Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.03.2012, Az. 1 StR 6/12

1. Strafsenat | REWIS RS 2012, 8487

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Gegenstand

Sachliche Zuständigkeit in Strafverfahren: Willkürliche Annahme ihrer Zuständigkeit durch eine Jugendschutzkammer


Leitsatz

Die Jugendschutzkammer hat ihre Zuständigkeit nicht deshalb willkürlich bejaht, weil ihr die Sache durch das Beschwerdegericht zur Eröffnungsentscheidung vorgelegt wurde.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12. Oktober 2011 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] - hat den Angeklagten wegen Körperverletzung im Amt in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 70 € verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

2

[X.]ein Rechtsmittel ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 [X.]).

3

I. Nach den Feststellungen der [X.] war der Angeklagte in den [X.]chuljahren 2007/2008 und 2008/2009 als verbeamteter Lehrer an einer Realschule tätig und betreute dort eine wegen "ihres teilweise respektlosen Verhaltens gegenüber den Lehrkräften" auffällige siebente bzw. (im Folgejahr) achte [X.]chulklasse, zu der auch die [X.]chüler    [X.]und     [X.]gehörten.

4

Bei zwei zeitlich nicht genau bestimmbaren Gelegenheiten zwischen dem 15. [X.]eptember 2008 und Dezember 2008 verletzte der Angeklagte vorsätzlich und ohne rechtfertigenden Grund den [X.]chüler      [X.], indem er bei einer Gelegenheit dessen Oberkörper zwischen dem Rahmen und dem geöffneten Flügel eines Fensters im zweiten Obergeschoss [X.], wodurch dieser ein Hämatom unterhalb der Rippen und [X.]chmerzen erlitt, und ihn bei einer anderen Gelegenheit mit dem Ellenbogen in den Bauch stieß, was bei diesem Bauchschmerzen verursachte. Zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 15. [X.]eptember 2008 und dem 31. Juli 2009 schlug der Angeklagte dem [X.]chüler       [X.] ohne rechtfertigenden Grund mit einem Klassenbuch auf den Kopf, sodass dieser Kopfschmerzen erlitt.

5

II. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

6

1. Ohne Erfolg beanstandet der Angeklagte, die [X.] habe ihre sachliche Zuständigkeit willkürlich angenommen und ihn dadurch [X.] entzogen (vgl. hierzu u.a. auch [X.], Urteil vom 22. April 1997 - 1 [X.] = [X.][X.]t 43, 53 ff.; [X.], Urteil vom 27. Februar 1992 - 4 [X.]tR 23/92 = [X.][X.]t 38, 212 ff.).

7

Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 4 [X.] ist nicht gegeben.

8

a) Der [X.] liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

9

Die [X.]taatsanwaltschaft [X.] hatte am 7. Dezember 2010 wegen der genannten Taten und eines weiteren, in der Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 [X.] eingestellten Vorwurfs Anklage zum Amtsgericht - [X.]trafrichter -Albstadt erhoben. Mit Beschluss vom 12. Mai 2011 lehnte der [X.]trafrichter die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts ab. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der [X.]taatsanwaltschaft (§ 210 Abs. 2, § 311 [X.]) hob die zuständige [X.] des [X.] [X.] mit Beschluss vom 30. Juni 2011 den Ablehnungsbeschluss auf und entschied zugleich, dass die Akten über die [X.]taatsanwaltschaft [X.] der [X.] - [X.] - des [X.] [X.] zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens vorzulegen seien, wobei sie zur Begründung der Vorlage auf die besondere Bedeutung der [X.]ache (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 [X.]) verwies. Die [X.]taatsanwaltschaft [X.] legte daraufhin die Akten mit dem Antrag, das Hauptverfahren dort selbst zu eröffnen, der [X.] vor. Die - hinsichtlich der Berufsrichter mit der [X.] personenidentisch besetzte - [X.] ließ gegen die schriftsätzlich vorgebrachten Einwände des Verteidigers mit Beschluss vom 8. August 2011 die Anklage zu und eröffnete (vor sich selbst) das Hauptverfahren. In der Hauptverhandlung wurde keine Zuständigkeitsrüge erhoben.

b) Die [X.] ist unbegründet. Die [X.] (§ 74b [X.]) hat ihre sachliche Zuständigkeit nicht willkürlich (vgl. hierzu [X.], [X.], 54. Aufl., § 338 Rn. 32) angenommen.

Ein Richterspruch ist willkürlich, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist, sodass sich der [X.]chluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht ([X.] NJW 1996, 1336; [X.]E 87, 273, 278 f.; [X.], Urteil vom 8. Dezember 1992 - 1 [X.]tR 594/92, NJW 1993, 1607 f.). Eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung darf sich bei Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen nicht so weit von dem Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernen, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. [X.], Urteil vom 8. Dezember 1992 - 1 [X.]tR 594/92, NJW 1993, 1607 f.). Bei der Auslegung und Anwendung des Gesetzes kann von Willkür dann nicht gesprochen werden, wenn sich ein Gericht mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt ([X.] NJW 1996, 1336; [X.]E 87, 273, 279). [X.]elbst eine objektiv falsche Anwendung von Zuständigkeitsnormen genügt unter diesen Umständen für eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 [X.]atz 2 GG regelmäßig nicht (vgl. [X.]E 29, 198, 207; 9, 223, 230; ebenso [X.], Urteil vom 13. Februar 1980 - 3 [X.]tR 57/80 ([X.]), [X.][X.]t 29, 216, 219).

Bei Anwendung dieser Maßstäbe vermag der [X.]enat in der Bejahung ihrer Zuständigkeit durch die [X.] keine Willkür zu erkennen.

aa) [X.] ist in diesem Zusammenhang der Verweis der Revision auf die personenidentische Besetzung der [X.] mit der [X.]. Die Zuständigkeit ist allein nach Maßgabe der Gerichte und [X.]pruchkörper zu beurteilen. [X.]ind diese nach der Geschäftsverteilung mit denselben Richtern besetzt, bleibt die Lösung hieraus etwaig resultierender Konflikte im Einzelfall ausschließlich den §§ 22 ff. [X.] vorbehalten, wobei es über die Personenidentität hinaus des [X.] weiterer Umstände bedarf.

bb) Aus der Tatsache, dass die [X.] den Eröffnungsbeschluss als solchen - auch im Hinblick auf die strittige Frage der sachlichen Zuständigkeit - nicht begründet hat, lässt sich der Vorwurf willkürlichen Verhaltens nicht ableiten. Zwar kann eine Entscheidung im Einzelfall willkürlich sein, wenn sie jeder Begründung entbehrt (vgl. [X.] NJW 1995, 2911 f.; NJW 1996, 1336); dies gilt jedoch nur dann, wenn sich die Gründe nicht schon aus den für die Verfahrensbeteiligten erkennbaren Besonderheiten des Falles ergeben (vgl. [X.] NJW 1996, 1336). [X.]o aber liegt der Fall hier, da durch das vorausgegangene Beschwerdeverfahren, namentlich den sorgfältig begründeten Beschluss vom 30. Juni 2011, die maßgeblichen Erwägungen der Zuständigkeitsbestimmung bereits offengelegt waren. Wie auch das [X.] zeigt, war für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich, dass die [X.] sich diese Begründung bei ihrer Eröffnungsentscheidung zu Eigen gemacht hat.

cc) Die Annahme "besonderer Umstände" i.[X.].d. § 24 Abs. 1 Nr. 3 [X.] erfolgte ebenfalls ohne Willkür.

Die von der [X.] aufgeführten und von der [X.] ersichtlich übernommenen Kriterien - u.a. die besondere [X.]tellung des Angeklagten als verbeamteter Lehrer, das lokalmediale Interesse an der Aufklärung vor dem Hintergrund einer aktuellen gesamtgesellschaftlichen Diskussion um Übergriffe in [X.], das öffentliche Aufsehen, welches die Vorfälle in der eher ländlichen Gegend erregten, die Unruhe im Alltag der [X.]chule - sind unter Beachtung der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung herangezogen worden. Auch im Hinblick auf die Zuständigkeit der [X.] als eines Jugendgerichts (§§ 26, 74b [X.]) wurde rechtsfehlerfrei auf das Kriterium der notwendigen Einvernahme jugendlicher Zeugen abgestellt (§ 26 Abs. 2, 1. Alt. [X.]).

Der von der Revision in diesem Zusammenhang vorgebrachte Einwand des Zeitablaufs vermag den Vorwurf der Willkür nicht zu begründen. Auch unter Berücksichtigung der Zeitspanne zwischen den [X.] und der Durchführung des [X.]trafverfahrens werden die aufgezeigten Kriterien jedenfalls nicht in einem solchen Maße abgeschwächt, dass ihre weitere Berücksichtigung fehlerhaft oder gar willkürlich wäre.

dd) Auch in der [X.]ache trifft der Vorwurf nicht zu, die [X.] habe durch ihre Eröffnungsentscheidung die Bestimmungen über das [X.] (§§ 209, 210 [X.]) willkürlich umgangen.

Es kann hier dahinstehen, ob ein fehlerhaftes [X.] die Annahme von Willkür bei der Bejahung seiner Zuständigkeit bei dem letztlich erkennenden Gericht begründen kann. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn das [X.] seinerseits nicht willkürlich erfolgt ist.

Die Begründung des Beschlusses vom 30. Juni 2011 zeigt, dass sich die [X.] eingehend mit dem Umfang ihrer Prüfungs- und Entscheidungskompetenz beschäftigt hat. [X.]ie hat dabei die unterschiedlichen Rechtsansichten dargelegt und ist mit überzeugenden Gründen zu einem vertretbaren Ergebnis gelangt.

(1) Die Annahme einer eigenen Prüfungskompetenz des [X.] hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit des [X.]trafrichters unterliegt keinen Bedenken. Insbesondere war die [X.] weder durch die in der Anklage von der [X.]taatsanwaltschaft getroffene Zuständigkeitsbestimmung noch durch die Zielrichtung der staatsanwaltschaftlichen Beschwerde in ihrer Prüfungskompetenz beschränkt.

Bei der Beurteilung der sachlichen Zuständigkeit sind die Gerichte an Anträge der [X.]taatsanwaltschaft nicht gebunden. Vor Entscheidungen des angerufenen erstinstanzlichen Gerichts die sachliche Zuständigkeit betreffend (§§ 225a, 270 [X.]) bestehen ab dem Zeitpunkt der Anklageerhebung allenfalls (vorherige) [X.] (vgl. [X.] aaO, § 270 Rn. 14 mwN); selbst diese entfallen bei § 209 Abs. 2 [X.] (vgl. [X.]tuckenberg in Löwe/ [X.], [X.], 26. Aufl., § 209 Rn. 41 mwN; [X.] in [X.], [X.], 6. Aufl., § 209 Rn. 15).

Gleiches gilt im Beschwerdeverfahren. Zwar richtete sich im vorliegenden Fall die Beschwerde maßgeblich gegen die Ablehnung des hinreichenden Tatverdachts durch den [X.]trafrichter und nicht gegen die der Ablehnungsentscheidung immanente Zuständigkeitsbestimmung. Eine Beschränkung des [X.] trat dadurch jedoch nicht ein.

Das Beschwerdegericht prüft bereits grundsätzlich die angefochtene Entscheidung nicht nur im Hinblick auf das konkrete Beschwerdebegehren, sondern umfassend (vgl. [X.] in [X.] (Hrsg.), BeckOK [X.], [X.]. 13, § 309 Rn. 5).

Dieser Grundsatz wird für Beschwerden nach § 210 Abs. 2 [X.] allerdings teilweise eingeschränkt. Bei einer Beschwerde gegen die Eröffnung vor einem Gericht niederer Ordnung (§ 210 Abs. 2, 2. Alt. [X.]) soll dem Beschwerdegericht nach einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung die Prüfung der weiteren Voraussetzungen der Eröffnung, namentlich des hinreichenden Tatverdachts, grundsätzlich untersagt sein (vgl. KG N[X.]tZ-RR 2005, 26 mwN; OLG [X.]aarbrücken wistra 2002, 118; aA jedoch BayObLG NJW 1987, 511; Rieß in Löwe/[X.], [X.], 25. Aufl., § 210 Rn. 22; Meyer-Goßner aaO, § 210 Rn. 2).

Für den umgekehrten Fall, in dem sich - wie im vorliegenden Fall geschehen - die Beschwerde gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens richtet (§ 210 Abs. 2, 1. Alt. [X.]), wird ein Prüfungsverbot hinsichtlich der Zuständigkeitsfrage demgegenüber nicht vertreten. Vielmehr wird hier eine Prüfungskompetenz ausdrücklich angenommen; lediglich über den weiteren Verfahrensgang, namentlich über die zu treffende Entscheidung des [X.], besteht Uneinigkeit (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Februar 1986 - 1 Ws 27/85, [X.] 1986, 605 f.; [X.]tuckenberg aaO, § 210 Rn. 29; [X.] aaO, § 210 Rn. 11; [X.] in [X.] Kommentar zur [X.], 4. Aufl., § 210 Rn. 12; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 1. Aufl., § 210 Rn. 7; Meyer-Goßner JR 1986, 471 ff.).

Der [X.]enat teilt die Auffassung, dass sich jedenfalls bei einer Beschwerde gemäß § 210 Abs. 2, 1. Alt. [X.] die Prüfungskompetenz des [X.] auch auf die Zuständigkeit erstreckt.

Für eine durchgreifende Prüfungskompetenz spricht insbesondere, dass nach § 6 [X.] die Gerichte zur Prüfung der sachlichen Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens verpflichtet sind; die Kontrolle der Zuständigkeit der Ausgangsgerichte erfolgt auch in den [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 10. Januar 1957 - 2 [X.]tR 575/56, [X.][X.]t 10, 74 ff.; [X.] aaO, § 309 Rn. 6; § 328 Rn. 7).

(2) Auch die von der [X.] im Ergebnis gewählte weitere Vorgehensweise, die Akten zur Entscheidung über die Eröffnung an die [X.] (vgl. hierzu auch § 209a Nr. 2 [X.]) des [X.] vorzulegen, ist zumindest vertretbar und unter dem Gesichtspunkt der Willkür nicht zu beanstanden.

(a) Die Berechtigung zur Vorlage der Akten an das für zuständig befundene ranghöhere Gericht wird in Rechtsprechung und [X.]chrifttum befürwortet (vgl. [X.] aaO; dem folgend z.B. [X.] aaO, § 210 Rn. 12; für den Fall, in dem - wie hier - das zuständige Gericht auch gegenüber dem Beschwerdegericht ein solches höherer Ordnung darstellt, auch [X.]tuckenberg aaO, § 210 Rn. 31, der im Übrigen eine direkte Eröffnung vor dem im Vergleich zum Ausgangsgericht höherrangigen Gericht fordert, aaO, § 210 Rn. 29 und [X.] aaO, § 210 Rn. 7, der im Übrigen für eine Zurückverweisung an das Ausgangsgericht votiert).

Demgegenüber wird auch vertreten, dass sich das Beschwerdegericht einer [X.]achentscheidung zu enthalten habe und unter Aufhebung der Ausgangsentscheidung die [X.]ache lediglich zur erneuten Entscheidung über die Eröffnung an das Ausgangsgericht zurückverweisen dürfe (vgl. [X.] 1986, 471 ff.; grds. auch [X.] aaO, § 210 Rn. 7).

Nach einer weiteren Auffassung soll das Beschwerdegericht das Hauptverfahren vor dem rangniederen Ausgangsgericht eröffnen können (vgl. [X.] aaO, § 210 Rn. 11).

Nach den beiden letzten Auffassungen hat das Beschwerdegericht nur die Möglichkeit, eine Verweisung der [X.]ache durch das Ausgangsgericht an das höhere Gericht anzuregen (vgl. [X.] aaO und [X.] aaO).

Mit diesen widerstreitenden Auffassungen hat sich die Kammer im Beschluss vom 30. Juni 2011 auseinandergesetzt und sich für die Möglichkeit der Vorlage an das ranghöhere Gericht ausgesprochen.

(b) Für diese Vorlageentscheidung sprechen gewichtige sachliche Gründe:

Durch die Vorlage an das ranghöhere Gericht bleibt diesem die eigenständige Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbehalten; die gesetzliche [X.]ystematik des [X.]s wird gewahrt. Darüber hinaus sichert diese Vorgehensweise die Durchsetzung der Rechtsauffassung des [X.] gegenüber dem Ausgangsgericht, während die auf eine - unverbindliche - Anregung beschränkten Auffassungen im [X.]treitfalle nur auf die Möglichkeit der Zurückverweisung oder Eröffnung vor einem anderen, dem Ausgangsgericht gleichgeordneten Gericht (§ 210 Abs. 3 [X.]) zurückgreifen können. Die direkte Vorlage durch das Beschwerdegericht trägt zudem prozessökonomischen Aspekten und dem Gedanken der Verfahrensbeschleunigung Rechnung. Ein [X.] ist nicht zu befürchten; vielmehr wird durch die Vorlage ein neuer Instanzenzug für die Eröffnungsentscheidung gewährt.

[X.]inn und Zweck der §§ 209, 210 [X.] legen eine Vorlageentscheidung des [X.] nahe.

Die in § 209 Abs. 2 [X.] enthaltene Formulierung, wonach die Vorlage durch das Gericht zu erfolgen hat, "bei dem die Anklage eingereicht ist", zwingt im Hinblick auf § 309 Abs. 2 [X.], der dem Beschwerdegericht aufgibt, "die in der [X.]ache erforderliche Entscheidung" zu treffen, nicht dazu, die Vorlageberechtigung ausschließlich dem erstinstanzlichen Gericht zuzusprechen.

Für die Entscheidungen des [X.] im Zwischenverfahren sind die §§ 209, 210 [X.] vielmehr gemeinsam mit § 309 Abs. 2 [X.] zu lesen. Nach dem Wortlaut des § 210 Abs. 3 [X.], der mit Art. 101 Abs. 1 [X.]atz 2 GG vereinbar ist (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Juni 1999 - 2 BvR 1067/99 mwN), gibt das Beschwerdegericht lediglich "der Beschwerde statt" und kann- zusätzlich - das Hauptverfahren vor einem anderen, dem Ausgangsgericht gleichgeordneten Gericht eröffnen. Die grundsätzlich notwendige Entscheidungsformel i.[X.].d. "[X.]tattgabe" wird jedoch allein aus § 210 Abs. 3 [X.] heraus nicht verständlich, sondern erschließt sich erst unter Hinzuziehung des § 309 Abs. 2 [X.], der "die in der [X.]ache erforderliche Entscheidung" fordert.

Auch die in § 210 Abs. 3 [X.] gegebene Möglichkeit, vor einem anderen, mit dem Ausgangsgericht gleichrangigen Gericht zu eröffnen, führt nicht im Umkehrschluss dazu, dass - materiell - eine andere Entscheidung als die Eröffnung des Hauptverfahrens ausgeschlossen ist. Denn die Bestimmung des § 210 Abs. 3 [X.] ist dem § 354 Abs. 2 [X.] nachempfunden (vgl. bereits BT-Drucks. I/530, [X.]. 44 zu [X.]). Während dessen Vorgängernorm - § 394 Abs. 2 [X.] aF - bereits in der 1877 in [X.] getretenen Fassung der [X.] vorhanden war, fand § 210 Abs. 3 [X.] - als § 204 Abs. 1 [X.]atz 3 [X.] aF - erst durch Verordnung vom 13. August 1942 im Zuge des Versuchs einer Beseitigung des Eröffnungsverfahrens Eingang in das Gesetz ([X.] 1942, [X.]. 512). Nach [X.] wurde diese Bestimmung als § 210 Abs. 3 [X.] dem im Übrigen in der vor dem Krieg geltenden Fassung wiederhergestellten § 210 (Abs. 1 und 2) [X.] angegliedert ([X.] [X.], [X.]. 455). Nach den Motiven (BT-Drucks. I/530, [X.]. 44 zu [X.]) handelt es sich um eine "Fortentwicklung des Verfahrensrechts, die beibehalten werden kann". Daraus erhellt, dass die zusätzliche Entscheidungsmöglichkeit in § 210 Abs. 3 [X.] eine Erweiterung, aber keine inhaltliche Begrenzung der aus § 210 Abs. 1 und 2 [X.] eigenständig zu ermittelnden Entscheidungsmöglichkeiten im Eröffnungsverfahren bewirken sollte.

Dass ungeachtet der sprachlichen Fassung des § 210 Abs. 3 [X.] auch andere Entscheidungen als lediglich die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Ausgangs- oder einem diesem gleichgeordneten Gericht möglich sind, zeigt sich auch aus Folgendem:

Obwohl § 210 Abs. 3 [X.] keine Zuständigkeitsbestimmung für ein Gericht anderer Ordnung als der des Ausgangsgerichts vorsieht - eine dem § 354 Abs. 3 [X.] vergleichbare Bestimmung fehlt -, darf nach einhelliger (und richtiger) Ansicht das Beschwerdegericht - im Hinblick auf § 209 Abs. 1 [X.] - das Hauptverfahren auch vor einem rangniedrigeren als dem Ausgangsgericht eröffnen (vgl. [X.]tuckenberg aaO, § 210 Rn. 28; [X.] aaO, § 210 Rn. 21; [X.] in [X.], [X.], 1. Aufl., § 210 Rn. 7; [X.] aaO, § 210 Rn. 7; [X.] aaO, § 210 Rn. 11). § 209 Abs. 1 [X.] ist (auch hier) gemeinsam mit § 309 Abs. 2 [X.] zu lesen, obwohl auf den ersten Blick alleiniger [X.] das "Gericht ist, bei dem die Anklage eingereicht ist".

Ergibt sich aus alledem aber eine über § 210 Abs. 3 [X.] hinausgehende Entscheidungskompetenz für das Beschwerdegericht in Fragen der sachlichen Zuständigkeit, so besteht kein Grund, in umgekehrter Richtung eine [X.]perrwirkung anzunehmen, die eine einander ergänzende Anwendung der §§ 209 Abs. 2 und 309 Abs. 2 [X.] mit dem Ergebnis einer Vorlage an das zuständige höhere Gericht ausschließt.

Die [X.] hat daher ihre Zuständigkeit keinesfalls willkürlich angenommen.

2. Die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 [X.]), mit der die Revision beanstandet, der - zur Begründung widersprüchlichen Einlassungsverhaltens des Angeklagten herangezogene - Inhalt seiner früheren Einlassungen sei nur durch Vorhalte, jedoch nicht durch eine sich aufdrängende Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt worden, bleibt ohne Erfolg.

a) Die [X.] ist zulässig; sie ist in einer § 344 Abs. 2 [X.]atz 2 [X.] entsprechenden Form erhoben. Auf den hilfsweise gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen [X.]tand, der grundsätzlichen Bedenken begegnen würde, da bei rechtzeitig erhobener [X.]achrüge nur in Ausnahmefällen Wiedereinsetzung zur formgerechten Erhebung von Verfahrensrügen gewährt wird (st. Rspr.; vgl. u.a. [X.], Beschluss vom 28. Dezember 2011 - 2 [X.]tR 411/11), kommt es hier nicht an. Denn der wesentliche Inhalt der fehlenden [X.]eite 34 der [X.] ergibt sich in noch hinreichendem Umfang aus dem weiteren [X.], insbesondere der [X.]ynopse der verschiedenen Einlassungen des Angeklagten ([X.]. 43 ff. der [X.]).

b) Die [X.] ist aber unbegründet.

Das Gericht ist nicht stets verpflichtet, Widersprüche zwischen der Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung und seinen vorprozessualen Einlassungen durch Verlesung früherer Vernehmungsprotokolle oder [X.]chriftsätze des Verteidigers festzustellen. Vielmehr kann, worauf auch der [X.] in seiner Antragsschrift zutreffend hinweist, der Inhalt früherer Einlassungen zulässigerweise auch durch Vorhalt in die Hauptverhandlung eingeführt werden (vgl. [X.], Urteil vom 11. [X.]eptember 1997 - 4 [X.]tR 287/97; BayObLG, Beschluss vom 22. März 1999 - 5 [X.]t RR 35/99; [X.] in [X.], aaO § 344 Rn. 58 mwN).

Der Angeklagte hat sich im vorliegenden Fall auf Vorhalt seiner widersprüchlichen vorprozessualen Einlassungen nicht nur geäußert, sondern die Abgabe widersprüchlicher Erklärungen ausweislich der Urteilsfeststellungen (UA [X.]. 8 unter [X.]) sogar ausdrücklich eingeräumt. Umstände, die bei dieser [X.]achlage eine weitergehende Aufklärungspflicht der Kammer auslösten, hat die Revision nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Die lediglich aufgestellte Behauptung der Revision, durch eine Verlesung der Einlassungen - anstelle des [X.] - wäre der [X.]achverhalt besser aufgeklärt worden, ist vor diesem Hintergrund nicht hinreichend substantiiert.

III. Die auf die [X.]achrüge vorzunehmende Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Der von der Revision geltend gemachte [X.] liegt nicht vor. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass dem Angeklagten vorgehalten worden ist, widersprüchliche Angaben gemacht zu haben, und dass er dies eingeräumt hat. Damit hat die Kammer ihrer Erörterungspflicht hier Genüge getan. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als das [X.] seine Überzeugungsbildung im [X.] auf die glaubhaften Angaben mehrerer Zeugen gestützt hat.

[X.]                                 [X.]                                 Elf

                    [X.]                                     [X.]ander

Meta

1 StR 6/12

07.03.2012

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hechingen, 12. Oktober 2011, Az: 1 KLs 14 Js 7636/10 - AK 15/11 jug

§ 209a StPO, § 338 Nr 4 StPO, § 74b GVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.03.2012, Az. 1 StR 6/12 (REWIS RS 2012, 8487)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8487

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