Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.07.2010, Az. 4 BN 21/10

4. Senat | REWIS RS 2010, 4346

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Gegenstand

Rechtsstaatliche Anforderungen an die Verkündung einer erst in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans in Bezug genommenen DIN-Vorschrift


Leitsatz

Bestimmt erst eine in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans in Bezug genommene DIN-Vorschrift, unter welchen Voraussetzungen bauliche Anlagen im Plangebiet zulässig sind, ist den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verkündung von Rechtsnormen genügt, wenn die Gemeinde sicherstellt, dass die Betroffenen von der DIN-Vorschrift verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis erlangen können.

Gründe

I.

1

Der streitgegenständliche Bebauungsplan enthält unter Nr. 1.16 folgende textliche Festsetzung:

An den mit [X.] gekennzeichneten Baugrenzen müssen bei Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung des Gebäudes in den nicht nur vorübergehend zum Aufenthalt von Menschen vorgesehenen Räumen die Anforderungen an das resultierende Schalldämmmaß gemäß den ermittelten und ausgewiesenen [X.] nach [X.] 4109 erfüllt werden. ...

2

Unter Nr. 3.3 enthält der Bebauungsplan folgenden Hinweis:

Die der Planung zugrunde liegenden Vorschriften (Gesetze, Verordnungen, Erlasse und [X.]-Vorschriften) können bei der [X.] im Kundenzentrum "Planen - Bauen - Umwelt" im Erdgeschoss des [X.] 3, [X.] Weg 33, eingesehen werden.

3

Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag der Antragstellerin abgelehnt (Urteil vom 25. Januar 2010 - 7 [X.]/[X.] - juris). Das rechtsstaatliche Publizitätsgebot stehe der Verweisung auf technische Regeln in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans - hier auf die [X.] 4109 - nicht von vornherein entgegen. Eine Festsetzung könne zwar wegen Verstoßes gegen das Publizitätsgebot rechtswidrig sein, wenn der Bebauungsplan nicht selbst festlege, welche Regeln in seinem Anwendungsbereich gelten sollen, sondern wenn er durch Verweisung auf technische Regelungen bewirken wolle, dass erst das Ergebnis der Anwendung dieser Regelungen bestimmt, was im Plangebiet zulässig ist. Setze der Bebauungsplan - wie im vorliegenden Fall - für konkret bezeichnete Bereiche fest, dass dort bei Errichtung von Gebäuden die Anforderungen an das für die [X.] bis V gemäß [X.] 4109 geltende Schalldämmmaß erfüllt werden müssen, bestimme er jedoch selbst - und nicht etwa die in Bezug genommene [X.]-Norm - was geltendes Recht sei. Mit einer solchen Regelung werde das Erfordernis der Bekanntmachung der [X.]-Norm nicht ausgelöst. Vielmehr könne der Bezugnahme auf die [X.]-Norm nicht selten - und so auch hier - die Funktion der Verwendung eines Fachbegriffs zukommen, mit dem klargestellt werde, nach welchen Methoden und Berechnungsverfahren die Einhaltung des - vom Bebauungsplan vorgegebenen - [X.]s im Einzelnen exakt ermittelt werden kann ([X.]; juris Rn. 74 ff.).

4

Um den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen zu genügen, müsse die Festsetzung in ihren Voraussetzungen und in ihrem Inhalt so formuliert sein, dass die von ihr Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Die Verwendung von Fachbegriffen wie einer [X.]-Norm stehe der Erkennbarkeit des geltenden Rechts nicht entgegen, sie könne vielmehr je nach dem [X.] die Anwendung der Rechtslage vereinfachen. Dass die Antragsgegnerin darüber hinaus die einschlägigen [X.]-Normen zur Einsicht bereit halte, und zwar bei einer Verwaltungsstelle, deren Anschrift sie mit dem auf der [X.] abgedruckten Hinweisen benannt habe, begründe aus einem weiteren, die Entscheidung selbstständig tragenden Grunde, warum sich auch aus dem Bestimmtheitsgebot gegen die Inbezugnahme der [X.] 4109 keine durchgreifenden Bedenken herleiteten ([X.]; juris Rn. 83 ff.).

II.

5

Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die von der Antragstellerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung.

6

Als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet die Antragstellerin die Frage,

ob das rechtsstaatliche Publizitätsgebot der Verweisung auf technische Regeln in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans entgegensteht.

7

Die weiteren drei Fragen konkretisieren diese Fragestellung.

8

Die Fragen bedürfen nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie lassen sich, soweit entscheidungserheblich, auf der Grundlage der bereits vorhandenen Rechtsprechung auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten.

9

Das Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass förmlich gesetzte Rechtsnormen verkündet werden; denn die Verkündung stellt einen integrierenden Teil der förmlichen Rechtsetzung dar, ist also Geltungsbedingung. Verkündung bedeutet regelmäßig, dass die Rechtsnormen der Öffentlichkeit in einer Weise förmlich zugänglich gemacht werden, dass die Betroffenen sich verlässlich Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen können. Diese Möglichkeit darf auch nicht in unzumutbarer Weise erschwert sein. Konkrete weitere Gebote für die Ausgestaltung des [X.] im Einzelnen ergeben sich aus dem Rechtsstaatsprinzip unmittelbar nicht. Das ist in der Rechtsprechung geklärt ([X.], Beschluss vom 22. November 1983 - 2 BvL 25/81 - [X.]E 65, 283 <291>).

Bebauungspläne gehören als Satzungen zu den förmlich gesetzten Rechtsnormen (Beschluss vom 16. Mai 1991 - BVerwG 4 NB 26.90 - BVerwGE 88, 204 <207>). Bei ihnen ist allerdings nur die Erteilung der Genehmigung oder, soweit eine Genehmigung nicht erforderlich ist, der Beschluss des Bebauungsplans durch die Gemeinde ortsüblich bekannt zu machen (§ 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Im Übrigen genügt es, den Bebauungsplan mit der Begründung und der zusammenfassenden Erklärung nach § 10 Abs. 4 BauGB zu jedermanns Einsicht bereit zu halten, auf Verlangen über den Inhalt Auskunft zu geben und in der Bekanntmachung darauf hinzuweisen, wo der Bebauungsplan eingesehen werden kann (§ 10 Abs. 3 Satz 2 und 3 BauGB; vgl. hierzu Beschluss vom 3. Juni 2010 - BVerwG 4 [X.] 55.09 -).

Die dargelegten Anforderungen an die Verkündung von Rechtsnormen stehen einer Verweisung auf nicht öffentlich zugängliche [X.]-Vorschriften in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht von vornherein entgegen, und zwar auch dann nicht, wenn erst die Anwendung der [X.]-Vorschrift ergibt, unter welchen Voraussetzungen ein Vorhaben im Plangebiet zulässig ist. Die Oberverwaltungsgerichte haben Verweisungen auf [X.]-Vorschriften zwar wiederholt beanstandet, weil unter den jeweils gegebenen Umständen die Publizitätsanforderungen nicht gewahrt waren; die grundsätzliche Zulässigkeit einer solchen Verweisung haben sie jedoch nicht in Frage gestellt (vgl. [X.], Urteile vom 4. Juli 2006 - 8 C 11709/05 - [X.] - juris Rn. 19 und vom 26. März 2009 - 8 C 10729/08 - juris Rn. 33; [X.], Urteile vom 9. Mai 2006 - 15 A 4247/03 - [X.] 2006, 461 - juris Rn. 24 ff., vom 13. September 2007 - 7 [X.]/06.NE - juris Rn. 79 ff. und vom 13. November 2009 - 10 D 87/07.NE - juris Rn. 89 ff.). Auch aus § 10 Abs. 3 Satz 2 BauGB ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht, dass der normative Inhalt eines Bebauungsplans allein aus sich selbst heraus erkennbar sein muss.

Verweist eine Festsetzung auf eine [X.]-Vorschrift und ergibt sich erst aus dieser Vorschrift, unter welchen Voraussetzungen ein Vorhaben planungsrechtlich zulässig ist, muss der [X.] jedoch sicherstellen, dass die Planbetroffenen sich auch vom Inhalt der [X.]-Vorschrift verlässlich Kenntnis verschaffen können. Das dürfte - insoweit entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ([X.]) - unabhängig davon gelten, ob der [X.] eine Regelung insgesamt dem Ergebnis der Anwendung der [X.]-Vorschrift überlässt oder ob er zwar dem Grunde nach selbst bestimmt, welchen Anforderungen die baulichen Anlagen genügen müssen, aber erst der Verweis auf die [X.]-Vorschrift ergibt, nach welchen Methoden und Berechnungsverfahren der Inhalt der Anforderungen im Einzelnen zu ermitteln ist. Denn auch im zuletzt genannten Fall können die Planbetroffenen nicht dem Bebauungsplan selbst, sondern erst dem Plan in Verbindung mit der [X.]-Vorschrift entnehmen, welche Anforderungen im Einzelnen der Plan an die Zulassung von Gebäuden stellt. Zudem ist die Grenze zwischen den beiden vom Oberverwaltungsgericht unterschiedenen Fallgruppen schwer zu ziehen. Auch wenn der Bebauungsplan - wie hier - die Lärmpegelbereiche selbst festlegt, ist damit nicht abschließend bestimmt, welche [X.] in den jeweiligen [X.] gewährleistet werden müssen. Denn die Anforderungen an die [X.] ergeben sich nicht ohne weiteres aus der Tabelle 8 der [X.] 4109, sondern erst aus einer Anwendung der Ziffern 5.2 bis 5.4 der [X.] 4109 in Verbindung mit den Tabellen 8 bis 10.

Wenn erst eine in den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans in Bezug genommene [X.]-Vorschrift abschließend bestimmt, unter welchen Voraussetzungen bauliche Anlagen im Plangebiet zulässig sind, ist den dargelegten rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verkündung von Rechtsnormen nicht allein dadurch genügt, dass die Gemeinde den Bebauungsplan gemäß § 10 Abs. 3 BauGB bekannt macht. Sie muss vielmehr sicherstellen, dass die Betroffenen auch von der [X.]-Vorschrift verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis erlangen können. Das kann sie dadurch bewirken, dass sie die in Bezug genommene [X.]-Vorschrift bei der Verwaltungsstelle, bei der auch der Bebauungsplan eingesehen werden kann, zur Einsicht bereit hält und hierauf in der [X.] hinweist. Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt.

Meta

4 BN 21/10

29.07.2010

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 25. Januar 2010, Az: 7 D 111/09.NE, Urteil

Art 20 Abs 3 GG, § 10 Abs 3 S 1 BauGB, § 10 Abs 3 S 2 BauGB, § 10 Abs 3 S 3 BauGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.07.2010, Az. 4 BN 21/10 (REWIS RS 2010, 4346)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4346

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Hauptsacheerledigung


Referenzen
Wird zitiert von

M 9 K 14.4412

M 9 K 14.2310

M 9 K 16.4678

28 K 1803/21

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