Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.05.2012, Az. V ZB 51/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 5922

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
[X.] 51/11
vom

31.
Mai 2012

in der Abschiebungshaftsache

-
2
-

Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 31. Mai 2012 durch den [X.] Richter Prof.
Dr.
Krüger, die Richterin [X.], [X.] Czub und die Richterinnen Dr. Brückner und [X.]
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 11. Zivilkammer des [X.] vom
24. Februar
2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als er zu dessen Nachteil ergangen ist.
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 16.
Dezember 2010 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechen-den Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der [X.] auferlegt.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

Gründe:
I.
Der Betroffene, ein guineischer Staatsangehöriger, reiste am 16. [X.] mit einem Bus aus den [X.] kommend in das Bundes-gebiet ein. Bei einer Überprüfung in Grenznähe durch Beamte der Beteiligten zu 2 ([X.]) wurde der Betroffene, der weder über einen gültigen Rei-1
-
3
-

sepass noch über einen Titel für den Aufenthalt im [X.] verfügte, [X.].
Eine Eurodac-Abfrage anhand der Fingerabdrücke ergab, dass der Be-troffene im Jahre 2007 in [X.] und im Jahre 2010 in der [X.] gestellt hatte.
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht Haft für drei Monate (vom 16. Dezember 2010 bis zum 15. März 2011) zur Sicherung einer Zurück-schiebung des Betroffenen nach [X.] gemäß Art. 16 der
Verordnung ([X.]) Nr.
343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 ([X.] II-Verordnung)
[X.]. Der Betroffene hat in der Haft einen Antrag auf Gewährung von Asyl durch die [X.] gestellt. Gegen die Haftanordnung hat der Betroffene Beschwerde eingelegt, die sich in der Hauptsache durch seine Haftentlassung am 19. Januar 2011 erledigt hat. Diese ist vor dem Hintergrund erfolgt, dass das [X.] mit Schreiben vom 13. Januar 2011 (AZ M I 5

125 470-8 GRC)
das [X.] angewiesen hat, vorläufig bis zum 13. Januar 2012 in Fällen der Überstellung nach [X.] von dem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 [X.]
II-Verordnung Gebrauch zu machen und die Betroffenen nicht nach [X.] zu überstellen.
Dem Feststellungsantrag des Betroffenen hat das Beschwerdegericht nur insoweit stattgegeben, als es festgestellt hat, dass die Inhaftierung über den 13. Januar 2011 hinaus den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Den weitergehenden Feststellungsantrag hat es zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
2
3
4
-
4
-

II.
Das Beschwerdegericht meint, dass nur die weitere Inhaftierung nach dem 13.
Januar 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt habe; Anord-nung und Vollzug der Haft bis zu diesem Zeitpunkt seien dagegen rechtmäßig gewesen.
Die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung habe angeordnet werden dürfen, weil der Betroffene unerlaubt in das [X.] eingereist sei und auch nicht glaubhaft gemacht habe, dass er sich einer Zurückschiebung nicht entziehen wolle. Die Anordnung einer Haftdauer von drei Monaten sei [X.] gewesen, da bekannt sei, dass [X.] nach [X.] die-sen Zeitraum in Anspruch nehmen könnten.
Es liege auch kein relevanter Verstoß gegen § 72 Abs. 4 Satz 1
[X.] vor. Die zuständige Staatsanwaltschaft habe am 4. Januar 2011 ihr Einvernehmen mit der Zurückschiebung erklärt. Eine anderslautende Erklärung habe sie auch nicht abgeben können, da es für
die Staatsanwaltschaft nach der illegalen Einreise des Betroffenen keinen Ermessenspielraum gegeben habe, ausländerrechtliche Maßnahmen zu verhindern. Der Erlass eines Untersu-chungshaftbefehls wäre unverhältnismäßig gewesen. Angesichts der eindeuti-gen Sachlage wäre die Beteiligte zu 2 nur dann verpflichtet gewesen, sofort die Zustimmung der Staatsanwaltschaft einzuholen, wenn Anhaltspunkte vorgele-gen hätten, dass der Zurückschiebung strafprozessuale Maßnahmen entge-genstehen könnten, was hier nicht der Fall
gewesen sei.
III.
1. Die Rechtsbeschwerde mit dem Feststellungsantrag analog § 62 [X.] ist ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthaft (vgl. Senat, 5
6
7
8
-
5
-

Beschluss vom 29. April 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 359, 360). Daran ändert es nichts, dass bereits das Beschwerdegericht über den [X.] entschieden hat und im Rechtsbeschwerdeverfahren die Überprüfung dieser Entscheidung verlangt wird (Senat, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 -
V [X.], [X.] 2011, 27 Rn. 4; vom 28. April 2011 -
V [X.], Rn.
9, juris und vom 6. Oktober 2011

[X.] 314/10, [X.] 2012, 44 Rn. 5). Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist in diesem Fall die Entscheidung des [X.], wobei inzident auch die Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung zu prüfen ist (Senatsbeschluss vom 22. Juli 2010

V [X.], aaO).
2. Das im Übrigen gemäß § 71 FamFG form-
und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
Die Entscheidung des [X.] ist rechtsfehlerhaft. Dem Feststellungsantrag ist insgesamt stattzugegeben. Der Betroffene ist bereits durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden, da die Haft zur Sicherung seiner Zurückschiebung schon wegen Fehlens eines den [X.] in § 417 Abs. 2 FamFG entsprechenden [X.] nicht hätte angeordnet werden dürfen.
a) Das Vorliegen eines zulässigen [X.] ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur,
wenn er den gesetzlichen Anforde-rungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§
417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Fehlt es [X.], darf die beantragte [X.] nicht angeordnet werden (Senat, [X.] vom 27. Oktober 2011 -
[X.] 311/10, Rn. 12 mwN, juris; Beschluss vom 15. September 2011 -
[X.] 123/11, Rn. 8 mwN, juris).
9
10
11
-
6
-

b) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht
einen Verstoß gegen § 417 Abs.
2 Satz 2 Nr. 5 FamFG. Danach hat die Begründung des [X.] die Tatsachen zur Durchführbarkeit der Abschiebung zu enthalten.
aa) Dazu ist -
wenn sich aus dem Haftantrag oder den beigefügten [X.] ergibt, dass gegen den Ausländer ein strafrechtliches Ermittlungsver-fahren eingeleitet worden ist
-
auszuführen, dass die zuständige [X.] ihr Einvernehmen mit der Abschiebung
des Ausländers
gemäß § 72 Abs.
4 Satz 1 [X.] erteilt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Februar 2011

[X.] 224/10, [X.] 2011, 148, 149 Rn.
7). Ohne das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft darf die [X.] nicht angeordnet werden. Das [X.] entsprechender Ausführungen führt zur Unzulässigkeit des [X.] (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 20. Januar 2011 -
[X.] 226/10, [X.] 2011, 144 Rn. 9; vom 3. Februar 2011 -
[X.] 224/10, [X.] 2011, 148 ff. und vom 29.
September 2011 -
[X.] 61/11, Rn.
5, juris

std.
Rspr.). Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft ist auch dann erforderlich, wenn -
wie hier -
der [X.] nach unerlaubter Einreise zurückgeschoben werden soll (Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011 -
[X.] 202/10, [X.] 2011, 146 Rn. 13 ff.).
bb) Danach war der Haftantrag unzulässig, da sich aus den beigefügten Unterlagen die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Betroffenen ergab, weil die Beteiligte zu 2 Strafanzeige wegen des [X.] einer Straftat nach §
95 Abs. 1 Nr. 3 [X.] (unerlaubte Einreise in das [X.]) gestellt und den Betroffenen als Beschuldigten vernommen hatte.
Grundsätzlich verfehlt ist die auf die Ausführungen der Beteiligten zu 2 gestützte Begründung des [X.], dass allenfalls ein für die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung irrelevanter Verstoß gegen § 72 Abs. 4 Satz
1 [X.] vorliege, weil die Staatsanwaltschaft bei der vorliegenden 12
13
14
15
-
7
-

Sachlage nichts anderes als ihr Einvernehmen zur Zurückschiebung habe er-klären können. Maßstab für die Zulässigkeit des Eingriffs in das Freiheitsgrund-recht des Ausländers ist allein die Gesetzeslage, die in § 74 Abs. 1 Satz
1 Auf-enthG das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft vorschreibt (vgl. Senat, [X.] vom 3. Februar 2011 -
[X.] 224/10, [X.] 2011, 148, 150 Rn. 17). Die Erteilung des Einvernehmens bedeutet eine Entscheidung der zuständigen Staatsanwaltschaft, welche diese nach pflichtgemäßen Ermessen zu treffen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Juni 2010 -
[X.] 93/10, NVwZ 2010, 1574 Rn.
9). Dem Haftrichter ist es schon wegen der aus Art.
104 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden strikten Gesetzesbindung jeder Freiheitsentziehung untersagt, nach Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Betroffenen [X.] nach § 62 [X.] anzuordnen, solange die zuständige Staatsanwaltschaft der von der Ausländerbehörde beabsichtigten Maßnahme nicht zugestimmt hat.
cc) Für die Entscheidung ist es auch ohne Bedeutung, dass der [X.] noch vor der Entscheidung des
[X.] Kenntnis von der am 4. Januar 2011 von der Staatsanwaltschaft gegenüber der Beteiligten zu 2 erteilten Zustimmung zu einer Zurückschiebung des [X.] erhielt. Das im Beschwerdeverfahren erteilte Einvernehmen der Staatsan-waltschaft kann allerdings dazu führen, dass der Haftantrag (ex nunc) zulässig wird, wenn die Behörde ihr Vorbringen im Hinblick auf das (nunmehr) vorlie-gende Einvernehmen der Staatsanwaltschaft ergänzt und der Betroffene ge-genüber dem Beschwerdegericht dazu Stellung nehmen kann (Senat, [X.] vom 29. April 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 359, 360; vom 21.
Oktober 2010 -
[X.] 96/10 Rn. 13, juris; vom 3. Mai 2011

[X.], Rn.
11, juris und vom 29. September 2011 -

[X.] 61/11, Rn. 8, juris

std. Rspr.).
16
-
8
-

Darauf kommt es in diesem Fall jedoch deshalb nicht an, weil ausweis-lich der Verfügung des Berichterstatters die Akten (einschließlich der Strafakte, in der sich der Vermerk über die Mitteilung des Einverständnisses der [X.] befand) erst am 13. Januar 2011 an den [X.] mit einer Frist zur Stellungnahme übersandt wurden, von diesem Zeitpunkt an jedoch ein weiterer Vollzug der Haft -
wie von dem Beschwerdegericht fest-gestellt -
schon auf Grund des sich aus dem Schreiben des Bundesministeri-ums des Innern über die Aussetzung von [X.] nach [X.] ergebenden Abschiebungshindernisses rechtswidrig war.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430
FamFG, §
128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 [X.] entspricht es billigem Ermessen, die [X.] zur Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.

Krüger

Stresemann

Czub

Brückner

[X.]

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 16.12.2010 -
11 XIV 4436 B -

LG Osnabrück, Entscheidung vom 24.02.2011 -
11 [X.] (1) -

17
18

Meta

V ZB 51/11

31.05.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.05.2012, Az. V ZB 51/11 (REWIS RS 2012, 5922)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5922

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V ZB 295/10 (Bundesgerichtshof)


V ZB 20/12 (Bundesgerichtshof)

Zurückschiebungshaftsache: Rechtswidrigkeitsfeststellung für die Haftanordnung bei Heilung eines Begründungsmangels des Haftantrags in der Beschwerdeinstanz; notwendige …


V ZB 190/11 (Bundesgerichtshof)


V ZB 80/11 (Bundesgerichtshof)


V ZB 292/10 (Bundesgerichtshof)

Freiheitsentziehungsverfahren: Statthaftigkeit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde mit dem Ziel, die Rechtsverletzung des Betroffenen durch die Zurückweisung …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.