Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.01.2014, Az. V ZR 249/12

V. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 8398

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
V ZR
249/12
Verkündet am:

24. Januar 2014

Lesniak

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 138 Abs. 1
Ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, das [X.] das Hinzutreten weiterer Umstände den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten erlaubt, liegt bei [X.] grundsätzlich erst ab einer Verkehrswertüber oder -unterschreitung von 90% vor.

[X.], Urteil vom 24. Januar 2014 -
V [X.] -
OLG [X.]

[X.]

-
2
-
Der V. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2014 durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Stresemann, [X.]
Lemke und Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr.
[X.] und Weinland

für Recht erkannt:
Auf die Revision des [X.] wird der Beschluss des Oberlandes-gerichts [X.] -
20. Zivilsenat -
vom 22. Oktober 2012 aufge-hoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger gab am 20. Oktober 2006 gegenüber dem Beklagten ein no-tariell beurkundetes Angebot zum Kauf einer Eigentumswohnung nebst Tiefga-
vom 14. November 2006 an. Unter Berufung auf eine sittenwidrige Überhöhung des Kaufpreises nimmt der Kläger den Beklagten auf Rückabwicklung des [X.] und auf Schadenersatz in Anspruch. Das [X.] hat die Klage [X.]. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das [X.] durch 1
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Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag nicht gemäß §
138 Abs. 1 BGB nichtig. Zwar sei an-gesichts des tatsächlichen Wertes der Wohnung in
Wert der Gegenleistung, so dass ein besonders grobes Missverhältnis zwi-schen Leistung und Gegenleistung bestehe. Der Kläger habe aber nicht hinrei-chend zu den subjektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB vorgetragen. Seine Ausführungen zu einer verwerflichen Gesinnung des Beklagten seien rein spekulativ.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Ausgehend von einem besonders groben
Missverhältnis zwischen Leis-tung und Gegenleistung nimmt das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft an, der Kläger habe zu den subjektiven Voraussetzungen des §
138 Abs. 1 BGB nicht ausreichend vorgetragen.
1.
Ein gegenseitiger Vertrag ist als wucherähnliches Rechtsgeschäft nach §
138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleis-tung ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weite-2
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-
rer Umstand hinzukommt, der den [X.] und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Dies ist ins-besondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten her-vorgetreten ist. Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, lässt dies den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu (Senat, Urteile vom 19. Januar 2001 -
V [X.], [X.]Z 146, 298, 301 ff.; vom 9. Oktober 2009 -
V [X.], [X.], 363 Rn. 12; vom 25. Februar 2011 -
V [X.], NJW-RR 2011, 880 Rn. 13).
2.
Die bei Vorliegen eines
besonders groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung bestehende Vermutung für das Vorliegen einer verwerflichen Gesinnung befreit die nachteilig betroffene Vertragspartei zwar nicht von der Behauptungslast für das Vorliegen des subjektiven Merkmals ei-nes wucherähnlichen Rechtsgeschäfts. An ihren Vortrag sind aber keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie muss die verwerfliche Gesinnung der anderen Vertragspartei nicht ausdrücklich behaupten; es genügt, wenn aus dem Kontext mit dem Vortrag
zu einem groben objektiven Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung ersichtlich ist, dass sich die davon benachteiligte Vertragspartei auf die daraus begründete Vermutung einer verwerflichen Gesinnung der ande-ren Vertragspartei beruft (Senat, Urteil vom 9. Oktober 2009 -
V [X.], [X.], 363 Rn. 19; Urteil vom 10. Februar 2012 -
V [X.], [X.], 1570 Rn. 9). Das Berufungsgericht geht zwar von diesen Grundsätzen aus, missversteht die Rechtsprechung des Senats aber, wenn es meint, der Vortrag
des [X.] genüge diesen Anforderungen nicht. Daran kann es beispielsweise dann fehlen, wenn die Klage auf einen Beratungsfehler gestützt und lediglich in diesem Zusammenhang ein Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Wert be-hauptet wird (vgl. dazu Senat,
Urteil vom 9. Oktober 2009 -
V [X.], [X.], 363 Rn. 11 ff.).
Ist die Klage dagegen auf § 138 BGB gestützt und wird insoweit ein grobes Missverhältnis behauptet, gibt der Kläger damit zu [X.]
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nen, dass er sich auf die tatsächliche Vermutung stützen
will (Urteil vom 10.
Februar 2012 -
V [X.], [X.], 1570 Rn. 9). So ist es hier. Der Klä-ger hat seine Klage mit der Sittenwidrigkeit des Kaufvertrages
begründet. [X.] hinaus hat er sich unter Hinweis auf die einschlägige Senatsrechtspre-chung ausdrücklich auf die durch ein grobes
objektives
Missverhältnis von Leis-tung und Gegenleistung begründete Vermutung einer verwerflichen Gesinnung der anderen Vertragspartei berufen. Eines weitergehenden Sachvortrages be-durfte es nicht.
III.
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Es ist auf-zuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Be-rufungsgericht zurückzuverweisen, da der Rechtsstreit
auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht entscheidungsreif ist (§ 562
Abs. 1, § 563 Abs.
1 Satz 1 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
1.
Von einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
kann bei [X.] erst ausgegangen werden, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegen-leistung
(Senat, Urteil vom 19. Januar 2001
V [X.], [X.]Z 146, 298, 302).
Dies ist bei den von dem Berufungsgericht zugrunde gelegten Wertver-

nicht der Fall.
In der Rechtsprechung des [X.] haben sich bei [X.] für die Bestimmung eines besonders groben Missverhältnisses prozentuale Richtwerte durchge-setzt. Danach kann die hier vorliegende Überteuerung von rund 80% für sich allein die Annahme eines besonders groben Missverhältnisses nicht begründen; auch ein Wertmissverhältnis von 84 % genügte nicht
(vgl. [X.], Urteile vom 7
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-
10.
Dezember 2013 -
XI [X.], [X.], 124
Rn. 24; vom 20. Mai 2003
-
XI [X.], NJW 2003, 2529, 2530; vom 18. März 2003 -
XI ZR 188/02, NJW 2003, 1088, 2090; Senat, vom 10.
Februar 2012 -
V [X.], [X.], 1570
Rn. 15).
Ausgehend von dem für die Annahme eines besonders groben Äquivalenzmissverhältnisses
bestehenden Erfordernis, dass der Wert der Leis-tung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung, ist diese Vo-raussetzung grundsätzlich erst ab
einer Verkehrswertüber-
oder
-unterschreitung von
90% erfüllt.
2.
Das Berufungsgericht
ist
-
aus
seiner Sicht folgerichtig -
den von dem Kläger unter Hinweis auf das nachträglich eingeholte Privatgutachten, das den

und damit zu einer für die An-nahme eines besonders groben Missverhältnisses ausreichenden Überteue-rung von 93 % gelangt,
erhobenen Einwendungen gegen die in dem Gerichts-gutachten vorgenommene Wertfeststellung nicht nachgegangen. Dies
wird es nachzuholen haben. Die auf das Gutachten gestützten Einwendungen des [X.] sind nicht als verspätet zurückzuweisen (§ 531 Abs. 2 Nr. 3
ZPO); der Klä-ger war nicht gehalten, zur Erhebung fachlich fundierter Einwendungen gegen das gerichtliche Gutachten bereits in erster Instanz einen privaten Sachver-ständigen zu beauftragen (vgl. [X.], Urteil vom 21. Dezember 2006
-
VII ZR 279/05, NJW 2007, 1531, 1532).
3.
Sollte der Leistungsaustausch der Parteien auch unter Berücksichti-gung der Einwendungen des [X.] gegen das Gerichtsgutachten außerhalb des Bereichs eines besonders groben Missverhältnisses bleiben, kann allein aus dem Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht der Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Beklagten gezogen werden. Allerdings kann das hier bestehende jedenfalls auffällige Missverhältnis von Leistung und Ge-genleistung im Zusammenhang mit weiteren Umständen die Sittenwidrigkeit 9
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begründen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist (Senat, Urteile vom 19. Januar 2001

V [X.], [X.]Z 146, 298, 301 ff.; vom 27. Juni 2008 -
V [X.], [X.], 1703 Rn. 15; vom 25. Februar 2011
V [X.], NJW-RR 2011, 880 Rn. 13). Die Behauptungs-
und Darlegungslast trifft insoweit den Kläger, ohne
dass er sich zur Darlegung des subjektiven Tatbestandes des § 138 Abs. 1 BGB auf die tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung stützen kann.
Stresemann
Lemke
Ri[X.] Prof. Dr. Schmidt-Räntsch

ist infolge Krankheit an der

Unterschrift gehindert.

[X.], den 26. Februar 2014

Die Vorsitzende

Stresemann

[X.]
Weinland
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 05.06.2012 -
44 O 2490/11 -

OLG [X.], Entscheidung vom 22.10.2012 -
20 [X.] -

Meta

V ZR 249/12

24.01.2014

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.01.2014, Az. V ZR 249/12 (REWIS RS 2014, 8398)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8398

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V ZR 249/12

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XI ZR 508/12

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