Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.03.2012, Az. 1 StR 6/12

1. Strafsenat | REWIS RS 2012, 8460

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BUNDE[X.]GERICHT[X.]HOF

BE[X.]CHLU[X.][X.]
1
[X.]tR 6/12

vom
7. März
2012

[X.][X.]t:
ja
[X.]R:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja
___________________________

[X.] §§ 209, 209a, 210, 309, 338 Nr. 4;
[X.] §§ 24, 26, 74b.

Die [X.] hat ihre Zuständigkeit nicht deshalb willkürlich bejaht, weil ihr die [X.]ache durch das Beschwerdegericht zur Eröffnungsentscheidung vorgelegt wurde.

[X.], Beschluss vom 7. März 2012 -
1 [X.]tR 6/12 -
LG [X.]

in der [X.]trafsache
gegen

wegen Körperverletzung im Amt

-
2
-
Der 1.
[X.]trafsenat des [X.] hat am 7. März 2012 gemäß §
349 Abs. 2 [X.]
beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12. Oktober 2011 wird als unbegründet verwor-fen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.

Gründe:
Das Landgericht -
[X.] -
hat den Angeklagten wegen Körperverletzung im Amt in
drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 [X.], mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
[X.]ein Rechtsmittel ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 [X.]).
I. Nach den Feststellungen der [X.] war der Angeklag-te in den [X.]chuljahren 2007/2008 und 2008/2009 als verbeamteter Lehrer an einer Realschule tätig und betreute dort eine wegen "ihres teilweise respektlo-sen Verhaltens gegenüber den Lehrkräften" auffällige siebente bzw. (im Folge-jahr) achte [X.]chulklasse, zu der auch die [X.]chüler

M.

und

B.

gehörten.
Bei zwei zeitlich nicht genau bestimmbaren Gelegenheiten zwischen dem 15. [X.]eptember 2008 und Dezember 2008 verletzte der Angeklagte vor-sätzlich und ohne rechtfertigenden Grund den [X.]chüler

B.

, indem er 1
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bei einer Gelegenheit dessen Oberkörper zwischen dem Rahmen und dem ge-öffneten Flügel eines Fensters im zweiten Obergeschoss [X.], wodurch dieser ein Hämatom unterhalb der Rippen und [X.]chmerzen erlitt, und ihn bei einer anderen Gelegenheit mit dem Ellenbogen in den Bauch stieß, was bei diesem Bauchschmerzen verursachte. Zu einem nicht mehr genau bestimmba-ren Zeitpunkt zwischen dem 15. [X.]eptember 2008 und dem 31. Juli 2009 schlug der Angeklagte dem [X.]chüler

M.

ohne rechtfertigenden Grund mit einem Klassenbuch auf den Kopf, sodass dieser Kopfschmerzen erlitt.

[X.] Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
1. Ohne Erfolg beanstandet der Angeklagte, die [X.] habe ihre sachliche Zuständigkeit willkürlich angenommen und ihn dadurch [X.] entzogen (vgl. hierzu u.a. auch [X.], Urteil vom 22.
April 1997 -
1 [X.] = [X.][X.]t 43, 53 ff.; [X.], Urteil vom 27. Februar 1992 -
4 [X.]tR 23/92 = [X.][X.]t 38, 212 ff.).
Der
absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 4 [X.] ist nicht gegeben.
a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Die [X.]taatsanwaltschaft [X.] hatte am 7. Dezember 2010 wegen der genannten Taten und eines weiteren, in der Hauptverhandlung nach §
154 Abs. 2 [X.] eingestellten Vorwurfs Anklage zum Amtsgericht -
[X.]trafrichter
-Albstadt erhoben. Mit Beschluss vom 12. Mai 2011 lehnte der [X.]trafrichter die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts ab. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der [X.]taatsanwaltschaft

210 Abs.
2, §
311 [X.])
hob die zuständige [X.] des [X.] mit Beschluss vom 30.
Juni 2011 den Ablehnungsbeschluss auf und 5
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entschied zugleich, dass die Akten über die [X.]taatsanwaltschaft [X.] der Großen Jugendkammer -
[X.] -
des [X.] zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens vorzulegen seien, wobei sie zur Begründung der Vorlage auf die besondere Bedeutung der [X.]ache (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 [X.]) verwies. Die [X.]taatsanwaltschaft [X.] legte [X.] die Akten mit dem Antrag, das Hauptverfahren dort selbst zu eröffnen, der [X.] vor. Die -
hinsichtlich der Berufsrichter
mit der [X.] besetzte -
[X.] ließ ge-gen die schriftsätzlich vorgebrachten Einwände des Verteidigers
mit Beschluss vom 8.
August 2011 die Anklage zu und eröffnete (vor sich selbst) das Haupt-verfahren. In der Hauptverhandlung wurde keine Zuständigkeitsrüge erhoben.
b) Die Rüge ist unbegründet. Die [X.] (§ 74b [X.]) hat ihre sachliche Zuständigkeit nicht willkürlich (vgl. hierzu [X.], [X.], 54. Aufl.,
§ 338
Rn. 32) angenommen.
Ein Richterspruch ist willkürlich, wenn er unter keinem denkbaren
Aspekt rechtlich vertretbar ist, sodass sich der [X.]chluss aufdrängt, dass er auf sach-fremden Erwägungen beruht ([X.] NJW 1996, 1336; [X.]E 87, 273, 278
f.; [X.], Urteil vom 8. Dezember 1992 -
1 [X.], NJW 1993, 1607 f.). Eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung darf sich bei Auslegung und An-wendung der Zuständigkeitsnormen nicht so weit von dem Grundsatz des ge-setzlichen Richters entfernen, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. [X.], Urteil vom 8. Dezember 1992 -
1 [X.], NJW 1993, 1607 f.). Bei der [X.] und Anwendung des Gesetzes kann von Willkür
dann
nicht gesprochen werden, wenn sich ein Gericht mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt ([X.] NJW 1996, 1336; [X.]E 87, 273, 279). [X.]elbst eine objektiv falsche Anwendung von Zuständigkeitsnormen genügt unter diesen Umständen
für eine Verletzung 10
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des Art. 101 Abs. 1 [X.]atz 2 GG regelmäßig nicht (vgl. [X.]E 29, 198, 207; 9, 223, 230; ebenso [X.], Urteil vom 13. Februar
1980 -
3 [X.]tR 57/80 ([X.]), [X.][X.]t 29, 216, 219).
Bei Anwendung dieser Maßstäbe vermag der [X.]enat in der Bejahung ih-rer Zuständigkeit durch die
[X.] keine Willkür zu erkennen.
aa) [X.] ist in diesem Zusammenhang der Verweis der Revision auf die personenidentische Besetzung der [X.] mit der Be-schwerdekammer. Die Zuständigkeit ist allein nach Maßgabe der Gerichte und [X.]pruchkörper zu beurteilen. [X.]ind diese nach der Geschäftsverteilung mit den-selben Richtern besetzt, bleibt die Lösung hieraus etwaig resultierender Konflik-te im Einzelfall ausschließlich den §§ 22 ff. [X.] vorbehalten,
wobei es über die Personenidentität hinaus des [X.] weiterer Umstände bedarf.
[X.]) Aus der Tatsache, dass die [X.] den [X.] als solchen -
auch im Hinblick auf die strittige Frage der sachlichen Zuständigkeit -
nicht begründet hat, lässt sich der Vorwurf willkürlichen [X.] nicht ableiten. Zwar kann eine Entscheidung im Einzelfall willkürlich sein, wenn sie jeder Begründung entbehrt (vgl. [X.] NJW 1995, 2911
f.; NJW 1996, 1336); dies gilt jedoch nur
dann, wenn sich die Gründe nicht schon aus den für die Verfahrensbeteiligten erkennbaren Besonderheiten des Falles erge-ben (vgl. [X.] NJW 1996, 1336). [X.]o aber liegt der Fall hier, da
durch das vorausgegangene Beschwerdeverfahren, namentlich den sorgfältig begründe-ten Beschluss vom 30. Juni 2011, die maßgeblichen Erwägungen der Zustän-digkeitsbestimmung bereits offengelegt
waren. Wie auch das [X.] zeigt, war für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich, dass die [X.] sich diese Begründung bei ihrer Eröffnungsentscheidung zu Ei-gen gemacht hat.
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cc) Die Annahme "besonderer Umstände" i.[X.].d. § 24 Abs. 1 Nr. 3 [X.] erfolgte ebenfalls ohne Willkür.
Die von der [X.] aufgeführten und von der [X.] ersichtlich übernommenen Kriterien -
u.a. die besondere [X.]tel-lung des Angeklagten als verbeamteter Lehrer, das lokalmediale Interesse an der Aufklärung vor dem Hintergrund einer aktuellen gesamtgesellschaftlichen Diskussion um Übergriffe in [X.], das öffentliche Aufsehen, welches die Vorfälle in der eher ländlichen Gegend erregten, die Unruhe im [X.] der [X.]chule -
sind unter Beachtung der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung herangezogen worden. Auch im Hinblick auf die Zuständigkeit der [X.] als eines Jugendgerichts (§§ 26, 74b [X.]) wurde rechtsfehlerfrei
auf das Kriterium der notwendigen Einvernahme jugendlicher Zeugen abgestellt (§ 26 Abs. 2, 1. Alt. [X.]).
Der von der Revision in diesem Zusammenhang vorgebrachte Einwand des Zeitablaufs vermag den Vorwurf der Willkür nicht zu begründen. Auch unter Berücksichtigung der Zeitspanne zwischen den [X.] und der Durchführung des [X.]trafverfahrens werden die aufgezeigten Kriterien jedenfalls nicht in einem solchen Maße abgeschwächt, dass ihre weitere Berücksichtigung fehlerhaft oder gar
willkürlich wäre.
dd) Auch in der [X.]ache trifft der Vorwurf nicht zu, die [X.] habe durch ihre Eröffnungsentscheidung die Bestimmungen über das [X.] (§§ 209, 210 [X.]) willkürlich umgangen.
Es kann hier dahinstehen, ob ein fehlerhaftes [X.] die [X.] bei der Bejahung seiner Zuständigkeit bei dem letztlich er-kennenden Gericht begründen kann. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn das [X.] seinerseits nicht willkürlich erfolgt ist.
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Die Begründung des Beschlusses vom 30. Juni 2011 zeigt, dass sich die [X.] eingehend mit dem Umfang ihrer Prüfungs-
und Entschei-dungskompetenz beschäftigt hat. [X.]ie hat dabei die unterschiedlichen Rechts-ansichten dargelegt und ist mit überzeugenden Gründen zu einem vertretbaren Ergebnis gelangt.
(1) Die Annahme einer eigenen Prüfungskompetenz des [X.] hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit des [X.]trafrichters unterliegt kei-nen Bedenken. Insbesondere war die [X.] weder durch die in der Anklage von der [X.]taatsanwaltschaft getroffene Zuständigkeitsbestimmung noch
durch die Zielrichtung der staatsanwaltschaftlichen Beschwerde in ihrer Prüfungskompetenz beschränkt.
Bei der Beurteilung der sachlichen Zuständigkeit sind die Gerichte an An-träge der [X.]taatsanwaltschaft nicht gebunden. Vor Entscheidungen des [X.] erstinstanzlichen Gerichts die sachliche Zuständigkeit betreffend (§§
225a, 270 [X.]) bestehen ab dem Zeitpunkt der Anklageerhebung allen-falls (vorherige) [X.] (vgl. [X.] aaO, §
270 Rn. 14 mwN); selbst diese entfallen bei § 209 Abs.
2 [X.] (vgl. [X.]tuckenberg in Löwe/
[X.], [X.], 26. Aufl.,
§ 209 Rn. 41
mwN; [X.] in [X.], [X.], 6.
Aufl.,
§ 209 Rn. 15).
Gleiches gilt im Beschwerdeverfahren. Zwar richtete sich im vorliegen-den Fall
die Beschwerde maßgeblich gegen die Ablehnung des hinreichenden Tatverdachts durch den [X.]trafrichter und nicht gegen die der Ablehnungsent-scheidung immanente Zuständigkeitsbestimmung. Eine Beschränkung des [X.] trat dadurch
jedoch
nicht ein.
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Das Beschwerdegericht prüft bereits grundsätzlich die angefochtene Entscheidung nicht nur im Hinblick auf das konkrete Beschwerdebegehren, sondern umfassend (vgl. [X.] in [X.] (Hrsg.), BeckOK [X.], [X.]. 13, § 309 Rn. 5).
Dieser Grundsatz wird für Beschwerden nach § 210 Abs. 2 [X.] aller-dings teilweise eingeschränkt. Bei einer Beschwerde gegen die Eröffnung vor einem
Gericht niederer Ordnung (§ 210 Abs. 2,
2.
Alt. [X.]) soll dem [X.] nach einer in der Rechtsprechung
vertretenen Auffassung die Prüfung der weiteren Voraussetzungen der
Eröffnung, namentlich des hinrei-chenden Tatverdachts, grundsätzlich untersagt sein (vgl. KG
N[X.]tZ-RR 2005, 26 mwN; OLG [X.]aarbrücken wistra 2002, 118; aA jedoch BayObLG NJW 1987, 511; [X.] in Löwe/[X.], [X.], 25. Aufl., § 210 Rn. 22; [X.] aaO,
§
210 Rn. 2).
Für den umgekehrten Fall, in dem sich -
wie im vorliegenden Fall [X.] -
die Beschwerde gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptver-fahrens richtet (§ 210 Abs. 2,
1.
Alt. [X.]), wird ein Prüfungsverbot hinsichtlich der [X.] demgegenüber nicht vertreten. Vielmehr wird hier eine Prüfungskompetenz ausdrücklich angenommen; lediglich über den weiteren Verfahrensgang, namentlich über die zu treffende Entscheidung des Beschwer-degerichts, besteht Uneinigkeit (vgl. [X.],
Beschluss vom 14.
Februar 1986 -
1 Ws 27/85, [X.] 1986, 605 f.; [X.]tuckenberg aaO, § 210 Rn. 29; [X.]chnei-der aaO, § 210 Rn. 11; [X.] in [X.] Kommentar zur [X.],
4.
Aufl., §
210 Rn. 12; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 1. Aufl., § 210 Rn. 7; [X.] 1986, 471 ff.).
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Der [X.]enat teilt die Auffassung, dass sich jedenfalls bei einer Beschwerde gemäß § 210 Abs. 2,
1.
Alt. [X.] die Prüfungskompetenz des [X.] auch auf die Zuständigkeit erstreckt.
Für eine durchgreifende Prüfungskompetenz spricht insbesondere, dass nach §
6 [X.] die Gerichte zur Prüfung der sachlichen Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens verpflichtet sind; die Kontrolle der Zuständigkeit der [X.] erfolgt auch in den [X.] (vgl. [X.],
Urteil vom 10.
Januar 1957 -
2 [X.]tR 575/56, [X.][X.]t 10, 74 ff.; [X.] aaO,
§ 309 Rn. 6; § 328 Rn. 7).
(2) Auch die von der [X.] im Ergebnis gewählte weitere Vorgehensweise, die Akten zur Entscheidung über die Eröffnung an die Ju-gendschutzkammer (vgl. hierzu auch § 209a Nr. 2 [X.]) des [X.] vor-zulegen, ist zumindest vertretbar und unter dem Gesichtspunkt der Willkür nicht
zu beanstanden.
(a) Die Berechtigung zur Vorlage der Akten an das für zuständig befun-dene ranghöhere Gericht wird in Rechtsprechung und [X.]chrifttum befürwortet (vgl. [X.] aaO; dem folgend z.B. [X.] aaO, § 210 Rn. 12; für den Fall, in dem -
wie hier -
das zuständige Gericht auch gegenüber dem [X.] ein solches höherer Ordnung darstellt, auch [X.]tuckenberg aaO, § 210 Rn. 31, der im Übrigen eine
direkte Eröffnung vor dem im Vergleich zum Ausgangsgericht höherrangigen Gericht fordert, aaO, §
210 Rn. 29 und [X.] aaO, § 210 Rn. 7, der im Übrigen für eine Zurückverweisung an das Aus-gangsgericht votiert).
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Demgegenüber wird auch vertreten, dass sich das Beschwerdegericht einer [X.]achentscheidung zu enthalten habe und unter Aufhebung der [X.] die [X.]ache lediglich zur erneuten Entscheidung über die Eröffnung an das Ausgangsgericht zurückverweisen dürfe (vgl. [X.] 1986, 471 ff.; grds. auch [X.] aaO, §
210
Rn. 7).
Nach einer weiteren Auffassung soll das Beschwerdegericht das Haupt-verfahren vor dem rangniederen Ausgangsgericht eröffnen können (vgl. [X.] aaO, § 210 Rn. 11).
Nach den beiden letzten Auffassungen hat das Beschwerdegericht nur die Möglichkeit, eine Verweisung der [X.]ache durch das Ausgangsgericht an das höhere Gericht anzuregen (vgl. [X.] aaO und [X.] aaO).
Mit diesen widerstreitenden Auffassungen hat sich die Kammer im Be-schluss vom 30. Juni 2011 auseinandergesetzt und sich für die Möglichkeit der Vorlage
an das ranghöhere Gericht
ausgesprochen.
(b) Für diese Vorlageentscheidung sprechen gewichtige sachliche Grün-de:
Durch die Vorlage an das ranghöhere Gericht bleibt diesem die eigen-ständige Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbehalten; die gesetzliche [X.]ystematik des [X.]s wird gewahrt. Darüber [X.] sichert diese Vorgehensweise die Durchsetzung der Rechtsauffassung des [X.] gegenüber dem Ausgangsgericht, während die auf eine
-
unverbindliche -
Anregung beschränkten Auffassungen im [X.]treitfalle nur auf die Möglichkeit der Zurückverweisung oder Eröffnung vor einem anderen, dem Ausgangsgericht gleichgeordneten Gericht (§ 210 Abs. 3 [X.]) zurückgreifen 31
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können. Die direkte Vorlage durch das Beschwerdegericht trägt zudem [X.] Aspekten und dem Gedanken der [X.]. Ein [X.] ist nicht zu befürchten; vielmehr wird durch die Vorlage ein neuer Instanzenzug für die Eröffnungsentscheidung ge-währt.
[X.]inn und Zweck der §§ 209, 210 [X.] legen eine Vorlageentscheidung des [X.] nahe.
Die in § 209 Abs. 2 [X.] enthaltene Formulierung, wonach die Vorlage durch das Gericht zu erfolgen hat, "bei
dem die Anklage eingereicht
ist", zwingt im Hinblick auf § 309 Abs. 2 [X.], der dem Beschwerdegericht aufgibt, "die in der [X.]ache erforderliche Entscheidung" zu treffen, nicht dazu, die Vorlagebe-rechtigung ausschließlich dem erstinstanzlichen Gericht zuzusprechen.
Für die Entscheidungen des [X.] im Zwischenverfahren sind die §§ 209, 210 [X.] vielmehr gemeinsam mit § 309 Abs. 2 [X.] zu le-sen. Nach dem Wortlaut des § 210 Abs. 3 [X.], der
mit Art. 101 Abs. 1 [X.]atz 2 GG vereinbar ist (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Juni 1999 -
2 BvR 1067/99 mwN), gibt das Beschwerdegericht lediglich "der Beschwerde statt" und kann
-
zusätzlich -
das Hauptverfahren vor einem anderen, dem Ausgangsgericht gleichgeordneten Gericht eröffnen. Die grundsätzlich notwendige Entschei-dungsformel i.[X.].d. "[X.]tattgabe" wird jedoch allein aus § 210 Abs. 3 [X.] heraus nicht verständlich, sondern erschließt sich erst unter Hinzuziehung des § 309 Abs. 2 [X.], der "die in der [X.]ache erforderliche Entscheidung" fordert.
Auch die in § 210 Abs. 3 [X.] gegebene Möglichkeit, vor einem ande-ren, mit dem Ausgangsgericht gleichrangigen Gericht zu eröffnen, führt nicht im Umkehrschluss dazu, dass -
materiell -
eine andere Entscheidung als
die Eröff-nung des Hauptverfahrens ausgeschlossen ist. Denn die Bestimmung des 37
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12
-
§
210 Abs. 3 [X.] ist dem § 354 Abs. 2 [X.] nachempfunden (vgl. bereits BT-Drucks. I/530,
[X.]. 44 zu [X.]). Während dessen Vorgängernorm -
§ 394 Abs.
2 [X.] aF -
bereits in der 1877 in [X.] getretenen Fassung der [X.] vorhanden war, fand § 210 Abs. 3 [X.] -
als § 204 Abs. 1 [X.]atz 3 [X.] aF -
erst durch Verordnung vom 13. August 1942 im Zuge des Versuchs einer Beseitigung des Eröffnungsverfahrens Eingang in das Gesetz (RGBl. 1942,
[X.].
512). Nach [X.] wurde diese Bestimmung als § 210 Abs. 3 [X.] dem im Übrigen in der vor dem Krieg geltenden Fassung wiederhergestellten § 210 (Abs.
1 und 2)
[X.] angegliedert ([X.] [X.],
[X.]. 455).
Nach den Motiven (BT-Drucks. I/530,
[X.]. 44 zu Nr.
83) handelt es sich um eine "Fortentwicklung des [X.], die beibehalten werden kann". Daraus erhellt, dass die zusätzliche Ent-scheidungsmöglichkeit in § 210 Abs. 3 [X.] eine Erweiterung, aber keine in-haltliche Begrenzung der aus § 210 Abs. 1 und 2 [X.] eigenständig zu ermit-telnden Entscheidungsmöglichkeiten im Eröffnungsverfahren bewirken sollte.
Dass ungeachtet
der sprachlichen Fassung
des § 210 Abs. 3 [X.] auch andere Entscheidungen als lediglich die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Ausgangs-
oder einem diesem gleichgeordneten Gericht möglich sind, zeigt sich auch aus Folgendem:
Obwohl § 210 Abs. 3 [X.] keine Zuständigkeitsbestimmung für
ein [X.] anderer Ordnung als der des Ausgangsgerichts vorsieht -
eine dem § 354 Abs. 3 [X.] vergleichbare Bestimmung fehlt -, darf nach einhelliger (und richti-ger) Ansicht das Beschwerdegericht -
im Hinblick auf § 209 Abs. 1 [X.] -
das Hauptverfahren auch vor einem rangniedrigeren als dem Ausgangsgericht er-öffnen (vgl. [X.]tuckenberg aaO, § 210 Rn. 28; [X.] aaO, §
210 Rn. 21; [X.] in [X.], [X.], 1. Aufl., §
210 Rn. 7; [X.] aaO, §
210 Rn. 7; [X.] aaO, §
210
Rn. 11). § 209 Abs. 1 [X.] ist (auch hier) gemeinsam mit § 309 Abs.
2 41
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-
[X.] zu lesen, obwohl auf den ersten Blick alleiniger [X.] das "[X.] ist, bei
dem die Anklage eingereicht
ist".
Ergibt sich aus alledem aber eine über § 210 Abs. 3 [X.] hinausgehen-de Entscheidungskompetenz für das Beschwerdegericht in Fragen der sachli-chen Zuständigkeit, so besteht kein Grund, in umgekehrter Richtung eine [X.]perrwirkung anzunehmen, die eine einander ergänzende Anwendung der §§
209 Abs. 2 und 309 Abs. 2 [X.] mit dem Ergebnis einer Vorlage an das zuständige höhere Gericht ausschließt.
Die [X.] hat daher ihre Zuständigkeit keinesfalls will-kürlich angenommen.

2. Die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 [X.]), mit der die Revision bean-standet, der -
zur Begründung widersprüchlichen Einlassungsverhaltens des Angeklagten herangezogene -
Inhalt seiner früheren Einlassungen sei nur durch Vorhalte, jedoch nicht durch eine sich aufdrängende Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt worden, bleibt ohne Erfolg.
a) Die Rüge ist zulässig; sie ist in einer § 344 Abs. 2 [X.]atz 2 [X.] ent-sprechenden Form erhoben. Auf den hilfsweise gestellten Antrag auf Wieder-einsetzung in den vorigen [X.]tand,
der grundsätzlichen
Bedenken begegnen würde, da bei rechtzeitig erhobener [X.]achrüge nur in Ausnahmefällen Wieder-einsetzung zur formgerechten Erhebung von Verfahrensrügen gewährt wird (st. Rspr.;
vgl. u.a. [X.], Beschluss vom 28. Dezember 2011 -
2 [X.]tR 411/11), kommt es hier nicht an. Denn der wesentliche Inhalt der fehlenden [X.]eite 34 der [X.] ergibt sich in noch hinreichendem Umfang aus 43
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-
dem weiteren Revisionsvorbringen, insbesondere der [X.]ynopse der verschiede-nen Einlassungen des Angeklagten ([X.]. 43 ff. der [X.]).

b) Die Rüge ist aber unbegründet.
Das Gericht ist nicht stets verpflichtet, Widersprüche zwischen der Ein-lassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung und seinen vorprozessualen Einlassungen durch Verlesung früherer Vernehmungsprotokolle oder [X.]chriftsät-ze des Verteidigers festzustellen. Vielmehr kann, worauf auch der Generalbun-desanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hinweist, der Inhalt früherer Ein-lassungen zulässigerweise auch durch Vorhalt in die Hauptverhandlung einge-führt werden (vgl. [X.], Urteil vom 11.
[X.]eptember 1997 -
4 [X.]tR 287/97; BayObLG, Beschluss vom 22. März 1999 -
5 [X.]t
RR
35/99; [X.] in [X.],
aaO
§ 344 Rn. 58 mwN).
Der Angeklagte
hat sich im vorliegenden Fall auf Vorhalt seiner wider-sprüchlichen
vorprozessualen
Einlassungen nicht nur geäußert, sondern die Abgabe widersprüchlicher Erklärungen ausweislich der Urteilsfeststellungen (UA [X.]. 8 unter [X.]) sogar ausdrücklich eingeräumt.
Umstände, die bei dieser [X.]achlage eine weitergehende Aufklärungspflicht der Kammer auslösten, hat die Revision nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Die lediglich aufge-stellte
Behauptung der Revision, durch eine Verlesung der Einlassungen -
an-stelle des [X.] -
wäre der [X.]achverhalt besser aufgeklärt worden, ist vor die-sem Hintergrund nicht hinreichend substantiiert.
I[X.] Die auf die [X.]achrüge vorzunehmende Nachprüfung des angefochte-nen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
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Der von der Revision geltend gemachte [X.] liegt nicht vor. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass dem Angeklagten vorgehalten worden ist, widersprüchliche Angaben gemacht zu haben, und dass er dies ein-geräumt hat. Damit hat die Kammer ihrer Erörterungspflicht hier Genüge getan. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als das Landgericht seine Überzeu-gungsbildung im [X.] auf die glaubhaften Angaben mehrerer Zeugen gestützt hat.
[X.] Rothfuß Elf

[X.] [X.]ander
51

Meta

1 StR 6/12

07.03.2012

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.03.2012, Az. 1 StR 6/12 (REWIS RS 2012, 8460)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8460

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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