Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.06.2010, Az. II B 154/09

2. Senat | REWIS RS 2010, 6029

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Gegenstand

Aussetzung des Klageverfahrens wegen des Verfahrens vor dem BVerfG zum SolZG 2007


Leitsatz

NV: Ein Klageverfahren, in dem die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags zur Einkommensteuer für 2007 streitig ist, ist nach § 74 FGO auszusetzen, bis das BVerfG in dem Verfahren 2 BvL 3/10 über den Vorlagebeschuss des Niedersächsischen FG vom 25. November 2009 7 K 143/08 entschieden hat.

Gründe

1

Die Beschwerde des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt --[X.]--) ist begründet. Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts ([X.]) war das Klageverfahren nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim Niedersächsischen [X.] anhängigen Verfahrens 7 [X.], in dem ebenfalls  --wie im [X.] die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags zur Einkommensteuer für das Kalenderjahr 2007 streitig ist, auszusetzen. Das beim [X.] anhängige Klageverfahren ist nur so lange auszusetzen, bis das [X.] ([X.]) in dem Verfahren 2 BvL 3/10 über den Vorlagebeschluss des Niedersächsischen [X.] vom 25. November 2009  7 [X.] entschieden hat. Im Hinblick auf dieses beim [X.] anhängige Verfahren sind die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Klageverfahrens erfüllt.

2

1. Nach § 74 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) kann das Gericht die Aussetzung des Verfahrens u.a. dann anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet.

3

Für eine Aussetzung des Verfahrens ist danach erforderlich, dass das andere Verfahren zumindest in bestimmter Weise rechtlich vorgreifend für das anhängige Verfahren ist. Das ist nicht der Fall, wenn in einem finanzgerichtlichen Verfahren nur dieselbe Rechtsfrage streitig ist. Eine mit § 31 Abs. 2 des Gesetzes über das [X.] ([X.]G) vergleichbare rechtliche Bindung tritt durch [X.] nicht ein (vgl. Beschlüsse des [X.] --[X.]-- vom 6. Mai 2005 XI B 181/04, [X.] 2005, 1607, und vom 21. Dezember 2007 [X.], [X.] 2008, 940). Die Entscheidung in dem Verfahren vor einem anderen [X.] bindet nur die dortigen Beteiligten (§ 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]O).

4

Das streitige Klageverfahren war daher nicht im Hinblick auf das beim Niedersächsischen [X.] anhängige Verfahren 7 [X.] auszusetzen, obwohl dieses ebenfalls --wie das streitige [X.] die Frage betrifft, ob der festgesetzte Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2007 verfassungsgemäß ist. Eine Aussetzung des Verfahrens ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil nach den Verwaltungsanweisungen in den meisten Bundesländern die Einsprüche insoweit nach § 363 Abs. 2 der Abgabenordnung [X.]) ruhen können. Die Voraussetzungen für das Ruhen des [X.] nach § 363 Abs. 2 [X.] unterscheiden sich grundlegend von denen der Aussetzung des Klageverfahrens nach § 74 [X.]O bzw. der vergleichbaren Aussetzung des [X.] nach § 363 Abs. 1 [X.]. Die Finanzbehörde kann das Einspruchsverfahren u.a. mit Zustimmung des Einspruchsführers ruhen lassen, wenn das aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint (§ 363 Abs. 2 Satz 1 [X.]). Hierfür ist --im Gegensatz zu § 74 [X.]O-- eine vorgreifliche Entscheidung bzw. Feststellung nicht erforderlich.

5

Da das [X.] von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war seine Entscheidung aufzuheben.

6

2. Eine Aussetzung des Klageverfahrens ist jedoch im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass nunmehr zur Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes ([X.]) 1995 in der für das Streitjahr 2007 geltenden Fassung das Verfahren 2 BvL 3/10 beim [X.] anhängig ist.

7

a) Unerheblich ist insoweit, dass die Voraussetzungen für die Aussetzung des Verfahrens noch nicht vorgelegen haben, als das [X.] den angefochtenen Beschluss erlassen hat, sondern diese erst danach eingetreten sind. Denn für die Beurteilung der Verfahrensaussetzung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung maßgebend (vgl. [X.] vom 27. November 1992 [X.]/91, [X.], 498, [X.] 1993, 240).

8

b) Das Klageverfahren kann nach der Rechtsprechung des [X.] auszusetzen sein, wenn vor dem [X.] ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim [X.] anhängigen Verfahrens hat ([X.]-Beschlüsse vom 25. August 1993 [X.], [X.]E 171, 412, [X.] 1993, 797; vom 30. April 1996 III R 211/90, [X.] 1997, 23; vom 6. Oktober 2004 [X.]/03, [X.] 2005, 238).

9

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Dem [X.] liegt unter dem Aktenzeichen 2 BvL 3/10 ein Normenkontrollverfahren vor, dem der Vorlagebeschluss des Niedersächsischen [X.] vom 25. November 2009  7 [X.] zugrunde liegt. In diesem Beschluss hält das vorlegende [X.] das [X.] 1995 in der für das Streitjahr 2007 geltenden Fassung für verfassungswidrig, weil sich der Gesetzgeber nicht an die vom Verfassungsgeber gesetzten Regeln der Finanzverfassung gehalten habe. Das Normenkontrollverfahren ist anhängig, sobald der Vorlagebeschluss als der das Verfahren einleitende Antrag i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 [X.]G dem [X.] zugeht (vgl. [X.]/[X.], [X.]G, [X.]., 5. Aufl., § 23 Rz 7). Für die Anhängigkeit eines konkreten [X.] ist entgegen der Auffassung des [X.] nicht erforderlich, dass das Verfahren zur Entscheidung angenommen wird. Nach den §§ 80 ff. [X.]G ist für den Vorlagebeschluss i.S. des § 13 Nr. 11 [X.]G i.V.m. Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes --anders als bei einer Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs. 1 [X.]G-- eine Annahme zur Entscheidung überhaupt nicht vorgesehen. Ein berechtigtes Interesse an einer Entscheidung des [X.] über den im Streitfall festgesetzten Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2007 vor Abschluss des [X.] vor dem [X.] hat das [X.] nicht dargelegt.

Meta

II B 154/09

09.06.2010

Bundesfinanzhof 2. Senat

Beschluss

vorgehend FG Köln, 11. September 2009, Az: 10 K 2709/09, Beschluss

§ 74 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.06.2010, Az. II B 154/09 (REWIS RS 2010, 6029)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6029

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