Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.12.2022, Az. 6 StR 338/22

6. Strafsenat | REWIS RS 2022, 8274

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Gegenstand

Strafverfahren: Umfang des Auskunftsverweigerungsrechts; Anforderungen an einen Beweisantrag


Tenor

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 5. April 2022 wird verworfen; jedoch entfällt der Ausspruch, mit dem die durch das Urteil des [X.] vom 13. November 2020 angeordnete Einziehung des sichergestellten Bargeldes aufrechterhalten worden ist.

2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln unter Auflösung einer Gesamtstrafe aus einer früheren Verurteilung und Einbeziehung der dort gebildeten Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt; die im früheren Urteil angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und eine Einziehungsentscheidung hat es aufrechterhalten. Im Übrigen hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen den Teilfreispruch sowie die unterbliebene Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Fall 26) wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg, führt jedoch zum Wegfall der Aufrechterhaltung der Einziehung des sichergestellten Bargeldes (§ 301 [X.]).

I.

2

Nach den Feststellungen erwarb der – insoweit geständige – Angeklagte einige Tage vor dem 23. September 2020 zum Eigenkonsum von einem unbekannt gebliebenen Lieferanten 20 g Marihuana und 2 g Methamphetamin (Fall 26 der Anklageschrift). Von den weiteren Anklagevorwürfen, von August 2019 bis April 2020 in 25 Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben, indem er jeweils 10 g Methamphetamin an den Zeugen [X.]gewinnbringend verkauft habe, hat das [X.] ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen (Fälle 1 bis 25 der Anklageschrift). Zur Begründung hat es namentlich ausgeführt, dass [X.]  und der Angeklagte zwar langjährige Bekannte gewesen seien, die gelegentlich unentgeltlich Betäubungsmittel für den Eigenkonsum ausgetauscht hätten. Feststellungen zu [X.] des Angeklagten hätten sich mit Blick auf das Bestreiten des Angeklagten, die umfassende Auskunftsverweigerung (§ 55 [X.]) des einzigen unmittelbaren Belastungszeugen [X.]sowie dessen teilweise widersprüchlichen und insgesamt nicht glaubhaften Angaben im Ermittlungsverfahren aber nicht treffen lassen.

II.

3

Den Verfahrensrügen, mit denen die Staatsanwaltschaft einerseits eine Verletzung der Aufklärungspflicht und andererseits die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags beanstandet, bleibt der Erfolg versagt.

4

1. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin liegt ihnen folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

5

Das [X.] ordnete die Vorführung des Zeugen [X.]an, der rechtskräftig wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 25 Fällen, nach vorangegangenem Erwerb vom Angeklagten (entspricht den Fällen 1 bis 25 der Anklageschrift), verurteilt worden war. Zum [X.] erschien der Zeuge, berief sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht und wurde sodann „im allseitigen Einvernehmen“ entlassen. Am folgenden Sitzungstag beanstandete der [X.] der Staatsanwaltschaft die Anordnung des Vorsitzenden, wegen eines vermeintlich umfassenden Auskunftsverweigerungsrechts von „der Vernehmung des Zeugen … abzusehen“. Überdies beantragte er für den Fall, dass „das Gericht entgegen der bisherigen Anordnung von einem Nichtbestehen eines umfassenden Auskunftsverweigerungsrechts des Zeugen“ ausgehen sollte, dessen erneute Ladung und Vernehmung. Das Gericht bestätigte die sachleitende Anordnung und zugleich die Bewertung, dass dem Zeugen ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zustehe.

6

2. Die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 [X.]), mit der die Beschwerdeführerin beanstandet, das [X.] habe unter Verstoß gegen § 55 Abs. 1, § 244 Abs. 2 [X.] von der Sachvernehmung des Zeugen [X.]abgesehen, bleibt ohne Erfolg.

7

a) [X.] ist bereits nicht ordnungsgemäß ausgeführt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]).

8

aa) Denn eine zulässig erhobene Aufklärungsrüge setzt voraus, dass der [X.] eine bestimmte Beweistatsache und die für die Beweiseignung und -bedeutung im Zeitpunkt der Hauptverhandlung wichtigen Umstände angibt, aufgrund derer sich das Tatgericht zu der vermissten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen (st. Rspr., vgl. [X.], Urteile vom 15. September 1998 – 5 [X.], [X.], 45; vom 18. Juli 2019 – 5 [X.], Beschlüsse vom 18. August 1993 – 3 [X.], [X.]R [X.] § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 7; vom 1. Juli 2010 – 1 [X.], [X.], 316).

9

bb) Daran fehlt es hier. Die zusammenfassende Würdigung der Zeugenaussagen von [X.]und [X.]im Beschluss der [X.] ersetzt die notwendige vollständige Mitteilung ebenso wenig wie die in Bezug genommenen Chatnachrichten. Auch die Berücksichtigung der Urteilsgründe, die der Senat auf die erhobene Sachrüge hin zur Kenntnis nimmt, ändert an der Unvollständigkeit des Rügevorbringens nichts (vgl. [X.], Urteile vom 20. März 1990 – 1 [X.], [X.]St 36, 384, 385; vom 26. Mai 1992 – 5 [X.], [X.], 2304, 2305; vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, [X.]St 45, 203, 205). Zwar werden dort Angaben des Zeugen [X.]wiedergegeben. Eine revisionsgerichtliche Überprüfung anhand dieser Zusammenfassung und eingedenk der nur unvollständig mitgeteilten [X.] wird hier aber nicht ermöglicht.

b) Die Verfahrensrüge wäre vor dem Hintergrund des mitgeteilten Verfahrensgeschehens und eingedenk des begrenzten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. [X.], Urteile vom 28. November 1997 – 3 [X.], [X.]St 43, 321, 326; vom 16. November 2006 – 3 [X.], [X.]St 51, 144, 148) auch unbegründet.

Die [X.] hat den Umfang des Auskunftsverweigerungsrechts nicht verkannt. Zwar ist in § 55 [X.] nur von der Auskunftsverweigerung auf einzelne Fragen die Rede. Jedoch kann ein Zeuge die Auskunft dann insgesamt verweigern, wenn seine Aussage mit seinem etwaigen strafbaren Verhalten in so engem Zusammenhang steht, dass eine Trennung nicht möglich ist (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Mai 1987 – [X.], [X.] 1987, 328, 329; Urteil vom 9. Juli 1991 – 1 [X.], [X.]R [X.] § 55 Abs. 1 Verfolgung 1). Von einem solchen Zusammenhang ging die [X.] in rechtlich nicht zu beanstandender Weise aus. Sie hat konkrete Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass der Zeuge im Fall einer Aussage in der Hauptverhandlung Verdachtsmomente für eine frühere falsche Verdächtigung des Angeklagten (§ 164 StGB) liefern würde. Hierfür hat sie insbesondere auf aussageimmanente Widersprüche und auf Inhalte von Chatnachrichten abgehoben, die sich teilweise als unvereinbar mit seinen Angaben erwiesen hätten.

3. Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerdeführerin auch, dass die [X.] ihren hilfsweise gestellten „Beweisantrag“ auf Vernehmung des Zeugen [X.]nicht beschieden habe.

a) Schon die prozessuale Bedingung, an welche die Beschwerdeführerin ihr Beweiserhebungsbegehren selbst geknüpft hat, war nicht eingetreten. Nach Ansicht der [X.] stand dem Zeugen nämlich ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht nach § 55 [X.] zu.

b) Überdies handelte es sich hier – mangels einer konkreten Beweisbehauptung – nicht um einen förmlichen Beweisantrag (§ 244 Abs. 3 Satz 1 [X.]), sondern lediglich um eine, nach Sachaufklärungsgesichtspunkten (§ 244 Abs. 2 [X.]) zu behandelnde, Beweisanregung. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass in der Erklärung des [X.]s der Staatsanwaltschaft zugleich ein „Widerruf“ des von diesem zuvor erklärten Einverständnisses nach § 245 Abs. 1 Satz 2 [X.] gesehen werden könnte. Denn die Prozesserklärung, nicht mehr an dem zuvor erteilten, freilich aber unwiderruflichen Einverständnis mit dem Absehen von der Beweiserhebung festhalten zu wollen, genügt den gesetzlichen Anforderungen eines Beweisantrags nicht ([X.] in: [X.], 9. Aufl., § 245 Rn. 22; [X.] in: [X.]/Schluckebier/[X.], [X.], 5. Aufl., § 245 Rn. 18), weil hiermit jedenfalls keine hinreichend konkrete Tatsache unter Beweis gestellt wird, auf welche die gesetzlichen Ablehnungsgründe sinnvoll angewendet werden könnten ([X.] in: [X.], 27. Aufl., § 245 Rn. 38; [X.]/[X.], [X.], 65. Aufl., § 245 Rn. 14; [X.], NStZ 2018, 305, 308).

III.

Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende Nachprüfung von Schuld- und Rechtsfolgenausspruch zeigt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf; jedoch hat die Aufrechterhaltung der Einziehung des sichergestellten Bargeldes keinen Bestand (§ 301 [X.]; vgl. [X.], Beschlüsse vom 28. Februar 2019 – 1 StR 26/19, NStZ-RR 2019, 207 [nur [X.].]; vom 4. April 2019 – 5 [X.], beide mwN).

Der näheren Erörterung bedarf hier nur Folgendes:

1. Die von der Beschwerdeführerin beanstandete Beweiswürdigung erweist sich eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen [X.] (vgl. nur [X.], Urteile vom 22. März 2012 – 4 [X.], [X.]St 57, 183, 186; vom 11. Juni 2013 – 5 [X.], [X.], 277 mwN) als frei von [X.]. Die [X.] hat bei der Würdigung der Einlassung keine beweiserheblichen Gesichtspunkte aus dem Blick verloren oder rechtsfehlerhaft bewertet. Dies gilt insbesondere für die im Zuge des polizeilichen Zugriffs sichergestellten Beweismittel. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten erheblichen Widersprüche und der ebenfalls rechtsfehlerfrei gewürdigten Falschbelastungsmotive des Zeugen [X.]musste das [X.] die zumal im Urteil mitgeteilten Chatnachrichten des Angeklagten vom 25. und 26. März 2020 an [X.]nicht näher als geschehen in den Blick nehmen.

2. Zwar erweist sich die Strafbemessung in einem wesentlichen Punkt als lückenhaft. Denn das [X.] hat den strafmildernden Umstand unerörtert gelassen, dass der überwiegende Teil der vom Angeklagten im Fall 26 verwahrten Betäubungsmittel sichergestellt werden konnte (vgl. zum Besitz von Betäubungsmitteln [X.], Beschluss vom 31. Mai 2022 – 6 StR 128/22, NStZ 2023, 48). Mit Blick auf die zahlreichen gewichtigen Strafschärfungsgründe, insbesondere die zum Tatzeitpunkt laufende Bewährung und die bereits erlittene Strafvollstreckung, schließt der Senat allerdings aus, dass das [X.] unter Bedacht auf die teilweise Sicherstellung eine mildere Strafe verhängt hätte (§ 337 [X.]).

Sander     

  

Tiemann     

  

Wenske

  

Fritsche     

  

[X.]     

  

Meta

6 StR 338/22

14.12.2022

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Halle (Saale), 5. April 2022, Az: 3 KLs 2/21

§ 55 StPO, § 244 Abs 2 StPO, § 244 Abs 3 S 1 StPO, § 245 Abs 1 S 2 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.12.2022, Az. 6 StR 338/22 (REWIS RS 2022, 8274)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8274

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