Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.07.2013, Az. XI B 41/13

11. Senat | REWIS RS 2013, 4230

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Masseverbindlichkeit bei Entgeltvereinnahmung durch den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter - Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen im Umsatzsteuerrecht - Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel


Leitsatz

NV: Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Vereinnahmung des Entgelts durch den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter für eine vor seiner Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter vom Insolvenzschuldner ausgeführte Leistung mit der Verfahrenseröffnung eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO begründet.

Tatbestand

1

I. Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der [X.] (GmbH).

2

Mit Beschluss vom 7. Juni 2012 ordnete das [X.] (AG) über das Vermögen der GmbH die vorläufige Insolvenzverwaltung an und bestimmte den Antragsteller zum sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter. Mit weiterem Beschluss vom 19. Juli 2012 eröffnete das AG das Insolvenzverfahren und bestellte den Antragsteller zum Insolvenzverwalter.

3

Der Antragsteller vereinnahmte im Voranmeldungszeitraum Juli 2012 Entgeltzahlungen für sonstige Leistungen in Höhe von 13.241,90 €, die die GmbH vor dem 7. Juni 2012 ausgeführt hatte. Er behandelte diese Leistungsentgelte in der für die GmbH eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldung für Juli 2012 aufgrund der Rechtsprechung des [X.] --[X.]-- (Urteil vom 9. Dezember 2010 V R 22/10, [X.], 301, BStBl II 2011, 996) als Masseverbindlichkeit und bezog sie in Höhe von 11.127 € (= 13.241,90 € : 1,19) in die Bemessungsgrundlage der steuerpflichtigen Umsätze ein. Die Abgabe dieser Steueranmeldung für Juli 2012 stand gemäß § 168 Satz 1 der Abgabenordnung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich.

4

Der gleichzeitig mit seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung für Juli 2012 eingelegte Einspruch, in dem der Antragsteller geltend machte, die aus den vor dem 7. Juni 2012 erbrachten sonstigen Leistungen herrührenden Umsatzsteuerforderungen seien keine Masseverbindlichkeiten sondern Insolvenzforderungen, blieb ohne Erfolg. Über die Klage hat das Finanzgericht ([X.]) noch nicht entschieden.

5

Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des [X.] für Juli 2012 lehnte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --[X.]--) ebenfalls ab. Das [X.] gab dem bei ihm gestellten Antrag auf AdV gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) mit Beschluss vom 18. März 2013 statt. Denn die Festsetzung der [X.] für Juli 2012 erscheine nicht über jegliche Rechtmäßigkeitszweifel erhaben.

6

Sie entspreche zwar der neueren Rechtsprechung des [X.] [X.] (Urteile in [X.], 301, BStBl II 2011, 996; vom 24. November 2011 V R 13/11, [X.]E 235, 137, [X.], 298). Diese Rechtsprechung sei jedoch im Schrifttum umstritten.

7

Eine Entscheidung des ebenfalls für Umsatzsteuerangelegenheiten zuständigen [X.]. Senats des [X.] sei bisher nicht bekannt geworden. Der [X.]. Senat des [X.] habe offengelassen, ob er sich der Auffassung des [X.] anschließen könne (Urteil vom 25. Juli 2012 [X.] R 29/11, [X.]E 238, 307, [X.], 36).

8

Nach der Ansicht des [X.] sei nicht frei von Zweifeln, ob allein der Übergang der [X.] und [X.] über das Vermögen des Insolvenzschuldners auf den Insolvenzverwalter gemäß § 80 Abs. 1 der Insolvenzordnung ([X.]) zur Uneinbringlichkeit i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) führe. Denn bisher habe die Rechtsprechung den Wechsel der Verfügungsmacht über eine Entgeltforderung, die auf einen steuerpflichtigen Umsatz zurückgehe, nicht als Anlass für eine Berichtigung nach § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 UStG genommen. Dies gelte sowohl für Fälle der Gesamtrechtsnachfolge als auch für solche der Organschaft. Denn der [X.] (Urteil vom 7. Dezember 2006 V R 2/05, [X.]E 216, 375, [X.], 848) sei bisher davon ausgegangen, dass der Ausfall einer vorsteuerbelasteten Forderung, die gegenüber einer Organgesellschaft begründet und nach Ende der Organschaft uneinbringlich geworden sei, zur Vorsteuerberichtigung gegenüber der nunmehr umsatzsteuerlich selbständigen Organgesellschaft führe. Daraus sei geschlossen worden, dass in gleicher Weise die Berichtigung von Umsätzen vorzunehmen sei, dass also ein während der Organschaft erbrachter Umsatz der Organgesellschaft nach dem Ende der Organschaft von der Organgesellschaft zu berichtigen sei, wenn die Entgeltforderung nach dem Ende der Organschaft uneinbringlich werde.

9

Der [X.] habe sich bisher nicht damit auseinandergesetzt, ob die zuvor skizzierte [X.] ebenfalls zu ändern sei oder ob sie in anderer Weise mit der Rechtsprechung des [X.] [X.] vereinbar sei. Schließlich habe der [X.] bislang nicht erörtert, ob die neuere Rechtsprechung des [X.] richtlinienkonform sei (vgl. Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem --MwStSystRL--).

Mit seiner vom [X.] zugelassenen Beschwerde macht das [X.] geltend, es lägen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuer-Voranmeldung für Juli 2012 vor. Es gebe keine widersprüchliche oder unterschiedliche Rechtsprechung mehrerer [X.]-Senate, die "ernstliche Zweifel" an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts begründen könne. Der [X.]. Senat und der [X.]. Senat des [X.] hätten sich zwar der Rechtsprechung des [X.] [X.] nicht angeschlossen, dieser aber auch nicht widersprochen.

Das [X.] beantragt sinngemäß,
den [X.]-Beschluss vom 18. März 2013 aufzuheben und den Antrag auf AdV abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

[X.] [X.] ist zulässig und begründet.

1. [X.] gegen die Entscheidung des [X.] über die AdV nach § 69 Abs. 3 [X.]O ist statthaft, weil sie vom [X.] ausdrücklich zugelassen wurde (§ 128 Abs. 3 Satz 1 [X.]O).

2. [X.] des [X.] ist auch begründet. Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wird der Antrag auf AdV des [X.] für Juli 2012 als unbegründet abgelehnt. Es bestehen bei der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Vorauszahlungsbescheids.

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 [X.]O ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 [X.]O liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem [X.] vom 10. Februar 1967 III B 9/66, [X.], 447, [X.] 1967, 182; [X.] vom 8. April 2009 I B 223/08, [X.], 1437; vom 25. April 2013 XI B 123/12, juris). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. [X.] vom 7. September 2011 I B 157/10, [X.], 215, [X.], 590, Rz 12, m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen ([X.] in [X.], 215, [X.], 590, Rz 12; vom 25. April 2013 XI B 123/12, juris, Rz 12).

Ernstliche Zweifel bestehen, wenn eine Rechtsfrage streitig ist, die von einem oder mehreren Senaten des [X.] unterschiedlich oder widersprüchlich entschieden worden ist (vgl. [X.] vom 5. Februar 1986 I B 39/85, [X.]E 146, 105, [X.] 1986, 490, Leitsatz 1; [X.] in [X.]/[X.]/ [X.] --[X.]--, § 69 [X.]O Rz 310).

b) Es genügt indes --entgegen der Auffassung des [X.] (Beschluss, Seite [X.] nicht, dass die Festsetzung der [X.] für Juli 2012 "nicht über jeglichen Rechtmäßigkeitszweifel" erhaben erscheint.

Wie unter [X.] dargelegt, rechtfertigt nicht irgendein und nicht jeder Zweifel, sondern nur ein in seiner Bedeutung als "ernstlich" anzusehender Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen [X.] eine AdV (vgl. [X.] in [X.], § 69 [X.]O Rz 285).

3. Nach diesen Maßgaben bestehen im Streitfall keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen [X.].

a) Nach den übereinstimmenden Auffassungen des Antragstellers, des [X.] und des [X.] entspricht der [X.]sbescheid für Juli 2012 den durch die Rechtsprechung des [X.] des [X.] aufgestellten Rechtsgrundsätzen (vgl. Urteile vom 29. Januar 2009 V R 64/07, [X.]E 224, 24, [X.] 2009, 682 zur Istbesteuerung; in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996; in [X.], 137, [X.], 298).

Mit Urteil vom 9. Dezember 2010 hat der [X.] (in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996, Leitsatz) entschieden, dass in dem Fall, in dem der Insolvenzverwalter eines Unternehmers das Entgelt für eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführte steuerpflichtige Leistung vereinnahmt, die Entgeltvereinnahmung nicht nur bei der [X.], sondern auch bei der Sollversteuerung eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] begründet.

Masseverbindlichkeiten i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] seien die Verbindlichkeiten, die "durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören". Ob es sich bei einem Steueranspruch um eine Insolvenzforderung i.S. von § 38 [X.] oder um eine Masseverbindlichkeit handele, bestimme sich nach dem [X.]punkt, zu dem der den [X.] begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen sei. Unerheblich sei demgegenüber der [X.]punkt der Steuerentstehung. Welche Anforderungen im Einzelnen an die vollständige Tatbestandsverwirklichung zu stellen seien, richte sich nach den jeweiligen Vorschriften des Steuerrechts, nicht aber nach Insolvenzrecht. Komme es zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, handele es sich um eine Insolvenzforderung, erfolge die vollständige Tatbestandsverwirklichung erst nach Verfahrenseröffnung, liege unter den Voraussetzungen des § 55 [X.] eine Masseverbindlichkeit vor (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 224, 24, [X.] 2009, 682, unter [X.]; in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996, Rz 17 f.).

Zwar gelte auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Grundsatz der Unternehmenseinheit, das Unternehmen bestehe jedoch nach Verfahrenseröffnung aus mehreren Unternehmensteilen, zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden könnten. Zu unterscheiden seien der vorinsolvenzrechtliche Unternehmensteil, gegen den Insolvenzforderungen zur Tabelle anzumelden seien (§§ 174 ff. [X.]), der die Insolvenzmasse betreffende Unternehmensteil, gegen den Masseverbindlichkeiten geltend zu machen seien, sowie ggf. das vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen, bei dem [X.] gegen den Insolvenzschuldner persönlich ohne insolvenzrechtliche Einschränkungen geltend gemacht werden könnten (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996, Rz 28 f.).

Ändere sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz, habe der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. Diese Vorschrift gelte gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Leistung uneinbringlich geworden sei. Uneinbringlichkeit setze nach ständiger [X.]-Rechtsprechung (z.B. Urteil vom 20. Juli 2006 V R 13/04, [X.]E 214, 471, [X.] 2007, 22, Leitsatz 1) voraus, dass der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erfüllt werde und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen sei, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare [X.] rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen könne. [X.] der Unternehmer, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird, eine Leistung vor Verfahrenseröffnung, ohne das hierfür geschuldete Entgelt bis zu diesem [X.]punkt zu vereinnahmen, trete mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus Rechtsgründen Uneinbringlichkeit ein ([X.]-Urteil in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996, Rz 27). Denn mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehe nach § 80 Abs. 1 [X.] die Empfangszuständigkeit für alle Leistungen, welche auf die zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen erbracht werden, auf den Insolvenzverwalter über (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996, Rz 30 ff.).

Werde das Entgelt nachträglich vereinnahmt, seien Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen. Diese erneute Berichtigung sei nach § 17 Abs. 2 i.[X.]m. Abs. 1 Satz 7 UStG erst im [X.]punkt der Vereinnahmung vorzunehmen. Die erste [X.] aufgrund der Uneinbringlichkeit im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil und die zweite [X.] aufgrund der Vereinnahmung führten somit zu einer zutreffenden Besteuerung des Gesamtunternehmens. Die aufgrund der Vereinnahmung entstehende [X.] begründe eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.]. Denn der sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG ergebende Steueranspruch sei erst mit der Vereinnahmung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen. Für dieses Ergebnis spreche auch das Erfordernis, die Besteuerungsgleichheit zwischen [X.] und [X.] zu wahren (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996, Rz 31 f.).

b) Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 9. Februar 2011 XI R 35/09 ([X.]E 233, 86, [X.] 2011, 1000, unter [X.]2.) --mit der Rechtsprechung des [X.] des [X.] übereinstimmend-- entschieden, dass sich die Beurteilung, ob "es sich bei einem [X.] des [X.] um eine Insolvenzforderung (§ 38 [X.]) oder um eine Masseverbindlichkeit (§ 55 [X.]) handelt, nach dem [X.]punkt [bestimmt], zu dem der den [X.] begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist; unerheblich ist dagegen der [X.]punkt der Steuerentstehung. Kommt es umsatzsteuerrechtlich zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung bereits vor Verfahrenseröffnung, handelt es sich um eine Insolvenzforderung; erfolgt die vollständige Tatbestandsverwirklichung dagegen erst nach Verfahrenseröffnung, liegt unter den Voraussetzungen des § 55 [X.] eine Masseverbindlichkeit vor."

Es bedurfte indes bislang keiner Stellungnahme des erkennenden Senats zu der dem [X.]-Urteil in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996 zugrunde liegenden Rechtsfrage, ob mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund der wegfallenden Empfangszuständigkeit des Insolvenzschuldners die Uneinbringlichkeit der an ihn noch nicht entrichteten Entgelte für seine vor Verfahrenseröffnung ausgeführten Leistungen eintritt.

c) Auch der [X.]. Senat des [X.] (Urteile in [X.]E 238, 307, [X.] 2013, 36, Rz 15 ff.; vom 25. Juli 2012 [X.] R 56/09, [X.]/NV 2013, 413, unter [X.]2.; [X.] R 30/11, [X.]/NV 2013, 603, unter [X.] am Ende) folgt dem Verständnis des [X.] und XI. Senats darin, dass sich die "Begründung" steuerlicher Forderungen und damit die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen danach bestimmt, ob der den [X.] begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung "vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen" ist; nicht maßgeblich ist lediglich der [X.]punkt der Steuerentstehung nach § 13 UStG.

Der [X.]. Senat des [X.] (in [X.]E 238, 307, [X.] 2013, 36, Rz 16) "hält nicht länger an seiner Rechtsansicht fest, dass eine aufgrund Berichtigung gemäß § 17 Abs. 2 UStG entstehende steuerliche Forderung bereits mit Begründung der zu berichtigenden Steuerforderung im insolvenzrechtlichen Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] begründet ist. Dafür ist vor allem das Bestreben maßgeblich, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu wahren bzw. wiederherzustellen, womit es nur schwer vereinbar wäre, wenn § 38 [X.] im umsatzsteuerlichen Festsetzungsverfahren anders ausgelegt und angewendet würde als § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] bei der Erhebung der Umsatzsteuer. Denn beide Vorschriften beruhen auf demselben Rechtsgedanken: unter einem Vermögensanspruch, der gegen das Finanzamt zur [X.] der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet war (§ 38 [X.]), kann unbeschadet der unterschiedlichen Wortwahl des Gesetzes nichts anderes verstanden werden als etwas, was das Finanzamt nicht erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.]). Dass letztere Vorschrift vor allem im Erhebungsverfahren zum Zuge kommt, nämlich bei einer Aufrechnung, während erstere die Zuordnung von Ansprüchen zu den Insolvenzforderungen --im Unterschied zu den Masseverbindlichkeiten (§§ 53 bis 55 [X.])-- betrifft, die zumindest in erster Linie für das Steuerfestsetzungsverfahren bedeutsam ist, ist insofern belanglos und ändert an der rechtslogischen Notwendigkeit nichts, die beiden vorgenannten Vorschriften gleich auszulegen."

Es liegt daher keine unterschiedliche oder widersprüchliche Rechtsprechung des [X.] vor, die ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen [X.] begründen könnte.

d) Der dargelegten Rechtsprechung des [X.] (in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996) folgt das [X.] (Schreiben vom 9. Dezember 2011 IV D 2-S 7330/09/10001:001, [X.], 1273) für alle Insolvenzverfahren, die --wie im [X.] nach dem 31. Dezember 2011 eröffnet wurden.

e) Im Schrifttum hat die dargelegte Rechtsprechung des [X.] (in [X.]E 224, 24, [X.] 2009, 682; in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996) zum Teil Zustimmung (z.B. Wäger, [X.] --[X.]-- 2011, 1925; Widmann, [X.], 555) und zum Teil Ablehnung (z.B. [X.], [X.], 921, und [X.], 1973; Welte/ [X.], [X.], 740) hervorgerufen.

Diese Kritik begründet jedoch bei der gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel, weil der [X.] Senat des [X.] im Urteil in [X.], 137, [X.], 298, Rz 16 ff. und 54 die Gegenargumente bereits im Wesentlichen verbeschieden hat (vgl. dazu [X.] in [X.], § 69 [X.]O Rz 313). Er hat sich in dieser Entscheidung mit der Kritik von [X.] ([X.], 921, 925 f., und [X.] 2011, 1973 ff., 1978) auseinandergesetzt und --auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des [X.] vom 19. Juli 2007 IX ZR 81/06 ([X.] 2007, 742, Neue Juristische [X.] Zivilrecht 2008, 206, unter [X.]2.c)-- festgestellt, dass die dargelegte Rechtsprechung nicht insolvenzrechtlichen Wertungen widerspricht. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der erkennende Senat insoweit auf die dortige Begründung des [X.] (in [X.], 137, [X.], 298, Rz 16 ff. und 54). Mit der Entscheidung vom 24. November 2011 hält der [X.] Senat des [X.] (in [X.], 137, [X.], 298, Rz 54) ausdrücklich --trotz der [X.] an seinem Urteil in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996 fest.

f) Soweit das [X.] gegen die dargelegte Rechtsprechung des [X.] des [X.] einwendet, dass der Wechsel der Verfügungsmacht über eine Entgeltforderung, die auf einen steuerpflichtigen Umsatz zurückgehe, z.B. in Fällen der Gesamtrechtsnachfolge, bislang kein Anlass für eine Berichtigung nach § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 UStG gewesen sei und die Auswirkungen der Rechtsprechungsänderung durch den [X.] Senat auf solche Fälle ungeklärt seien, kann der erkennende Senat diese Rechtsfrage im Aussetzungsverfahren offenlassen. Denn das summarische Beschlussverfahren ist schon deshalb nicht geeignet, diese Rechtsfrage zu klären, weil eine Gesamtrechtsnachfolge dem Streitfall nicht zugrunde liegt und diese Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich ist. Dasselbe gilt für den vom [X.] ferner angeführten Fall einer Organschaft.

g) Auch der allgemeine Hinweis des [X.], dass der [X.] Senat des [X.] nicht die Vereinbarkeit seiner Rechtsprechung mit Art. 90 MwStSystRL erörtert habe, begründet bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen [X.].

Denn das [X.] nennt weder einen konkreten Grund, der für eine Unvereinbarkeit der Rechtsprechung mit Art. 90 MwStSystRL sprechen könnte, noch bringt das [X.] zum Ausdruck, dass nach seiner Auffassung ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit der dargelegten Rechtsprechung des [X.] mit Unionsrecht bestünden.

Die Klärung dieser Rechtsfrage kann im Hauptsacheverfahren erfolgen. Sofern die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 [X.]O vorliegen, ist ggf. im Urteil des [X.] die Revision zuzulassen.

Meta

XI B 41/13

11.07.2013

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 18. März 2013, Az: 7 V 7279/12, Beschluss

§ 13 UStG 2005, § 17 Abs 1 UStG 2005, § 17 Abs 2 Nr 1 UStG 2005, § 22 Abs 1 InsO, § 38 InsO, § 55 InsO, § 80 Abs 1 InsO, § 96 Abs 1 Nr 1 InsO, §§ 174ff InsO, Art 90 EGRL 112/2006, § 69 Abs 3 S 1 FGO, § 128 Abs 3 FGO, § 34 Abs 3 AO, § 174 InsO, § 69 Abs 2 S 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.07.2013, Az. XI B 41/13 (REWIS RS 2013, 4230)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4230

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