Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30.09.2020, Az. I R 76/17

1. Senat | REWIS RS 2020, 3589

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Besteuerungsbefugnis für Geschäftsführervergütungen und -abfindungen nach dem DBA-Polen 2003


Leitsatz

Die vom OECD-Musterabkommen abweichende Sonderregelung des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen 2003, in der die Besteuerungsbefugnis für Vergütungen einer Person in ihrer Eigenschaft als "bevollmächtigter Vertreter" geregelt wird, gilt auch für Geschäftsführer einer deutschen GmbH. Sie erfasst auch Abfindungen.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 09.11.2017 - 6 K 14/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten über einen Haftungsbescheid, durch den die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für Lohnsteuer ihrer ehemaligen Geschäftsführerin, der Beigeladenen, in Anspruch genommen wird. Im Streit ist insbesondere die abkommensrechtliche Behandlung des laufenden Arbeitslohns und einer Abfindung.

2

Die Klägerin, eine inländische GmbH, bestellte die Beigeladene mit Wirkung ab dem 12.11.2007 bis zum 31.12.2010 zum Mitglied der Geschäftsführung und schloss mit ihr am ... 2007 einen entsprechenden Dienstvertrag. Die Beigeladene war für die Weiterentwicklung der Geschäftstätigkeit der Klägerin in Osteuropa zuständig und erfüllte ihre Aufgaben in der [X.] ([X.]) sowie in ihrem Zweitbüro im Inland. Ihr stand ein Dienstwagen zur Verfügung, den sie auch privat nutzen durfte. Der Dienstvertrag wurde durch den [X.] vom ... 2010 mit erhöhten Bezügen bis zum 31.12.2015 verlängert.

3

Die Beigeladene hatte ihren Wohnsitz ausschließlich in [X.]. Ihre Tätigkeit übte sie teilweise in der [X.] ([X.]), zum überwiegenden Teil aber in [X.] und anderen [X.] aus.

4

Im Juli 2013 wurde die Beigeladene von ihren Tätigkeiten freigestellt. Ihre Bestellung zur Geschäftsführerin wurde zum 01.09.2013 widerrufen und am ... 2013 im Handelsregister gelöscht. Auf Grundlage des Aufhebungsvertrags vom ... 2013 endete der Anstellungsvertrag zum [X.] Die Beigeladene erhielt für das [X.] u.a. ihr anteiliges Festgehalt (Jahresgehalt: ... €), eine variable Vergütung in Höhe von ... € sowie einen Betrag in Höhe von ... € zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen. Zudem wurde in dem Aufhebungsvertrag eine Abfindung in Höhe von insgesamt ... € vereinbart. Von dieser Abfindung zahlte die Klägerin im [X.] insgesamt ... € an die Beigeladene.

5

Soweit die Beigeladene ihre Tätigkeit in [X.] ausgeübt hatte, führte die Klägerin für das Festgehalt und die variable Vergütung zeitanteilig Lohnsteuer ab. Die Abfindungszahlung sowie der Vorteil aus der privaten Nutzung des Dienstwagens wurden nicht der Lohnsteuer unterworfen. Eine Freistellungsbescheinigung lag der Klägerin nicht vor.

6

Im [X.] an eine Lohnsteueraußenprüfung nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) die Klägerin hinsichtlich derjenigen Vergütungen und geldwerten Vorteile, für die bisher keine Lohnsteuer angemeldet und abgeführt worden war, mit dem Haftungsbescheid vom 25.11.2014 gemäß § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Anspruch. Der Haftungsbescheid betraf Lohnsteuer der Beigeladenen für den [X.]raum Januar 2010 bis Dezember 2013 in Höhe von insgesamt ... € zuzüglich Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt ... €. Dabei berücksichtigte das [X.] einen geldwerten Vorteil aus der privaten Nutzung des Dienstwagens.

7

Die gegen den Haftungsbescheid erhobene Klage wies das [X.] (FG) [X.] mit Gerichtsbescheid vom 09.11.2017 - 6 K 14/17 (Entscheidungen der [X.]e 2018, 258) als unbegründet ab. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Klägerin durch Haftungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 der Abgabenordnung [X.]) i.V.m. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG seien erfüllt. Darüber hinaus habe das [X.] bei der Inanspruchnahme der Klägerin ermessensfehlerfrei gehandelt (§ 102 der [X.]sordnung --FGO--). [X.]. sei zu berücksichtigen, dass [X.] nach Art. 16 Abs. 2 des Abkommens zwischen der [X.] und der [X.] zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 14.05.2003 ([X.] 2004, 1305, [X.], 350) --DBA-[X.] 2003-- das Besteuerungsrecht für die gesamte Vergütung der Beigeladenen (einschließlich geldwerter Vorteile und Abfindung) gehabt habe.

8

Die Klägerin macht mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung sowie den Haftungsbescheid vom 25.11.2014 über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge für die [X.] von Januar 2010 bis Dezember 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.12.2016 aufzuheben.

9

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die [X.]ntscheidung ergeht gemäß § 126a [X.]O. Der [X.] hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Das [X.] hat die Klage gegen den Lohnsteuerhaftungsbescheid für den Zeitraum Januar 2010 bis Dezember 2013 vom 25.11.2014 in Gestalt der [X.]inspruchsentscheidung vom 23.12.2016 zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hätte nicht nur für denjenigen Teil der laufenden Vergütungen, der auf die Tätigkeit der Beigeladenen in [X.] entfiel, sondern für sämtliche Vergütungen der Beigeladenen (einschließlich geldwerter Vorteile und Abfindungszahlungen) Lohnsteuer i.S. der §§ 38 ff. [X.]StG einbehalten, anmelden und abführen müssen. In Höhe der pflichtwidrig nicht einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer haftet sie gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 AO i.V.m. § 42d Abs. 1 Nr. 1 [X.]StG. Für den Solidaritätszuschlag gilt [X.]ntsprechendes. Die Inanspruchnahme der Klägerin durch den Haftungsbescheid war auch frei von [X.] (§ 102 [X.]O). Insbesondere hat das [X.] zu Recht entschieden, dass sich die Klägerin nicht auf eine abkommensrechtliche Freistellung der bisher nicht der Lohnsteuer unterworfenen Vergütungen berufen kann.

1. Der angefochtene Haftungsbescheid erfüllt die formellen und materiellen Tatbestandsvoraussetzungen des § 191 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 AO i.V.m. § 42d Abs. 1 Nr. 1 [X.]StG.

Gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 [X.]StG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 [X.]StG bei jeder Lohnzahlung für Rechnung des Arbeitnehmers vom Arbeitslohn einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]StG abzuführen hat. Dies gilt auch für den Solidaritätszuschlag (§ 1 Abs. 2 des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 in der für den Haftungszeitraum geltenden Fassung).

a) Nach zutreffender Auffassung des [X.], die von den Beteiligten nicht angegriffen worden ist, war die Klägerin lohnsteuerrechtlich Arbeitgeberin der Beigeladenen.

b) Im Rahmen ihrer beschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 [X.]StG) erzielte die Beigeladene [X.]inkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 [X.]StG der Lohnsteuer unterliegen. Das [X.] ist zutreffend von inländischen [X.]inkünften aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 [X.]StG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c [X.]StG (hinsichtlich der laufenden Geschäftsführervergütung einschließlich der geldwerten Vorteile aus der [X.]) und § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d [X.]StG (hinsichtlich der als Abfindung geleisteten Zahlungen) ausgegangen.

Über den Gesamtbetrag der Vergütungen im Haftungszeitraum und die sich --bei Annahme einer umfassenden Lohnsteuerpflicht-- daraus ergebende Höhe der Lohnsteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag besteht zwischen den Beteiligten im Revisionsverfahren kein Streit. Dies gilt auch für die Höhe der dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Differenz zu der von der Klägerin tatsächlich einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag. Der [X.] sieht keine Anhaltspunkte, diese vom [X.] zugrunde gelegten Beträge in Zweifel zu ziehen.

c) Die Pflicht der Klägerin zur [X.]inbehaltung der Lohnsteuer war nicht durch Vorlage einer Freistellungsbescheinigung gemäß § 39b Abs. 6 [X.]StG a.[X.] entfallen.

Nach dieser Vorschrift erteilt das Betriebsstättenfinanzamt auf Antrag des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers eine Bescheinigung, wenn der vom Arbeitgeber gezahlte Arbeitslohn nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ([X.]) von der Lohnsteuer freizustellen ist. Zwar wurde § 39b Abs. 6 [X.]StG a.[X.] (ebenso wie die besonderen Vorschriften zur Durchführung des Lohnsteuerabzugs für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer gemäß § 39d [X.]StG a.[X.]) durch das Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften ([X.] --BeitrRLUmsG--) vom 07.12.2011 ([X.], 2592, [X.], 1171) zum 01.01.2012 gestrichen und durch eine Mitteilung im Verfahren der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale gemäß § 39 Abs. 4 Nr. 5 [X.]StG n.[X.] ersetzt. § 39b Abs. 6 [X.]StG a.[X.] galt aber gemäß § 52 Abs. 50g und 51b [X.]StG i.d.[X.] des BeitrRLUmsG für den gesamten Haftungszeitraum weiter fort (vgl. [X.] vom 08.11.2018, BStBl I 2018, 1137, Rz 6 und 89 ff.).

Nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) lag eine Freistellungsbescheinigung i.S. des § 39b Abs. 6 [X.]StG a.[X.] zum Zeitpunkt der streitigen Zahlungen weder vor noch war sie beantragt. Unter Berücksichtigung des Art. 29 [X.]-[X.] 2003 folgt daraus, dass die Klägerin die Lohnsteuer für den an die Beigeladene gezahlten Arbeitslohn auch dann einbehalten und abführen musste, wenn nach dem [X.]-[X.] 2003 eine (teilweise) Freistellung von der inländischen [X.]inkommensteuer vorgesehen war ([X.]surteil vom 12.06.1997 - I R 72/96, [X.], 30, [X.] 1997, 660 zur vergleichbaren Regelung in Art. 25b des [X.]-Frankreich und in Abgrenzung zum [X.]surteil vom 10.05.1989 - I R 50/85, [X.], 142, [X.] 1989, 755).

d) Auch die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen einer Inanspruchnahme der Klägerin durch Haftungsbescheid lagen vor.

Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass weder ein Verschulden der Klägerin (vgl. Beschluss des [X.] --BFH-- vom 19.05.2009 - VI B 8/08, [X.], 1454) noch eine Festsetzung der zugrunde liegenden Steuerschuld (BFH-Urteil vom 15.02.2011 - VII R 66/10, [X.], 313, [X.] 2011, 534 zur Lohnsteuer, m.w.N.; vgl. auch [X.] vom 21.05.2004 - V B 212/03, [X.]NV 2004, 1368, m.w.N.) erforderlich waren.

§ 191 Abs. 5 Nr. 1 AO stand der Inanspruchnahme der Klägerin ebenfalls nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift hätte der angefochtene Haftungsbescheid nicht ergehen dürfen, soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann. Dies ist Folge des allgemeinen Grundsatzes der Akzessorietät der Haftungsschuld. Maßgebend ist der Zeitpunkt des [X.]rlasses des [X.], d.h. eine anschließende Festsetzungsverjährung der zugrunde liegenden Steuerschuld ist unschädlich (BFH-Urteil vom 11.07.2001 - VII R 28/99, [X.], 510, [X.] 2002, 267).

Im Streitfall hat das [X.] den an die Klägerin gerichteten Lohnsteuerhaftungsbescheid bereits im Jahr 2014 erlassen. Zu diesem Zeitpunkt war die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. [X.]) für die Lohnsteuerschulden der Beigeladenen für den Haftungszeitraum Januar 2010 bis Dezember 2013 --auch ohne Rückgriff auf § 171 Abs. 15 AO-- noch nicht abgelaufen. [X.]ntsprechendes gilt für die [X.]inkommensteuerschulden der Beigeladenen, so dass es nicht darauf ankommt, ob zumindest im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 [X.]StG allein auf die Lohnsteuer abzustellen ist (vgl. BFH-Urteil vom 06.03.2008 - VI R 5/05, [X.], 307, [X.] 2008, 597, und [X.] vom 17.03.2016 - VI R 3/15, [X.]NV 2016, 994 zur Berechnung der Festsetzungsfristen; auch BFH-Urteil vom 21.09.2017 - VIII R 59/14, [X.], 411, [X.] 2018, 163 zur Kapitalertragsteuer, und [X.]surteil vom 07.11.2019 - I R 46/17, [X.], 323, [X.] 2020, 552 zur Bauabzugsteuer) oder ob --und gegebenenfalls unter welchen [X.] (auch) die individuelle [X.]inkommensteuerschuld Bedeutung erlangt (vgl. [X.] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.10.2018 - 4 K 4263/17, Revision [X.]; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 42d [X.]StG Rz 22 und 75; [X.]/[X.], [X.]StG, 39. Aufl., § 42d Rz 2 und 11, jeweils m.w.N.).

2. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass das [X.] den angefochtenen Haftungsbescheid ermessenfehlerfrei erlassen hat (§ 102 [X.]O). Dies gilt sowohl für das Auswahl- als auch für das [X.]ntschließungsermessen.

a) Hinsichtlich des Auswahlermessens hat das [X.] zutreffend nicht beanstandet, dass das [X.] von den Gesamtschuldnern i.S. des § 42d Abs. 3 Satz 1 [X.]StG die Klägerin als Arbeitgeberin und nicht die Beigeladene als Arbeitnehmerin in Anspruch genommen hat. Die [X.]rwägung des [X.], wegen des ausländischen Wohnsitzes der Beigeladenen auf die Klägerin als Haftungsschuldnerin zurückzugreifen, war frei von [X.] (vgl. auch [X.]sbeschlüsse vom 03.12.1996 - I B 44/96, [X.], 562, [X.] 1997, 306; vom 08.11.2000 – I B 59/00, juris; [X.]surteil vom 19.12.2012 - I R 81/11, [X.]NV 2013, 698, jeweils m.w.N.).

b) Im Rahmen des [X.] hat das [X.] im [X.]rgebnis zu Recht entschieden, dass die Haftungsinanspruchnahme im Streitfall nicht wegen eines entschuldbaren [X.] ausgeschlossen sein kann (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 18.09.1981 - VI R 44/77, [X.], 149, [X.] 1981, 801; vom 24.01.1992 - VI R 177/88, [X.], 359, [X.] 1992, 696; vom 18.08.2005 - VI R 32/03, [X.], 420, [X.] 2006, 30; [X.]/[X.], a.a.[X.], § 42d Rz 26).

Dies folgt bereits daraus, dass die Klägerin nach Aktenlage im Namen der Beigeladenen für sämtliche Jahre des [X.] vor Ablauf der jeweiligen Kalenderjahre Anträge auf [X.]rteilung einer Bescheinigung für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer gestellt hat, ohne Angaben in Teil [X.] der [X.] zu machen. Teil [X.] betraf aber gerade die Möglichkeit, sich abkommensrechtliche Freistellungen durch eine entsprechende Freistellungsbescheinigung vom Betriebsstättenfinanzamt bestätigen zu lassen. Da die Klägerin diese Möglichkeit nicht genutzt hat, geht ein etwaiger Irrtum über die Anwendbarkeit und Reichweite der abkommensrechtlichen Freistellungen in jedem Fall zu ihren Lasten.

3. Schließlich hat das [X.] rechtsfehlerfrei entschieden, dass das [X.]-[X.] 2003 keine --auch keine teilweise-- Freistellung der Geschäftsführervergütungen der Beigeladenen von der inländischen Besteuerung vorsieht. [X.] hat als Ansässigkeitsstaat der Klägerin gemäß Art. 16 [X.]-[X.] 2003 das Besteuerungsrecht für sämtliche Geschäftsführervergütungen der Beigeladenen (einschließlich der Abfindung).

Im Streitfall kann es deshalb dahingestellt bleiben, ob und inwieweit eine durch abkommensrechtliche Freistellung niedrigere [X.]inkommensteuerschuld der Beigeladenen im Rahmen der Prüfung der [X.]rmessensentscheidung (§ 102 [X.]O) zu berücksichtigen gewesen wäre. [X.]ntsprechendes gilt für die Frage, welchen [X.]influss es hat, dass zum Zeitpunkt der Lohnzahlungen keine Freistellungsbescheinigung i.S. des § 39b Abs. 6 [X.]StG a.[X.] erteilt oder beantragt war, sowie für die hiermit zusammenhängende Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche Bescheinigung rückwirkend erteilt werden könnte.

a) Nach der [X.] Sprachfassung des Art. 16 Abs. 1 [X.]-[X.] 2003 können "Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsvergütungen" und ähnliche Zahlungen, die eine in [X.] ansässige Person "in ihrer [X.]igenschaft als Mitglied des Aufsichts- oder Verwaltungsrats" einer in [X.] ansässigen [X.] bezieht, in [X.] besteuert werden. Art. 16 Abs. 2 [X.]-[X.] 2003 erweitert diese Regelung auf Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in [X.] ansässige Person "in ihrer [X.]igenschaft als bevollmächtigter Vertreter" einer in [X.] ansässigen [X.] bezieht.

Dagegen bezieht sich die [X.] Sprachfassung des Art. 16 Abs. 1 [X.]-[X.] 2003 ([X.] 2004, 1305) nicht auf den Verwaltungsrat, sondern auf die Geschäftsführung bzw. den Vorstand ("zarzadu", "zarzadzie spolki"). Nach der [X.] des [X.]-[X.] 2003 sind die [X.] und die [X.] Sprachfassung gleichermaßen verbindlich.

b) Auch wenn in der [X.] Sprachfassung des Art. 16 [X.]-[X.] 2003 Geschäftsführer einer GmbH nicht ausdrücklich erwähnt werden, sind sie als "bevollmächtigter Vertreter" i.S. des Art. 16 Abs. 2 [X.]-[X.] 2003 anzusehen ([X.] in [X.]/[X.], [X.], 6. Aufl., Art. 16 Rz 23a; [X.] in [X.], [X.]/[X.], 3. Aufl., Art. 16 [X.] Rz 44; [X.]/Piekielnik, Internationales Steuerrecht 2005, 366; wohl auch [X.], [X.] 2018, 435, 437; a.[X.] in [X.], [X.] Art. 16 Rz 19).

aa) Zur [X.]rmittlung des [X.] eines völkerrechtlichen Vertrags ist das [X.] Übereinkommen über das Recht der Verträge vom [X.] --[X.]-- ([X.] 1985, 927) heranzuziehen, das seit Inkrafttreten des [X.] vom 03.08.1985 ([X.] 1985, 926) am [X.] ([X.] 1987, 757) in innerstaatliches Recht transformiert ist ([X.]surteile vom 11.07.2018 - I R 44/16, BFH[X.] 262, 354; vom 30.05.2018 - I R 62/16, BFH[X.] 262, 54). Danach sind [X.] nach [X.] in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen (Art. 31 Abs. 1 [X.]). Maßgeblich sind insbesondere der Wortlaut des Vertrags (Art. 31 Abs. 2 [X.]) und die gewöhnliche Bedeutung der verwendeten Ausdrücke (vgl. [X.]surteil vom 27.02.2019 - I R 73/16, BFH[X.] 263, 525, [X.] 2019, 394).

Dem entsprechend sind abkommensrechtliche Begriffe nach der Rechtsprechung des [X.]s (Urteile vom 25.02.2004 - I R 42/02, BFH[X.] 206, 5, [X.] 2005, 14; vom 26.08.2010 - I R 53/09, BFH[X.] 231, 63, [X.] 2019, 147) zunächst nach dem Wortlaut und den Definitionen des Abkommens und sodann nach dem Sinn und dem Vorschriftenzusammenhang innerhalb des Abkommens auszulegen. Auf die Begriffsbestimmungen des innerstaatlichen Rechts ist grundsätzlich erst auf einer nachgelagerten Prüfungsebene zurückzugreifen.

bb) Hiervon ausgehend ist im Streitfall festzustellen, dass der Begriff "bevollmächtigter Vertreter" des Art. 16 Abs. 2 [X.]-[X.] 2003 nicht in dem Abkommen definiert ist. Außerdem lässt sich unter Berücksichtigung der gewöhnlichen Bedeutung dieses Begriffs aus dem Wortlaut keine Beschränkung auf rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Vertreter herleiten. Vielmehr handelt es sich um eine allgemeine Formulierung, die grundsätzlich auch diejenigen Vertreter erfassen kann, deren gesetzliche Vertretungsmacht auf einer organschaftlichen Stellung beruht.

Darüber hinaus ist im Rahmen der abkommensrechtlichen Auslegung entscheidend, dass Art. 16 Abs. 2 [X.]-[X.] 2003 eine [X.]rweiterung des Art. 16 Abs. 1 [X.]-[X.] 2003 darstellt, der seinerseits auf Art. 16 des Musterabkommens der Organisation for [X.]conomic Cooperation and Development (O[X.]CD-Musterabkommen --O[X.]CD-MustAbk--) beruht. Art. 16 O[X.]CD-MustAbk zielt darauf ab, die Besteuerungsrechte für Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen nicht wie in Art. 15 O[X.]CD-MustAbk nach dem [X.], sondern nach dem Ansässigkeitsort der [X.] zuzuordnen. Hintergrund sind vor allem praktische Schwierigkeiten bei der Feststellung, wo solche Leistungen erbracht werden (Art. 16 Nr. 1 O[X.]CD-Musterkommentar). Teilweise ist diese Sonderregelung in den von [X.] abgeschlossenen [X.] ausdrücklich auf Geschäftsführer erweitert worden (Beispiele bei [X.] in [X.]/[X.], a.a.[X.], Art. 16 Rz 21 ff.). Aus den ausdrücklichen Regelungen anderer [X.] lässt sich aber nicht der Umkehrschluss ziehen, dass das Fehlen der Bezugnahme auf Geschäftsführer in Art. 16 Abs. 2 [X.]-[X.] 2003 gegen ihre [X.]inbeziehung in den Regelungsbereich dieser Vorschrift spricht. Vielmehr enthält Art. 16 Abs. 2 [X.]-[X.] 2003 eine besonders weitgehende [X.]rgänzung, die (auch) Generalbevollmächtigte und Prokuristen erfasst. [X.]s bestehen keine Anhaltspunkte, weshalb bei solch einer umfangreichen [X.]rweiterung gerade Geschäftsführer ausgenommen sein sollen.

Im Übrigen werden [X.] Gerichte und Verwaltungsbehörden wegen der [X.]n Sprachfassung des Art. 16 Abs. 1 [X.]-[X.] 2003, der sich ausdrücklich auch auf Geschäftsführer bezieht, zumindest in der Konstellation des Streitfalls --in [X.] ansässige Geschäftsführerin einer in [X.] ansässigen [X.]-- ebenfalls von einer Besteuerung der gesamten Geschäftsführervergütungen in [X.] ausgehen. Ob die Beigeladene von sich aus die streitigen [X.]inkünfte in [X.] erklärt und im Wege der Selbstveranlagung der [X.]n Besteuerung unterworfen hat, spielt insofern keine Rolle.

cc) Art. 3 Abs. 2 [X.]-[X.] 2003 führt zu keinem anderen [X.]rgebnis, ohne dass es einer abschließenden [X.]ntscheidung über dessen Verhältnis zu den Auslegungsgrundsätzen des [X.] bedarf (vgl. hierzu Nachweise im [X.]surteil in BFH[X.] 263, 525, [X.] 2019, 394).

Nach Art. 3 Abs. 2 [X.]-[X.] 2003 soll [X.] der Zusammenhang nichts anderes erfordert-- ein nicht im Abkommen definierter Begriff diejenige Bedeutung haben, die ihm nach dem Steuerrecht des Anwenderstaates in dem jeweiligen [X.] zukommt (sog. [X.]). Im Streitfall weicht das Begriffsverständnis des nationalen Rechts aber nicht von dem [X.]rgebnis der abkommensrechtlichen Auslegung ab.

Der Begriff "bevollmächtigter Vertreter" wird nur im nationalen Zivilrecht als Abgrenzung zum organschaftlichen Vertreter verwendet, dessen Handeln der juristischen Person wie [X.]igenhandeln zuzurechnen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 16.05.2017 - II [X.], [X.], 69). Im nationalen Steuerrecht hat der Begriff dagegen keine einschränkende Bedeutung. Vielmehr kann ein organschaftlich handelnder Geschäftsführer steuerrechtlich ständiger "Vertreter" i.S. des § 13 AO sein ([X.]surteil vom 23.10.2018 - I R 54/16, BFH[X.] 263, 102, [X.] 2019, 365). [X.]ntsprechendes muss auch für die Formulierung "bevollmächtigter Vertreter" gelten, da die zusätzliche Voraussetzung einer Bevollmächtigung nicht gleichbedeutend mit einer Begrenzung auf rechtsgeschäftliche Bevollmächtigungen ist.

c) Art. 16 Abs. 2 [X.]-[X.] 2003 erfasst die gesamten Geschäftsführervergütungen der Beigeladenen einschließlich der Abfindung.

Nach ihrem Wortlaut regelt die Vorschrift ein Besteuerungsrecht für "Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen", die von einer Person "in ihrer [X.]igenschaft als bevollmächtigter Vertreter einer [X.]" bezogen werden.

Aufgrund dieses Wortlauts ist die Rechtsprechung des [X.]s zur Behandlung von Abfindungen nach abkommensrechtlichen Regelungen, die Art. 15 O[X.]CD- MustAbk nachgebildet sind, nicht entsprechend anwendbar. Zwar hat der [X.] zu solchen abkommensrechtlichen Regelungen wiederholt entschieden, dass Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses nicht im [X.], sondern im Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers zu besteuern sind, da es sich nicht um ein [X.]ntgelt für die frühere Tätigkeit, sondern um ein [X.]ntgelt für den Verlust des Arbeitsplatzes handelt (vgl. [X.]surteile vom 02.09.2009 - I R 111/08, BFH[X.] 226, 276, [X.] 2010, 387; vom 10.06.2015 - I R 79/13, BFH[X.] 250, 110, [X.] 2016, 326; vom 11.04.2018 - I R 5/16, BFH[X.] 261, 27, [X.] 2018, 761). Dabei hat er aber maßgeblich auf die in Art. 15 Abs. 1 Satz 2 O[X.]CD-MustAbk geregelte Verknüpfung mit der Tätigkeit ("dafür") abgestellt.

Nach Art. 16 Abs. 2 [X.]-[X.] 2003 genügt es dagegen, wenn die Vergütung in der "[X.]igenschaft als bevollmächtigter Vertreter" bezogen wird. Damit knüpft die Vorschrift nicht an die konkrete Tätigkeit, sondern lediglich an den Status des Steuerpflichtigen an, im Streitfall also an den Status der Beigeladenen als Geschäftsführerin der Klägerin. Deshalb werden auch Abfindungen erfasst, die aufgrund der Beendigung dieses Status gezahlt werden (s. [X.]surteil vom 24.07.2013 - I R 8/13, BFH[X.] 245, 291, [X.] 2014, 929 zum [X.]-Frankreich; vgl. auch [X.] in [X.]/[X.], a.a.[X.], Art. 16 Rz 4c; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., Art. 16 Rz 38). Der konkrete Zeitpunkt der Zahlung ist dabei unerheblich. Weder die tatsächliche Beendigung der Geschäftsführertätigkeit noch der Widerruf der Bestellung, die Löschung der [X.]intragung im Handelsregister oder die Beendigung des [X.] ändern etwas daran, dass die Abfindung aufgrund des (früheren) Status als Geschäftsführer gezahlt wird.

Folge des Vorstehenden ist zudem, dass es im anhängigen Verfahren auf die Anwendbarkeit des § 50d Abs. 12 [X.]StG n.[X.], der eine Ausweitung des [X.] Besteuerungsrechts für Abfindungen zur Folge haben soll (BTDrucks 18/10506, S. 78), nicht ankommt.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I R 76/17

30.09.2020

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend FG Hamburg, 9. November 2017, Az: 6 K 14/17, Urteil

Art 16 DBA POL 2003, Art 3 Abs 2 DBA POL 2003, § 39b Abs 6 EStG 2009, § 42d EStG 2009, § 49 Abs 1 Nr 4 Buchst c EStG 2009, § 49 Abs 1 Nr 4 Buchst d EStG 2009, § 191 Abs 1 S 1 AO, § 191 Abs 5 Nr 1 AO, § 169 Abs 2 S 1 Nr 2 AO, EStG VZ 2010, EStG VZ 2011, EStG VZ 2012, EStG VZ 2013, Art 31 VtrRKonv

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30.09.2020, Az. I R 76/17 (REWIS RS 2020, 3589)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3589

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L 13 R 485/22 B PKH

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