Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.08.2015, Az. 4 AZR 719/13

4. Senat | REWIS RS 2015, 6176

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Gegenstand

Elementenfeststellungsklage - Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel


Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 7. März 2013 - 3 [X.]/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit des [X.] auf ihr Arbeitsverhältnis.

2

Der Kläger, Mitglied der [X.], wurde im Jahr 2006 vom städtischen [X.], einem Eigenbetrieb der [X.], die ihrerseits Mitglied im [X.] war, als Krankenpfleger eingestellt. In § 2 des Arbeitsvertrags vom 12. Mai 2006 heißt es:

„Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst ([X.]) und dem Besonderen Teil Krankenhäuser und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen, einschl. des TV zur Überleitung in den [X.], in der für den Bereich der [X.] ([X.]) jeweils geltenden Fassung.

Außerdem finden die im Bereich des Arbeitgebers jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung.“

3

Zum 1. Januar 2008 ging das Arbeitsverhältnis des [X.] auf die Beklagte über. Diese ist nicht Mitglied des kommunalen Arbeitgeberverbands. Die Parteien schlossen am 23. Dezember 2008 einen Änderungsvertrag. Danach wurde der Kläger ab dem 1. Dezember 2008 nach der [X.] 9a [X.] vergütet.

4

Seit dem 1. März 2011 wendet die Beklagte auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Beschäftigten - mit Ausnahme der Ärzte - den mit der [X.] abgeschlossenen „Tarifvertrag für die [X.] gemeinnützige GmbH“ vom 25. Februar 2011 (im Folgenden [X.]) an. An den Kläger zahlt sie weiterhin ein Gehalt auf der Grundlage des [X.] mit Stand vom 31. Dezember 2007.

5

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der [X.] finde aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel dynamisch auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung. Er hat beantragt

festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 1. Januar 2008 hinaus [X.] im Sinne der neueren Rechtsprechung des [X.] der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst ([X.]) und der für den Besonderen Teil Krankenhäuser und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für den Bereich der [X.] ([X.]) jeweils geltenden Fassung Anwendung finden.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Klage sei wegen des Vorrangs der Leistungsklage bereits unzulässig. Es werde lediglich eine Vorfrage geklärt. Streitig bliebe hingegen, welcher Tarifvertrag hinsichtlich der verschiedenen Sachgruppen günstiger sei. Die Klage sei zudem unbegründet. Der Kläger sei an den [X.] unmittelbar und zwingend gebunden. Überdies nehme die [X.] auf den mit derselben [X.] abgeschlossenen [X.] Bezug. Für das Verhältnis von [X.]/[X.] und [X.] gelte das [X.]. Abgesehen davon sei die Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede auszulegen.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unbegründet. Das [X.] hat die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen.

9

I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s kann ein Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, dass ein bestimmter Tarifvertrag auf sein Arbeitsverhältnis anzuwenden ist (sog. Elementenfeststellungsklage). Eine entsprechende Feststellung ist geeignet, eine Vielzahl von Einzelfragen zu klären, die sich an dessen Anwendbarkeit knüpfen (vgl. hierzu ausführlich [X.] 19. Mai 2010 - 4 [X.] - Rn. 11 mwN, [X.]E 134, 283).

2. Entgegen der Auffassung der Revision steht der Annahme eines Feststellungsinteresses nicht entgegen, dass mit einem Feststellungsurteil nicht abschließend geklärt wird, welcher Tarifvertrag im Rahmen des im Einzelfall vorzunehmenden Sachgruppenvergleichs günstiger wäre und es deshalb nachfolgend zu weiteren Rechtsstreitigkeiten darüber kommen kann, ob sich einzelne Rechte und Pflichten aus den fraglichen Tarifverträgen als günstigere einzelvertragliche Regelung im Arbeitsverhältnis der Parteien durchsetzen oder ob sie durch die Regelung des [X.] verdrängt werden(vgl. [X.] 10. Dezember 2014 - 4 [X.] - Rn. 12; 6. Juli 2011 - 4 [X.] - Rn. 23 mwN).

II. Die Klage ist auch begründet. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der [X.]/[X.] einschließlich des Besonderen Teils Krankenhäuser in seiner jeweils gültigen Fassung Anwendung. Das ergibt die Auslegung der arbeitsvertraglichen [X.].

1. Nach § 2 des [X.] abgeschlossenen und am 23. Dezember 2008 geänderten Arbeitsvertrags bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst und dem Besonderen Teil Krankenhäuser und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der [X.] jeweils geltenden Fassung. Diese Abrede enthält eine zeitdynamische Bezugnahme, die die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst ([X.]) einschließlich der besonderen Regelungen für die Krankenhäuser in ihrer jeweils geltenden Fassung erfasst (zu den Maßstäben der Auslegung einer Allgemeinen Geschäftsbedingung vgl. [X.] 19. Mai 2010 - 4 [X.] - Rn. 15, [X.]E 134, 283).

2. Entgegen der Auffassung der Revision verweist die [X.] jedoch nicht auf den Haustarifvertrag der Beklagten.

a) Der [X.] ist kein den [X.]/[X.] „ergänzender, ändernder oder ersetzender“ Tarifvertrag iSv. § 2 Abs. 1 des Arbeitsvertrags. Nach dem Wortlaut der Bezugnahmeregelung ist das Arbeitsverhältnis den Tarifbestimmungen des öffentlichen Dienstes „für den Bereich der [X.]“ unterstellt worden. Damit sollten nur die von den Tarifvertragsparteien des [X.]/[X.] abgeschlossenen ([X.] in Bezug genommen werden. Dies können zwar auch firmenbezogene [X.] sein. Sie müssen dann aber unter Beteiligung des [X.] geschlossen worden sein. Nicht von der [X.] erfasst sind hingegen Haustarifverträge eines privaten Arbeitgebers. Diese sind - jedenfalls arbeitgeberseitig - nicht von den Tarifvertragsparteien des [X.]/[X.] abgeschlossen worden.

b) Eine Bezugnahme auf den [X.] ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrags, wonach „außerdem … die im Bereich des Arbeitgebers jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung“ finden sollen.

aa) Der Begriff „außerdem“ bedeutet „daneben“, „des Weiteren“, „im Übrigen“, „zusätzlich“ ([X.] [X.]). Aus der Wortwahl ergibt sich, dass mit dieser ergänzenden Bezugnahmeregelung Tarifverträge erfasst werden sollten, die „neben“ dem [X.] oder „zusätzlich“ zu diesem zur Anwendung kommen können. Dabei kann es sich allerdings nur um Tarifverträge handeln, deren inhaltliche Regelungsbereiche sich nicht mit denen des [X.] überschneiden. Andernfalls wären sie nicht „neben“ dem, sondern vielmehr „anstelle“ des [X.] anwendbar (vgl. auch [X.] 16. Mai 2012 - 4 [X.] - Rn. 30; 22. Oktober 2008 - 4 [X.] - Rn. 20, [X.]E 128, 165).

bb) Dieses Verständnis wird durch die Bezugnahme auf die „sonstigen“ einschlägigen Tarifverträge bestätigt. Ein verständiger und redlicher Vertragspartner des Arbeitgebers als der Verwender der Klausel durfte diese Formulierung als inhaltliche Einschränkung der Verweisung, dh. dahingehend verstehen, dass es sich insoweit nur um solche Tarifverträge handeln sollte, die sich in ihrem inhaltlichen Regelungsbereich von denen der Tarifverträge des [X.]/[X.] unterscheiden und diese nicht „verdrängen“. Andernfalls käme der Regelung in § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrags - was die Beklagte offenbar annimmt - die Funktion einer Tarifwechselklausel zu. Eine kleine dynamische Verweisung kann jedoch über ihren Wortlaut hinaus nur dann als große dynamische Verweisung (Tarifwechselklausel) ausgelegt werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen ergibt (vgl. nur [X.] 6. Juli 2011 - 4 [X.] - Rn. 45, [X.]E 138, 269 mwN). Solche sind dem Wortlaut der [X.] im [X.] nicht zu entnehmen.

c) Es sind auch keine - für den Kläger aus damaliger Sicht erkennbaren - Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Arbeitgeber als Partei des Arbeitsvertrags andere und ggf. sogar konkurrierende Haustarifverträge einbeziehen wollte. Insbesondere gebietet der Umstand, dass die Parteien des Arbeitsvertrags bei Vertragsschluss normativ an den [X.]/[X.] gebunden waren und nunmehr an den Haustarifvertrag der Beklagten gebunden sind, keine abweichende Auslegung der arbeitsvertraglichen Klausel. Die Anwendbarkeit eines Tarifvertrags aufgrund einer einzelvertraglichen Abrede auf der einen und seine Geltung kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit auf der anderen Seite sind grundlegend voneinander zu trennen. Die Wirkung einer [X.] wird nicht dadurch berührt, dass der in Bezug genommene Tarifvertrag noch aus einem weiteren rechtlichen Grund für das Arbeitsverhältnis der Parteien maßgebend ist ([X.] 29. August 2007 - 4 [X.] - Rn. 13, [X.]E 124, 34).

3. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei der [X.] nicht um eine Gleichstellungsabrede iSd. früheren Rechtsprechung.

a) Nach der früheren Rechtsprechung des [X.]s galt die - widerlegliche - Vermutung, dass es einem an arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber nur darum gehe, durch die Bezugnahme die nicht organisierten Arbeitnehmer mit den organisierten Beschäftigten hinsichtlich der Geltung des in Bezug genommenen Tarifwerks gleichzustellen. Der [X.] ging davon aus, dass mit einer solchen von einem tarifgebundenen Arbeitgeber gestellten Vertragsklausel lediglich die möglicherweise fehlende Gebundenheit des Arbeitnehmers an die im Arbeitsvertrag genannten Tarifverträge ersetzt werden soll, um jedenfalls zu einer vertraglichen Anwendung des einschlägigen Tarifvertrags und damit zu dessen Geltung für alle Beschäftigten zu kommen. Daraus hat der [X.] die Konsequenz gezogen, dass auch ohne weitere Anhaltspunkte im Vertragstext oder in den Begleitumständen bei Vertragsschluss im Falle der normativen Gebundenheit des Arbeitgebers an die in Bezug genommenen Tarifverträge [X.]n in aller Regel als sog. [X.] auszulegen seien. Die Verweisung auf einen Tarifvertrag oder ein Tarifwerk in der jeweils geltenden Fassung wurde deshalb einschränkend dahin ausgelegt, die auf diese Weise zum Ausdruck gebrachte Dynamik gehe nur so weit, wie sie bei einem tarifgebundenen Arbeitnehmer reiche, also dann ende, wenn der Arbeitgeber wegen Wegfalls der eigenen Tarifgebundenheit nicht mehr normativ an künftige Tarifentwicklungen gebunden sei (st. Rspr., siehe nur [X.] 23. Februar 2011 - 4 [X.] - Rn. 17 f. mwN).

b) Diese Rechtsprechung hat der [X.] jedoch für vertragliche Bezugnahmeregelungen, die nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 vereinbart worden sind, aufgegeben. Er wendet die [X.] lediglich aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin auf [X.]n an, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 vereinbart worden sind ([X.] 14. Dezember 2005 - 4 [X.] - Rn. 24 ff., [X.]E 116, 326; 18. April 2007 - 4 [X.] - Rn. 29 ff., [X.]E 122, 74; bestätigt durch [X.] 26. März 2009 - 1 [X.] - und 21. April 2009 - 1 BvR 784/09 -).

c) Auf diesen vom [X.] in ständiger Rechtsprechung gewährten Vertrauensschutz kann sich die Beklagte nicht berufen. Zwar war ihre Rechtsvorgängerin tarifgebunden. Die streitgegenständliche [X.] ist aber erst [X.] und damit nach dem 1. Januar 2002 vereinbart worden. Der Umstand, dass der [X.] seine geänderte Rechtsprechung erstmals im Jahr 2007 angewandt hat, gebietet bereits deshalb keinen weitergehenden Anspruch auf Vertrauensschutz, weil der [X.] seine Rechtsprechungsänderung schon im [X.] angekündigt hatte (vgl. [X.] 14. Dezember 2005 - 4 [X.] - Rn. 19 ff., [X.]E 116, 326).

4. Schließlich ist - entgegen der Auffassung des [X.]s - die Frage, ob der [X.]/[X.] günstiger ist als der [X.], nicht Voraussetzung für die Begründetheit der Feststellungsklage. Die Klage ist bereits deshalb begründet, weil die im Antrag genannten Tarifverträge - aufgrund der arbeitsvertraglichen [X.] - im Grundsatz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar sind. Ob und inwieweit sie günstiger sind als die für das Arbeitsverhältnis der Parteien daneben normativ geltenden Tarifverträge, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Diese Frage ist ggf. zu klären, sobald der Kläger konkrete Ansprüche aus dem [X.] geltend macht (vgl. zur Durchführung eines Sachgruppenvergleichs [X.] 15. April 2015 - 4 [X.] -).

III. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Eylert    

        

    Creutzfeldt    

        

    Rinck    

        

        

        

    Pfeil    

        

    Rupprecht    

                 

Meta

4 AZR 719/13

26.08.2015

Bundesarbeitsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Magdeburg, 18. Mai 2011, Az: 7 Ca 2867/10 E, Urteil

§ 611 Abs 1 BGB, § 256 Abs 1 ZPO, § 133 BGB, § 157 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.08.2015, Az. 4 AZR 719/13 (REWIS RS 2015, 6176)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 6176

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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