Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.11.2010, Az. 10 AZR 215/10

10. Senat | REWIS RS 2010, 1333

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Gegenstand

Sozialkassenverfahren im Baugewerbe - Rohrverkleidungsarbeiten als Isolierarbeiten im Sinne des VTV-Bau


Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 17. November 2009 - 12 Sa 175/09 - wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Ansprüche nach den Sozialkassentarifverträgen für das Baugewerbe für den Zeitraum Dezember 2002 bis November 2004. In Bezug auf einen Auskunfts- und Entschädigungsantrag für einen nachfolgenden Zeitraum haben sie den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.

2

Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes. Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Der Betrieb des Beklagten befasst sich ua. mit der Verkleidung isolierter Heizungsrohre. Er ist im Gewerberegister mit der Tätigkeit „Rohrisolierer“ und in der Handwerksrolle mit der Tätigkeit „Isolierung von Heizungs- und Warmwasserrohren in [X.]“ eingetragen.

3

Die Klägerin hat behauptet, die im Betrieb des Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer hätten in den Kalenderjahren 2002 - 2004 arbeitszeitlich zu mehr als 50 % der persönlichen Gesamtarbeitszeit, die zusammengerechnet mehr als 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit ausmache, Isolierarbeiten an Heizungs- und Warmwasserrohren mit Mineralwolle und einer Sichtisolierung aus Isogenopac in Einfamilien- und Reihenhäusern ausgeführt. Der Berechnung der Mindestbeiträge hat sie die durchgehende Beschäftigung von zwei gewerblichen Arbeitnehmern zugrunde gelegt.

4

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie 23.900,00 Euro zu zahlen.

5

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und behauptet, lediglich zu 15 - 20 % der Arbeitszeit der gewerblichen Arbeitnehmer seien Isolierarbeiten angefallen. Überwiegend habe der Betrieb [X.] an bereits von [X.] vollständig isolierten Leitungen, Kanälen und Rohren mittels farbiger Kunststofffolien und -formteilen ausgeführt. Der Betrieb erbringe keine baulichen Leistungen und sei als Betrieb des [X.] und [X.] vom Geltungsbereich des VTV ausgenommen.

6

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Die [X.]orinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben.

8

I. Die Klägerin hat gegen den [X.] einen Anspruch aus § 18 Abs. 2, § 22 [X.] auf Zahlung der Sozialkassenbeiträge.

9

1. Der Betrieb des [X.] ist ein Betrieb des Baugewerbes iSv. § 1 Abs. 2 [X.].

a) Der betriebliche Geltungsbereich des [X.] hängt davon ab, ob in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter die Abschnitte I - [X.] des § 1 Abs. 2 [X.] fallen. Werden derartige Tätigkeiten ausgeführt, sind ihnen diejenigen Nebenarbeiten hinzuzurechnen, die zu einer sachgerechten Ausführung der baulichen Leistungen notwendig sind und deshalb mit ihnen im Zusammenhang stehen (Senat 14. Juli 2010 - 10 [X.] - Rn. 12; 28. April 2004 - 10 [X.]/03 - zu II 1 b der Gründe, [X.] § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 264). Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und [X.]erdienst und auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dabei nicht an ([X.]Rspr., zB Senat 1. April 2009 - 10 [X.] - Rn. 16). Für den Anwendungsbereich des [X.] reicht es aus, wenn in dem Betrieb überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschn. [X.] [X.] genannten Tätigkeiten ausgeübt werden. Der Betrieb wird dann stets von dem betrieblichen Geltungsbereich des [X.] erfasst, ohne dass die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I - [X.] zusätzlich geprüft werden müssen ([X.]Rspr., zB Senat 1. April 2009 - 10 [X.] - Rn. 16). Nur wenn in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend nicht die in den Abschnitten I[X.] und [X.] genannten Beispielstätigkeiten ausgeführt werden, muss darüber hinaus geprüft werden, ob die ausgeübten Tätigkeiten die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I - [X.] erfüllen (Senat 14. Juli 2010 - 10 [X.] - Rn. 13).

b) § 1 Abs. 2 [X.] bestimmt den betrieblichen Geltungsbereich, soweit vorliegend von Interesse, wie folgt:

        

„Abschnitt I

        

Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeit geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauten aller Art erstellen.

        

Abschnitt II

        

Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfasst, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die - mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen - der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.

        

Abschnitt [X.]

        

Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I oder II erfasst, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung - mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen - gewerblich sonstige bauliche Leistungen erbringen.

        

Abschnitt I[X.]

        

Betriebe, in denen die nachstehend aufgeführten Arbeiten ausgeführt werden:

        

...     

        

3.    

technische Dämm-(Isolier-)Arbeiten, insbesondere solche an technischen Anlagen, soweit nicht unter Abschnitt II oder [X.] erfasst, einschließlich von Dämm-(Isolier-)Arbeiten an und auf Land-, Luft- und Wasserfahrzeugen.

        

...     

        
        

Abschnitt [X.]

        

Zu den in den Abschnitten I bis [X.] genannten Betrieben gehören z. B. diejenigen, in denen Arbeiten der nachstehend aufgeführten Art ausgeführt werden:

        

...     

        

9.    

Dämm-(Isolier-)Arbeiten (z. B. Wärme-, Kälte-, Schallschutz-, [X.], Schallverbesserungs-, Schallveredelungsarbeiten) einschließlich Anbringung von Unterkonstruktionen;

        

...     

        
        

Abschnitt [X.]II

        

Nicht erfasst werden Betriebe

        

...     

        
        

12.     

des [X.], des Gas- und [X.], des [X.], des [X.] und Lüftungsbauergewerbes sowie des [X.], soweit nicht Arbeiten der in Abschnitt I[X.] oder [X.] aufgeführten Art ausgeführt werden,

        

...“   

        

c) Im Betrieb des [X.] wurden in den Kalenderjahren 2002 bis 2004 arbeitszeitlich überwiegend Isolierarbeiten gem. § 1 Abs. 2 Abschn. [X.] Nr. 9 [X.] erbracht. Dies ergibt sich bereits auf der Grundlage des [X.]ortrags des [X.], den sich die Klägerin hilfsweise zu eigen gemacht hat.

aa) [X.] und Isolierarbeiten unterfallen nach der Rechtsprechung des Senats, soweit sie an Gebäuden durchgeführt werden, § 1 Abs. 2 Abschn. [X.] Nr. 9 [X.] und, soweit sie an technischen Anlagen durchgeführt werden, § 1 Abs. 2 Abschn. I[X.] Nr. 3 [X.] (Senat 28. April 2004 - 10 [X.]/03 - zu II 2 b der Gründe, [X.] § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 264). Betriebe, die überwiegend Heizungsrohre isolieren, werden als Betriebe des [X.] vom betrieblichen Geltungsbereich der Tarifverträge des Baugewerbes erfasst ([X.] 11. Dezember 1974 - 4 [X.] - [X.] § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 21 zu § 1 Nr. 2 BRT[X.] Bau idF vom 1. April 1971). Isolierarbeiten an [X.], die zur Wasser- oder Gasführung in einem Gebäude verlegt werden, sind solche an einem Gebäude und unterfallen § 1 Abs. 2 Abschnitt [X.] Nr. 9 [X.].

bb) [X.], bei denen bereits mit Mineralwolle und einer Aluminiumschicht versehene Rohre mit einer Folienschicht ummantelt werden, sind ebenfalls Isolierarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschnitt [X.] Nr. 9 [X.].

(1) Nach der Begriffsbestimmung der Norm sind [X.] und Isolierarbeiten zB Wärme-, Kälte-, Schallschutz-, [X.], Schallverbesserungs- und Schallveredelungsarbeiten einschließlich der Anbringung von Unterkonstruktionen. Dem Wortlaut ist eine Beschränkung der Isolierarbeiten auf die [X.]erwendung bestimmter Materialien nicht zu entnehmen (Senat 18. März 2009 - 10 [X.]/08 - Rn. 19, [X.] § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 309). Die [X.]erwendung solcher Werkstoffe, denen eine unmittelbar dämmende oder isolierende Wirkung nicht zukommt, schließt die Annahme von Isolierarbeiten deshalb nicht aus. Ob, wie die Revision geltend macht, die verwendete Folie brennbar, nicht U[X.]- und nicht kältestabil ist, ist unerheblich.

Auch eine Beschränkung auf bestimmte [X.] enthält die Norm nicht. Der Klammerzusatz bestimmt [X.] nicht abschließend sondern beispielhaft. Daraus folgt, dass der Tarifvertrag alle Betriebe erfassen will, die Arbeiten durchführen, die herkömmlicherweise dem [X.] zuzurechnen sind (Senat 18. März 2009 - 10 [X.]/08 - Rn. 18, 19, [X.] § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 309).

Ob und in welcher Weise ein Rohr isoliert und ummantelt werden soll, bestimmt der Auftraggeber. Dieser kann auf eine Ummantelung des Rohrs mit farbigen Kunststoffformteilen verzichten und sich auf die Aufbringung der Isoliermasse und die Kaschierung mit einer Aluminiumfolie beschränken; er kann das Rohr aber auch entsprechend der überwiegend vom Betrieb des [X.] verrichteten Tätigkeit mit Kunststoffformteilen ummanteln lassen. Abgeschlossen sind die Isolierarbeiten in diesem Fall erst dann, wenn das zu isolierende Rohr auftragsgemäß ummantelt ist.

(2) Die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes lassen durch ihre Tarifpraxis auch im Übrigen erkennen, dass sie in der Ummantelung von [X.] eine Tätigkeit des [X.] sehen. Nach Abschn. II Ziff. 6.1 Satz 1 ZusatzT[X.] [X.] hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf einen [X.] für die Arbeit mit Mineralwolle-Dämmstoffen einschließlich Ummantelung, sofern keine persönliche Schutzausrüstung vorgeschrieben ist. Nach Satz 2 sind ausgenommen [X.] an vollflächig verklebten alukaschierten bzw. sonst oberflächengeschützten Mineralwolle-Dämmstoffen. Dies zeigt, dass [X.] solche des [X.] sind; sie lösen lediglich keinen [X.] aus, wenn sie nicht unmittelbar im Kontakt mit Mineralwolle-Dämmstoffen durchgeführt werden.

(3) Schließlich werden [X.] auch dem Berufsbild des Wärme-, Kälte- und [X.] zugeordnet. Nach § 62 der [X.]erordnung über die Berufsausbildung in der Bauwirtschaft vom 2. Juni 1999 ([X.] 1102 ff.) in der Fassung vom 2. April 2004 ([X.] 522) erstreckt sich die Prüfung auf die Bereiche Dämmungen, Ummantelungen und Bekleidungen. Im Prüfungsbereich Ummantelungen und Bekleidungen kommen nach § 62 Abs. 3 Nr. 2 Buch[X.]a) und e) der genannten [X.]erordnung Aufgaben aus dem Gebiet „Materialien für Ummantelungen und … Bekleidungen“ und „Ummanteln von Dämmungen“ in Betracht.

(4) Der Betrieb des [X.] erbringt keine reinen „[X.]erschönerungsarbeiten“. Bei natürlicher Betrachtung wird die Isoliertätigkeit am Rohr mit der auftragsgemäßen Ummantelung abgeschlossen. Das isolierte Rohr wird vor äußeren mechanischen Einwirkungen sowie vor [X.]erschmutzung geschützt; durch die farbliche Kennzeichnung wird im Reparaturfall ein schneller Zugang zum richtigen Rohr ermöglicht. Die im Betrieb des [X.] verrichteten Arbeiten sind deshalb eine (abschließende) Teiltätigkeit der Isolierarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschnitt [X.] Nr. 9 [X.].

2. Der Betrieb des [X.] ist nicht nach § 1 Abs. 2 Abschn. [X.]II Nr. 12 [X.] vom betrieblichen Geltungsbereich des [X.] ausgenommen. Da überwiegend Arbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. [X.] Nr. 9 [X.] ausgeführt werden, greift die in § 1 Abs. 2 Abschn. [X.]II Nr. 12 [X.] geregelte Rückausnahme.

3. Der [X.] kam im Streitzeitraum auf den Betrieb des [X.] zur Anwendung. Der Beklagte war zwar nicht Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbands, der [X.] war aber im Streitzeitraum für allgemeinverbindlich erklärt (§ 5 Abs. 4 T[X.]G).

II. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1, § 91a ZPO. Der Beklagte hat nach billigem Ermessen die Kosten der Revision auch insoweit zu tragen, als die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Der Beklagte hat die tatsächlichen [X.]oraussetzungen dafür, dass sein Betrieb mit Begründung der Mitgliedschaft im [X.], Heizung, Klima [X.] zum 1. Januar 2007 von der Einschränkung der Allgemeinverbindlichkeit nach Abschn. [X.] 6 des [X.] der A[X.]E vom 24. Februar 2006 erfasst wurde, nicht ausreichend dargelegt.

        

    Mikosch    

        

    [X.]    

        

    Mestwerdt    

        

        

        

    Rudolph    

        

    Großmann    

                 

Meta

10 AZR 215/10

17.11.2010

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Wiesbaden, 4. Dezember 2008, Az: 5 Ca 2221/07, Urteil

§ 18 Abs 2 VTV-Bau, § 22 VTV-Bau, § 1 Abs 2 Abschn II VTV-Bau, § 1 Abs 2 Abschn V Nr 9 VTV-Bau

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.11.2010, Az. 10 AZR 215/10 (REWIS RS 2010, 1333)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1333

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