Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.05.2023, Az. 6 AZR 157/22 (A)

6. Senat | REWIS RS 2023, 3997

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Gegenstand

"in der Regel" beschäftigte Arbeitnehmer iSv. § 17 KSchG


Leitsatz

Die für die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG maßgebliche Betriebsgröße ist nicht stichtagsbezogen zu ermitteln. Maßgeblich ist vielmehr diejenige Personalstärke, die bei regelmäßigem Geschäftsgang für den Betrieb kennzeichnend ist.

Tenor

Das Verfahren wird in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] in dem dort anhängigen Verfahren - [X.]/22 - ([X.] 27. Januar 2022 - 6 [X.] (A) -) ausgesetzt.

Gründe

1

A. [X.]ie Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten [X.]ündigung und Weiterbeschäftigung.

2

[X.]er [X.]läger war seit 1994 bei der [X.] (im Folgenden [X.]chuldnerin) tätig. [X.]is [X.]eptember 2020 beschäftigte diese 25 Mitarbeiter. Ein [X.]etriebsrat war bei ihr nicht gebildet. Über das Vermögen der [X.]chuldnerin wurde auf Antrag vom 29. [X.]eptember 2020 am selben Tag die vorläufige Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt angeordnet. [X.]er [X.]eklagte wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Am 1. [X.]ezember 2020 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der [X.]eklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

3

[X.]ie im Oktober 2020 noch bestehenden 22 Arbeitsverhältnisse wurden durch [X.]ündigungen und Aufhebungsverträge beendet, die zwischen dem 12. November 2020 und dem 29. [X.]ezember 2020 zugingen bzw. abgeschlossen wurden.

4

[X.]as Arbeitsverhältnis des [X.] kündigte der [X.]eklagte mit einem am 8. [X.]ezember 2020 zugegangenen [X.]chreiben vom 2. [X.]ezember 2020 zum 31. März 2021. Er führte weder eine [X.]ozialauswahl durch noch erstattete er eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1 [X.].

5

[X.]iergegen hat sich der [X.]läger mit seiner am 10. [X.]ezember 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen [X.]ündigungsschutzklage gewandt. [X.]oweit für die Revision noch von [X.]elang, hat er die Auffassung vertreten, die [X.]ündigung sei unwirksam, weil es an der erforderlichen Massenentlassungsanzeige durch den [X.]eklagten fehle.

6

[X.]er [X.]läger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die [X.]ündigung vom 2. [X.]ezember 2020 beendet worden ist, sondern fortbesteht;

        

2.    

den [X.]eklagten zu verurteilen, ihn als Maschinenschlossermonteur/[X.]ervicetechniker bis zum rechtskräftigen Abschluss des [X.]ündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen.

7

[X.]er [X.]eklagte hat [X.]lageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen einer anzeigepflichtigen Massenentlassung i[X.]d. § 17 Abs. 1 [X.] hätten nicht vorgelegen. Im [X.]inblick auf Art. 1 Abs. 1 [X.]uchst. a der Richtlinie 98/59/E[X.] ([X.]; im Folgenden [X.]) könne bei der hier vorliegenden [X.]etriebsstilllegung entgegen der bi[X.]erigen, mit dem Unionsrecht nicht zu vereinbarenden Rechtsprechung des [X.] die regelmäßige [X.]etriebsgröße nicht durch einen Rückblick auf die bi[X.]erige personelle [X.] ermittelt werden. Vielmehr sei von einer [X.]tichtagsregelung auszugehen. Maßgeblich sei die am [X.] vorhandene Arbeitnehmerzahl. Zudem habe die [X.]chuldnerin im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung nur noch 19 Arbeitnehmer beschäftigt.

8

[X.]as Arbeitsgericht hat der [X.]ündigungsschutzklage mit der [X.]egründung stattgegeben, der [X.]eklagte habe die betriebsbedingten [X.]ründe nicht hinreichend dargelegt. [X.]as [X.] hat die hiergegen gerichtete [X.]erufung des [X.]eklagten vor dem [X.]intergrund der unterlassenen Massenentlassungsanzeige zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der [X.]eklagte seinen Antrag auf [X.]lageabweisung weiter. [X.]as Arbeitsverhältnis des [X.] wurde zwischenzeitlich durch eine weitere [X.]ündigung zum 31. Juli 2021 beendet.

9

[X.]. [X.]as Verfahren wird bis zur Entscheidung des [X.]ericht[X.]ofs der [X.] (im [X.]) über das Vorabentscheidungsersuchen im Revisionsverfahren - 6 [X.] (A) - (beim [X.]ericht[X.]of unter dem Aktenzeichen - [X.]/22 - anhängig) in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO ausgesetzt.

I. [X.]ie [X.]lage ist zulässig.

1. [X.]er [X.]lageantrag zu 1., mit dem der [X.]läger die gerichtliche Feststellung begehrt, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die ihm am 8. [X.]ezember 2020 zugegangene [X.]ündigung des [X.]eklagten nicht beendet worden, ist als [X.]ündigungsschutzantrag i[X.]d. § 4 [X.]atz 1 [X.] zulässig. [X.]oweit der [X.]läger zugleich die Feststellung begehrt, das Arbeitsverhältnis bestehe fort, ist dies nicht als allgemeiner Feststellungsantrag i[X.]v. § 256 Abs. 1 ZPO neben dem [X.]ündigungsschutzbegehren zu verstehen. [X.]ie [X.]lagebegründung lässt keine [X.]efürchtungen des [X.] erkennen, der [X.]eklagte werde weitere [X.]eendigungsgründe geltend machen, die zu einer [X.]eendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem 1. April 2021 und dem 30. Juli 2021 führen könnten. [X.]er Zusatz stellt lediglich ein unselbständiges Anhängsel zum [X.]ündigungsschutzantrag dar (vgl. z[X.] [X.] 27. April 2021 - 2 [X.] - Rn. 7 [X.]).

2. [X.]ei dem nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmten (vgl. hierzu [X.] 1. Juni 2022 - 5 [X.] - Rn. 12; zur [X.]estimmtheit eines [X.] vgl. z[X.] [X.] 24. März 2021 - 10 [X.] - Rn. 25 ff. [X.], [X.]E 174, 294) Antrag zu 2. auf vorläufige Weiterbeschäftigung während des [X.]ündigungsschutzverfahrens handelt es sich um einen unechten [X.]ilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem [X.], obwohl seine Formulierung den [X.]ilfscharakter nicht unmittelbar zu erkennen gibt. [X.]ie erforderliche Auslegung des Antrags hat unter [X.]erücksichtigung seiner objektiven [X.]innhaftigkeit zu erfolgen (vgl. [X.] 2. Februar 2022 - 7 [X.] - Rn. 64; 22. Juli 2021 - 2 [X.] - Rn. 45; 7. Mai 2020 - 2 [X.] - Rn. 62). [X.]ie Ausführungen des [X.] im vorliegenden Fall geben keinen Anlass zu einem anderen Verständnis.

II. Ob die nach § 4 [X.]atz 1 [X.] fristgerecht erhobene [X.]lage begründet ist, kann der [X.] nicht unabhängig von der zu erwartenden Antwort des [X.]ericht[X.]ofs auf die im Revisionsverfahren - 6 [X.] (A) - gestellte Vorlagefrage entscheiden.

1. [X.]ie streitgegenständliche [X.]ündigung verstößt gegen § 17 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1 [X.]. [X.]anach ist der Arbeitgeber verpflichtet, der [X.] zu erstatten, bevor er in [X.]etrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als fünf Arbeitnehmer innerhalb von 30 [X.]alendertagen entlässt. [X.]eide [X.]chwellenwerte waren überschritten. [X.]er [X.]eklagte hätte daher vor der [X.]ündigung des [X.] eine Massenentlassungsanzeige erstatten müssen.

a) [X.]er [X.]etrieb der [X.]chuldnerin hatte im Zeitpunkt der Entlassung des [X.] noch eine [X.]etriebsgröße von „in der Regel“ mehr als 20 Arbeitnehmern. Maßgeblich ist danach die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer, die für den gewöhnlichen Ablauf des betreffenden [X.]etriebs kennzeichnend ist. [X.]ierzu bedarf es eines Rückblicks auf den bi[X.]erigen Personalbestand und gegebenenfalls - sofern keine [X.]etriebsstilllegung erfolgt - einer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung. Zeiten eines außergewöhnlich hohen oder niedrigen [X.]eschäftsgangs sind nicht zu berücksichtigen. [X.]ies kann der [X.] abschließend entscheiden. Ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 A[X.] ist entgegen der Annahme der Revision nicht geboten.

aa) § 17 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1 [X.] setzt Art. 1 Abs. 1 [X.]uchst. a der [X.] in das [X.] Recht um. Auch diese [X.]estimmung der [X.] stellt - mit abweichenden [X.]ezugsgrößen - für die [X.]etriebsgröße darauf ab, wie viele Arbeitnehmer der [X.]etrieb „in der Regel“ hat.

(1) Es ist bereits offenkundig im [X.]inn eines „acte clair“ (vgl. zu „acte clair“ z[X.] [X.] 6. Oktober 2021 - [X.]/19 - [[X.]] Rn. 39 [X.]; [X.]. z[X.] auch [X.] 14. [X.]eptember 2022 - 4 [X.] - Rn. 17 [X.]), dass es für die Ermittlung der für die [X.]etriebsgröße maßgeblichen [X.]eschäftigtenzahl entgegen der Ansicht der Revision nicht auf die Anzahl der an einem [X.]tichtag - z[X.] am Tag der Entlassung bzw. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens - (noch) vorhandenen [X.]eschäftigten ankommen kann. Art. 1 Abs. 1 [X.]uchst. a Ziff. i der [X.] stellt insoweit in der [X.]n [X.]prachfassung auf die „in der Regel“ [X.]eschäftigten ab. [X.]amit sind zweifelsfrei die normaler- bzw. üblicherweise [X.]eschäftigten entscheidend ([X.]. [X.] [X.] [X.]n [X.]prache 3. Aufl. [X.]tichwort: „Regel“, „in der Regel/in aller Regel“). [X.]asselbe Verständnis folgt unzweifelhaft aus den jeweiligen [X.]prachfassungen der [X.], [X.], [X.], [X.] und [X.] Übersetzung von Art. 1 Abs. 1 [X.]uchst. a der [X.], die die Anforderung an die [X.]etriebsgröße mit den [X.]egriffen „habituellement“, „normally“, „habitualmente“, „abitualmente“ und „gewoonlijk“ und damit ebenfalls mit „normalerweise“, „gewohnheitsmäßig“ umschreiben.

(2) Ungeachtet dessen ist der Entscheidung des [X.]ericht[X.]ofs vom 11. November 2015 (- [X.]/14 - [[X.]]) mit hinreichender [X.]icherheit zu entnehmen, dass das Tatbestandsmerkmal „in der Regel“ in Art. 1 Abs. 1 [X.]uchst. a Ziff. i der [X.] nicht auf einen [X.]tichtag, sondern auf die personelle [X.] bei gewöhnlichem [X.]eschäftsgang abstellt. Insoweit liegt jedenfalls ein acte [X.] vor.

[X.]er [X.]ericht[X.]of geht in dieser Entscheidung von der [X.]rundannahme aus, dass mit der Formulierung „in der Regel“ die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer, die für den gewöhnlichen Ablauf des betreffenden [X.]etriebs kennzeichnend sind, gemeint sind. [X.]ies ergibt sich vor dem [X.]intergrund des zugrunde liegenden [X.] aus seiner Antwort auf die Vorlagefrage, ob befristet beschäftigte Arbeitnehmer bei der Ermittlung des [X.]chwellenwertes für die [X.] mitzuzählen seien. [X.]anach versteht der [X.]ericht[X.]of die Wendung „mit in der Regel mehr als … Arbeitnehmern“ als [X.]esamtbeschäftigtenzahl im [X.]etrachtungszeitraum und damit gerade nicht als [X.]tichtagsregelung. [X.]ei den von ihm bei der Ermittlung der „in der Regel“ [X.]eschäftigten konkret berücksichtigten (befristet eingestellten) Arbeitnehmern handelte es sich ua. um Arbeitnehmer, deren Vertragsverhältnisse bereits etwa zwei Monate vor dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Entlassungszeitraum ausgelaufen waren ([X.] 11. November 2015 - [X.]/14 - [[X.]] Rn. 13, 36). Wären nach Art. 1 Abs. 1 [X.]uchst. a Ziff. i der [X.] für die Feststellung der [X.]eschäftigtenzahl nur Arbeitnehmer heranzuziehen, die zum jeweiligen Entlassungszeitpunkt tätig sind, wäre diese [X.]estimmung also als [X.]tichtagsregelung zu verstehen, hätte der [X.]ericht[X.]of diese Personen nicht einbeziehen können. [X.]arüber hinaus hat er auch befristet beschäftigte Arbeitnehmer, die nicht bloß zur Abdeckung vorübergehender [X.]pitzenbelastungen, sondern „jedes Jahr“ für bestimmte, regelmäßig für eine begrenzte Zeit anfallende Tätigkeiten eingestellt werden, bei der Ermittlung der [X.]etriebsgröße berücksichtigt. Wenn die für diese Aufgaben eingestellten Arbeitnehmer bei der [X.]estimmung der „in der Regel“ im [X.]etrieb [X.]eschäftigten nach der Entscheidung des [X.]ericht[X.]ofs zu berücksichtigen sind, folgt daraus, dass er die [X.]etrachtung der personellen [X.] über einen Zeitraum und nicht bloß auf einen (zufälligen) [X.]tichtag, z[X.] den Tag der jeweiligen Entlassung, erstreckt (so im Ergebnis auch [X.] 2018, 74 f.; [X.] 2018, 353, 354 f.).

(3) [X.]as Vorabentscheidungsersuchen des Zweiten [X.]s des [X.] vom 16. November 2017 (- 2 [X.] (A) -) steht einer abschließenden Entscheidung des [X.]s nicht entgegen. [X.]as dem Ersuchen zugrunde liegende Ausgangsverfahren wurde durch Rücknahme der Revision erledigt. [X.]ie vom Zweiten [X.] vertretene Auffassung, dass es eines [X.] nach Art. 267 A[X.] bedürfe, weil die Rechtsfrage, wie die Zahl der „in der Regel“ in einem [X.]etrieb beschäftigten Arbeitnehmer im [X.]inn der [X.] zu ermitteln ist, durch den [X.]ericht[X.]of nicht hinreichend geklärt sei, entfaltet keine [X.]indungswirkung.

bb) Entgegen der Auffassung der Revision steht damit die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „in der Regel“ in § 17 Abs. 1 [X.]atz 1 [X.] durch das [X.] im Einklang mit dem Unionsrecht. [X.]er [X.] hält daher an dieser Auslegung fest.

(1) Für die Ermittlung der personellen [X.] ist die Regelanzahl der [X.]eschäftigten maßgeblich. [X.]ierbei handelt es sich nicht um die durchschnittliche [X.]eschäftigtenzahl in einem bestimmten Zeitraum, sondern um die normale [X.]eschäftigtenzahl des [X.]etriebs, mithin diejenige Personalstärke, die für den [X.]etrieb im Allgemeinen, also bei seinem regelmäßigen [X.]ang, kennzeichnend ist. Erforderlich dafür ist ein Rückblick auf die bi[X.]erige personelle [X.]tärke des [X.]etriebs und eine Einschätzung der zukünftigen Entwicklung, wobei Zeiten außergewöhnlich hohen oder niedrigen [X.]eschäftsanfalls nicht zu berücksichtigen sind. Im Fall einer [X.]etriebsstilllegung ist eine [X.] nicht möglich. Insoweit kommt nur ein Rückblick auf die bi[X.]erige [X.]elegschaftsstärke in [X.]etracht. Im [X.]tilllegungsfall ist auch bei einem sukzessiven Vorgehen des Arbeitgebers mit mehreren Entlassungswellen der Zeitpunkt maßgeblich, in dem zuletzt noch eine normale [X.]etriebstätigkeit entfaltet wurde. [X.]ie durch die Entlassungen jeweils reduzierten [X.]elegschaftsstärken können aufgrund der vorherigen [X.]tilllegungsentscheidung nicht mehr kennzeichnend für die regelmäßige [X.]eschäftigtenzahl sein. [X.]ie sind nur noch [X.]tufen der Auflösung des [X.]etriebs. Etwas anderes gilt jedoch, wenn mehreren aufeinanderfolgenden Personalreduzierungsmaßnahmen kein einheitlicher [X.]tilllegungsentschluss zugrunde liegt, sondern der endgültigen [X.]tilllegung eine oder mehrere [X.]etriebseinschränkungen voraus gingen. Wird der [X.]etrieb zunächst mit entsprechend verminderter [X.]elegschaftsstärke fortgeführt, wird diese zu der normalen, den [X.]etrieb kennzeichnenden. [X.]afür ist kein bestimmter Mindestzeitraum erforderlich (vgl. [X.] 14. Mai 2020 - 6 [X.] - Rn. 130, [X.]E 170, 244; 9. Juni 2016 - 6 [X.] - Rn. 14 [X.]; 24. Februar 2005 - 2 [X.] - zu [X.] 1 b der [X.]ründe [X.]; 13. April 2000 - 2 [X.] - zu [X.]I 1 b der [X.]ründe; 8. Juni 1989 - 2 [X.] - zu III 3 der [X.]ründe [X.]; 31. Juli 1986 - 2 [X.] - zu [X.] 3 der [X.]ründe [X.]).

(2) Ebenso verhält es sich in der Insolvenz. Wird der [X.]etrieb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zeitnah stillgelegt, bestimmt sich die [X.]etriebsgröße nach den betrieblichen Umständen, die vor der Eröffnung charakteristisch waren. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der Insolvenzverwalter - anders als im vorliegenden Rechtsstreit - während eines (langwierigen) Insolvenzverfahrens unternehmerische Entscheidungen trifft, die Auswirkungen auf den gewöhnlichen [X.]eschäftslauf und die hiermit im Zusammenhang stehende personelle [X.] haben.

cc) [X.]er [X.]chwellenwert gemäß § 17 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1 [X.] von in der Regel mehr als 20 beschäftigten Arbeitnehmern bei der [X.]chuldnerin war im Zeitpunkt der streitgegenständlichen [X.]ündigung überschritten. [X.]as hat das [X.] zutreffend angenommen.

(1) [X.]er Arbeitnehmer ist darlegungs- und gegebenenfalls beweispflichtig für die tatsächlichen Voraussetzungen der Anzeigepflicht nach § 17 [X.]. Er muss also sowohl die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer als auch die Zahl der entlassenen Arbeitnehmer im [X.]treitfall beweisen (vgl. [X.] 13. [X.]ezember 2012 - 6 [X.] - Rn. 42; 18. Januar 2012 - 6 [X.] - Rn. 31, [X.]E 140, 261; 24. Februar 2005 - 2 [X.] - zu [X.] 2 b aa der [X.]ründe; 22. März 2001 - 8 [X.] 565/00 - zu [X.] 10 a der [X.]ründe [X.]). [X.]abei genügt er regelmäßig seiner [X.]arlegungslast, wenn er die äußeren Umstände vorträgt, die den [X.]chluss zulassen, dass der maßgebliche [X.]chwellenwert i[X.]v. § 17 Abs. 1 [X.]atz 1 [X.] erreicht wird. [X.]ann obliegt es dem Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO, konkrete Umstände darzulegen, aus denen folgt, dass der entsprechende [X.]chwellenwert nicht erreicht ist ([X.] 24. Februar 2005 - 2 [X.] - zu [X.] 2 b cc (2) der [X.]ründe).

(2) Im [X.]treitfall folgt bereits aus dem eigenen Vorbringen des [X.]eklagten und den nicht mit [X.] angegriffenen Feststellungen des [X.]s, dass der [X.]chwellenwert von mehr als 20 in der Regel beschäftigten Arbeitnehmern gemäß § 17 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1 [X.] im Zeitpunkt der [X.]ündigung des [X.] überschritten war.

(a) [X.]ei der [X.]chuldnerin waren bis [X.]eptember 2020 nach der Feststellung des [X.]s 25 Arbeitnehmer beschäftigt. [X.]er [X.]eklagte hat keinen Vortrag geleistet, dass diese 25 Arbeitnehmer nicht der nach dem gewöhnlichen [X.]eschäftsgang maßgeblichen „[X.]esamtbeschäftigtenzahl“ der [X.]chuldnerin entsprochen haben sollen. [X.]elbst wenn die bereits zum 30. [X.]eptember 2020 ausgeschiedenen Arbeitnehmer [X.] und R sowie zwei namentlich nicht genannte Langzeiterkrankte herausgerechnet werden, weil letztere - zugunsten des [X.]eklagten unterstellt - nicht durch benötigte Vertretungskräfte ersetzt worden sind, war die für das Massenentlassungsverfahren erforderliche personelle [X.] mit 21 regelmäßig [X.]eschäftigten noch erreicht.

(b) Richtigerweise hat das [X.] auch die [X.]urzarbeit leistenden Arbeitnehmer bei der Ermittlung der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer berücksichtigt. [X.]ie Anordnung von [X.]urzarbeit bedeutet im Allgemeinen, dass von einem nur vorübergehenden Arbeitsmangel und nicht von einem dauerhaft gesunkenen [X.]eschäftigungsbedarf auszugehen ist. Ein bloß vorübergehender Arbeitsmangel ist aber kein Indiz für den Wegfall eines Arbeitsplatzes ([X.] 29. August 2013 - 2 [X.] 721/12 - Rn. 26; 23. Februar 2012 - 2 [X.] 548/10 - Rn. 21). [X.]er [X.]eklagte hat nicht dargelegt, dass die [X.]eschäftigungsmöglichkeit für die [X.] Mitarbeiter bereits zu einem Zeitpunkt weggefallen war, der nicht mit der beabsichtigten [X.]etriebsstilllegung im Zusammenhang stand und sich de[X.]alb reduzierend auf die [X.] bei gewöhnlichem [X.]eschäftsablauf ausgewirkt hätte.

b) [X.]er [X.]eklagte hat auch innerhalb eines Zeitraums von 30 [X.]alendertagen (zur [X.]erechnung des 30-Tageszeitraums des § 17 Abs. 1 [X.]atz 1 [X.] [X.]. [X.] 19. Mai 2022 - 2 [X.] 467/21 - Rn. 11) mehr als fünf Arbeitnehmer entlassen, darunter den [X.]läger. Als Entlassung gilt der Zugang der [X.]ündigungserklärung ([X.] 19. Mai 2022 - 2 [X.] 467/21 - Rn. 9; 27. Januar 2022 - 6 [X.] (A) - Rn. 27). Nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des [X.]s und den vom [X.]eklagten selbst in den Rechtsstreit eingeführten [X.]ündigungsschreiben mit den jeweiligen [X.] sind schon in den 30 [X.]alendertagen seit dem Zugang der [X.]ündigung des [X.] am 8. [X.]ezember 2020 und damit bis einschließlich 6. Januar 2021 jedenfalls die zehn weiteren Arbeitnehmer A ([X.] 9. [X.]ezember 2020), [X.] ([X.] 29. [X.]ezember 2020), F ([X.] 8. [X.]ezember 2020), [X.] ([X.] 14. [X.]ezember 2020), I ([X.] 17. [X.]ezember 2020), J ([X.] 8. [X.]ezember 2020), [X.] ([X.] 10. [X.]ezember 2020), [X.] ([X.] 9. [X.]ezember 2020), [X.] ([X.] 8. [X.]ezember 2020) und Ja ([X.] 16. [X.]ezember 2020) entlassen worden.

2. [X.]as Revisionsverfahren war nach der im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] erfolgten Anhörung der Parteien bis zur Entscheidung des [X.]ericht[X.]ofs über das Vorabentscheidungsersuchen des [X.]s vom 27. Januar 2022 (- 6 [X.] (A) -) analog § 148 ZPO auszusetzen. Vor dem [X.]intergrund des in dieser Rechtssache - [X.]/22 - am 30. März 2023 verkündeten [X.]chlussantrags des [X.]eneralanwalts [X.] ist derzeit unklar, ob eine in Verkennung der personellen [X.] unterlassene Massenentlassungsanzeige - wie vom [X.] seit 2012 in ständiger Rechtsprechung angenommen (ausführlich hierzu [X.] 27. Januar 2022 - 6 [X.] (A) - Rn. 19 ff. [X.]; [X.]. auch [X.] 19. Mai 2022 - 2 [X.] 467/21 - Rn. 13; 27. Februar 2020 - 8 [X.] 215/19 - Rn. 189 f., [X.]E 170, 98; 13. Februar 2020 - 6 [X.] 146/19 - Rn. 99 ff. [X.], [X.]E 169, 362; 20. Februar 2014 - 2 [X.] 346/12 - Rn. 46 ff. [X.], [X.]E 147, 237; 21. März 2013 - 2 [X.] 60/12 - Rn. 42 ff. [X.], [X.]E 144, 366; 13. [X.]ezember 2012 - 6 [X.] 772/11 - Rn. 47, 61; 22. November 2012 - 2 [X.] 371/11 - Rn. 31 ff., [X.]E 144, 47) - zur Unwirksamkeit der [X.]ündigung führt.

a) Ein Rechtsstreit kann in entsprechender Anwendung von § 148 Abs. 1 ZPO ausgesetzt werden, wenn entscheidungserheblich ist, wie Unionsrecht auszulegen ist, und ein mit jedenfalls einer weitgehend gleichen Rechtsfrage anhängiges Vorabentscheidungsersuchen vor dem [X.]ericht[X.]of dies aus [X.]ründen der Verfahrensbeschleunigung und Prozessökonomie rechtfertigt. Aus dem in Art. 4 Abs. 3 [X.] verankerten [X.]rundsatz der loyalen Zusammenarbeit folgt, dass insoweit der Entscheidung des [X.]ericht[X.]ofs präjudizielle [X.]edeutung für weitere Rechtsstreitigkeiten zukommt (vgl. z[X.] [X.] 7. [X.]eptember 2021 - 9 [X.] 3/21 (A) - Rn. 42 f. [X.]).

b) [X.]er [X.] hat den [X.]ericht[X.]of im Vorabentscheidungsverfahren - 6 [X.] (A) - danach gefragt, welchen Zweck die in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der [X.] festgelegte Verpflichtung hat, der Arbeitsverwaltung eine Abschrift der Mitteilung an den [X.]etriebsrat im [X.]onsultationsverfahren zu übermitteln. Erst auf der [X.]rundlage des vom [X.]ericht[X.]of ermittelten Zwecks dieser [X.]estimmung kann der [X.] die [X.]anktion für einen Verstoß gegen § 17 Abs. 3 [X.]atz 1 [X.], durch den die unionsrechtliche Verpflichtung umgesetzt worden ist, festlegen. [X.]ie Ausführungen des [X.]eneralanwalts [X.] in seinem [X.]chlussantrag in der Rechtssache - [X.]/22 - geben Anlass zu der weitergehenden Frage, ob das vom [X.] entwickelte [X.]anktionssystem überhaupt im Einklang mit der [X.]ystematik des von der [X.] vermittelten [X.] steht oder gegebenenfalls inkohärent und unverhältnismäßig ist. [X.]amit ist die [X.]eantwortung der vom [X.] in jenem Verfahren gestellten Vorlagefrage nach dem Zweck des Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der [X.] durch den [X.]ericht[X.]of im [X.]inblick auf die Rechtsfolgenbetrachtung auch für die Entscheidung des [X.]s im vorliegenden Verfahren vorgreiflich. Erst auf der [X.]rundlage der ausstehenden Entscheidung des [X.]ericht[X.]ofs kann der [X.] darum die [X.]anktionen bei Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus § 17 [X.] bestimmen.

c) Eines weiteren Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 A[X.] bedarf es derzeit nicht. Es würde nicht zu einer [X.]eschleunigung des Verfahrens führen.

        

    [X.]pelge    

        

    [X.]rumbiegel    

        

    Wemheuer    

        

        

        

    [X.]rand    

        

    [X.]    

                 

Meta

6 AZR 157/22 (A)

11.05.2023

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Hamburg, 20. April 2021, Az: 5 Ca 656/20, Urteil

§ 148 ZPO, § 17 Abs 1 S 1 KSchG, Art 1 Abs 1 Buchst a EGRL 59/98

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.05.2023, Az. 6 AZR 157/22 (A) (REWIS RS 2023, 3997)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3997

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Betriebsteilübergang - Zuordnung der Arbeitnehmer


6 AZR 146/19 (Bundesarbeitsgericht)

Massenentlassung - Betriebsbegriff - Zuständigkeiten - fehlerhafte Massenentlassungsanzeige


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