Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.06.2015, Az. X K 11/14

10. Senat | REWIS RS 2015, 10185

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Gegenstand

(Unzulässigkeit der Erhebung einer Entschädigungsklage innerhalb der 6-Monatsfrist des § 198 Abs. 5 GVG)


Leitsatz

NV: Die 6-Monatsfrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG ist auch anzuwenden, wenn lediglich die Instanz, auf deren Dauer das Entschädigungsverlangen gestützt wird, vor Ablauf von sechs Monaten nach Rügeerhebung abgeschlossen wird. In einem solchen Fall ist es noch möglich, das zunächst verzögerte Verfahren in einer höheren Instanz besonders zügig zu Ende zu führen .

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes ([X.]) Entschädigung wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 17. Mai 2011 ([X.]) bis zum 2. Dezember 2014 (Zustellung des Urteils) vor dem Finanzgericht ([X.]) anhängigen Klageverfahrens.

2

In dem Ausgangsverfahren beantragte der Kläger die Änderung eines Abrechnungsbescheids, dem das Finanzamt --nach Ansicht des [X.] zu [X.] nicht eine frühere Anrechnungsverfügung, sondern eine diese ändernde Verfügung zugrunde gelegt hatte. Das [X.] lud am 7. Oktober 2014 zur mündlichen Verhandlung für den 18. November 2014. Mit am 7. November 2014 beim [X.] eingegangenen Schreiben rügte der Kläger, das [X.] sei erstmals im Juni 2014 tätig geworden und damit über 40 Monate untätig geblieben. Er beantragte, ihm eine Entschädigung pro Kalenderjahr in Höhe von 1.200 € zu gewähren. Das [X.] teilte dem Kläger daraufhin mit, sein Schreiben sei als [X.] erfasst worden; eine Entschädigungsklage vor dem [X.] ([X.]) könne gemäß § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] jedoch erst sechs Monate nach Erhebung der [X.] erhoben werden. Der Verhandlungstermin bleibe bestehen, da das Klageverfahren und die [X.] voneinander unabhängig seien. Mit dem am 2. Dezember 2014 zugestellten Urteil vom 18. November 2014 hat das [X.] die Klage als unbegründet abgewiesen. Die gegen dieses Urteil eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom [X.] mit Beschluss vom 11. Februar 2015 VII B 173/14 als unzulässig verworfen.

3

Mit einem am 3. Dezember 2014 beim [X.] eingegangenen Schriftsatz erhob der Kläger "[X.] gegen das [X.]" und beantragte unter Bezugnahme auf § 198 Abs. 1 [X.] einen Schadensersatz in Höhe von 1.200 €. Unter Hinweis auf § 198 Abs. 5 [X.] werde er die Klage frühestens sechs Monate nach Erhebung der [X.] begründen. In einem Telefonat mit der Geschäftsstelle des angerufenen Senats bestätigte der Kläger, dass dieser Schriftsatz als Entschädigungsklage zu beurteilen sei.

4

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagen zu verurteilen, aufgrund der unangemessen langen Verfahrensdauer des Verfahrens 6 K 1739/[X.] an ihn einen Betrag in Höhe von 1.200 € zu zahlen.

5

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

6

Zur Begründung führt er u.a. aus, die Klage sei unzulässig, da die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] nicht eingehalten worden sei.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Klage ist unzulässig.

8

1. Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] kann ein Anspruch auf Entschädigung wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens frühestens sechs Monate nach wirksamer Erhebung der [X.] gerichtlich geltend gemacht werden.

9

a) Die Einhaltung der gesetzlichen Sechsmonatsfrist ist eine besondere Sachurteilsvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Eine vor Fristablauf erhobene Klage ist unzulässig (so auch Senatsbeschluss vom 12. März 2013 [X.] (PKH), [X.], 961, Rz 23; [X.] in [X.], FGO § 155 Rz 120; [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl., § 198 [X.] Rz 43; [X.] in [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Teil 2 A § 198 [X.] Rz 247; [X.]/ [X.]/[X.]/[X.], Zivilprozessordnung, 73. Aufl., § 198 [X.] Rz 46). Es liegt kein heilbarer Mangel vor, daher wird sie nach Ablauf der Frist nicht zulässig (vgl. auch Urteil des [X.] --[X.]-- vom 17. Juli 2014 III ZR 228/13, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2014, 2588, unter [X.], und Urteil des [X.] --[X.] vom 3. September 2014 B 10 ÜG 2/14 R, Sozialrecht --[X.]-- 4-1720 § 198 Nr. 5, unter 2.e aa).

b) Der Kläger hat die sechsmonatige Wartefrist gemäß § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] nicht eingehalten. Er hat die Verzögerung am 7. November 2014 gerügt; die [X.] wurde bereits am 3. Dezember 2014 gemäß §§ 64 Abs. 1, 66 i.V.m. § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit dem Eingang der Klageschrift beim [X.] von ihrer Zustellung an den Beklagten-- erhoben.

2. Die von anderen Bundesgerichten entwickelten Ausnahmen von dem Erfordernis der Sechsmonatsfrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] sind im Streitfall nicht gegeben.

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] kann aufgrund einer teleologischen Reduktion des § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] eine [X.] ausnahmsweise bereits vor Ablauf der Sechsmonatsfrist erhoben werden, wenn nämlich das betroffene Verfahren schon vor Fristablauf beendet worden ist.

Der Sinn der sechsmonatigen Wartefrist besteht darin, dem Gericht des Ausgangsverfahrens die Möglichkeit einzuräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch eine (weitere) Verzögerung zu vermeiden (vgl. Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BTDrucks 17/3802, 22, s. auch [X.]-Urteil vom 21. Mai 2014 III ZR 355/13, NJW 2014, 2443, unter [X.]).

Ein Abwarten der Frist wäre insofern im Hinblick auf den Zweck des § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] bei bereits beendeten Verfahren nicht sinnvoll. In diesen Fällen ist die Fristenregelung des § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] teleologisch dahingehend einzuschränken, dass eine [X.] bereits vom Moment des [X.] an zulässig ist, wenn das als verspätet gerügte Verfahren schon vor Ablauf der Sechsmonatsfrist abgeschlossen wurde (so auch [X.]-Urteile in NJW 2014, 2443, unter [X.], und in NJW 2014, 2588, unter [X.]).

Das Ausgangsverfahren war im Streitfall im Zeitpunkt der Erhebung der [X.] am 3. Dezember 2014 jedoch noch nicht beendet. Die Beendigung trat nicht mit der Zustellung des finanzgerichtlichen Urteils an den Kläger am 2. Dezember 2014 ein, sondern erst mit der Übersendung des [X.] vom 11. Februar 2015, in dem die vom Kläger erhobene Beschwerde wegen Zulassung der Revision als unzulässig verworfen wurde.

Grund für eine teleologische Einschränkung der Sechsmonatsfrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] ist --wie gerade dargestellt--, dass es bei einer Beendigung des Rechtsstreits nicht mehr sinnvoll wäre, dem [X.] zur Förderung des Verfahrens einzuräumen. Wird aber lediglich die Instanz, auf deren Dauer das Entschädigungsverlangen gestützt wird und in der die [X.] erhoben wurde, vor Ablauf von sechs Monaten nach Rügeerhebung abgeschlossen, ist es noch möglich, das zunächst verzögerte Verfahren in einer höheren Instanz besonders zügig zu führen, so dass die Wahrung der Sechsmonatsfrist auch nach Abschluss einer Instanz sinnvoll ist. Sie gibt nämlich dem Rechtsmittelgericht Gelegenheit, eine in der Vor-instanz eingetretene Verzögerung zu kompensieren (so auch [X.]-Urteil in NJW 2014, 2588, unter [X.], m.w.N.).

Damit verbleibt es im Streitfall insoweit bei der Unzulässigkeit der [X.].

b) Das BSG räumt Entschädigungsklägern aus Gründen des Vertrauensschutzes richterrechtlich eine Übergangsfrist ein, wonach ihnen die unheilbare Nichteinhaltung der Wartefrist erst nach Ablauf einer am 31. Dezember 2014 endenden Übergangszeit entgegengehalten werden darf (s. Urteil in [X.] 4-1720 § 198 Nr. 5, unter 2.e cc). Grund dafür ist [X.] das [X.], dass es in der Sozialgerichtsbarkeit durchaus Fälle gebe, in denen verfrüht erhobene Klagen durch Zeitablauf oder Nachholung von Handlungen zulässig werden könnten, so dass es nicht abwegig gewesen sei, den darin liegenden Rechtsgedanken auch auf verfrüht erhobene [X.]n anzuwenden.

Diese auf die Besonderheiten der Sozialgerichtsbarkeit abstellende Ausnahme ist auf finanzgerichtliche Verfahren und damit auf den Streitfall nicht anzuwenden. Der erkennende Senat hat bereits in [X.], 961, Rz 23 entschieden, dass eine vorzeitig eingereichte [X.] unzulässig ist.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Meta

X K 11/14

09.06.2015

Bundesfinanzhof 10. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 18. November 2014, Az: 6 K 1739/11 AO, Urteil

§ 198 Abs 5 S 1 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.06.2015, Az. X K 11/14 (REWIS RS 2015, 10185)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 10185

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 C 10/15 D

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