Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.09.2015, Az. 5 AZR 626/13

5. Senat | REWIS RS 2015, 4998

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Gegenstand

Qualitative Mehrarbeit


Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 30. April 2013 - 2 [X.]/12 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Vergütung.

2

Der Kläger ist seit Dezember 2002 beim Beklagten als Zahnarzt im Gesundheitsamt angestellt. Der Arbeitsvertrag nimmt den [X.] ([X.]) und diesen ergänzende, ändernde oder ersetzende Tarifverträge in der für den Bereich der [X.] ([X.]) jeweils geltenden Fassung in Bezug. Infolge der Überleitung des Arbeitsverhältnisses vom [X.] in den [X.] wurde der Kläger im November 2007 rückwirkend zum Oktober 2005 in die [X.] 15 Erfahrungsstufe 4 des [X.] eingruppiert.

3

Der Amtsleiter des Gesundheitsamts, ein Beamter der Besoldungsgruppe A 15 [X.], wurde Ende September 2009 in den Ruhestand versetzt. Jedenfalls mit Wirkung ab Oktober 2009 übertrug der Beklagte dem Kläger die Leitung des Gesundheitsamts bis zur Neubesetzung der Planstelle des [X.] kommissarisch. Die Bemühungen des Beklagten um die Neubesetzung der [X.]telle waren erst im April 2011 erfolgreich.

4

Der Beklagte gewährte dem Kläger im Oktober 2009 einen vorzeitigen Stufenaufstieg innerhalb der [X.] 15 [X.] von Erfahrungsstufe 4 nach 5.

5

Im März und April 2010 forderte der Kläger schriftlich die Gewährung einer Zulage. Der Beklagte lehnte ab.

6

Der Kläger leistete Überstunden, die auf seinem Arbeitszeitkonto gebucht wurden. Im Juli 2011 betrug das Guthaben 220:06 Stunden, das vom Beklagten vollständig in Geld ausgeglichen wurde.

7

Der Kläger fordert für den Zeitraum August 2009 bis März 2011 zusätzliches Entgelt iHv. 126.500,00 [X.] brutto nebst Zinsen. Der Beklagte schulde eine weitere Vergütung iHv. 6.325,00 [X.] brutto monatlich, berechnet aus dem Bruttomonatsgehalt eines Sachgebietsleiters von 5.500,00 [X.] sowie einem Zuschlag iHv. 15 %. Der Kläger habe im Streitzeitraum zwei Vollzeitstellen umfassend ausgeübt. Er habe bis zu 80 Stunden pro Woche gearbeitet.

8

Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

        

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 126.500,00 [X.] brutto nebst Zinsen nach bestimmter Staffelung zu zahlen.

9

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Ein Vergütungsanspruch für eine zweite Vollzeitstelle bestehe nicht. Der Kläger sei in die höchste [X.] eingruppiert. Zudem sei er lediglich mit Teilaufgaben der Amtsleitung betraut gewesen. Weitere Tätigkeiten außerhalb der dokumentierten Überstunden seien nicht angefallen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Der Kläger verfolgt seinen [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Das [X.] hat die Berufung des [X.] gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Ein Zahlungsanspruch besteht nicht.

I. Der Klageantrag ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er ist darauf gerichtet, ein zusätzliches Gehalt für die Übertragung einer zweiten vollen Aufgabe über eine Zeit von 20 Monaten zu erhalten. Die Klage ist für den streitbefangenen Zeitraum als abschließende Gesamtklage zu verstehen (vgl. [X.] 19. März 2014 - 7 [X.] - Rn. 11, 12).

II. Die Klage ist unbegründet. Das [X.] hat einen Anspruch gestützt auf § 611 BGB iVm. dem Arbeitsvertrag sowie auf § 612 BGB - ebenso wie auf Basis von § 14 [X.], vom Kläger in der Revision nicht angegriffen - zu Recht verneint.

1. Ein Vergütungsanspruch folgt nicht aus § 611 Abs. 1 BGB. Ein zweites Arbeitsverhältnis zur Vertretung des [X.] neben dem bereits bestehenden Arbeitsverhältnis wurde nicht begründet.

a) Die Begründung eines zweiten Arbeitsverhältnisses würde den Abschluss eines entsprechenden Arbeitsvertrags erfordern. Daran fehlt es hier. In der Übertragung der kommissarischen Leitung des Gesundheitsamts zur vorübergehenden Ausübung von Amtsleitertätigkeiten kann nicht zugleich ein Angebot (= Antrag iSv. § 145 BGB) des Beklagten gesehen werden, ein zweites Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu begründen. In der bloßen Übertragung der kommissarischen Leitung liegt keine solche Willenserklärung.

b) Der Begründung eines zweiten Arbeitsverhältnisses stünde auch § 2 Abs. 2 [X.] entgegen. Der [X.] findet nach § 2 Arbeitsvertrag als der den [X.] ersetzende Tarifvertrag Anwendung. Nach § 2 Abs. 2 [X.] dürfen mehrere Arbeitsverhältnisse zu demselben Arbeitgeber nur begründet werden, wenn die jeweils übertragenen Tätigkeiten nicht in einem unmittelbaren Sachzusammenhang stehen. Andernfalls gelten sie als ein Arbeitsverhältnis. Bei Arbeitsverhältnissen zu verschiedenen Dienststellen/Betrieben ist zu vermuten, dass der geforderte Sachzusammenhang in der Regel fehlt ([X.]/[X.]/Kiefer/Lang/Langenbrinck [X.] Stand Juni 2015 [X.] § 2 Rn. 123; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.] [X.] Stand März 2015 [X.]-AT § 2 Rn. 21).

Im Streitfall wurden beide Tätigkeiten in der Dienststelle Gesundheitsamt ausgeübt. Deshalb hat das [X.] zu Recht einen unmittelbaren Sachzusammenhang der dem Kläger übertragenen Tätigkeiten iSv. § 2 Abs. 2 Satz 1 [X.] bejaht. Die diesbezüglich erhobene Gehörsrüge des [X.] wegen unterlassener Beweisaufnahme ist deshalb unerheblich.

2. Ein Vergütungsanspruch folgt nicht aus § 612 BGB.

a) Der Kläger kann einen Zahlungsanspruch wegen qualitativer Mehrarbeit nicht auf § 612 Abs. 1 BGB stützen.

aa) Nach § 612 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. § 612 Abs. 1 BGB bildet nicht nur in den Fällen, in denen überhaupt keine Vergütungsvereinbarung getroffen wurde, die Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Vergütung. Diese Bestimmung ist vielmehr auch anzuwenden, wenn über die vertraglich geschuldete Tätigkeit hinaus Sonderleistungen erbracht werden, die durch die vereinbarte Vergütung nicht abgegolten sind, und weder einzel- noch tarifvertraglich geregelt ist, wie diese Dienste zu vergüten sind (st. Rspr., [X.] 29. Januar 2003 - 5 [X.] - zu I 1 der Gründe; 6. Dezember 2006 - 5 [X.] - Rn. 16). § 612 Abs. 1 BGB umfasst neben der quantitativen auch die qualitative Mehrarbeit, also das Erbringen höherwertiger Leistungen als die vertraglich geschuldeten (st. Rspr., [X.] 25. März 2015 - 5 [X.] - Rn. 24). Denn nach § 611 Abs. 1 BGB schuldet der Arbeitnehmer für die vereinbarte Vergütung nur die vereinbarte Tätigkeit ([X.] 25. März 2015 - 5 [X.] - Rn. 20).

§ 612 BGB sieht nicht für jede Dienstleistung, die über die vertraglichen Pflichten hinaus erbracht wird, eine Vergütung vor. Vielmehr setzt die Norm stets voraus, dass die Leistung „den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist“. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jede Mehrleistung zusätzlich zu vergüten ist, gibt es jedoch nicht. Die Vergütungserwartung ist stets anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankommt ([X.] 22. Februar 2012 - 5 [X.] - Rn. 21). Sie kann sich etwa ergeben, wenn im betreffenden Wirtschaftszweig oder der betreffenden Verwaltung Tarifverträge gelten, die für eine vorübergehend und/oder vertretungsweise ausgeübte höherwertige Tätigkeit eine zusätzliche Vergütung vorsehen ([X.] 25. März 2015 - 5 [X.] - Rn. 24 f.).

Die Höhe einer solchen zusätzlichen Vergütung bemisst sich grundsätzlich nach § 612 Abs. 2 BGB. „Übliche Vergütung“ iSd. Norm ist bei einer vorübergehenden höherwertigen Vertretungstätigkeit die Vergütung, die der Vertretene üblicherweise beim in Anspruch genommenen Arbeitgeber erhält ([X.] 25. März 2015 - 5 [X.] - Rn. 28).

bb) Der Kläger war im Streitzeitraum in die höchste tarifliche [X.] eingruppiert. Er erhielt seit November 2007 Entgelt nach [X.] 15 [X.]. Deshalb wäre die „übliche Vergütung“ iSd. § 612 Abs. 2 BGB in Form der Vergütung des Vertretenen nicht höher gewesen. Eine Vergütung nach der Besoldungsgruppe A 15 in der vom [X.] bestimmten Höhe hätte nicht die vom Kläger im Streitzeitraum bezogene nach [X.] 15 [X.] überstiegen.

b) Schließlich folgt auch kein Vergütungsanspruch aus § 612 BGB wegen quantitativer Mehrarbeit. Der Kläger hat zu weiteren, vom Beklagten nicht vergüteten Überstunden keinen ausreichenden Sachvortrag geleistet.

aa) Verlangt der Arbeitnehmer Arbeitsvergütung für Überstunden, hat er darzulegen und im [X.] zu beweisen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat. Dabei genügt der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast, indem er vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat ([X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - Rn. 27, [X.]E 141, 330).

bb) Im Streitfall hat der Beklagte die vom Kläger ordnungsgemäß erfassten Überstunden unstreitig vergütet. Für darüber hinausgehende - streitige - Überstunden hat sich der Kläger pauschal auf eine [X.] berufen. Konkreten Sachvortrag zu den zeitlichen Abläufen hat er nicht geleistet. Das [X.] hat seinen Vortrag zu Recht als unschlüssig gewertet.

III. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Müller-Glöge    

        

    Weber    

        

    Volk    

        

        

        

    Dombrowsky    

        

    Zorn    

                 

Meta

5 AZR 626/13

23.09.2015

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Magdeburg, 11. April 2012, Az: 3 Ca 2206/11, Urteil

§ 611 Abs 1 BGB, § 612 Abs 1 BGB, § 612 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.09.2015, Az. 5 AZR 626/13 (REWIS RS 2015, 4998)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4998

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Wird zitiert von

3 Ca 834/15

11 Sa 597/15

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