Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.10.2011, Az. V ZB 311/10

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 1868

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]

vom

27. Oktober
2011

in der Abschiebungshaftsache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
FamFG § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5

Die für einen zulässigen Haftantrag notwendigen Angaben zur Durchführbarkeit der Abschiebung müssen sich auf das Land beziehen, in das der Betroffene abgescho-ben werden soll, und müssen erkennen lassen, ob und innerhalb welchen [X.]raums Abschiebungen in dieses Land üblicherweise möglich sind.

[X.], Beschluss vom 27. Oktober 2011 -
V [X.] -
LG [X.]

AG [X.]

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 27.
Oktober 2011 durch [X.]
Dr.
Krüger, den
Richter Dr. Lemke, die Richterin [X.], [X.] Czub
und die Richterin Dr.
Brückner

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der Zivilkammer
84
des [X.] [X.]
vom 18.
November 2011
und der Beschluss des Amtsgerichts [X.] vom 8.
Oktober 2011
den Betroffenen in seinen Rechten ver-letzt haben.

Das Land [X.]
hat dem Betroffenen sämtliche
zur zweckent-sprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen
aller In-stanzen zu erstatten.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

Gründe:

I.
Der Betroffene, ein
pakistanischer Staatsangehöriger, reiste 2007 [X.] nach [X.] ein. Sein Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt. Im März 2010 reiste er aus [X.] aus. Einen Tag nach seiner mit
Hilfe 1
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-
einer Schleuserorganisation im September 2010 erfolgten Wiedereinreise [X.] er in [X.] festgenommen.
Auf Antrag der Beteiligten zu
2 hat das Amtsgericht am 23.
September
2010 zunächst eine vorläufige Haftanordnung erlassen. Mit Beschluss vom 8.
Oktober 2010 hat es die Haft zur Sicherung der Abschiebung des [X.] bis zum 22. Dezember 2010 sowie
die sofortige Wirksamkeit der Entschei-dung angeordnet.
Am 6. Oktober 2010 hat der Betroffene einen [X.] gestellt.
Die Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben. Nach seiner Haftentlassung im Januar 2011 möchte er
mit der Rechtsbeschwerde [X.] wissen, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts vom 8.
Oktober 2010 und die Beschwerdeentscheidung des [X.] ihn in seinen Rechten ver-letzt haben.

II.
Das Beschwerdegericht hat den Betroffenen
aufgrund unerlaubter
Ein-reise für vollziehbar ausreisepflichtig
und den Haftgrund des §
62 Abs. 2 Satz
1 Nr. 5 [X.] für gegeben
erachtet. Der [X.] habe
die [X.]shaft nicht
gehindert. Die [X.] sei am 29. September 2010 und damit unverzüglich eingeleitet
worden. Die Beteiligte zu 2 habe
das Verfah-ren auch im Übrigen mit der gebotenen Zügigkeit
betrieben; auf die Bearbei-tungsgeschwindigkeit der pakistanischen Botschaft und der Behörden in [X.] habe sie
keinen Einfluss
gehabt. [X.] (§
62 Abs. 2 Satz 4, Abs. 3 Satz
1 [X.]) seien gewahrt
worden.
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3
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4
-
III.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sowohl die Entschei-dung des Amtsgerichts als auch die des [X.] verletzen den Be-troffenen in seinen Rechten, weil es an einer den Anforderungen des §
62 Abs.
2 Satz 4 [X.] genügenden Prognose
fehlt.
1. a) Für die Anordnung von [X.] ist nur Raum, wenn die Sachverhalts[X.]tlung und -bewertung ergibt, dass entweder eine [X.] innerhalb der nächsten drei Monate prognostiziert oder eine zuverlässige Prognose zunächst nicht getroffen werden kann (vgl.
[X.], NJW 2009, 2659, 2660 Rn. 22
f.; Senat, Beschluss
vom
10.
Juni 2010 -
V
ZB
205/09, Rn. 9, [X.]). Die Prognose muss auf einer hinreichend vollständigen Tatsachengrundla-ge basieren und sich auf alle im konkreten Fall ernsthaft in Betracht kommen-den Gründe erstrecken, die der Abschiebung entgegenstehen oder sie [X.] können ([X.], NJW 2009, 2659, 2660). Dazu zählt, wenn der Betroffe-ne, wie hier, einen [X.] gestellt hat,
auch ein mögliches [X.]shindernis nach §
71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG (vgl. näher Senat, Beschluss vom 5. Oktober 2010 -
V [X.], [X.] 2011, 25, 26, Rn. 6). Erforderlich sind konkrete Feststellungen zu dem Verfahrensablauf und zu dem [X.]raum, in dem die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden. Der Tatrichter darf sich dabei
nicht auf die Wiedergabe der Einschätzung der Ausländerbehörde beschränken, die Abschiebung werde voraussichtlich [X.] von drei Monaten stattfinden können. Soweit diese keine konkreten Tatsa-chen hierzu mitteilt, obliegt es ihm gemäß §
26 FamFG, diese durch Nachfra-gen zu [X.]teln (vgl. Senat, Beschluss vom 14. April 2011 -
V
[X.]/11, Rn. 8,
juris; Beschluss vom 18. August 2010 -
V [X.], Rn. 22, juris, mwN).
Dass Passersatzpapiere beschafft werden müssen, macht die Prognose nicht ent-5
6
-
5
-
behrlich (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juni 2011 -
V [X.], Rn. 6,
juris; Beschluss vom 14.
April 2011 -
V [X.]/11,
Rn. 8, juris).
b) Den genannten Anforderungen genügt die Haftanordnung des [X.] offenkundig nicht.
Sie beschränkt sich auf den Satz, es stehe nicht fest, dass die Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten habe, nicht durchgeführt werden könne, und auf die Aussage, die Dauer der angeordneten [X.] sei [X.], um die Abschiebung organisatorisch vorzubereiten. Beides lässt nicht er-kennen, dass das Gericht eine auf Tatsachen gestützte Prognose für den kon-kreten Fall getroffen hat. Auch fehlt die notwendige Vergewisserung, dass mit einer Entscheidung des [X.] über den [X.] des Betroffenen innerhalb von drei Monaten gerechnet werden konnte (vgl. §
71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG sowie Senat, Beschluss vom 5. Oktober 2010 -
V
[X.], [X.] 2011, 25, 26 Rn. 6).
2. Die unzureichende Prognose des Amtsgerichts ist in der Beschwer-deinstanz
nicht nachgeholt worden. Auch ist das Beschwerdegericht
-
obwohl zwischen der Haftanordnung und der Beschwerdeentscheidung fast fünf [X.] lagen -
seiner Verpflichtung nicht nachgekommen
zu prüfen, ob die Vo-raussetzungen des §
62 Abs. 2 Satz 4 [X.] unter Berücksichtigung des im [X.]punkt der Beschwerdeentscheidung erkennbaren Verlaufs des [X.]sverfahrens weiterhin gegeben waren, ob also eine Abschiebung noch innerhalb von drei Monaten (gerechnet ab Anordnung der [X.]) mög-lich erschien (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010
-
V [X.], Rn. 13, juris).

Der lapidare Satz, [X.] seien gewahrt, genügt hierzu nicht. Der Hinweis des [X.],
die beteiligte Behörde habe auf die Arbeits-7
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-
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-
weise und -geschwindigkeit ausländischer Behörden keinen Einfluss, ist im Rahmen des Beschleunigungsgebots relevant
(vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 -
V [X.] 2/10, Rn. 16,
juris),
nicht aber für die nach §
62 Abs.
2 Satz 4 [X.] erforderliche Prognose.
3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da weitere tatsächli-che Feststellungen nicht in Betracht kommen (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG).
a) Zwar ist
bei unzureichenden Feststellungen im Zusammenhang mit der nach §
62 Abs. 2 Satz 4 [X.] zu treffenden Prognose eine
Zurückver-weisung der Sache zwecks weiterer Aufklärung möglich,
wenn dem
Betroffenen
hierzu rechtliches Gehör gewährt werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 8.
Juli 2010 -
V
ZB 203/09, Rn. 11, juris).
Dem steht vorliegend aber entgegen, dass schon der Haftantrag
unzulässig war, weil er keine Angaben zu der Durch-führbarkeit der Abschiebung des Betroffenen enthielt. Dieser Mangel kann nicht rückwirkend geheilt werden, da
es sich bei der ordnungsgemäßen Antragstel-lung durch die Behörde um eine Verfahrensgarantie handelt, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert
(Senat, Beschluss vom 29. April 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 210, 211
Rn. 19; Beschluss vom 21. Oktober 2010 -
V
ZB 96/10,
Rn. 14, juris; Beschluss vom 24. Februar 2011 -
V ZB 202/10 Rn.
26, [X.] 2011, 146, 148).
b) Das Vorliegen eines zulässigen [X.] ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 210, 211 Rn. 12 und vom 22. Juli 2010 -
V [X.], NVwZ 2010, 1511, 1512
Rn. 7). Der
Haftantrag muss nach §
417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet werden. Erforder-lich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den [X.]svoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbar-10
11
12
-
7
-
keit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§
417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzu-lässigkeit des [X.] (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 -
V [X.], aaO, Rn. 14 und vom 22. Juli 2010 -
V [X.], aaO, Rn. 8).

aa) Die Begründung des [X.] muss auf den konkreten Fall zuge-schnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht. Der Gesetzgeber hat sich
nämlich
-
abweichend von dem Vorschlag der Bundesregierung, die es auch für Abschiebungshaftsachen
bei den Anforderungen des §
23 Abs. 1 Satz 2 FamFG bewenden lassen wollte (Entwurfsbegründung zum FGG-ReformG in BT-Drucks. 16/6308 S. 291)
-
bewusst dafür entschieden, an die Begründung eines [X.] strengere Anforderungen zu stellen und der Behörde
mit dem heutigen §
417 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorzuschreiben, zu welchen Punkten sich der Haftantrag zu verhalten hat (Beschlussempfehlung zum FGG-ReformG in BT-Drucks. 16/9733 S. 299). Damit will der Gesetzgeber erreichen, dass dem Gericht schon durch den Antrag selbst eine hinreichende [X.] für die Einleitung weiterer Ermittlungen bzw. für seine Entscheidung zu-gänglich wird (Beschlussempfehlung zum FGG-ReformG, aaO; Senat, [X.] vom 29. April 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 210, 211 Rn. 14). Auch gibt eine solche Darlegung dem Betroffenen eine Grundlage für seine Verteidigung gegen den Haftantrag (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010

V [X.], NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 12). Danach bestimmen sich Inhalt und Umfang der notwendigen Darlegungen. Sie dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des [X.] (vgl. Senat, Beschluss vom 15.
September 2011 -
V [X.], Rn.
9, juris). Hinsichtlich der Durchführbarkeit der Abschiebung sind auf das Land bezogene Ausführungen erforderlich, in das der Betroffene abgeschoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen [X.]raums Abschiebun-gen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind.

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bb) Diesen Anforderungen genügt der von der Beteiligten zu 2 gestellte Haftantrag nicht. Angaben zu
der erfahrungsgemäß notwendigen Vorberei-tungsdauer für eine Abschiebung nach [X.] enthält er nicht. Die Erklärung, der beantragte [X.] sei erforderlich, weil die Vorbereitung der [X.], die Beschaffung der Flugkarte, Bereitstellung von Begleitpersonal usw. erfahrungsgemäß entsprechende [X.] beanspruchen können, ist eine
universell einsetzbare Leerformel, die über die Durchführbarkeit der Abschiebung im kon-kreten Fall nichts aussagt. Der Hinweis, die [X.] sei bereits einge-leitet, und es sei, da eine Passkopie vorliege, mit der Ausstellung eines neuen Dokuments zu rechnen, betrifft zwar den individuellen Fall, lässt aber nicht er-kennen, wann erfahrungsgemäß mit der Ausstellung des Papiers durch die pa-kistanischen Behörden zu
rechnen ist; auch verhält sie sich nicht dazu, ob eine Abschiebung nach [X.] weitere Formalitäten erfordert und wieviel [X.] [X.] voraussichtlich beanspruchen werden. Damit fehlen in dem [X.] Tatsachen, anhand derer der Haftrichter die Prognose nach §
62 Abs. 2 Satz
4 [X.] treffen konnte.
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-
IV.
Die
Kostenentscheidung beruht auf §
83 Abs. 2, §
81 Abs. 1 Satz 1
und
§
430 FamFG (vgl. Senat, Beschluss vom 6.
Mai 2010 -
V
ZB
193/09, [X.] 2010, 361, 363).
Krüger

Lemke

Stresemann

Czub

Brückner
Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 08.10.2010 -
383 XIV 432/10 B -

LG [X.], Entscheidung vom 18.11.2010 -
84 [X.]/10 B -

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Meta

V ZB 311/10

27.10.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.10.2011, Az. V ZB 311/10 (REWIS RS 2011, 1868)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1868

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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