Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 29.04.2014, Az. 2 BvR 1572/10

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2014, 6070

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zur verfassungsgerichtlichen Prüfungstiefe in Bezug auf die Handhabung der Vorlagepflicht des Art 267 Abs 3 AEUV - weder Unionsrecht noch EMRK (juris: MRK) gebieten über Willkürkontrolle hinausgehenden Prüfungsmaßstab - keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen angegriffene Entscheidungen


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine unterbliebene Vorlage an den [X.] Union.

2

1. Die Beschwerdeführerin betreibt einen Schlacht- und Zerlegebetrieb und vertreibt von mehreren Niederlassungen im [X.] aus in Kunststofffolie vakuumiert eingeschweißte Fleischteilstücke an den Lebensmitteleinzelhandel. Die Ware, die sie verarbeitet und vertreibt, bezieht sie unter anderem aus dem Königreich [X.].

3

Das [X.] [X.] stellte am 8. Oktober 2007 bei einer Kontrolle in einem Selbstbedienungswarenhaus und am 15. November 2007 bei einer Kontrolle in einer Niederlassung der Beschwerdeführerin fest, dass in sechs Fällen auf Verpackungen mit [X.] keine Füllmengenbezeichnung aufgebracht war. Bei einer weiteren Kontrolle am 26. November 2007 in einem anderen Selbstbedienungswarenhaus stellte es fest, dass bei von der Beschwerdeführerin gelieferten Verpackungen mit [X.] die angegebene [X.] von der tatsächlichen Füllmenge in einem die Toleranzwerte überschreitenden Maße nach unten abwich. Daraufhin setzte das [X.] durch [X.] vom 27. März 2008 wegen Verstoßes gegen § 19 Abs. 1 Nr. 4 [X.] in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 25 Abs. 1, § 35 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 9 der Verordnung über Fertigpackungen ([X.]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. März 1994 ([X.]) sieben Einzelgeldbußen in Höhe von jeweils 100 Euro fest.

4

2. Auf den Einspruch der Beschwerdeführerin verurteilte das Amtsgericht diese mit Beschluss vom 13. Januar 2010 wegen "fahrlässigen Verstoßes gegen § 6 [X.] in sieben Fällen" zu einer Geldbuße in Höhe von jeweils 100 Euro.

5

3. a) Gegen diesen Beschluss legte die Beschwerdeführerin Rechtsbeschwerde ein, mit der sie insbesondere geltend machte, die Ahndung ihres Verhaltens als Ordnungswidrigkeit sei ausgeschlossen, da die angewandten Vorschriften, so wie sie durch die Gerichte in [X.] ausgelegt würden, gegen vorrangiges europäisches Recht verstießen. Bei der Kennzeichnungspflicht in Bezug auf die Nettofüllmenge handele es sich um eine gemäß Art. 28 EGV (jetzt: Art. 34 A[X.]) unzulässige Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung; eine der in Art. 30 EGV (jetzt: Art. 36 A[X.]) genannten Ausnahmen sei nicht gegeben. Gegebenenfalls sei durch eine Vorlage an den [X.] Union zu klären, ob § 6 Abs. 1 [X.] gegen europäisches Recht verstoße.

6

b) Das [X.] verwarf die Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 4. Juni 2010 im Wesentlichen als offensichtlich unbegründet. Zu der in der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Frage der Vereinbarkeit der [X.] mit [X.] Recht führte es aus, dass Art. 34 A[X.] der Vorschrift des § 6 Abs. 1 [X.] in seiner Auslegung durch das Amtsgericht nicht entgegenstehe. Zwar handele es sich bei der Kennzeichnungspflicht nach § 6 Abs. 1 [X.], die eine Angabe der [X.] des Nettogewichts bei vorverpacktem Fleisch auch dann verlange, wenn das Erzeugnis nicht an den End- oder Letztverbraucher abgegeben werden solle, um eine Anforderung, die die Einfuhr derartiger Erzeugnisse aus dem Gemeinschaftsgebiet in die Bundesrepublik [X.] in gleicher Weise wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung behindern könne. Der Bestimmung des Art. 34 A[X.] stünden jedoch gemäß Art. 36 A[X.] solche Einfuhrbeschränkungen nicht entgegen, die unter anderem aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt seien, wozu nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] auch die Erfordernisse der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes zählten. Diese Ausnahmeregelung erlaube die Kennzeichnungspflichten nach § 7 Abs. 1 [X.], § 6 Abs. 1 [X.]. Eine Vorlage an den Gerichtshof sei daher nicht veranlasst.

7

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts und des [X.]s und rügt die Verletzung ihres grundrechtsgleichen Rechts auf [X.].

8

1. Im fachgerichtlichen Verfahren sei die gemeinschaftsrechtliche Frage entscheidungserheblich gewesen, ob der durch die Vorschriften der [X.] erfolgende Eingriff in die von Art. 34 A[X.] gewährleistete [X.] gerechtfertigt sei. Dies sei in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] bislang ungeklärt, weshalb das [X.] die Sache dem Gerichtshof hätte vorlegen müssen.

9

Der Prüfungsmaßstab sei im vorliegenden Fall enger zu fassen als üblich. Gebe es kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Fachgerichts, müsse über die Willkürprüfung hinausgegangen werden, da ansonsten keine richterliche Kontrolle der Entscheidung über die Vorlage gewährleistet sei. Deshalb müsse die verfassungsgerichtliche Überprüfung anhand des Maßstabes erfolgen, den das Fachgericht hätte zugrunde legen müssen, also anhand von Art. 267 Abs. 3 A[X.]. Diese Verschärfung des [X.] sei auch europarechtlich geboten und folge insoweit aus dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts. Jedenfalls aber müsse geprüft werden, ob das Fachgericht tatsächlich die Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 A[X.] angewendet oder sich - in Kenntnis der beschränkten verfassungsrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten - von vornherein auf den beschränkten Prüfungsmaßstab des [X.] zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bezogen habe. Schließlich spreche auch Art. 6 Abs. 1 [X.] für einen engeren Prüfungsmaßstab. Dieser gewährleiste ebenfalls das Recht auf [X.], insbesondere dürfe der Zugang zum Gerichtshof nicht in willkürlicher Weise versagt werden. Zudem müsse auch das Rechtsmittelverfahren dem Grundsatz des fairen Verfahrens genügen.

2. Hilfsweise beantragt die Beschwerdeführerin, das [X.] möge die Sache dem [X.] Union vorlegen, um klären zu lassen, ob es mit Art. 34 und Art. 36 A[X.] vereinbar sei, dass ein Mitgliedstaat nationale Eichvorschriften und Verpackungsvorschriften auf Transportverpackungen und Hygieneverpackungen anwende und ein als gegeben angesehenes Handelshindernis gleicher Wirkung für gerechtfertigt ansehe.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen (§ 93a Abs. 2 [X.]). Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a [X.]), da die für ihre Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen - insbesondere zur Auslegung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. [X.] 73, 339 <366 ff.>; 75, 223 <233 ff.>; 82, 159 <192 ff.>; 126, 286 <315 ff.>; 128, 157 <186 ff.>; 129, 78 <105 ff.>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, [X.], [X.] ff., Rn. 176 ff.) - bereits entschieden sind. Sie ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]), weil sie teilweise unzulässig und im Übrigen jedenfalls unbegründet ist und daher insgesamt keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>).

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts richtet. Die Beschwerdeführerin hat insoweit die Möglichkeit einer Verletzung ihres grundrechtsgleichen Rechts auf [X.] nicht hinreichend deutlich aufgezeigt (vgl. [X.] 123, 267 <329>; st[X.]pr). Zwar ist ein nationales Gericht unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 2 und 3 A[X.] von Amts wegen gehalten, den [X.] Union anzurufen, weil dieser insoweit [X.] im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist (vgl. [X.] 73, 339 <366 ff.>; 82, 159 <195>). Zur Vorlage an den [X.] Union verpflichtet sind jedoch nur letztinstanzliche Gerichte. Ein letztinstanzliches Gericht nach Art. 267 Abs. 3 A[X.] ist definitionsgemäß die letzte Instanz, vor der der Einzelne Rechte geltend machen kann, die ihm aufgrund des Unionsrechts zustehen (vgl. [X.] 126, 286 <316>).

Gegen die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts war im vorliegenden Fall das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gegeben, so dass das Amtsgericht nicht als letzte Instanz entschieden hat. Aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin wird auch nicht deutlich, weshalb das Amtsgericht zu einer Vorlage an den Gerichtshof verpflichtet gewesen und wie durch seine Entscheidung ihr Recht auf [X.] verletzt sein könnte.

2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet.

a) aa) Der [X.] Union ist [X.] im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ([X.] 73, 339 <366>; 82, 159 <192>; 126, 286 <315>; 128, 157 <186 f.>; 129, 78 <105>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, [X.], [X.], Rn. 177). Unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 A[X.] sind die nationalen Gerichte von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof anzurufen (vgl. [X.] 82, 159 <192 f.>; 128, 157 <187>; 129, 78 <105>; st[X.]pr). Kommt ein [X.] Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Gerichtshofs im Wege des [X.] daher nicht nach oder stellt es ein Vorabentscheidungsersuchen, obwohl eine Zuständigkeit des Gerichtshofs der [X.] nicht gegeben ist (vgl. [X.], Urteil des [X.] vom 24. April 2013 - 1 BvR 1215/07 -, NJW 2013, [X.] 1499 <1501>, Rn. 91; Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, [X.], [X.], Rn. 177), kann dem [X.] des Ausgangsrechtsstreits [X.] entzogen sein (vgl. [X.] 73, 339 <369>; 126, 286 <315>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, [X.], [X.], Rn. 177).

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.], Urteil vom 6. Oktober 1982, [X.]. [X.]/81, [X.], [X.]. 1982, [X.] 3415 ff., Rn. 21) muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. auch [X.] 82, 159 <193>; 128, 157 <187>; 129, 78 <105 f.>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, [X.], [X.], Rn. 178).

bb) Das [X.] beanstandet die Auslegung und Anwendung von Normen, die die gerichtliche Zuständigkeitsverteilung regeln, jedoch nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (vgl. [X.] 29, 198 <207>; 82, 159 <194>). Durch die grundrechtsähnliche Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wird das [X.] nicht zu einem Kontrollorgan, das jeden einem Gericht unterlaufenen, die Zuständigkeit des Gerichts berührenden Verfahrensfehler korrigieren müsste. Vielmehr ist das [X.] gehalten, seinerseits die [X.] zu beachten, die den Fachgerichten die Kontrolle über die Befolgung der Zuständigkeitsordnung übertragen (vgl. [X.] 82, 159 <194>).

Diese Grundsätze gelten auch für die unionsrechtliche Zuständigkeitsvorschrift des Art. 267 Abs. 3 A[X.] ([X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, Urteils-umdruck, [X.], Rn. 180). Daher stellt nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht zugleich einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. [X.] 126, 286 <315>). Das [X.] überprüft nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 A[X.] bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. [X.] 126, 286 <315 f.>; 128, 157 <187>; 129, 78 <106>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, [X.], [X.], Rn. 180). Durch die zurückgenommene verfassungsrechtliche Prüfung behalten die Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung von Unionsrecht einen Spielraum eigener Einschätzung und Beurteilung, der demjenigen bei der Handhabung einfachrechtlicher Bestimmungen der [X.] Rechtsordnung entspricht. Das [X.] wacht allein über die Einhaltung der Grenzen dieses Spielraums (vgl. [X.] 126, 286 <316> m.w.N.). Ein "oberstes Vorlagenkontrollgericht" ist es nicht (vgl. [X.] 126, 286 <316>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, [X.], [X.], Rn. 180; [X.]K 13, 506 <512>; 14, 230 <233>; 16, 328 <336>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 9. November 1987 - 2 BvR 808/82 -, NJW 1988, [X.] 1456 <1457>).

(1) Die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 A[X.] wird in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der - seiner Auffassung nach bestehenden - Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt und das Unionsrecht somit eigenständig fortbildet (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht; vgl. [X.] 82, 159 <195 f.>; 126, 286 <316 f.>; 128, 157 <187 f.>; 129, 78 <106 f.>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, [X.], [X.], Rn. 181).

(2) Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft; vgl. [X.] 82, 159 <195 f.>; 126, 286 <316 f.>; 128, 157 <187 f.>; 129, 78 <106 f.>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, Urteils-umdruck, [X.], Rn. 182).

(3) Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] hingegen noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit (Unvollständigkeit der Rechtsprechung), wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschreitet (vgl. [X.] 82, 159 <195 f.>; 126, 286 <316 f.>; 128, 157 <187 f.>; 129, 78 <106 f.>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, [X.], [X.] f., Rn. 183). Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Fachgerichte das Vorliegen eines "acte clair" oder eines "acte [X.]" willkürlich bejahen ([X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, [X.], [X.], Rn. 183).

Das Gericht muss sich daher hinsichtlich des materiellen Unionsrechts hinreichend kundig machen. Etwaige einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] muss es auswerten und seine Entscheidung hieran orientieren (vgl. [X.] 82, 159 <196>; 128, 157 <189>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, [X.], [X.], Rn. 184). Auf dieser Grundlage muss das Fachgericht unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts (vgl. [X.] 75, 223 <234>; 128, 157 <188>; 129, 78 <107>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, [X.], [X.], Rn. 184) die vertretbare Überzeugung bilden, dass die Rechtslage entweder von vornherein eindeutig ("acte clair") oder durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offen lässt ("acte [X.]"; vgl. [X.] 129, 78 <107>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, [X.], [X.], Rn. 184).

[X.] gehandhabt wird Art. 267 Abs. 3 A[X.] im Falle der Unvollständigkeit der Rechtsprechung insbesondere dann, wenn das Fachgericht eine von vornherein eindeutige oder zweifelsfrei geklärte Rechtslage ohne sachlich einleuchtende Begründung bejaht (vgl. [X.] 82, 159 <196>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, [X.], [X.], Rn. 185; zum Vorliegen eines solchen Falles, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts gegenüber der vom Gericht zugrunde gelegten Meinung eindeutig vorzuziehen sind, vgl. [X.] 82, 159 <196>; 126, 286 <317>).

cc) Ein strengerer Prüfungsmaßstab ist nicht angezeigt und wird auch weder vom [X.] noch vom [X.] des [X.] zugrunde gelegt. Zwar hat die unterschiedliche Terminologie, in die beide Senate ihr Prüfungsprogramm mitunter eingekleidet haben, in der Literatur zu der Kontroverse geführt, ob ihre Prüfungsmaßstäbe übereinstimmen (verneinend [X.], [X.], [X.] 1053 <1054>; Thüsing/Pötters/Traut, [X.], [X.] 930 <931>; Bäcker, NJW 2011, [X.] 270 <271>; Haensle, DVBl 2011, [X.] 811 <817>; Selder, [X.] 2011, [X.] 164; [X.], [X.] 2011, [X.] 808 <818 ff.; 825>; [X.], [X.], [X.] 870 <872>; [X.], NJW 2013, [X.] 1905 <1909>; [X.], [X.], [X.] 299 <301>; Herz, [X.], [X.] 769 <772>) und ob der Erste Senat von der Rechtsprechung des [X.] abgewichen ist (vgl. Klein, in: [X.]/[X.]/[X.]/ [X.]/[X.], [X.] im Recht, 2013, [X.] 425 <435>; [X.], [X.] 2011, [X.] 97 <109>). Solche Unterschiede in der praktischen Anwendung der Maßstäbe bestehen tatsächlich jedoch nicht. Beide Senate stimmen - unbeschadet zum Teil abweichender Formulierungen - in der Sache überein (vgl. [X.] 128, 157 <187 f.>; 129, 78 <107>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, Urteils-umdruck, [X.] f., Rn. 183 ff.).

Einen über die Willkürkontrolle hinausgehenden strengeren Maßstab gebieten zudem weder das Unionsrecht (1) noch die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (2).

(1) Eine unionsrechtliche Pflicht, einen Verstoß gegen Art. 267 A[X.] umfassend zu kontrollieren, besteht nicht. Art. 267 Abs. 3 A[X.] fordert kein zusätzliches Rechtsmittel zur Überprüfung der Einhaltung der Vorlagepflicht (vgl. [X.] 126, 286 <316> m.w.N.; hierzu auch [X.], Die verfassungsrechtliche Absicherung der Vorlagepflicht, 2013, [X.] 244 ff., 260 ff., 267 ff.). So hat der [X.] Union zur Reichweite des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, das ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts (vgl. [X.], Urteil vom 27. November 2001, [X.]. [X.]/99, [X.], [X.]. 2001, [X.] I-9285 ff., Rn. 45 m.w.N.) und nunmehr auch in Art. 47 [X.] verankert ist, entschieden, es sei Sache der Mitgliedstaaten, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, mit dem die Einhaltung dieses Rechts gewährleistet werden könne (vgl. [X.], Urteil vom 25. Juli 2002, [X.]. [X.]/00 P, [X.], [X.]. 2002, [X.] I-6677 ff., Rn. 41 und 45; Urteil vom 1. April 2004, [X.]. [X.]/02 P, [X.], [X.]. 2004, [X.] I-3425 ff., Rn. 31). Nichts anderes folgt aus dem [X.] oder dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 [X.]). Hiernach sind die nationalen Gerichte lediglich verpflichtet, die vorgefundenen nationalen Verfahrensvorschriften möglichst so auszulegen und anzuwenden, dass natürliche und juristische Personen die Rechtmäßigkeit jeder nationalen Entscheidung oder anderen Maßnahme, mit der eine Gemeinschaftshandlung allgemeiner Geltung auf sie angewandt wird, gerichtlich anfechten und sich dabei auf die Ungültigkeit dieser Handlung berufen können (vgl. [X.], Urteil vom 1. April 2004, [X.]. [X.]/02 P, [X.], [X.]. 2004, [X.] I-3425 ff., Rn. 32 m.w.N.; vgl. auch [X.]K 13, 506 <513 ff.>).

(2) Auch aus der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt sich nichts anderes. Die Konvention und die sie konkretisierende Rechtsprechung des [X.] sind zwar auf [X.] des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen bei der Auslegung der Grundrechte und der rechtsstaatlichen Grundsätze heranzuziehen (vgl. [X.] 128, 326 <366 ff.>). Dies gilt auch für das grundrechtsgleiche Recht auf [X.].

Die Ablehnung eines Antrags auf Vorlage einer Rechtssache an den [X.] Union kann zwar gegen die Garantie eines fairen Verfahrens verstoßen (Art. 6 Abs. 1 [X.]), dies jedoch allenfalls dann, wenn sie willkürlich ist ([X.], Entscheidung vom 1. Februar 2005, [X.]. 73711/01, Matheis ./. [X.]; Entscheidung vom 13. Februar 2007, [X.]. 15073/03, John ./. [X.], [X.], [X.] 274 <276>; Entscheidung vom 8. Dezember 2009, [X.]. 54193/07, Herma ./. [X.], NJW 2010, [X.] 3207 <3208>; Urteil vom 20. September 2011, [X.]. 3989/07, 38353/07, [X.] u. [X.]/[X.], [X.] 2012, [X.] 2149 <2150 f.>, jeweils m.w.N.). Die von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geforderte Willkürprüfung deckt sich somit mit den konventionsrechtlichen Anforderungen an ein faires Verfahren und stellt diese vollumfänglich sicher.

b) Nach diesen Maßstäben ist Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletzt. Im Rahmen der insoweit anerkannten Fallgruppen kommt allein die der Unvollständigkeit der Rechtsprechung in Betracht. Das [X.] hat Art. 267 Abs. 3 A[X.] nicht unvertretbar gehandhabt. Es hatte selbst keine Zweifel an der richtigen Beantwortung der Frage und ist in seiner Entscheidung offenkundig auch nicht bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] abgewichen.

Dass das [X.] keine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] herbeigeführt hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Unbeschadet der nicht weiter aufgeklärten Frage, ob der Anwendungsbereich der [X.] überhaupt eröffnet war, hat es sich jedenfalls mit der einschlägigen und gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] zur [X.] auseinandergesetzt und sich bei seiner Entscheidung an dieser orientiert. Es ist dabei von der Annahme ausgegangen, dass die Vorschriften der Verordnung über Fertigpackungen als Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung anzusehen, jedoch durch zwingende Erfordernisse - namentlich des Verbraucherschutzes und der Lauterkeit des Handelsverkehrs - gerechtfertigt seien. Auf dieser Grundlage hat es im [X.] an die Rechtsprechung des [X.] (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. September 2007 - 3 C 12/06 -, juris, Rn. 28 f.) in vertretbarer Weise die Überzeugung gebildet, dass die Rechtslage in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offen lässt. Der Vortrag der Beschwerdeführerin, der Gerichtshof habe die Vereinbarkeit der Verordnung über Fertigpackungen mit der [X.] noch nicht geprüft, ist nicht ausreichend, um eine eindeutig vorzugswürdige Gegenauffassung zu der vom [X.] vertretenen Rechtsansicht darzulegen.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Der Hilfsantrag der Beschwerdeführerin ist abzulehnen, weil die von ihr formulierte Vorlagefrage für die Entscheidung über die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht erheblich ist.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1572/10

29.04.2014

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Koblenz, 4. Juni 2010, Az: 2 SsBs 54/10, Beschluss

Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 90 Abs 1 BVerfGG, Art 34 AEUV, Art 36 AEUV, Art 267 Abs 3 AEUV, § 6 Abs 1 FertigPackV, Art 6 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 29.04.2014, Az. 2 BvR 1572/10 (REWIS RS 2014, 6070)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6070

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