Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.06.2016, Az. VII ZR 107/15

7. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 10644

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Gegenstand

Aufklärungspflicht eines Juweliers über fehlenden Versicherungsschutz bei Entgegennahme von Kundenschmuck zur Anbahnung eines Werk- oder Kaufvertrags


Leitsatz

Ein Juwelier, der Kundenschmuck zur Anbahnung eines Werk- oder Kaufvertrages entgegennimmt, kann nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung verpflichtet sein, über das Fehlen einer Versicherung gegen das Risiko des Verlustes durch Diebstahl und Raub aufzuklären, wenn eine solche Versicherung branchenüblich ist.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil der 5. Zivilkammer des [X.] vom 7. April 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht.

2

Die Beklagte betreibt ein Juweliergeschäft. Im Februar 2012 übergab die Ehefrau des [X.] der [X.] in deren Geschäftsräumen diverse im Eigentum des [X.] stehende Schmuckstücke mit der Intention, diese reparieren zu lassen (ein Goldarmband) beziehungsweise der [X.] zu verkaufen (zwei Ohrringe, zwei Armbänder, zwei Halsketten sowie eine Brosche).

3

Anlässlich eines Raubüberfalls am 23. Februar 2012 auf das Geschäft der [X.] wurden unter anderem die Schmuckstücke des [X.] entwendet. Die Beklagte war insoweit nicht versichert, worauf sie in dem Gespräch mit der Ehefrau des [X.] vor Überlassung der Schmuckstücke nicht hingewiesen hatte.

4

Der Wert der übergebenen Schmuckstücke ist zwischen den Parteien streitig. Die Beklagte erachtet den vom Kläger angesetzten Betrag von 2.930 € für übersetzt und geht von einem Wert in Höhe von 200 bis 300 € aus. Der Kläger verlangt von der [X.] Schadensersatz für die geraubten Schmuckstücke unter Berufung darauf, dass er die Schmuckstücke nicht bei der [X.] belassen hätte, wenn er von dem fehlenden Versicherungsschutz gewusst hätte.

5

Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 2.930 € nebst Zinsen zu zahlen und ihn von Rechtsverfolgungskosten freizustellen.

6

Auf die Berufung der [X.] hat das Berufungsgericht das Urteil des Amtsgerichts dahingehend abgeändert, dass es die Klage abgewiesen hat. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision des [X.] führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

8

Das Berufungsgericht führt, soweit für die Revision von Bedeutung, aus, ein Schadensersatzanspruch des [X.] wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht bestehe nicht. Die [X.] sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass sie hinsichtlich der ihr übergebenen Schmuckstücke das Verlustrisiko durch Diebstahl oder Raub nicht durch Versicherungen abgedeckt habe. Zwar treffe es zu, dass eine Rechtspflicht zur Aufklärung über bestimmte Umstände auch ohne Nachfrage bestehe, wenn der andere Teil nach [X.] und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung [X.] die Mitteilung von Tatsachen erwarten darf, die für seine Willensbildung offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind. Vorliegend seien jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es für die Willensbildung des [X.] offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung war, dass die [X.] die ihr übergebenen Schmuckstücke gegen das Verlustrisiko durch Diebstahl oder Raub versichert hat. Etwas anderes möge gelten, wenn es sich bei den dem Juwelier übergebenen Schmuckstücken um solche von besonders hohem Wert handele. Angesichts dessen, dass auch der Kläger den Gesamtwert des übergebenen Schmuckes auf lediglich knapp 3.000 € beziffere, sei dies vorliegend nicht der Fall.

II.

9

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Aufklärungspflicht der [X.]n über den mangelnden Versicherungsschutz nicht verneint werden.

1. Richtig sieht das Berufungsgericht allerdings, dass eine Pflichtverletzung der [X.]n sich nicht bereits daraus ergibt, dass sie den von der Klägerin entgegengenommen Schmuck nicht gegen das von keiner Vertragspartei zu vertretende Risiko des Verlusts durch Diebstahl oder Raub versichert hat. [X.] bleiben kann dabei, ob zwischen den Parteien betreffend das zur Reparatur übergebene Goldarmband bereits ein Werkvertrag gemäß § 631 [X.] zustande gekommen ist. Denn eine generelle Versicherungspflicht besteht für den Juwelier weder für [X.], der zur Durchführung eines Werkvertrages (§ 631 [X.]), noch für solchen, der zur Abgabe eines Ankaufs- oder Reparaturangebotes (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 [X.]) entgegengenommen wird (für das Werkvertragsrecht ebenso: [X.], NJW-RR 1986, 107; [X.]/[X.], [X.], 75. Aufl., § 631 Rn. 15; [X.]/[X.], 2014, [X.], § 644 Rn. 14; [X.]/[X.]/Merkens, [X.] Baurecht, 2. Aufl., § 644 Rn. 7; BeckOGK/[X.], [X.], Stand: 1. Februar 2016, § 631 Rn. 469, 469.1; vgl. auch [X.], HRR 1928, Nr. 413 zur Versicherungspflicht des Betreibers einer [X.] gegen Feuergefahr; eine Versicherungspflicht bei Entgegennahme besonders wertvoller Gegenstände bejahend: [X.] in Erman, [X.], 14. Aufl., § 644 Rn. 5; MünchKomm[X.]/[X.], 6. Aufl., § 644 Rn. 13; ähnlich auch: BeckOK [X.]/[X.], Stand: 1. Februar 2015, § 631 Rn. 62, § 644 Rn. 8).

2. Eine Pflicht der [X.]n, den Kläger darauf hinzuweisen, dass das Risiko des Verlustes durch Diebstahl oder Raub nicht oder nicht in voller Höhe durch Versicherungen gedeckt war, kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ([X.], Urteile vom 12. Juli 2001 - [X.], NJW 2001, 3331, 3332, juris Rn. 15; vom 11. August 2010 - [X.], NJW 2010, 3362 Rn. 21; jeweils m.w.N.) besteht bei Vertragsverhandlungen zwar keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten. Vielmehr ist grundsätzlich jeder Verhandlungspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen. Eine Rechtspflicht zur Aufklärung bei Vertragsverhandlungen auch ohne Nachfrage besteht allerdings dann, wenn der andere Teil nach [X.] und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung [X.] die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für seine Willensbildung offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind ([X.], Urteile vom 2. März 1979 - [X.], [X.] 1979, 447, juris Rn. 8; vom 16. Januar 1991 - [X.], NJW 1991, 1223, 1224, juris Rn. 14; vom 12. Juli 2001 - [X.], aaO Rn. 15; vom 11. August 2010 - [X.], aaO Rn. 22; jeweils m.w.N.). Eine Tatsache von ausschlaggebender Bedeutung kann auch dann vorliegen, wenn sie geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen ([X.], Urteil vom 11. August 2010 - [X.], aaO Rn. 22).

b) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze kann ein Juwelier verpflichtet sein, einen Kunden auf den fehlenden Versicherungsschutz dann hinzuweisen, wenn es sich um Schmuckstücke von außergewöhnlich hohem Wert handelt.

Ein solcher Fall liegt hier auch unter Zugrundelegung der Vorstellung des [X.] vom Wert der übergebenen Schmuckstücke (2.930 €) nicht vor.

c) Ferner kann der Kunde gegebenenfalls nach [X.] und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung dann eine Aufklärung über das Fehlen einer Versicherung gegen das Risiko des Verlustes durch Diebstahl und Raub erwarten, wenn diese Versicherung branchenüblich ist.

Branchenüblichkeit liegt vor, wenn sich innerhalb einer Gruppe von Unternehmen, die ähnliche Leistungen auf dem Markt anbieten, eine Gepflogenheit oder ein Brauch innerhalb einer bestimmten Tätigkeit entwickelt hat, der nicht nur vorübergehend besteht, sondern eine gewisse Kontinuität erkennen lässt. Dies ist für die hier in Rede stehende Versicherung für die Revision mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts zugunsten des [X.] zu unterstellen.

Die Branchenüblichkeit kann eine berechtigte Erwartung des Kunden begründen, dass ein solcher Versicherungsschutz besteht. Dies ist für den Juwelier als Mitglied der Branche auch erkennbar. Wenn der Juwelier die deshalb möglicherweise gebotene Aufklärung unterlässt, begeht er eine Pflichtverletzung.

Soweit die Revisionserwiderung die Aufklärung durch den Juwelier für unzumutbar hält, weil dies seine wirtschaftliche Tätigkeit wegen des damit verbundenen Zeitaufwands lähmen würde, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Bei den hier in Rede stehenden Vertragsanbahnungen handelt es sich nicht um [X.], die eine derartige zeitliche Inanspruchnahme nicht zuließen.

3. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO. Das Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage des Parteivorbringens Feststellungen zur Branchenüblichkeit und der daraus folgenden Verkehrsanschauung zu treffen haben.

[X.]                        Jurgeleit

            [X.]

Meta

VII ZR 107/15

02.06.2016

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Lüneburg, 7. April 2015, Az: 5 S 71/14

§ 133 BGB, § 157 BGB, § 241 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.06.2016, Az. VII ZR 107/15 (REWIS RS 2016, 10644)

Papier­fundstellen: WM 2016, 1351 REWIS RS 2016, 10644

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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