Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.05.2011, Az. 1 StR 116/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 7005

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 [X.]

vom
5. Mai 2011

[X.]St:
nein
[X.]R:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja
___________________________

StPO § 267 Abs. 3 Satz 3
[X.] § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1

Soweit dazu Anlass besteht, müssen die Urteilsgründe ergeben, ob Steuern in großem Ausmaß i.S.d. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.] nach [X.]St 53, 71 ([X.] 50.000 Euro bzw. 100.000 Euro) verkürzt sind. Sie müssen auch ergeben, weshalb trotz des Vorliegens dieses [X.] ein besonders schwerer Fall des §
370 Abs. 3 [X.] nicht angenommen wird (Fortführung von [X.], Urteil vom 2.
Dezember 2008 -
1 [X.], [X.]St 53, 71).

[X.], Beschluss vom 5. Mai 2011 -
1 [X.] -
LG Bochum

in der Strafsache
gegen

wegen
Steuerhinterziehung

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat am 5. Mai 2011 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 1. Oktober 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 16
Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ver-urteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Die auf die -
zunächst allgemeine -
Sachrüge gegründete Revision des Angeklagten ist unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils auch unter Be-rücksichtigung der Gegenerklärung des Angeklagten vom 23. März 2011 auf die Antragsschrift des [X.] vom 28. Februar 2011 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

Grundlage der Verurteilung sind nicht zur Umsatzsteuer erklärte, durch Scheinrechnungen abgedeckte Schwarzein-
und -verkäufe von Telefonkarten in der [X.] von Juli 2007 bis
Oktober 2008. Dazu hatte der Angeklagte zwei Un-ternehmen gegründet, die er -
weil er selbst über keine Arbeitserlaubnis verfüg-te -
mit Hilfe von [X.] führte. Insgesamt hinterzog er Umsatzsteuern in Höhe von insgesamt 2.287.737

n-1
2
3
-
3
-
terziehungsbeträge von 19.918

n-terziehungsbetrag über 100.000

1.
Januar 2008 begangen. Auch in diesen Fällen hat die [X.]
der Strafzumessung den Strafrahmen des §
370 Abs.
1 [X.] zugrunde gelegt und Einzelstrafen von acht Monaten bis zu einem Jahr und vier Monaten verhängt.

Die [X.] hat nicht erörtert, ob der Angeklagte aus grobem Ei-gennutz handelte (§
370 Abs.
3 Satz
2 Nr.
1 [X.] in der bis zum 31.
Dezember 2007 geltenden Fassung) und -
insbesondere -
ob er bei den Taten nach dem 31.
Dezember 2007 (gemäß der von da an geltenden Fassung des §
370 Abs.
3 Satz
2 Nr.
1 [X.]) -
Steuern in großem Ausmaß verkürzte.

II.

Die Strafzumessung ist, soweit es die nach dem 31.
Dezember 2007 [X.] Taten betrifft, in mehrfacher Hinsicht -
zugunsten des Angeklagten -
rechtsfehlerhaft. Es liegt ein Begründungsmangel vor, weil die [X.] nicht geprüft hat, ob bei [X.] ab 100.000

zliche

370 Abs.
3 Satz
2 Nr.
1 [X.]) gegeben war. Aber selbst dann, wenn die [X.] richtigerweise das [X.] in diesen Fällen bejaht hätte, wäre die Nichtannahme eines besonders schweren Falles hier ein Wertungsfehler. Dadurch ist der Angeklagte jedoch nicht be-schwert.

1. Die Strafzumessung genügt nicht den gesetzlichen Begründungsan-forderungen des §
267 Abs. 3 Satz
3 StPO.

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6
-
4
-

weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Vo-raussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt. Zwei [X.] sind danach erforderlich:

a) Besteht Anlass, dass die im Straftatbestand aufgeführten Merkmale eines [X.] erfüllt sind, dann müssen die Urteilsgründe zunächst er-kennen lassen, dass die rechtlichen Voraussetzungen des entsprechenden Merkmals geprüft wurden. Dieser erste [X.] betrifft die Subsumtion unter ein gesetzliches Merkmal, die der vollen rechtlichen Prüfung durch das Revisionsgericht unterliegt.

b) Wird trotz Bejahung des Merkmals gleichwohl von der Regelwirkung abgesehen, so ist die Wahl des (milderen) Strafrahmens nachvollziehbar [X.]. Dieser zweite [X.] ist Teil der zuvorderst dem Tatrichter obliegenden Strafrahmenwahl, die nur eingeschränkt der revisionsgerichtlichen Prüfung zugänglich ist.

Insoweit gilt nach der Rechtsprechung des [X.]: Zwar kann die indizielle Bedeutung des [X.] durch andere Strafzumes-sungsfaktoren kompensiert werden, doch müssen diese dann so schwer wie-gen, dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen [X.]. Ob dies so ist, kann der Strafrichter erst nach umfassender Abwägung aller Umstände entscheiden. Dabei dürfen jedenfalls die Umstände, welche das [X.] begründen, nicht unberücksichtigt bleiben; diese müssen viel-mehr zunächst im Vordergrund der Abwägung stehen ([X.], Urteil vom 12.
November 1996 -
1
StR 470/96; siehe auch Urteile vom 17.
September 1997 -
2
StR 390/97; 9.
August 2000 -
3
StR 133/00; 11.
September 2003
7
8
9
10
-
5
-
-
4
StR 193/03, [X.], 265; 31.
März 2004 -
2 [X.], NJW 2004, 2394, 2395).

c) Die Wahl des erhöhten Strafrahmens
bedarf hingegen -
grundsätz-lich
-
keiner weiteren Begründung, wenn das gesetzliche Merkmal des Regel-beispiels eines besonders schweren Falles erfüllt ist. Denn dann besteht eine gesetzliche Vermutung für einen gegenüber dem Normaltatbestand erhöhten Unrechts-
und Schuldgehalt [X.]/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 603 mwN).

§
370 Abs.
3 Satz
2 Nr.
1 [X.]:

a) Der Senat hat mit Urteil vom 2.
Dezember
2008 (1 [X.], [X.]St 53, [X.] bestimmt: Beschränkt sich das Verhalten des [X.] darauf, die [X.] pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, dann ist das Merkmal bei einer Verkürzung in Höhe von 100.000

(Rn.
39, 41). Wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt er-langt hat, liegt die Betragsgrenze bei 50.000

b) Diese Bestimmung der Betragsgrenzen durch den Senat hat der Ge-setzgeber in den Beratungen zu dem Entwurf des
Schwarzgeldbekämpfungs-gesetzes (BT-Drucks. 17/4182 und 17/4802) aufgegriffen. In der Beschluss-empfehlung und dem Bericht des Finanzausschusses des [X.] (BT-Drucks. 17/5067 neu) ist zur Bestimmung der Betragsgrenze, ab welchem bei einer Selbstanzeige Straffreiheit nicht eintritt, unter Bezugnahme 11
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-
6
-
auf das Senatsurteil [X.]St 53,
71
ausgeführt (S.

n-tiert sich an der Rechtsprechung des [X.] zu dem [X.] des §
370 Ab-satz
3 Nummer
1 [X.], wo das Merkmal großen Ausmaßes bei 50
000 Euro als erfüllt angesehen wird. Damit hat der Gesetzgeber ersichtlich die Auslegung des [X.] durch den Senat gebilligt.

c) Jedenfalls in den Fällen, bei denen durch die nach dem 31.
Dezember 2007 begangenen Taten Steuern in Höhe von 100.000

wurden, hätte die [X.] deshalb die Voraussetzungen des Regelbei-spiels des §
370 Abs.
3 Satz
2 Nr.
1 als erfüllt ansehen müssen. Zudem hätten die Feststellungen zum Zusammenwirken innerhalb der Tätergruppe Anlass geben können, auch das [X.] Nr.
5 des §
370 Abs.
3 Satz
2 [X.] ([X.] als Mitglied einer Bande zur fortgesetzten Begehung von Steuerhinterzie-hungen) zu prüfen.

3. Indem die [X.] das [X.] nicht geprüft hat, hat es sich den Blick dafür verstellt, bei der Wahl des Strafrahmens zu erörtern, ob die indizielle Bedeutung des [X.] durch andere -
für den Angeklagten sprechende -
Strafzumessungsfaktoren kompensiert wurde. Milderungsgründe, die so schwer wiegen könnten, dass die Anwendung des erschwerten Straf-rahmens unangemessen erscheint, sind hier nicht in ausreichendem Maße dargetan.

durch die Tatsache relativiert, dass ein Großteil durch die Angeklagten sowie die Firma
L.

nterzogenen Umsatzsteuern wurden mittlerweile vollständig beglichen. Es bleibt allerdings offen, woher die Geldmittel hierzu stammen. Nach den Fest-15
16
17
-
7
-
stellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten und zu seinem Gewinn (mitgeteilt wird von der [X.] ein Rohertrag von 2
%; die [X.] der für den Tatzeitraum aufgeführten Einkäufe liegt allerdings über den Er-lösen während dieser [X.]) aus dem inkriminierten Handel mit Telefonkarten erscheint es ohne nähere Darlegungen kaum nachvollziehbar, dass er selbst zur Schadenswiedergutmachung in der Lage war. Im Übrigen ändert die Bezah-lung der geschuldeten hinterzogenen Steuern nichts an der Indizwirkung der Überschreitung der 100.000

-Grenze für besonders schwere Fälle. Denn [X.] ist schon berücksichtigt, dass es lediglich zu einer Gefährdung des Steuer-anspruchs kommt (Senat aaO Rn.
39).

b) Hier kommt indes erschwerend hinzu (vgl. Senat aaO Rn.
47), dass der Angeklagte besondere unternehmerische Strukturen aufgebaut hat, um seinen durchgehend steuerunehrlichen Handel zu betreiben, eingebunden in h-mensgeflechts.

c) Dass die Nichtannahme des besonders schweren Falles selbst bei [X.] daran, dass ohne nähere Differenzierung zwischen den Tatbeteiligten ne-ben dem Angeklagten fünf weitere Personen -
rechtskräftig -
ebenfalls nur aus dem
Strafrahmen des §
370 Abs.
1 [X.] zu Bewährungsstrafen verurteilt [X.]. Zwei dieser Verurteilten hinterzogen -
gemeinsam -
sogar 4.797.032

Umsatzsteuern. Sie wurden jeweils zu zwei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verur-teilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

4. Offen bleiben kann, ob -
was freilich nahe liegt -
ein weiterer Wer-tungsfehler darin liegt, dass sich sowohl die Einzelstrafen, wie auch die Ge-18
19
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8
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samtstrafe erheblich nach unten von ihrer Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich zu sein.

Zur Bedeutung des [X.] für die Strafhöhenbemessung ist in der oben genannten Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des [X.] (BT-Drucks. 17/5067 neu, S.

Beratungen der geplanten Maßnahmen zur Verhinderung der Steuerhinterzie-hung waren sich alle Fraktionen in der Bewertung einig, dass Steuerhinterzie-hung kein Kavaliersdelikt sei und entsprechend bekämpft werden müsse. Die Koalitionsfraktionen der [X.] und s-setzung der Freiheitsstrafe auf Bewährung bei Hinterziehung in Millionenhöhe sei nach einer Entscheidung des [X.] nicht mehr möglich.

III.

Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Bei der Staatsanwaltschaft -
auch im Rahmen der Dienstaufsicht -
hät-te deshalb Anlass bestehen können zu prüfen, ob Handlungsbedarf gemäß Nr.
147 Abs.
1 Satz
3 RiStBV besteht. Eine etwaige Verständigung gemäß §
257c StPO hätte dem nicht entgegengestanden. Denn auch dann darf das Ergn-3.
März 2005 -
GSSt 1/04, [X.]St 50, 41, 50).

2. Erörtert das Gericht vor Beginn der Hauptverhandlung mit den [X.] den Stand des Verfahrens, so ist der wesentliche Inhalt dieser Erörterung aktenkundig zu machen (§§
202a, 212 StPO). Über diese Gespräche hat der 21
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-
9
-
Vorsitzende zu Beginn der Hauptverhandlung auch zu berichten (§
243 Abs.
4 Satz
1 StPO) und dies ins Protokoll aufzunehmen (§
273 Abs.
1a Satz
2 StPO). In den Urteilsgründen ist mitzuteilen, wenn der Verurteilung eine Verständigung gemäß §
257c StPO zugrunde lag (§
267 Abs.
3 Satz
5 StPO). Im Protokoll ist aber auch zu vermerken, wenn dem Urteil keine Verständigung vorausging (§
273 Abs.
1a Satz
3 StPO). Der Staatsanwalt ist gegebenenfalls gehalten, durch entsprechende Anregungen an das Gericht auf die Vermeidung von Pro-tokollierungsfehlern oder -lücken hinzuwirken (vgl. Nr.
127 Abs.
1 Satz
1 RiStBV).
Nack

Wahl Rothfuß

Hebenstreit Graf

Meta

1 StR 116/11

05.05.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.05.2011, Az. 1 StR 116/11 (REWIS RS 2011, 7005)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7005

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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