Gesetzeslage angepassten Bestimmung.

8

Nach alldem muss es hier bei der in § 22 Abs. 8 Satz 2 [X.] vorgesehenen, gesetzestechnisch möglichen Fortgeltung der Verfahrensvorschriften des [X.] bzw. [X.] verbleiben.

[X.]

                          [X.]

Meta

StB 21/10

07.12.2010

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend LG Leipzig, 17. Juni 2010, Az: 1 T 919/09, Beschluss

§ 1 FamFG, § 70 FamFG, §§ 70ff FamFG, § 415 Abs 1 FamFG, § 22 Abs 1 Nr 1 PolG SN, § 22 Abs 7 PolG SN, § 22 Abs 8 PolG SN, § 27 FGG, § 28 Abs 1 FGG, § 3 FrhEntzG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.12.2010, Az. StB 21/10 (REWIS RS 2010, 749)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 749

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