Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 21.04.2020, Az. 2 BvQ 21/20

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2020, 2745

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Ablehnung des Erlasses einer isoliert beantragten eA zur Aufhebung eines Auslieferungshaftbefehls - Folgenabwägung


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

Der Antragsteller, um dessen Auslieferung von den [X.] ersucht wird und der sich seit dem 23. September 2019 in Haft befindet, beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung den [X.] aufzuheben, hilfsweise, dessen Vollziehung auszusetzen. Über die Zulässigkeit der Auslieferung ist wegen ausstehender Informationen beziehungsweise Zusicherungen der [X.] Behörden noch nicht entschieden worden.

2

Der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung steht eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht entgegen. Eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache ist anzunehmen, wenn der beantragte Inhalt der einstweiligen Anordnung und das Rechtsschutzziel in der Hauptsache, wenn nicht deckungsgleich, so doch zumindest vergleichbar sind, wenn also die stattgebende einstweilige Anordnung mit dem Zeitpunkt ihres Erlasses einen Zustand in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu verwirklichen erlaubt, der erst durch die zeitlich spätere Entscheidung in der Hauptsache hergestellt werden soll (vgl. [X.] 147, 39 <47>). Allerdings steht eine Vorwegnahme der Hauptsache der Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dann nicht entgegen, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise zu spät käme, dem Antragsteller in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte (vgl. [X.] 34, 160 <162 f.>; 67, 149 <151>; 108, 34 <40>; 130, 367 <369>) oder ihm ein schwerer, nicht wiedergutzumachender Nachteil entstünde (vgl. [X.] 147, 39 <48>). Ob der durch die fortdauernde Auslieferungshaft gewichtige Eingriff in das Recht auf Freiheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 GG per se einen solchen schweren, nicht wiedergutzumachenden Nachteil darstellt (vgl. etwa [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 14. Januar 2000 - 2 BvR 66/00 -, Rn. 12), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Der Antrag auf einstweilige Anordnung hat, selbst wenn man von einer zulässigen (Teil-)Vorwegnahme der Hauptsache wegen des nicht wiedergutzumachenden Nachteils des persönlichen Freiheitsentzugs ausgeht, jedenfalls im Rahmen der Folgenabwägung keine Aussicht auf Erfolg.

3

Nach § 32 Abs. 1 [X.]G in Verbindung mit § 93d Abs. 2 [X.]G kann die Kammer im [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 88, 25 <35>; 89, 109 <110 f.>; 121, 1 < 14 f.>; 122, 63 <74>; 132, 195 <232>; stRspr).

4

Die angekündigte, noch einzulegende Verfassungsbeschwerde gegen die angegriffenen Beschlüsse des [X.] vom 17. März 2020 und vom 2. April 2020 - 1 AR 355/19 - erscheint unter Zugrundelegung dieses Maßstabs derzeit nicht von vornherein unzulässig. Insbesondere kann sie noch fristgerecht erhoben werden.

5

Sie ist nach summarischer Prüfung der vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen zurzeit auch nicht offensichtlich unbegründet. Das [X.], das in den angegriffenen Beschlüssen vom 17. März 2020 und vom 2. April 2020 - 1 AR 355/19 - jeweils auf seine im [X.] vom 8. Oktober 2019 geäußerte Rechtsansicht zur Auslegung und Anwendung der Art. 54 des [X.] ([X.]) und Art. 50 der [X.] ([X.]) bei Auslieferungen in Drittstaaten verweist und hierauf Bezug nimmt, lehnte in diesem [X.] eine offensichtliche Unzulässigkeit der Auslieferung im Sinne des § 15 Abs. 2 [X.] ab. Ob sich das Gericht im Rahmen dieser Prüfung gehalten sehen musste, seine Rechtsauffassung mit Blick auf neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] (vgl. etwa [X.], Urteil vom 6. September 2016, [X.]/15 "Petruhhin", und [X.], Urteil vom 10. April 2018, [X.]/16 "Pisciotti") zu hinterfragen und die Sache gegebenenfalls dem Gerichtshof vorzulegen, bedarf im Hauptsacheverfahren einer näheren Prüfung.

6

Bei offenem Ausgang des [X.]s muss das [X.] die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegen-über den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 126, 158 <168>; 129, 284 <298>; 132, 195 <232>; stRspr).

7

Die danach erforderliche Folgenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. [X.] die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, würde für den Antragsteller zwar, jedenfalls bis zu einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung, der gewichtige Eingriff in sein Recht auf Freiheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 GG fortdauern. Dieser Eingriff ist derzeit allerdings noch zumutbar, weil das Auslieferungsverfahren, mit dem schwierige Rechtsfragen verbunden sind, dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung noch genügt. [X.] demgegenüber die einstweilige Anordnung, bliebe der Verfassungsbeschwerde später aber der Erfolg versagt, so entstünde mit Blick auf die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege und des zwischenstaatlichen Auslieferungs- und Rechtshilfeverkehrs, der im vorliegenden Fall von erkennbaren gegenseitigen Anstrengungen geprägt ist, ein erheblicher, unter Umständen irreversibler Nachteil. Angesichts der dem Antragsteller im Falle der Auslieferung möglicherweise drohenden langjährigen Freiheitsstrafe kann nicht davon ausgegangen werden, dass er sich dem weiteren Auslieferungsverfahren stellen wird. Konkrete Bedingungen, unter denen die Auslieferungshaft bei gleich effektiver [X.] außer Vollzug gesetzt werden könnte, hat der Antragsteller nicht genannt. Soziale oder berufliche Bindungen nach [X.] sind weder vorgetragen noch ersichtlich. [X.] man die Folgen gegeneinander ab, so ergibt sich derzeit kein eindeutiges Übergewicht zugunsten der Belange des Antragstellers.

8

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvQ 21/20

21.04.2020

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

vorgehend OLG München, 17. März 2020, Az: 1 AR 355/19, Beschluss

Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 104 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, Art 50 EUGrdRCh, § 15 Abs 2 IRG, § 17 IRG, Art 54 SchÜbkDÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 21.04.2020, Az. 2 BvQ 21/20 (REWIS RS 2020, 2745)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2745


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 690/20

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 690/20, 17.06.2020.


Az. 1 AR 355/19

OLG München, 1 AR 355/19, 02.04.2020.

OLG München, 1 AR 355/19, 17.03.2020.


Az. 2 BvQ 21/20

Bundesverfassungsgericht, 2 BvQ 21/20, 21.04.2020.


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1 AR 355/19

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