Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.01.2012, Az. V ZB 96/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 9733

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 96/11
vom

26. Januar 2012
in der Abschiebungshaftsache

-
2
-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26.
Januar 2012 durch [X.] [X.], die Richter Dr.
[X.] und
Prof. Dr.
Schmidt-Räntsch und
die Richterinnen
Dr. Brückner
und Weinland

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 24. März 2011 und der Beschluss des [X.] vom
19. Januar 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt ha-ben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechen-den Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem
Beteiligten zu 2 auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

Gründe:
I.
Der Betroffene ist [X.] St[X.]tsangehöriger und reiste am 9.
Januar 2010
in das [X.] ein. Ein von ihm gestellter Asylantrag [X.] mit Bescheid des [X.] vom 23.
April 2010 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Der Bescheid ist seit dem 7.
Mai 2010 bestandskräftig und die Abschiebungsandrohung seitdem vollziehbar. [X.]
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3

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ne dem Betroffenen erteilte Duldung des Aufenthalts war bis zum 13.
Januar 2011 befristet. An einer an diesem Tag vorgesehenen Anhörungsrunde zur Rückführung [X.] St[X.]tsangehöriger nahm der Betroffene nicht teil. Zudem war
er
seit dem 14.
Januar 2011 in der ihm zugewiesenen Gemein-schaftsunterkunft nicht mehr anzutreffen. Am
18.
Januar 2011
wurde er festge-nommen.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 19.
Januar 2011
auf Antrag des
Beteiligten zu 2 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet

s-tens drei Monate festgesetzt. Die gegen die Haftanordnung gerichtete [X.] hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene die Feststellung erreichen, dass die Haftanordnung und die [X.]entscheidung ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II.
Nach Ansicht des [X.] lagen die Voraussetzungen für die Anordnung der [X.] vor. Der Abschiebung habe das Beteili-gungserfordernis der St[X.]tsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 [X.] nicht ent-gegengestanden. Aus dem Haftantrag selbst oder den sich diesem beigefügten Unterlagen habe sich nicht ohne weiteres ergeben, dass gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungs-/Strafverfahren anhängig gewesen sei. Zudem sei das Einvernehmen der St[X.]tsanwaltschaft in dem Beschwerdeverfahren erteilt worden. Schließlich hätte der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Auf-enthG a.F. vorgelegen.

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III.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Die Rechtsbeschwerde ist
mit dem Feststellungsantrag ohne Zulas-sung statthaft (vgl. nur Senat, Beschluss vom 18.
August 2010 -
V
ZB
119/10,
Rnrn. 4, 5 juris). Zwar ist die Rechtsbeschwerde nach §
70 Abs. 4 FamFG aus-geschlossen gegen Entscheidungen in Verfahren, in denen über die Anord-nung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung befunden worden ist. So liegt der Fall hier jedoch nicht. Aus dem
Umstand, dass es in dem Tenor der Haftanordnung heißt, die "einstweilige Freiheitsentziehung dürfe die Dauer von drei Monaten nicht überschreiten", kann nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden,
dass das Amtsgericht eine vorläufige
Anordnung nach §
427 Abs. 1 Satz 1 FamFG getroffen hat. Zu berücksichtigen
ist, dass der Beschluss weder Feststellungen zur Frage der Notwendigkeit einer zunächst vorläufigen Regelung enthält noch die [X.] auf sechs Wochen (vgl. §
427 Abs. 1 Satz 2 FamFG) begrenzt ist. Zudem werden in den [X.] die Voraussetzungen der Abschiebungshaft abschließend fest-gestellt. Dem steht nicht entgegen, dass
die erteilte Rechtsmittelbelehrung nicht auf die Monatsfrist nach § 63 Abs. 1 FamFG hinweist, sondern auf die -
im Fall der einstweiligen Anordnung maßgebliche
-
Zwei-Wochen-Frist nach § 63 Abs.
2 Nr. 1 FamFG.
2. Auf die auch im Übrigen
zulässige

71 FamFG)
Rechtsbeschwerde ist festzustellen, dass der Betroffene durch die Haftanordnung des Amtsgerichts und durch deren Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht in seinen Rechten verletzt worden ist.
a)
Das Amtsgericht durfte die Haft nicht anordnen, weil es an einem zu-lässigen Haftantrag fehlte.
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5

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[X.])
Das Vorliegen eines zulässigen [X.] ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (Senat, Beschluss
vom 29. April 2010 -
V
ZB 218/09, [X.] 2010, 210,
211 Rn. 12;
Beschluss
vom 22. Juli 2010 -
V
ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 7). Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet werden. Notwen-dig
sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den [X.], zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbar-keit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzu-lässigkeit des [X.] (Senat, Beschluss
vom 29. April 2010 -
V
ZB 218/09, [X.] 2010, 210, 211 Rn. 14; Beschluss
vom 22. Juli 2010 -
V
ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 8).
Die Begründung des [X.] muss auf
den konkreten Fall zugeschnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht; vielmehr sollen dem Gericht durch den Antrag eine hinreichende Tatsa-chengrundlage für die Einleitung weiterer Ermittlungen bzw. für die Entschei-dung und dem Betroffenen eine Grundlage für seine Verteidigung gegeben werden (Senat, Beschluss vom 27.
Oktober 2011 -
V
ZB
311/10, Rn 13 juris). Der Inhalt und Umfang der notwendigen Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen (vgl. Senat, Beschluss vom 15. September 2011 -
V
ZB 123/11, [X.] 2011, 317 Rn. 9). Hinsichtlich der Durchführbarkeit der Ab-schiebung sind auf das Land bezogene Ausführungen erforderlich, in das der Betroffene abgeschoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende
Land üblicherweise möglich sind
(Senat, Beschluss vom 27.
Oktober 2011 -
V
ZB
311/10, Rn 13 juris).
bb) Diesen Anforderungen genügt der von dem
Beteiligten zu 2 gestellte Haftantrag nicht. Angaben zu der erfahrungsgemäß notwendigen Vorberei-tungsdauer für eine Abschiebung nach Vietnam
enthält er nicht. Die Erklärung, 8
9
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der beantragte [X.] sei erforderlich, um alle Maßnahmen (Vorführung bei der Anhörungsrunde und die anschließende Bestätigung durch die vietna-mesische Botschaft, Beantragung der [X.], Anmeldung für den Rückflug und der Rückflug selbst) zur Abschiebung vorzubereiten, ist eine uni-versell einsetzbare Leerformel, die über die Durchführbarkeit der Abschiebung im konkreten Fall nichts aussagt. Konkrete
Angaben zu dem Zeitraum, in [X.] die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können, damit der Haftrichter die Prognose nach § 62 Abs. 3
Satz 4 [X.] treffen kann, fehlen. Dies war unerlässlich, weil die frühestmögliche Vorführung des Betroffenen erst für den 30./31.
März 2011 ins Auge gefasst war.
cc)
Eine Heilung des [X.] -
mit Wirkung für die Zukunft
-
erfolgte nicht. Die beteiligte Behörde hat in dem weiteren Verfahren keine Be-gründung für die beantragte Haftdauer gegeben. Deshalb durfte das Beschwer-degericht die Haftanordnung nicht aufrechterhalten.
b)
Die
Haftanordnung hat den Betroffenen auch deshalb in seinen [X.] verletzt, weil für die Abschiebung
das Einvernehmen der St[X.]tsanwaltschaft erforderlich war. Ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, darf gemäß §
72 Abs.
4 Satz 1 [X.] nur im Einvernehmen mit der zuständigen St[X.]tsanwaltschaft abgeschoben werden.
[X.]) Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde,
dass es für die Verletzung der genannten Rechtsnorm allein auf die objektive Rechtslage ankommt und es unerheblich
ist, ob schon der Haftrichter Anhaltspunkte für eine diesbezügliche Prüfung hatte und ob es die den Antrag stellende Behörde pflichtwidrig
unter-lassen hat, in dem Haftantrag auf das schwebende Ermittlungsverfahren hinzu-weisen und -
was in einem solchen Fall ebenfalls erforderlich gewesen wäre
-
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-

7

-
die Erteilung des Einvernehmens in dem Antrag darzulegen (Senat, Beschluss
vom 29.
September 2011 -
V
ZB
173/11, NJW 2011, 3792, 3793 Rn. 4; Be-schluss
vom 12.
Mai 2011 -
V
ZB
189/10, [X.] 2011, 202 Rn. 5). Nach den
Feststellungen des [X.] waren im Zeitpunkt der Haftanordnung bei dem [X.] zwei
Strafverfahren gegen den Betroffenen an-hängig.
Die
st[X.]tsanwaltschaftlichen Zustimmungen
zu der Abschiebung [X.]n erst am 10.
März 2011 bzw. am 18.
März 2011 und damit nach der Ent-scheidung des Amtsgerichts erklärt. Damit
stand der Haftanordnung das [X.] nach §
72 Abs. 4 Satz 1 [X.] entgegen.
bb) Entgegen der Auffassung des [X.] bedeutet das zur Abschiebung notwendige Einvernehmen der St[X.]tsanwaltschaft kein zeitweili-ges Abschiebungshindernis, das ein ausreisepflichtiger Ausländer in den [X.] von § 62 Abs. 3 Satz 4 [X.] hinzunehmen hat (Senat, Beschluss vom 17.
Juni 2010 -
V
ZB
93/10, NVwZ 2010, 1574, 1575 Rn. 9). Schließlich wird
die zunächst rechtswidrige Haftanordnung
nicht bereits von der objektiven Erteilung des Einvernehmens an rechtmäßig, sondern erst dann, wenn der Betroffene dazu Stellung hat nehmen können
(Senat, Beschluss vom 29.
September 2011 -
V
ZB
173/11, NJW 2011, 3792, 3793 Rn. 4).
13
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8

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IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 [X.]. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 128c Abs. 2 [X.] in Verbindung mit § 30 [X.].
Krüger
[X.]
Schmidt-Räntsch

Brückner
Weinland

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 19.01.2011 -
63 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 24.03.2011 -
25 T 28/11 -

14

Meta

V ZB 96/11

26.01.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.01.2012, Az. V ZB 96/11 (REWIS RS 2012, 9733)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9733

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