Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.05.2022, Az. 1 StR 475/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 4827

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Gegenstand

Steuerhinterziehung: Schuldner der Umsatzsteuer bei der Erbringung von Prostitutionsleistungen


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. April 2021 aufgehoben. Die Angeklagten werden freigesprochen; die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen entfällt.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

3. Die Entscheidung über die Entschädigung der Angeklagten wegen erlittener Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem [X.] vorbehalten.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen verurteilt, und zwar den Angeklagten [X.]zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten und die Angeklagte U.            unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem anderen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten; die Vollstreckung beider Strafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat das [X.] die Einziehung des Wertes von Taterträgen gegen beide Angeklagte als Gesamtschuldner angeordnet.

2

Die jeweils auf die Rüge einer Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachrüge Erfolg und führen zum Freispruch der Angeklagten aus tatsächlichen Gründen sowie zum Wegfall der Einziehungsentscheidung.

I.

3

1. Nach den getroffenen Feststellungen führten die Angeklagten ab dem [X.] gemeinschaftlich das als Einzelunternehmen des Angeklagten [X.] firmierende Bordell „F.       “. Die in dem Bordell tätigen Prostituierten nahmen am sogenannten [X.] Verfahren teil, innerhalb dessen die Angeklagte U.              monatlich Listen der anwesenden Prostituierten beim zuständigen Finanzamt einreichte und die für die Prostituierten vereinbarten Pauschalen an das Finanzamt abführte.

4

Die Angeklagten bewarben das Bordell in Zeitungsanzeigen und im [X.], wobei im [X.]auftritt des Bordells auch dort tätige Prostituierte abgebildet waren. Eine unmittelbare Kontaktaufnahme mit einzelnen Prostituierten war über die [X.]seite des Bordells nicht möglich. Manche Prostituierte gingen – dies war den Angeklagten bekannt – ihrer Tätigkeit auch außerhalb des Bordells nach.

5

Für den Eintritt in das Bordell einschließlich der Nutzung von Sauna und Schwimmbad sowie des Buffets hatten die Besucher einen Eintrittspreis von zunächst 25 € und später 30 € zu entrichten; Getränke wurden gesondert abgerechnet. Sexuelle Dienstleistungen und deren Preise waren von den [X.] direkt mit den Prostituierten zu verhandeln und bei diesen zu bezahlen. Sowohl im [X.] als auch in den Räumlichkeiten des Bordells waren folgende Hinweise veröffentlicht: „[X.] unseres Hauses sind selbstständige Unternehmerinnen und bieten ihre Leistungen völlig eigenständig und auf eigene Rechnung an. Die Dienstleistungen sind mit [X.] selbst abzurechnen. [X.] bieten den gleichen Service an. Bitte stimmen Sie die Einzelheiten und Extras mit [X.] im Einzelnen ab.“

6

Vor Aufnahme ihrer Tätigkeit im Bordell teilten die Prostituierten den Angeklagten ihre persönlichen „Daten“ einschließlich ihrer [X.] und ihr Angebot an sexuellen Dienstleistungen mit. Die Angeklagte U.           ließ sie eine in [X.] abgefasste Erklärung mit der Überschrift „[X.]“ unterschreiben, in der einerseits die Selbständigkeit und Weisungsfreiheit der Prostitutionstätigkeit einschließlich der Bestimmung der Arbeitszeiten durch die Prostituierten festgehalten waren, andererseits aber Verhaltensregeln vereinbart wurden wie beispielsweise die Pflicht zur Einhaltung abgestimmter Anwesenheitszeiten, ein Handyverbot und eine Kleiderordnung. Für den Fall des Verstoßes gegen die „Hausordnung“, insbesondere einer Nichteinhaltung der abgestimmten Anwesenheitszeiten, drohte die Angeklagte U.             Strafzahlungen an; dass diese je „vollstreckt“ wurden, hat die [X.] nicht feststellen können.

7

Die Prostituierten hatten – unabhängig von ihrem Verdienst – eine tägliche Zahlung von 50 €, später 40 €, für den Eintritt in das Bordell, den Zugang zum Buffet, die Möglichkeit der Nutzung der „[X.]“ – auch zu Übernachtungszwecken – und die für das [X.] Verfahren zu zahlenden Pauschalen in Höhe von 15 €, später 10 €, an die Angeklagten zu leisten. Ihre Anwesenheitszeiten im Bordell bestimmten sie in Absprache untereinander selbst; diese wurden dann von einer Thekenkraft in einem Wochenplan festgehalten. Die „[X.]“ konnten die Prostituierten je nach Verfügbarkeit nutzen; [X.] war ihnen nicht zugeteilt. Im Thekenbereich war eine Liste mit (Mindest-)Preisen für sexuelle Leistungen ausgehängt; dass den Prostituierten untersagt war, höhere Preise mit den Kunden zu vereinbaren, hat die [X.] nicht feststellen können. Die Angeklagte U.      führte eine Liste, in der die Prostituierten ihre Tätigkeit – insbesondere die Verweildauer in einem der „[X.]“ – eintrugen.

8

Die Bücher für das Bordell ließen die Angeklagten von einem Steuerberatungsbüro führen, über das sie auch die erforderlichen Steuererklärungen beim zuständigen Finanzamt einreichten. In den die Umsatzsteuer betreffenden Erklärungen gaben die Angeklagten die im Tatzeitraum Januar 2013 bis April 2016 durch [X.] erwirtschafteten Beträge in Höhe von ca. 2.000.000 € nicht an, sondern nur die von den [X.] und Prostituierten vereinnahmten Eintrittsgelder. Durch das Verschweigen der Prostitutionsumsätze bewirkten sie im Tatzeitraum eine Verkürzung der Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt „gut“ 200.000 €.

9

2. Das [X.] hat aufgrund der von ihm festgestellten Umstände angenommen, die Angeklagten seien gegenüber den [X.] als Anbieter einer Gesamtleistung, nämlich der unmittelbar von ihnen erbrachten Leistungen wie dem Zurverfügungstellen von Räumlichkeiten und Speisen, aber auch der von den Prostituierten erbrachten sexuellen Dienstleistungen in Erscheinung getreten. Der Umstand, dass die als Zeugen vernommenen Freier übereinstimmend bekundeten, sie hätten die Vereinbarungen über die Erbringung sexueller Dienstleistungen mit der jeweiligen Prostituierten geschlossen, sei ohne Bedeutung, weil diese Einschätzung der Zeugen durch die im [X.]auftritt und im Bordell erteilten Hinweise auf die selbstständige Tätigkeit der Prostituierten erklärlich sei. Auch die Hinweise selbst und die Zahlungsabwicklung über die Prostituierten änderten nichts daran, dass die sexuellen Dienstleistungen Teil des Gesamtangebots des Bordells gewesen seien und damit die Angeklagten auch insoweit als Vertragspartner und Leistungserbringer gegenüber den Kunden aufgetreten seien. Die Angeklagten seien somit auch hinsichtlich der von den Prostituierten durch sexuelle Dienstleistungen erwirtschafteten Beträge Unternehmer gemäß § 2 Abs. 1 UStG und hätten daher die hierauf anfallende Umsatzsteuer nach § 18 Abs. 1 und 3 UStG in ihren Erklärungen erfassen müssen. Indem sie die Prostitutionsumsätze in den für die [X.] und 2014 abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärungen und den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar bis Dezember 2015 sowie Januar bis April 2016 verschwiegen hätten, hätten sie sich wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer in 18 Fällen strafbar gemacht.

II.

1. Die Verurteilung der Angeklagten jeweils wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen nicht den hieraus vom [X.] gezogenen Schluss, die von den Prostituierten im Bordell erbrachten sexuellen Leistungen seien Teil des von den Angeklagten als Bordellbetreiber angebotenen Gesamtpakets gewesen. Hinsichtlich der von den Prostituierten erbrachten [X.] und der durch sie erwirtschafteten Umsätze ist daher eine Unternehmereigenschaft der Angeklagten nicht belegt; mithin waren die Angeklagten insoweit nicht erklärungspflichtig und ihre Umsatzsteuererklärungen nicht unvollständig (§ 18 Abs. 1 und 3 UStG, § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 150 Abs. 1 Satz 3, § 168 Satz 1 [X.]). Sie sind daher vom Vorwurf der Steuerhinterziehung in 18 Fällen freizusprechen.

a) Auf der Grundlage der vom [X.] – rechtsfehlerfrei – getroffenen Feststellungen zum Geschäftsmodell und der [X.] sowie insbesondere zum Auftreten der Angeklagten und der Prostituierten nach Außen – gegenüber den [X.] als Vertragspartner der Verträge über die [X.] – waren nicht etwa die Angeklagten Anbieter und Erbringer der [X.] und damit auch insoweit Unternehmer (§ 2 Abs. 1 UStG), sondern die Prostituierten selbst.

aa) Wer bei einem Umsatz als [X.] im Sinne von § 3 UStG und damit als Unternehmer (§ 2 Abs. 1 UStG) sowie Schuldner der Umsatzsteuer gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 Variante 1 UStG anzusehen und diesbezüglich nach § 18 Abs. 1 und 3 UStG erklärungspflichtig ist, ergibt sich regelmäßig aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen. Dies ist in der Regel derjenige, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im Sinne des § 1 Abs. 1 UStG im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst oder durch einen Beauftragten ausführt. Ob eine Leistung dem Handelnden oder einem anderen zuzurechnen ist, hängt deshalb grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen bei Ausführung entgeltlicher Leistungen aufgetreten ist ([X.], Beschlüsse vom 31. Januar 2002 – [X.]/01 Rn. 19, [X.]E 198, 208, 212 und vom 2. Januar 2018 – [X.]/17 Rn. 18; Urteil vom 12. Mai 2011 – [X.]/10 Rn. 16; [X.], Urteil vom 16. Januar 2020 – 1 [X.] Rn. 39 mwN; Beschluss vom 5. Februar 2014 – 1 [X.] Rn. 19). Schuldner der Umsatzsteuer aus einem Leistungsaustausch nach § 13a Abs.1 Nr. 1 Variante 1 UStG und Erklärungspflichtiger nach § 18 Abs. 1 und 3 UStG ist danach grundsätzlich derjenige, der als leistender Unternehmer nach außen aufgetreten ist. Dies ist derjenige, der aus dem Rechtsgeschäft mit dem Leistungsempfänger berechtigt und verpflichtet ist; ohne Bedeutung ist insoweit, ob er seine Leistungsverpflichtung höchstpersönlich erfüllt oder durch einen anderen, etwa einen Subunternehmer, ausführen lässt und inwiefern ihm der wirtschaftliche Erfolg des Geschäfts verbleibt ([X.], Beschluss vom 31. Januar 2002 – [X.]/01 Rn. 21, [X.]E 198, 208, 213; Urteile vom 7. Juli 2005 – [X.]/03 Rn. 21 und vom 26. Juni 2003 – [X.] Rn. 21; [X.], Urteil vom 16. Januar 2020 – 1 [X.] Rn. 39).

Auch für die Frage, ob hinsichtlich der in einem Bordell durch [X.] erwirtschafteten Umsätze der Bordellbetreiber oder aber die dort jeweils tätige Prostituierte Schuldner(in) der Umsatzsteuer gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 Variante 1 UStG und Erklärungspflichtige(r) nach § 18 Abs. 1 und 3 UStG ist, kommt es mithin darauf an, wer insoweit nach den zivilrechtlichen Vereinbarungen als Leistungserbringer anzusehen ist. Bei dieser Beurteilung kann auch der Frage, ob beziehungsweise inwieweit die Prostituierte in den Bordellbetrieb eingegliedert ist, Bedeutung zukommen (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Mai 2016 – [X.]/14 Rn. 11, [X.]E 253, 222; vgl. auch [X.], Urteil vom 17. September 2020 – 1 StR 576/18 Rn. 15 ff., 26; [X.], Urteile vom 25. Juni 2009 – [X.]/08 Rn. 20, [X.]E 226, 415, unter [X.]. und vom 11. November 2015 – [X.] Rn. 21).

Die für die Beurteilung maßgebliche Beweiswürdigung ist allerdings Sache des Tatgerichts und für das Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbar (st. Rspr.; vgl. z.B. [X.], Beschluss vom 10. Februar 2022 – 1 [X.] Rn. 9 mwN). Auch bei der Auslegung der zivilrechtlichen Vereinbarungen (§§ 133, 157 BGB), aus denen sich die jeweiligen Leistungsbeziehungen ergeben, kommt dem Tatgericht ein Beurteilungsspielraum zu. Lässt eine Auslegung Verstöße gegen Denk- und Sprachgesetze oder gegen das Gebot umfassender Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände nicht erkennen, so muss sie vom Revisionsgericht als rechtsfehlerfrei hingenommen werden (vgl. [X.], Urteile vom 14. Oktober 2020 – 1 StR 33/19 Rn. 42; vom 22. Januar 2020 – 5 [X.] Rn. 28 und vom 2. April 2015 – 3 StR 197/14 Rn. 13).

bb) Auch eingedenk dieses eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs hält die Annahme des [X.]s, die Angeklagten seien im Rahmen eines von ihnen angebotenen Gesamtpakets Leistende der von den Prostituierten im Bordell erbrachten sexuellen Dienste gewesen, sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

(a) Aufgrund der im Bordell und im [X.] veröffentlichten Hinweise sind die Angeklagten entgegen der Würdigung des [X.]s nicht als Anbieter und Leistende eines die sexuellen Dienste der Prostituierten einschließenden Gesamtpakets anzusehen. Denn die Hinweise enthielten nicht lediglich eine pauschale – den tatsächlich im Bordell gelebten Verhältnissen widersprechende und damit steuerrechtlich irrelevante (§ 41 Abs. 2 [X.]) – Behauptung, dass die Prostituierten selbständig tätig seien; vielmehr forderten die Angeklagten die Besucher des Bordells mit den Hinweisen ausdrücklich dazu auf, Art und Umfang der Prostitutionsleistung sowie das hierfür zu zahlende Entgelt ausschließlich mit den Prostituierten auszuhandeln und die Bezahlung direkt mit den Prostituierten abzuwickeln. Damit gaben die Angeklagten gegenüber den [X.] als Kunden (§§ 133, 157 BGB) eindeutig und unmissverständlich zu verstehen, dass sie bezüglich der sexuellen Dienstleistung der Prostituierten nicht Vertragspartner sein wollten. Dementsprechend forderten sie von den Besuchern des Bordells auch lediglich ein pauschales Eintrittsgeld für die Nutzung der Räumlichkeiten einschließlich des Schwimmbads und der Sauna sowie für den Zugang zum Buffet und waren an den [X.]n nicht beteiligt. Hingegen schlossen die Prostituierten die [X.] mit den [X.] im eigenen Namen ab. Dem entsprach auch die im Bordell tatsächlich gelebte Übung, weil ausschließlich die Prostituierten – wenn auch unter Berücksichtigung der geltenden Mindestpreise – die Leistungen und Preise mit den [X.] verhandelten sowie die Vergütung für ihre sexuellen Dienste vollständig vereinnahmten.

(b) Dass ausschließlich die Prostituierten und nicht etwa die Angeklagten Anbieter und Leistungserbringer der sexuellen Dienste waren, wird daneben durch die vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Prostituierten und den Angeklagten bestätigt. Denn auch die Prostituierten hatten den Angeklagten lediglich eine feststehende Tagespauschale für die Nutzung der Räumlichkeiten, den damit in Zusammenhang stehenden zusätzlichen Service (Werbung, Handtücher, zwei Spinde und Abwicklung des [X.] Verfahrens) sowie den Zugang zum Buffet zu bezahlen, während eine Beteiligung der Angeklagten an den [X.] gerade nicht vereinbart war. Eine die sexuellen Dienste der Prostituierten betreffende Leistungsbeziehung zwischen den Angeklagten und den im Bordell tätigen Prostituierten, welche die Angeklagten in die Lage versetzt hätte, die [X.] zum Gegenstand ihres Leistungsangebots an die Besucher des Bordells zu machen, ist danach nicht erkennbar. Da die Angeklagten an den von den Prostituierten im Bordell durch die Erbringung sexueller Dienstleistungen erwirtschafteten Beträgen gerade nicht unmittelbar – anteilig beziehungsweise prozentual – beteiligt waren, trugen diese insoweit auch kein unternehmerisches Risiko; dieses lag vielmehr hinsichtlich der [X.] allein bei den Prostituierten selbst. Die Annahme des [X.]s, die Zahlung an die Prostituierten sei lediglich eine Abwicklungsmodalität gewesen, ist demgegenüber von den Feststellungen, wonach die Prostituierten das Entgelt vollständig für sich behielten, nicht getragen.

(c) Auch aus der „[X.]“ ergibt sich – ungeachtet ihrer Bezeichnung – nichts anderes; vielmehr bestätigt diese, dass die Erbringung sexueller Dienste nicht Gegenstand der Leistungsbeziehung zwischen den Prostituierten und den Angeklagten war, so dass die Angeklagten diese Leistung auch ihrerseits gegenüber den [X.] nicht anbieten konnten, weil sie eine entsprechende Verpflichtung mangels Leistungsbeziehung zu den Prostituierten nicht hätten erfüllen können. Denn in der Vereinbarung ist nicht nur geregelt, dass die Prostituierten selbständig tätig sind und für die Erfüllung ihrer daraus resultierenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen selbst zu sorgen haben; vereinbart ist darin vielmehr auch, dass die Prostituierten ihre Arbeitszeiten sowie ihr Leistungsangebot und die Preise unter Berücksichtigung der vorgegebenen Mindestpreise selbst bestimmen sowie die Vergütung für sexuelle Dienstleistungen ausschließlich selbst vereinnahmen.

(d) Dass die Prostituierten ihre sexuellen Dienste im eigenen Namen anboten und damit – trotz einer gewissen Einbindung in das Gesamtarrangement des Bordells – eine selbständige unternehmerische Tätigkeit in den Räumlichkeiten des Bordells der Angeklagten ausübten, wird schließlich auch dadurch bestätigt, dass sie keinem Wettbewerbsverbot unterlagen, sie also auch außerhalb des Bordells auf eigene Rechnung tätig sein durften und teilweise auch waren. Die Möglichkeit der Prostituierten, ihre sexuellen Dienste ohne besondere Absprache mit den Angeklagten auch außerhalb des Bordells zu erbringen, macht – auch für die Freier als Vertragspartner der [X.] (§§ 133, 157 BGB) – zusätzlich deutlich, dass die sexuellen Dienstleistungen der Prostituierten unabhängig erfolgen und gerade nicht von dem seitens der Angeklagten angebotenen Leistungspaket umfasst waren.

b) Der Senat kann aufgrund der umfassenden Beweiserhebung ausschließen, dass weitere Feststellungen möglich sind, die mit den bisherigen – rechtsfehlerfrei getroffenen – nicht in Widerspruch stehen und zu einer anderen Beurteilung der Eigenschaft der Angeklagten als Leistende der Prostitutionsdienste und als Unternehmer nach § 2 Abs. 1 UStG und damit als Erklärungspflichtige im Sinne von § 18 Abs. 1 und 3 UStG (auch) hinsichtlich der [X.] führen könnten. Er spricht daher die Angeklagten selbst nach § 354 Abs. 1 StPO frei und lässt die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen entfallen.

2. Die Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung für etwa erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 8 StrEG) ist vom [X.] zu treffen, weil Art und Umfang von möglichen entschädigungspflichtigen Maßnahmen ohne weitere Feststellungen und ohne weitere Anhörung der Beteiligten nicht zu bestimmen sind (vgl. [X.], Beschlüsse vom 29. Juni 2016 – 1 StR 24/16, [X.]St 61, 208 Rn. 34 und vom 25. Oktober 2001 – 1 [X.] Rn. 10 mwN).

Raum     

      

Jäger     

      

Bellay

      

Hohoff     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 475/21

05.05.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kleve, 27. April 2021, Az: 190 KLs 7/18

§ 370 AO, § 1 Abs 1 UStG, § 2 Abs 1 UStG, § 3 UStG, § 13a Abs 1 Nr 1 Alt 1 UStG, § 18 Abs 1 UStG, § 18 Abs 3 UStG, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.05.2022, Az. 1 StR 475/21 (REWIS RS 2022, 4827)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4827

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