Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.08.2012, Az. V B 59/11

5. Senat | REWIS RS 2012, 4110

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Gegenstand

Beiderseitige Erledigungserklärung, Aussetzung der Vollziehung im Insolvenzfall - Kostenverteilung nach beiderseitigen Erledigungserklärungen


Leitsatz

1. NV: Anders als im Klageverfahren kann in einem unzulässigen Rechtsmittelverfahren nur das Rechtsmittel, nicht aber auch der Rechtsstreit selbst in der Hauptsache für erledigt erklärt werden .   

2. NV: Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung entfällt erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dies gilt auch für den Fall der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO) und gleichzeitiger Untersagung der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO). Anders kann es allenfalls dann sein, wenn darüber hinaus auch die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen einstweilig eingestellt wird (§ 30d Abs. 4 ZVG) .

Tatbestand

1

I. Die [X.] beantragte beim Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt --[X.]--) erfolglos die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Umsatzsteuer- Vorauszahlungsbescheide für August 2008 bis Mai 2009. Gegenstand des [X.] vor dem [X.] ([X.]) waren die [X.] für 2008 und 2009 vom 4. Februar 2011 und vom 25. März 2011. Das [X.] gab dem Aussetzungsantrag mit Beschluss vom 26. April 2011 statt. Hiergegen legte das [X.] am 16. Mai 2011 Beschwerde ein.

2

Bereits mit Beschluss vom 20. April 2011 hatte das [X.] den Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 der Insolvenzordnung ([X.]) angeordnet, dass Verfügungen über die Gegenstände des Vermögens der [X.] nur noch mit Zustimmung des Antragstellers wirksam sind. Darüber hinaus untersagte das Amtsgericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 [X.] Maßnahmen der Zwangsvollstreckung einschließlich der Vollziehung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind und ordnete die Einstellung bereits begonnener Maßnahmen an.

3

Über das Vermögen der [X.] wurde am 6. Juli 2011 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Antragsteller zum Insolvenzverwalter bestellt. Im [X.] an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärte das [X.] den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

4

Der Antragsteller nahm den Rechtsstreit auf und erklärte ihn auf entsprechende Anfrage des Gerichts gleichfalls für erledigt, allerdings "nur für den Fall der Zulässigkeit der Beschwerde", an der es im Streitfall fehle, da die "Insolvenz ... spätestens ab Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ... zum Wegfall des [X.]" geführt habe.

Entscheidungsgründe

5

II. Auf die beiderseitige Erledigungserklärung des [X.] ist die Erledigung des Rechtsstreits festzustellen und der Beschluss des [X.] für gegenstandslos zu erklären.

6

1. Das [X.] hat im Rubrum seines Beschlusses als Streitgegenstand "Umsatzsteuer für die Monate August bis Dezember 2008 und Januar bis Mai 2009" bezeichnet, obwohl während des finanzgerichtlichen Verfahrens am 4. Februar 2011 der [X.] für 2008 und am 25. März 2011 der [X.] für 2009 erging und das [X.] --wie sich aus dem Tenor und den Gründen des Beschlusses ergibt-- über diese Bescheide sowie mit Rücksicht darauf, dass die Rechtswirkungen der [X.] hinsichtlich des Entstehens der Säumniszuschläge bestehen bleiben, auch über deren Rechtmäßigkeit entschieden hat. Eine im Beschwerdeverfahren grundsätzlich mögliche Berichtigung des Rubrums des finanzgerichtlichen Urteils (vgl. hierzu Beschlüsse des [X.] --[X.]-- vom 8. Januar 2010 V B 99/09, [X.], 911; vom 24. Mai 2007 VII B 105/06, [X.] 2007, 1902) bedarf es jedoch nicht, weil die Vorentscheidung insgesamt aufgehoben wird (vgl. [X.]-Urteile vom 26. April 2012 V R 2/11, [X.] 2012, 1285; vom 31. März 2004 [X.], [X.] 2004, 1389).

7

2. Im Streitfall liegen beiderseitige Erledigungserklärungen vor, die grundsätzlich zur Beendigung der Rechtshängigkeit führen.

8

Der Umstand, dass der Antragsteller seine Erklärung unter dem Vorbehalt der Zulässigkeit der Beschwerde des [X.] gestellt hat, steht der Wirksamkeit seiner Erledigungserklärung nicht entgegen. Zwar muss die Erledigungserklärung als eine Prozessbewirkungshandlung (z.B. [X.] vom 11. Dezember 1996 IV S 1/92, [X.] 1997, 307; [X.]-Urteil vom 22. Mai 1984 VIII R 60/79, [X.], 211, [X.] 1984, 697) wie jede Prozesshandlung klar, eindeutig und vorbehaltlos vorgenommen werden (vgl. [X.] in [X.] 1997, 307; [X.]-Urteil vom 5. November 1991 VII R 64/90, [X.], 415, [X.] 1992, 425). Erklärt jedoch im Rechtsmittelverfahren ein Beteiligter den Rechtsstreit in der Hauptsache für den Fall der Zulässigkeit des Rechtsmittels für erledigt, führt dies nicht zur Wirkungslosigkeit der Erledigungserklärung, denn diese Einschränkung gibt nur die Rechtslage wieder.

9

Anders als im Klageverfahren, in dem unabhängig von der Zulässigkeit der Klage der Rechtsstreit in der Hauptsache wirksam für erledigt erklärt werden kann (vgl. z.B. [X.] vom 25. Juli 1991 III B 10/91, [X.], 17, [X.] 1991, 846; vom 8. August 1974 IV R 131/73, [X.], 175, [X.] 1974, 749), kann in einem Rechtsmittelverfahren, in dem das eingelegte Rechtsmittel unstatthaft und unzulässig war, zwar das unzulässige Rechtsmittel selbst (vgl. z.B. [X.] in [X.], 17, [X.] 1991, 846; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 138 Rz 10), nicht aber der Rechtsstreit selbst in der Hauptsache wirksam für erledigt erklärt werden. Denn war das Rechtsmittel nicht zulässig, so fehlt dem Rechtsmittelgericht von vornherein die Möglichkeit, sachlich auf den Antrag des Rechtsmittelführers einzugehen (z.B. [X.] vom 22. September 1989 V B 20/89, [X.] 1991, 54; vom 12. Dezember 1984 I R 78/83, [X.], 8, [X.] 1985, 258 für die beiderseitige Erledigungserklärung; [X.]-Urteil vom 9. August 1977 VII R 123/74, [X.], 443, [X.] 1977, 697, und [X.] vom 5. Juni 1985 II S 3/85, [X.], 414, [X.] 1985, 469 für die einseitige Erledigungserklärung). Deshalb sind Erledigungserklärungen, die in einem unstatthaften und unzulässigen Rechtsmittelverfahren in Bezug auf den Rechtsstreit selbst abgegeben werden, wirkungslos (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.] vom 15. März 2000 I R 56/99, [X.] 2000, 1211; vom 8. September 1999 VII B 84/99, [X.] 2000, 571; vom 17. Dezember 1997 VIII R 12/92, [X.] 1998, 721; in [X.] 1991, 54, jeweils m.w.[X.]). Erklärt deshalb im Rechtsmittelverfahren ein Beteiligter den Rechtsstreit in der Hauptsache unter der Voraussetzung für erledigt, dass das Rechtsmittel zulässig sei --wie im Streitfall der [X.], steht dieser Vorbehalt der Wirksamkeit seiner Prozesshandlung nicht entgegen, da er nur die Rechtslage wiedergibt, wonach eine wirksame Erledigungserklärung im Rechtsmittelverfahren dessen Zulässigkeit voraussetzt.

3. Entgegen der Auffassung des Antragstellers war die Beschwerde bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf AdV erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 27. November 1974 I R 185/73, [X.]E 114, 164, [X.] 1975, 208, unter 2., und vom 21. Juni 1979 IV R 131/74, [X.]E 128, 322, [X.] 1979, 780, unter 1.c; [X.] vom 11. August 2000 I S 5/00, [X.] 2001, 314, unter [X.], und vom 15. Februar 2002 XI S 32/01, [X.] 2002, 940, unter [X.], alle zur Eröffnung des Konkursverfahrens). Maßgeblich ist hierfür, dass Verwaltungsakte zwar gemäß § 251 Abs. 1 der Abgabenordnung ([X.]) vollstreckt werden können, die Vorschriften der [X.] jedoch nach § 251 Abs. 2 Satz 1 [X.] unberührt bleiben. Hieraus folgt, dass das [X.] ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens [X.], die als Insolvenzforderungen i.S. von § 38 [X.] anzusehen sind, als Insolvenzgläubiger gemäß § 87 [X.] nur noch nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen kann. Eine Zwangsvollstreckung ist nach § 89 Abs. 1 [X.] unzulässig.

b) Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht bereits durch seine Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 [X.]) bei gleichzeitiger Untersagung der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 [X.]) entfallen.

Die Bestellung eines vorläufigen Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt lässt das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen, da die [X.] hierdurch nicht eingeschränkt werden.

Auch die Untersagung der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen führt nicht zu einem Fortfall des [X.]. Denn die Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 [X.] lässt das Recht auf Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unberührt, wie sich auch ausdrücklich aus § 30d Abs. 4 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung ergibt. Ist vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein vorläufiger Verwalter bestellt, ist danach auf dessen Antrag die Zwangsversteigerung einstweilen einzustellen, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die einstweilige Einstellung zur Verhütung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners erforderlich ist. Für eine derartige Einstellung bestehen im Streitfall ebenso wenig Anhaltspunkte wie für die Annahme, dass die [X.] über keinerlei unbewegliches Vermögen verfügte. Im Hinblick auf die somit für das [X.] weiterhin gegebene Möglichkeit zur Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen bestand daher das Rechtsschutzbedürfnis fort und ist erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens während des vorliegenden Beschwerdeverfahrens entfallen.

4. Das Gericht braucht im Rahmen der Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache wegen beiderseitiger Erledigungserklärungen nicht schwierige Rechtsfragen zu klären. Wenn sich infolgedessen der mutmaßliche Ausgang des Rechtsstreits nicht hinreichend sicher erkennen lässt, entspricht in der Regel die Kostenteilung billigem Ermessen (vgl. z.B. [X.] vom 20. September 1991 IX B 157/90, juris; vom 15. April 1986 VII R 152/83, [X.] 1986, 575, und vom 16. Oktober 1985 IX R 56/81, [X.] 1086, 354).

Meta

V B 59/11

01.08.2012

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 26. April 2011, Az: 9 V 3795/10, Beschluss

§ 69 FGO, § 139 FGO, § 251 AO, § 21 Abs 2 Nr 2 InsO, § 80 InsO, § 30d Abs 4 ZVG, § 138 Abs 1 FGO, § 21 Abs 2 Nr 3 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.08.2012, Az. V B 59/11 (REWIS RS 2012, 4110)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4110

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