Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.11.2013, Az. 10 AZR 1058/12

10. Senat | REWIS RS 2013, 1172

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sonderzahlung - Dachdeckerhandwerk - Rückwirkung einer Allgemeinverbindlicherklärung


Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 12. Oktober 2012 - 14 Sa 1494/11 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Höhe der Sonderzahlung für das [X.].

2

Die Beklagte betreibt ein Unternehmen des [X.]. Der Kläger ist seit dem 1. Juni 2007 für die Beklagte tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der seit dem 1. Juli 2003 allgemeinverbindliche Tarifvertrag über die Gewährung eines Teils eines 13. [X.] für gewerbliche Arbeitnehmer im Dachdeckerhandwerk vom 12. Juni 1992 Anwendung. Dieser enthielt in der Fassung des [X.] vom 21. August 2003 (TV 13. ME 2003) nachstehende Regelungen:

§ 3

Vollanspruch

1. Jeder Arbeitnehmer, dessen Beschäftigungsverhältnis im Dachdeckerhandwerk am 30. November des laufenden Kalenderjahres 12 Monate ununterbrochen besteht, hat Anspruch auf Zahlung eines vollen Teiles eines 13. [X.].

§ 4

Höhe des Anspruchs

Die Höhe des Anspruchs beträgt das Fünfundsiebzigfache des effektiven Bruttodurchschnittsstundenlohnes gemäß § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages über das Verfahren für den Lohnausgleich, die Zusatzversorgung, die Gewährung eines Teiles eines 13. [X.] und des Beitragseinzugs für die Berufsbildung im Dachdeckerhandwerk, für das Beitrittsgebiet nach dem Einigungsvertrag das Fünfundsechzigfache.

§ 5

Fälligkeit und Auszahlung

Die Zahlung wird fällig mit der Lohnabrechnung für den Monat November.

§ 6

Teilansprüche

1. Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis im Dachdeckerhandwerk am 30. November mindestens ununterbrochen 3 Monate besteht, haben Anspruch auf 1/12 des in § 3 genannten Betrages für jeden [X.]. Als [X.] gilt jeder Monat, in dem das Beschäftigungsverhältnis wenigstens 12 Arbeitstage bestand. Samstage gelten nicht als Arbeitstage.

2. Dem ohne eigene Veranlassung nach mindestens dreimonatiger ununterbrochener Beschäftigung aus dem Dachdeckerhandwerk ausscheidenden Arbeitnehmer (z. B. betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers, Verrentung, Grundwehr- oder Ersatzdienst) stehen so viele 1/12 des [X.] zu, wie er im Bemessungszeitraum im Betrieb beschäftigt war.

Der [X.] ist beim Ausscheiden fällig.

3. Sofern bereits gemäß Ziffer 1 und 2 entstandene Ansprüche im laufenden Kalenderjahr abgewickelt worden sind, werden diese auf die weiteren Teilleistungen angerechnet.

…“

3

Am 15. Juli 2010 schlossen die Tarifvertragsparteien einen weiteren Änderungstarifvertrag (TV 13. ME 2010) mit folgenden Änderungen der Sonderzahlung:

§ 3

Vollanspruch

1. Jeder Arbeitnehmer, dessen Beschäftigungsverhältnis im Dachdeckerhandwerk am 30. November des laufenden Kalenderjahres 12 Monate ununterbrochen besteht, hat Anspruch auf Zahlung eines vollen Teiles eines 13. [X.] sowie eines [X.] zur Finanzierung von Altersvorsorgeleistungen im Sinne des § 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung ([X.]).

§ 4

Höhe des Anspruchs

Die Höhe des Anspruchs auf einen vollen Teil eines 13. [X.] beträgt das Fünfzigfache des effektiven Bruttodurchschnittsstundenlohnes gemäß § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages über die Sozialkassenverfahren im Dachdeckerhandwerk ([X.]), für das Beitrittsgebiet nach dem Einigungsvertrag das [X.]. Die Höhe des [X.] zur Finanzierung der Altersversorgung beträgt für alle Arbeitnehmer das Dreiunddreißigfache des effektiven Bruttodurchschnittsstundenlohnes gemäß § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages über die Sozialkassenverfahren im [X.]

…“

4

Auf Antrag der Tarifvertragsparteien vom 21. September 2010 ([X.] 147/2010 S. 3275) wurde der TV 13. ME 2010 in der Sitzung des Tarifausschusses beim [X.] am 25. Oktober 2010 mit Wirkung zum 1. Januar 2010 für allgemeinverbindlich erklärt. Die geänderten Regelungen wurden Mitte November 2010 in der Zeitschrift „[X.]“ veröffentlicht. Die Allgemeinverbindlicherklärung wurde am 22. Februar 2011 im [X.] 29/2011 bekannt gemacht. Die Satzung der Zusatzversorgungskasse des [X.] VVaG zur individuellen betrieblichen Altersversorgung wurde am 28. Februar 2011 beschlossen und am 28. März 2011 durch die [X.] genehmigt.

5

Die Beklagte zahlte dem Kläger mit der Abrechnung für November 2010 entsprechend der Neuregelung das Fünfzigfache und an die [X.] des [X.] das Dreiunddreißigfache des effektiven Bruttodurchschnittsstundenlohns.

6

Der Kläger hat eine private Rentenversicherung mit Lebensversicherung, einen Bausparvertrag und eine Unfallversicherung abgeschlossen und in der Vergangenheit die Beiträge aus der Sonderzahlung bedient.

7

Der Kläger begehrt die Zahlung weiterer 25 Stundenlöhne. Sein Anspruch auf Sonderzahlung für das [X.] richte sich nach dem TV 13. ME 2003. Den Anspruch habe er im [X.] ratierlich erworben, dieser habe nicht rückwirkend durch Tarifvertrag gekürzt werden können. Die verpflichtende Teilnahme an der tariflichen Zusatzversorgung stelle zudem wegen seiner individuellen Vorsorge eine unbillige Härte dar.

8

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 481,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Dezember 2010 zu zahlen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.

I. Der Kläger hat Anspruch auf eine Sonderzahlung für das [X.] in Höhe des fünfzigfachen [X.] nach §§ 3, 4 [X.] 13. [X.], den die Beklagte erfüllt hat.

1. Der Anspruch des [X.] auf die Sonderzahlung für das [X.] ist am 30. November 2010 entstanden.

a) Nach § 3 [X.] 13. ME 2003 wie auch nach § 3 [X.] 13. [X.] setzt der Anspruch auf Zahlung des vollen Teils eines 13. [X.] voraus, dass am 30. November des laufenden Kalenderjahres ein Beschäftigungsverhältnis im Dachdeckerhandwerk zwölf Monate ununterbrochen bestanden hat; Teilansprüche können vor diesem Stichtag nach § 6 Abs. 2 [X.] 13. ME 2003/2010 nur bei bestimmten, vom Arbeitnehmer nicht zu vertretenden Beendigungstatbeständen entstehen. Der Anspruch auf Sonderzahlung entsteht in einem bestehenden Arbeitsverhältnis somit erst am Stichtag und nicht ratierlich im laufenden Jahr.

b) Das Beschäftigungsverhältnis des [X.] im Dachdeckerhandwerk bestand am 30. November 2010 ununterbrochen zwölf Monate, damit entstand der Anspruch zu diesem Zeitpunkt.

2. Der [X.] 13. ME 2003 ist durch den allgemeinverbindlichen [X.] 13. [X.] rechtswirksam abgelöst worden, Ansprüche des [X.] auf Sonderzahlung für das [X.] haben sich nach diesem Tarifvertrag gerichtet.

a) Nachdem der [X.] 13. [X.] am 15. Juli 2010 vereinbart worden war, galt er für die nach § 3 Abs. 1 [X.] tarifgebundenen Mitglieder der Tarifvertragsparteien unmittelbar und löste den [X.] 13. ME 2003 ab. Für Nichttarifgebundene galt der [X.] 13. ME 2003 mangels tariflicher Geltung ab diesem Zeitpunkt nicht mehr kraft Allgemeinverbindlichkeit nach § 5 Abs. 4 [X.], sondern nur noch kraft Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 [X.] ([X.] 8. November 2006 - 4 [X.] - Rn. 16, [X.]E 120, 84; 17. Januar 2006 - 9 [X.] - Rn. 20, 22; [X.]E 116, 366). Diese kann durch eine andere Abmachung beendet werden; eine solche liegt bei [X.] aber nicht bereits mit Inkrafttreten des ablösenden Tarifvertrags vor, weil dieser auf das Arbeitsverhältnis auch zur Anwendung kommen muss ([X.] 17. Januar 2006 - 9 [X.] - Rn. 24, aaO). Die Nachwirkung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags endet erst, wenn der ablösende Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird. Dies setzt nach § 5 Abs. 7 [X.] die öffentliche Bekanntmachung voraus ([X.]/Rieble [X.] 3. Aufl. § 5 Rn. 207; [X.]/Lakies [X.] 3. Aufl. § 5 Rn. 199). Zum Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs auf die tarifliche Sonderzahlung wirkte der [X.] 13. ME 2003 somit noch nach, weil die Allgemeinverbindlicherklärung des [X.] 13. [X.] erst zu einem späteren Zeitpunkt im [X.] öffentlich bekannt gemacht wurde.

b) Die rückwirkende Allgemeinverbindlicherklärung des [X.] 13. ME 2010 ist rechtswirksam.

aa) Bei der Rückwirkung von Allgemeinverbindlicherklärungen sind die Grundsätze über die Rückwirkung von Gesetzen, wie sie in der Rechtsprechung des [X.] entwickelt worden sind, entsprechend anzuwenden ([X.] 25. September 1996 - 4 [X.] - zu I 2.6.1 der Gründe mwN, [X.]E 84, 147). Die Rückwirkung einer Allgemeinverbindlicherklärung verletzt nicht die vom Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) umfassten Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, soweit die Betroffenen mit ihr rechnen müssen ([X.] 20. März 2013 - 10 [X.] - Rn. 19; 21. August 2007 - 3 [X.] - Rn. 27, [X.]E 124, 1). Ein solcher Fall liegt vor, wenn ein Tarifvertrag rückwirkend für allgemeinverbindlich erklärt wird, der einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag erneuert oder ändert. Bei dieser Sachlage müssen die [X.] nicht nur mit einer Allgemeinverbindlicherklärung des Nachfolgetarifvertrags, sondern auch mit der Rückbeziehung der Allgemeinverbindlicherklärung auf den Zeitpunkt seines Inkrafttretens rechnen (st. Rspr., [X.] 20. März 2013 - 10 [X.] - Rn. 20; 21. August 2007 - 3 [X.] - Rn. 27, aaO).

bb) Im Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs war der ablösende [X.] 13. ME 2010 in [X.] und erfasste bereits die Arbeitsverhältnisse der Mitglieder der Tarifvertragsparteien. Die die [X.] betreffende Allgemeinverbindlichkeit war durch den [X.] beschlossen, die geänderten Regelungen waren sogar öffentlich bekannt gemacht worden. Ein Vertrauen in den unveränderten Fortbestand der Ansprüche nach §§ 3, 4 [X.] 13. ME 2003 bestand bei den [X.] im Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs deshalb nicht; die Tarifvertragsparteien haben mit dem am 15. Juli 2010 vereinbarten [X.] 13. ME 2010 auch nicht nachträglich in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingegriffen (sog. echte Rückwirkung; vgl. [X.] 13. Mai 1986 - 1 [X.] - zu [X.] 1 der Gründe, [X.]E 72, 175).

cc) Dass der Kläger anderweitig privat vorgesorgt hat, ist unerheblich. Tarifvertragsparteien sind regelmäßig nicht gehalten, individuelle Besonderheiten bei tariflichen Regelungen zu berücksichtigen. Der Kläger konnte auch nicht davon ausgehen, dass der tariflich bestimmte Anspruch auf eine Sonderzahlung auf Dauer unverändert bleiben würde. Soweit bei älteren Arbeitnehmern nur eine verhältnismäßig geringe Altersversorgung aus dem Arbeitgeberbeitrag zu erwarten ist, muss das hingenommen werden; auch diese Versorgungsleistung ist nicht wertlos, sondern entspricht dem tariflichen Arbeitgeberbeitrag.

dd) Ebenso kommt es nicht darauf an, dass die Satzung der Zusatzversorgungskasse erst 2011 in [X.] gesetzt wurde. Der tarifliche Anspruch ist nicht unter den Vorbehalt einer bestimmten Satzungslage gestellt worden.

II. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Mikosch    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Mestwerdt    

        

        

        

    R. Baschnagel    

        

    U. Petri    

                 

Meta

10 AZR 1058/12

13.11.2013

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Frankfurt, 28. Juli 2011, Az: 3 Ca 1124/11, Urteil

§ 1 TVG, § 5 Abs 4 TVG, § 5 Abs 5 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.11.2013, Az. 10 AZR 1058/12 (REWIS RS 2013, 1172)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1172

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

9 AZR 531/09 (Bundesarbeitsgericht)

Dachdeckerhandwerk - tarifliches Urlaubsgeld - § 38 Ziff 4 Abs 1 S 2 RTV Dachdeckerhandwerk


1 AZR 806/13 (Bundesarbeitsgericht)

Tariföffnungsklausel - Freiwillige Betriebsvereinbarung - Nachwirkung - Betriebliche Übung


10 AZR 573/18 (Bundesarbeitsgericht)

Gemeinsame Einrichtungen - tarifliche Regelungsmacht - Bäckerhandwerk


9 Sa 424/05 (Landesarbeitsgericht Düsseldorf)


4 AZR 517/15 (Bundesarbeitsgericht)

Bestimmtheit eines Feststellungsantrags - Anwendbarkeit von Tarifverträgen des Einzelhandels Nordrhein-Westfalen durch Verweisungsklausel


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.