Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.02.2023, Az. XII ZB 345/22

12. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 943

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Gegenstand

Betreuung: Wiederholung der persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 3 wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 15. Juli 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Eine Festsetzung des [X.] (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.

Gründe

I.

1

Die 74-jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einer psychischen Erkrankung, wegen deren sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann und nicht mehr zu einer freien Willensbildung in der Lage ist. Zuvor hatte sie ihrem Ehemann, dem Beteiligten zu 3, eine Vorsorgevollmacht erteilt, deren Wirksamkeit nicht zweifelhaft ist.

2

Auf Anregung des Gesundheitsamts und nach Einholung eines Berichts der Betreuungsbehörde hat das Amtsgericht eine Kontrollbetreuung nach § 1896 Abs. 3 BGB in der bis 31. Dezember 2022 geltenden Fassung eingerichtet, da die erforderliche Pflege der Betroffenen nicht adäquat durch den Bevollmächtigten gewährleistet werde. Das [X.] hat die Beschwerde des Beteiligten zu 3 zurückgewiesen; hiergegen richtet sich dessen Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

4

1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass der angefochtene Beschluss verfahrensfehlerhaft ergangen ist, indem das [X.] entschieden hat, ohne die Betroffene erneut anzuhören.

5

a) Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Das Beschwerdegericht hat aber die Gründe, aus denen es von einer Anhörung ausnahmsweise absehen will, in den Entscheidungsgründen nachprüfbar darzulegen ([X.]sbeschluss vom 11. April 2012 - [X.] 504/11 - FamRZ 2012, 968 Rn. 6 mwN). Bereits an einer solchen Darlegung fehlt es.

6

b) Die Darlegung war auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil aus den weiteren Entscheidungsgründen ersichtlich würde, dass das Beschwerdegericht in zulässiger Weise von einer erneuten persönlichen Anhörung der Betroffenen absehen konnte. Vielmehr kam ein Absehen von der erneuten Anhörung der Betroffenen schon deshalb nicht in Betracht, weil im Beschwerdeverfahren nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden kann, bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In einem solchen Fall muss das Beschwerdegericht, vorbehaltlich der Möglichkeiten nach § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG, den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen ([X.]sbeschluss vom 30. September 2020 - [X.] 327/20 - FamRZ 2021, 144 Rn. 5 mwN).

7

c) Vorliegend war die Anhörung durch das [X.] erfolgt, da es die Betroffene angehört hat, ohne dem Verfahrenspfleger Gelegenheit zu geben, an der Anhörung teilzunehmen.

8

Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Betreuungssache gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll - wenn es im Hinblick auf die einzurichtende Betreuung erforderlich ist - nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und im Verfahren begleitet werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Das Betreuungsgericht muss durch Benachrichtigung des Verfahrenspflegers vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu ([X.]sbeschluss vom 6. Mai 2020 - [X.] 504/19 - FamRZ 2020, 1219 Rn. 11 mwN).

9

Im vorliegenden Verfahren hat das Amtsgericht die Verfahrenspflegerin ausweislich des [X.] nicht von dem Anhörungstermin informiert. Erfolgt die Anhörung aber ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG ([X.]sbeschluss vom 6. Mai 2020 - [X.] 504/19 - FamRZ 2020, 1219 Rn. 11 mwN). In einem solchen Fall muss das Beschwerdegericht zwingend eine erneute Anhörung durchführen.

2. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der [X.] kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da die erforderliche Anhörung durch das Beschwerdegericht fehlt.

Günter     

  

Klinkhammer     

  

Nedden-Boeger

  

Botur     

  

Pernice     

  

Meta

XII ZB 345/22

08.02.2023

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Wiesbaden, 15. Juli 2022, Az: 4 T 140/22

§ 276 Abs 1 S 1 FamFG, Art 103 Abs 1 GG, § 1896 Abs 3 BGB vom 17.12.2008

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.02.2023, Az. XII ZB 345/22 (REWIS RS 2023, 943)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 943

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XII ZB 504/11

XII ZB 327/20

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