Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.01.2015, Az. VI ZR 467/13

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 16532

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI ZR 467/13
Verkündet am:

27. Januar 2015

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 68, § 74, [X.] § 833
a)
Die sich aus der [X.] ergebende Streithilfewirkung tritt nach § 68, § 74 Abs. 3 ZPO nur gegen den [X.] ein, nicht aber auch gegen die [X.], die ihm im Vorprozess den Streit verkündet hat. Dies gilt unabhängig davon, ob die [X.], die im Vorprozess dem [X.] den Streit verkündet hat, sich im Folgeprozess auf die Bindungswirkung beruft.
b)
Für die Haftungsbegründung des Tierhalters muss die von dem Tier ausge-hende Gefahr nicht die einzige Ursache des eingetretenen Unfalls sein. Die [X.] oder bloß mittelbare Verursachung ist ausreichend.

[X.], Urteil vom 27. Januar 2015 -
VI ZR 467/13 -
OLG [X.] am Main

LG

[X.] am Main

-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 2015 durch den Vorsitzenden [X.], [X.],
[X.] und [X.] und die Richterin Dr. Oehler

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 16. Zivilsenats des [X.]s [X.] am Main vom 2. September 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin begehrt als Tierhalterversicherer aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin B. von den Beklagten im Wege des [X.] Regress wegen eines Unfalls, der sich am 29. Sep-tember 2006 ereignete. Der [X.] der Versicherungsnehmerin der Klägerin [X.] mit deren Pony "[X.]" einen Ausritt, an dem auch die von den [X.] gehaltenen, ebenfalls von Jugendlichen gerittenen Ponys beteiligt [X.]. Als sich der Gruppe im Kreuzungsbereich zweier Feldwege von links eine 1

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von zwei Pferden gezogene Kutsche näherte, gingen die Ponys durch und ga-loppierten nach rechts in einen Feldweg, auf dem ihnen der Geschädigte [X.] mit einem Mountainbike entgegenkam. [X.] stürzte von [X.] oder wurde von diesem geschleudert und blieb am Wegrand bzw. im Acker liegen. Er wurde schwer verletzt und ist seitdem querschnittgelähmt. [X.] nahm die Versiche-rungsnehmerin der Klägerin auf Schadensersatz in Anspruch. Diese verkündete den jetzigen Beklagten den Streit, die dem damaligen Rechtsstreit auf Seiten der Versicherungsnehmerin der Klägerin beitraten. Diese wurde durch rechts-kräftiges Urteil des [X.]s [X.] am Main vom 8. April 2009 (21
U 50/08, juris) zur Zahlung eines [X.]. Des Weiteren wurde ihre Verpflichtung zum Ersatz sämtlicher materieller und immaterieller Schäden aus Anlass des Unfallgeschehens -
vorbehaltlich des Forderungsübergangs auf Dritte
-
festgestellt. Die Versicherungsnehmerin der Klägerin nahm daraufhin den [X.] im Klagewege auf Regress in [X.] und verkündete wiederum den jetzigen Beklagten den Streit, worauf die Beklagten zu 1, 2 und 4 dem Rechtsstreit auf Seiten der Versicherungsnehme-rin der Klägerin beitraten, während die Beklagte zu 3 dem Rechtsstreit auf [X.] des [X.] beitrat. Die Klage wurde durch rechtskräftiges Urteil des LG [X.] am Main vom 7. März 2012 ([X.].: 2-25 O 383/09) abgewiesen.
Die Klägerin macht geltend, sie habe an den Geschädigten [X.] insgesamt eines Fünftels dieses Betrages (86-
im Wege der Feststel-lungsklage
-
anteiligen Ersatz der von ihr künftig zu erbringenden Aufwendun-gen. Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufungen der [X.] hat das [X.] die Klage abgewiesen. Mit der vom erken-nenden Senat zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die [X.] des landgerichtlichen Urteils.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht verneint die Tierhalterhaftung der Beklagten mit der Begründung, nach den im ersten Vorprozess getroffenen Feststellungen stehe aufgrund der [X.] gemäß §
68
ZPO fest, dass die Ponys sämtlich im Kreuzungsbereich durchgegangen und ins Galoppieren verfallen seien. Ob einzelne Ponys vor oder nach dem tatsächlichen Kreuzungspunkt durchgegangen seien, könne dabei dahinstehen, denn jedenfalls sei keines der vier Ponys der Beklagten dem Geschädigten [X.] so nahe gekommen, dass [X.] tierisches Verhalten den Sturz konkret verursacht habe (vgl. OLG [X.] a. M., Urteil vom 8. April 2009 -
21
U 50/08, aaO Rn.
81 und 83).

II.
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Ohne Erfolg macht die Revision allerdings geltend, das Berufungsge-richt habe hinsichtlich des Umfangs der [X.] gemäß §
68
ZPO verkannt, dass es im Vorprozess ausschließlich darauf angekommen sei, ob die damalige Beklagte, die Versicherungsnehmerin der Klägerin, dem Geschädig-ten [X.] gegenüber schadensersatzpflichtig sei. Für den Grund der Haftung ihm gegenüber sei es unerheblich gewesen, ob daneben auch andere Pferdehalter (oder [X.]) haftbar seien. Daher seien alle Ausführungen, die sich auf eine Schadensersatzpflicht der anderen Pferdehalter (und [X.]) bezögen, über-schießende Feststellungen, die an der [X.] nicht teilhätten.
Richtig ist, dass überschießende Feststellungen ausnahmslos von der In-terventionswirkung ausgenommen sind ([X.], Beschlüsse vom 27. November 3
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2003 -
V
ZB 43/03, [X.]Z 157, 97, 99 f. und vom 12. November 2009 -
IX
ZR 231/07, juris Rn.
2). Die [X.] erstreckt sich gemäß §
68
ZPO nämlich auf die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen, auf denen die [X.] beruht. Tragende Grundlage des Urteils im ersten Vorprozess war, dass der Geschädigte [X.] im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusam-menhang mit der Bewegung des außer Kontrolle geratenen
Ponys der Versi-cherungsnehmerin der Klägerin gestürzt ist. Soweit sich dort Ausführungen [X.] finden, wo sich die vier Ponys der Beklagten zum Zeitpunkt des Sturzes des Geschädigten [X.] befanden (vgl. OLG [X.] a.M., Urteil vom 8. April 2009 -
21
U 50/08, aaO Rn.
88), handelt es sich entgegen der Auffassung der Revi-sion aber auch um Feststellungen zur Begründung der Verursachung durch das Pony der Versicherungsnehmerin der Klägerin. Sie waren für die damalige [X.] nämlich deshalb tragend, weil mit ihnen begründet wurde, dass es sich bei dem Pony, welches sich zum Zeitpunkt des Sturzes des Geschädigten [X.] in dessen unmittelbarer Nähe befand, um das Pony der Versicherungsneh-merin der Klägerin und nicht um eines der Ponys der Beklagten handelte.
2. Wie die Revision mit Recht geltend macht, hat das Berufungsgericht aber verkannt, dass die sich aus der [X.] ergebende Streithilfewir-kung nach §
68, § 74 Abs. 3
ZPO nur gegen den [X.] eintritt, nicht aber auch gegen die [X.], die ihm im Vorprozess den Streit verkündet hat ([X.], Urteile
vom 26.
März 1987 -
VII
ZR 122/86, [X.]Z 100, 257, 260 ff. mwN
und vom 16.
Januar 1997 -
I
ZR 208/94, [X.], 1020). Dies gilt, anders als die Re-visionserwiderungen
meinen, unabhängig davon, ob die [X.], die im Vorpro-zess dem [X.] den Streit verkündet hat, sich
im Folgeprozess auf die Bin-dungswirkung beruft, denn die Streithilfewirkung tritt gegebenenfalls kraft Ge-setzes ein und ist im Rechtsstreit von Amts wegen zu prüfen ([X.], Urteile vom 4. Februar 1955 -
I
ZR 105/53, [X.]Z 16, 217, 228; vom 26. September 1985
-
III
ZR 61/84, [X.]Z 96, 50, 54; vom 15. November 1984 -
III
ZR 97/83, VersR 7

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1985, 568 und vom 26. März 1987
-
VII
ZR 122/86, aaO [X.] 263; Musielak/[X.], ZPO, 11. Aufl., § 68 Rn. 1 mwN).

Im ersten Vorprozess hat die Versicherungsnehmerin der Klägerin den Beklagten den Streit verkündet. Die [X.] dieses [X.] gilt mithin nur gegen die Beklagten, nicht aber zu Lasten der jetzigen Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihrer Versicherungsnehmerin. Da die Feststellung, kei-nes der vier Ponys der Beklagten sei dem Geschädigten so nahe gekommen, dass es dessen Sturz verursacht habe, eine Feststellung zum Nachteil der Klä-gerin wäre, kann insoweit keine Bindungswirkung an den Vorprozess bestehen.
3. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig.
a) Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen sind alle Ponys im Kreuzungsbereich durchgegangen und ins Galoppieren verfallen, weswegen der [X.] der Versicherungsnehmerin der Klägerin versucht habe, dieses spezi-fische tierische Verhalten wieder zu bändigen. Sämtliche Ponys hätten sich im unmittelbaren und zeitlichen Zusammenhang im Bereich der Unfallstelle bewegt und seien dort durchgegangen, zu einer Zeit also, als es noch zu keiner [X.] gekommen gewesen sei. Davon abweichende Feststellungen hat das [X.], das auf die Feststellungen des [X.]s Bezug genommen hat, nicht getroffen.
b) Auf der Grundlage dieser Feststellungen kann die Tierhalterhaftung der Beklagten nicht verneint werden.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats äußert sich eine typische Tiergefahr in einem der tierischen Natur entsprechenden un-berechenbaren und selbständigen Verhalten des Tieres (vgl. grundlegend [X.] vom 6. Juli 1976 -
VI
ZR 177/75,
[X.]Z 67, 129, 132 f. sowie Urteile 8
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11
12

-

7

-

vom 13. Juli 1976 -
VI
ZR 99/75, [X.], 1175, 1176; vom 14. Juli 1977 -
VI
ZR 234/75, [X.], 864, 865; vom 12. Januar 1982 -
VI
ZR 188/80, [X.], 366, 367; vom 6. März 1990 -
VI
ZR 246/89, [X.], 796,
797; vom 19. November 1991 -
VI
ZR 69/91, [X.], 371, 372; vom 9. Juni 1992 -
VI
ZR 49/91, [X.], 1145, 1146; vom 6. Juli 1999 -
VI
ZR 170/98, [X.], 1291, 1292 und vom 20. Dezember 2005 -
VI
ZR 225/04, [X.], 416 Rn.
7). Führt das Scheuen eines Pferdes zu einer Schädigung, hat sich eine typische Tiergefahr ausgewirkt (Senatsurteil vom 24. Juni 1986 -
VI
ZR 202/85, [X.], 1206). Das tierische Verhalten muss nicht die ein-zige Ursache des eingetretenen Unfalles sein. Es genügt vielmehr, wenn das Verhalten des Tieres für die Entstehung des Schadens adäquat mitursächlich geworden ist (Senatsurteil vom 20.
Dezember 2005 -
VI
ZR 225/04, aaO; [X.], [X.] 1965, 153 ff.; vgl. auch [X.], NJW-RR 2001, 19; [X.], [X.], 1166; [X.]/[X.], [X.], 26.
Aufl., [X.]. 18 Rn.
9; [X.]/Wagner, 6. Aufl., § 833 Rn. 7; [X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., § 833 Rn. 5; [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl., §
833 Rn. 5; [X.]/Rüge, [X.], 16. Aufl., [X.].
11, Rn. 3 f., jeweils mwN).
bb) Nach diesen Grundsätzen kann die Haftung der Beklagten entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht mit der Begründung verneint wer-den, der Unfall sei konkret durch das Pony der Versicherungsnehmerin der Klä-gerin verursacht worden und keines der Ponys der Beklagten sei dem Geschä-digten [X.] so nahe gekommen, dass sein tierisches Verhalten den Sturz konkret verursacht habe. Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass auch bei der Tierhalterhaftung die [X.] oder bloß mittelbare Verursachung für die Haftungsbegründung ausreicht. Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen sind alle fünf Ponys vor dem Sturz des Geschädigten im Kreu-zungsbereich "gemeinschaftlich" durchgegangen, ins Galoppieren verfallen und 13

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nach rechts in den Feldweg eingebogen, auf dem ihnen der Geschädigte [X.] mit einem Mountainbike entgegenkam, worauf dieser stürzte. Auf der Grundlage dieser Feststellungen können alle Ponys jedenfalls mittelbar zu dem Sturz des Geschädigten beigetragen haben. Demzufolge kann die von allen fünf Ponys ausgehende Tiergefahr adäquat kausal für dessen Sturz
gewesen sein.
4. Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§
562 Abs.
1, §
563 Abs.
1 Satz
1 ZPO). Dieses wird bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch das weitere Vorbringen in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen.
Galke
[X.]
[X.]

[X.]
Oehler

Vorinstanzen:
LG [X.] am Main, Entscheidung vom 07.02.2013 -
2-8 O 246/12 -

OLG [X.] am Main, Entscheidung vom 02.09.2013 -
16 U 38/13 -

14

Meta

VI ZR 467/13

27.01.2015

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.01.2015, Az. VI ZR 467/13 (REWIS RS 2015, 16532)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 16532

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VI ZR 467/13

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