Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.02.2019, Az. 2 B 74/18

2. Senat | REWIS RS 2019, 9787

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Gegenstand

Bindungswirkung der tatsächlichen Feststellung eines zu demselben Sachverhalt ergangenen Strafurteils


Gründe

1

[X.]ie auf sämtliche Zulassungsgründe (§ 132 Abs. 2 VwGO und § 67 Satz 1 [X.] NRW) gestützte Beschwerde des [X.]n ist unbegründet.

2

1. [X.]er 1961 geborene [X.] steht als Justizvollzugsamtsinspektor im [X.]ienst des [X.]. Seit Mitte 1993 ist der [X.] in Justizvollzugsanstalten des [X.] tätig. Am 11. und 25. Oktober 2013 sowie am 15. November 2013 führte der [X.] gemeinsam mit einem ebenfalls disziplinarrechtlich verfolgten Beamten einen Strafgefangenen für eine bestimmte Tageszeit unter Aufsicht aus. [X.]ie Ausführungen dienten dazu, diesem Gefangenen, der vor seiner Inhaftierung ein Unternehmen für Feuerlöscher betrieben hatte, die Wahrnehmung geschäftlicher Kontakte zu ermöglichen. Im Zuge der Ausführung am 15. November 2013 entwich der Gefangene den beiden [X.]. Nach der Festnahme des Gefangenen am 12. März 2014 sagte dieser aus, er habe am 11. Oktober 2013 ohne Begleitung der beiden Beamten bei einem Kunden die Feuerlöscher austauschen sowie ein Termin bei einer Bank wahrnehmen können. Am 25. Oktober 2013 habe er über mehrere Stunden seine Lebensgefährtin besuchen können. Am 15. November 2013 sei er von den beiden Beamten vor dem Wohnhaus der Lebensgefährtin abgesetzt worden, um nach Erledigung seiner geschäftlichen [X.]inge dort nach mehreren Stunden wieder abgeholt zu werden. [X.]ann habe er sich jedoch zur Flucht entschlossen. [X.]er [X.] wurde wegen gemeinschaftlicher Gefangenenbefreiung in drei Fällen rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. [X.]abei wurden für die Ausführungen am 11. und 25. Oktober 2013 [X.] von fünf Monaten und für die Ausführung vom 15. November 2013 eine Einzelfreiheitsstrafe von neun Monaten festgesetzt.

3

Im sachgleichen [X.]isziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht die Tat vom 15. November 2013 ausgeschieden und den [X.]n aus dem Beamtenverhältnis entfernt. [X.]as Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des [X.]n zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: An die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts sei das [X.] gebunden. [X.]er [X.] habe sich mit der gemeinschaftlichen Gefangenenbefreiung eines schwerwiegenden einheitlichen innerdienstlichen [X.]ienstvergehens im [X.]bereich seiner [X.]ienstpflichten schuldig gemacht, durch das er das Vertrauen des [X.]ienstherrn endgültig verloren habe. [X.]ementsprechend sei er aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

4

2. [X.]ie Sache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und § 67 Satz 1 [X.] NRW), die ihr die Beschwerde des [X.]n beimisst.

5

Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des [X.] erheblich sein wird (stRspr, [X.], Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - [X.]E 13, 90 <91 f.>). [X.]as ist hier nicht der Fall.

6

[X.]ie Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Frage,

"ob [X.] Einfluss auf den [X.] haben."

7

[X.]iese Frage vermag die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht zu rechtfertigen, weil die damit der Sache nach aufgeworfene Frage der Bindung des [X.]s an tatsächliche Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren geklärt ist und in der Beschwerdebegründung keine Frage aufgeworfen wird, die in Bezug auf § 65 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 [X.] NRW die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darlegt.

8

Bei seiner Verurteilung des [X.]n wegen gemeinschaftlicher Gefangenenbefreiung in drei Fällen ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Strafgefangene, der unter anderem vom [X.]n ausgeführt werden sollte, ungeachtet der gewährten Lockerungen des amtlichen Gewahrsams zur Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten zum Zeitpunkt der Ausführungen Gefangener im Sinne von § 120 Abs. 1 StGB war. Zudem hat das Strafgericht festgestellt, dass es zum Aufgabenbereich des [X.]n gehörte, den Strafgefangenen bei Ausführungen ständig und unmittelbar zu beaufsichtigen. An diese tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren sind die [X.]e im [X.]isziplinarverfahren nach § 56 Abs. 1 Satz 1 [X.] NRW gebunden, weil das [X.]isziplinarverfahren denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat.

9

Für das Berufungsgericht bestand kein Anlass, sich nach Maßgabe von § 65 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 [X.] NRW von diesen tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Strafurteils zu lösen ([X.]). [X.]iese Bindungswirkung nach § 65 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 [X.] NRW wird in Bezug auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht angesprochen.

3. [X.]ie Revision ist nicht wegen [X.]ivergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO und § 67 Satz 1 [X.] NRW) zuzulassen.

Eine die Revision eröffnende [X.]ivergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des [X.] aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des [X.] tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). [X.]as Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das [X.] in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer [X.]ivergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Januar 1995 - 6 [X.] - [X.] 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55).

Entgegen der Beschwerdebegründung weicht das Berufungsurteil nicht in diesem Sinne von einem Rechtssatz ab, den das [X.] in seinem Urteil vom 14. Oktober 2003 - 1 [X.] 2.03 - ([X.] 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 34) aufgestellt hat. Zunächst ist [X.] der angegriffenen Berufungsentscheidung eine gerichtliche Bemessungsentscheidung nach Maßgabe von § 13 [X.] NRW (= § 13 B[X.]G), während sich das Urteil vom 14. Oktober 2003 noch nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung richtet.

[X.]ie Beschwerde entnimmt dem Urteil des [X.] vom 14. Oktober 2003 den Rechtssatz, dass bei [X.] Milderungsgründe grundsätzlich in Frage kommen, diese aber nur dann ausgeschlossen sind, wenn der Beamte gegen [X.]pflichten verstoßen hat. [X.]ie Entscheidungsgründe des angegriffenen Berufungsurteils machen aber deutlich, dass das Oberverwaltungsgericht gerade von einem Versagen des [X.]n im [X.]bereich seiner [X.]ienstpflichten ausgegangen ist ([X.] und 29).

4. Auch der in der Beschwerdebegründung geltend gemachte Verstoß gegen die dem Gericht obliegende Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts liegt nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und § 67 Satz 1 [X.] NRW). [X.]enn es wird bereits nicht dargelegt, dass das Berufungsgericht überhaupt zu den Aufklärungsmaßnahmen berechtigt war, deren Unterbleiben die Beschwerde beanstandet.

[X.]er [X.] macht geltend, das Berufungsgericht habe es versäumt aufzuklären, inwieweit dem Gefangenen von der Leitung der Justizvollzugsanstalt tatsächlich [X.] gewährt worden seien. [X.]enn er - der [X.] - habe sich als Rechtfertigungsgrund für seine Handlungen auf die dem Gefangenen gewährten [X.] berufen.

[X.]ieses Vorbringen des [X.]n betrifft wiederum die Annahme des [X.], durch die strafgerichtlich abgeurteilte gemeinschaftliche Gefangenenbefreiung in drei Fällen habe der [X.] ein einheitliches innerdienstliches [X.]ienstvergehen begangen. Insoweit greifen aber, wie oben dargelegt, die Vorschriften der § 65 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 1 [X.] NRW über die Bindung der [X.]e an tatsächliche Feststellungen in rechtskräftigen Strafurteilen ein. [X.]ementsprechend steht hier sowohl fest, dass der Auszuführende Gefangener im Sinne von § 120 Abs. 1 StGB war, als auch die Rechtswidrigkeit des Handelns des [X.]n. [X.]ie Bindungswirkung nach § 65 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 [X.] NRW schränkt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 57 Abs. 1 Satz 1 [X.] NRW und § 3 Abs. 1 [X.] NRW i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ein.

Gemäß § 65 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 [X.] NRW hat das Gericht die erneute Prüfung solcher Feststellungen zu beschließen, die offenkundig unrichtig sind. [X.]ie gesetzliche Bindungswirkung dient der Rechtssicherheit. Sie soll verhindern, dass zu ein- und demselben Geschehensablauf unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. [X.]er Gesetzgeber hat die Aufklärung eines sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts sowie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung den Strafgerichten übertragen. [X.]ementsprechend sind die Verwaltungsgerichte nur dann berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn sie ansonsten "sehenden Auges" auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden müssten. [X.]ies ist etwa der Fall, wenn die Tatsachenfeststellungen des Strafurteils in Widerspruch zu [X.]enkgesetzen oder allgemeinen [X.] stehen oder aus sonstigen Gründen offenbar unrichtig sind. [X.]arüber hinaus kommt eine Lösung in Betracht, wenn neue Beweismittel vorgelegt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen die Tatsachenfeststellungen jedenfalls auf erhebliche Zweifel stoßen. [X.]ie Bindungswirkung entfällt aber auch bei Strafurteilen, die in einem ausschlaggebenden Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften

zustande gekommen sind ([X.], Urteile vom 29. November 2000 - 1 [X.] 13.99 - [X.]E 112, 243 <245> und vom 14. März 2007 - 2 W[X.] 3.06 - [X.]E 128, 189 <190>; Beschlüsse vom 24. Juli 2007 - 2 [X.] - [X.] 235.2 L[X.]isziplinarG Nr. 4 Rn. 11, vom 26. August 2010 - 2 [X.] - [X.] 235.1 § 57 B[X.]G Nr. 3 Rn. 5, vom 1. März 2013 - 2 B 78.12 - [X.] 235.2 L[X.]isziplinarG Nr. 20 Rn. 6 f. und vom 27. [X.]ezember 2017 - 2 [X.] - [X.] 235.2 L[X.]isziplinarG Nr. 54 Rn. 28).

In der Beschwerdebegründung wird nicht dargelegt, dass solche Anhaltspunkte für die Lösung von den tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Strafurteils etwa zur Gefangeneigenschaft im Sinne von § 120 Abs. 1 StGB oder zur Rechtswidrigkeit des Verhaltens des [X.]n vorgelegen haben, die das Oberverwaltungsgericht erst zu einer eigenständigen Klärung des Sachverhalts berechtigt hätten.

[X.]ie Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 [X.] NRW und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 [X.] NRW erhoben werden.

Meta

2 B 74/18

28.02.2019

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 12. September 2018, Az: 3d A 1975/17.O, Urteil

§ 56 Abs 1 S 2 DG NW, § 57 Abs 1 S 1 DG NW, § 65 Abs 1 DG NW, § 86 Abs 1 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.02.2019, Az. 2 B 74/18 (REWIS RS 2019, 9787)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 9787

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