Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.04.2010, Az. VI R 29/08

6. Senat | REWIS RS 2010, 7460

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Haftung des Arbeitgebers für von einer Angestellten hinterzogenen Lohnsteuer


Leitsatz

Der Haftungsausschluss nach § 42d Abs. 2 i.V.m. § 41c Abs. 4 EStG setzt stets eine Korrekturberechtigung i.S. des § 41c Abs. 1 EStG voraus. Daran fehlt es, wenn eine Lohnsteuer-Anmeldung vorsätzlich fehlerhaft abgegeben worden war und dies dem Arbeitgeber zuzurechnen ist (§ 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG)      .

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für [X.] haftet, die aufgrund von Steuerhinterziehungen einer Arbeitnehmerin zu niedrig angemeldet und abgeführt worden waren.

2

Für die Lohnbuchhaltung der Klägerin, einer GmbH, war in den Jahren 2001 bis 2003 die [X.]ersonalleiterin ([X.]) zuständig. In dieser [X.] manipulierte sie ihre eigenen Gehaltsabrechnungen. Dadurch führte die Klägerin für [X.] insgesamt 43.617,17 € zu wenig Lohnsteuer, [X.] sowie [X.] an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) ab.

3

Bei einer vom [X.] für die Jahre 1999 bis 2002 durchgeführten [X.] wurden die Manipulationen der [X.] nicht entdeckt.

4

Während einer weiteren [X.] für die Jahre 2003 bis 2005 zeigte die Klägerin dem [X.] unter Hinweis auf § 41c des Einkommensteuergesetzes (EStG) an, dass [X.] nicht mehr Arbeitnehmerin bei ihr sei. Gleichzeitig teilte die Klägerin mit, dass in den Jahren 2002 und 2003 sowie vermutlich ebenfalls in den Vorjahren zu wenig Lohnsteuer einbehalten worden sei.

5

Nach Abschluss der Außenprüfung, die auf die Jahre 1996 bis 2002 erweitert wurde, nahm das [X.] die Klägerin gemäß § 42d EStG als Haftungsschuldnerin für die [X.] in Anspruch.

6

Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1622 veröffentlichten Gründen ab.

7

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

8

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des [X.] sowie den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

9

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass der von der Klägerin angegriffene Haftungsbescheid rechtmäßig ist.

1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 3 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die --wie im Streitfall unstreitig-- aufgrund fehlender Angaben im Lohnkonto oder in der Lohnsteuerbescheinigung verkürzt wird. Damit liegen die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftungsbescheides dem Grunde nach vor.

2. Im Streitfall ist die Haftung der Klägerin auch nicht gemäß § 42d Abs. 2 i.V.m. § 41c Abs. 4 EStG ausgeschlossen. Danach haftet der Arbeitgeber nicht, wenn er dem [X.] gegenüber von seinem Recht zur Änderung des Lohnsteuereinbehalts (§ 41c Abs. 1 EStG) keinen Gebrauch macht (§ 41c Abs. 4 Satz 1  1. Alternative EStG) oder hiervon keinen Gebrauch machen kann (§ 41c Abs. 4 Satz 1 2. Alternative EStG) und dies dem Betriebsstättenfinanzamt unverzüglich anzeigt. Eine haftungsbefreiende Anzeige nach § 41c Abs. 4 EStG setzt damit stets eine Korrekturberechtigung nach § 41c Abs. 1 EStG voraus. Die Gesetzesbegründung zeigt, dass der Steuergesetzgeber mit § 41c Abs. 4 EStG kein allgemeines Haftungsprivileg für alle die Fälle schaffen wollte, in denen der Arbeitgeber aus tatsächlichen Gründen (§ 41c Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG) keine Lohnsteuerkorrektur mehr vornehmen kann (BTDrucks 7/1470, S. 306; 7/2180, [X.]). Zudem ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum die Haftung des Arbeitgebers allein deshalb entfallen soll, weil er die Finanzbehörde über den [X.] informiert (Trzaskalik in: Kirchhof/[X.]/ [X.], EStG, § 41c [X.] E 2).

Deshalb hat das [X.] im Ergebnis zutreffend der während der [X.] abgegebenen Anzeige der Klägerin keine haftungsbefreiende Wirkung beigemessen. Der Klägerin fehlte vorliegend die Korrekturberechtigung nach § 41c Abs. 1 EStG. Nach § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG ist der Arbeitgeber berechtigt, Lohnsteuer nachträglich einzubehalten, wenn er später erkennt, dass der bisherige Lohnsteuereinbehalt nicht ordnungsgemäß war.

a) Erkennen i.S. des § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG ist nach der bisherigen Senatsrechtsprechung das [X.] von Kenntnissen nach Abgabe der fehlerhaften [X.] (Urteil vom 4. Juni 1993 VI R 95/92, [X.], 74, [X.] 1993, 687). Diese am Wortsinn orientierte Auslegung schließt ein Erkennen bei vorsätzlichem fehlerhaften Lohnsteuereinbehalt aus (Urteil des [X.] --BFH-- in [X.], 74, [X.] 1993, 687; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 42d EStG [X.]; [X.] in [X.]/Altehoefer, Kommentar zum [X.], § 41c [X.] 34, 37, 41; [X.]/Meeßen/Wolf, [X.] Lohnsteuer, "Haftung für Lohnsteuer", [X.]; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], Kommentar, § 41c [X.] 8). Eine Auslegung dahingehend, dass eine "bessere" Erkenntnis bei bewusst falschem Lohnsteuereinbehalt später eintreten kann, überschreitet die Grenzen des Wortlauts ([X.]/[X.]mann, § 41c EStG [X.] 12 f.; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], a.a.O.).

Ein Arbeitgeber kann sich zudem nicht auf mangelnde eigene Kenntnis berufen, wenn ein von ihm eingesetzter Mitarbeiter positive Kenntnis über den fehlerhaften Lohnsteuereinbehalt hat (BFH-Urteil in [X.], 74, [X.] 1993, 687). Dadurch, dass ein Arbeitgeber seine [X.]flichten nicht in eigener [X.]erson, sondern durch Dritte erfüllt, kann er sich nicht seiner Verantwortung entziehen. Denn nach § 166 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist dem Vertretenen das Wissen des Vertreters zuzurechnen. Körperschaften müssen sich daher nicht nur das Wissen des gesetzlichen Vertreters, zum Beispiel des Vorstands, zurechnen lassen, sondern darüber hinaus auch das Wissen sämtlicher Bevollmächtigter in der Organisationseinheit nach Maßgabe ihrer Befugnisse (Urteil des [X.] --BGH-- vom 1. März 1984 [X.], Neue juristische Wochenschrift 1984, 1953). "[X.]" ist somit jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen ([X.] vom 24. Januar 1992 [X.], [X.], 104). Dies gilt nicht nur für rechtsgeschäftliche Handlungen, sondern unter anderem auch für die Verpflichtung zur Abgabe von Erklärungen (§ 149 der Abgabenordnung) gegenüber der Finanzbehörde (vgl. [X.] vom 7. März 2007 [X.]/06, [X.], 1801).

b) Folglich hat die Klägerin den fehlerhaften Lohnsteuereinbehalt nicht i.S. von § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG erkannt. Vielmehr hat [X.], die als Buchhalterin von der Klägerin beauftragt war, die Lohnabrechnungen durchzuführen und die [X.] an das [X.] zu übermitteln, unstreitig den Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht. Die Kenntnis ihrer [X.]in um die bewusst falschen [X.] muss sich die Klägerin zurechnen lassen.

Ein Erkennen der Klägerin i.S. des § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG im Rahmen der [X.] war daher ausgeschlossen.

3. Auf die vom [X.] erörterte Frage, ob der Haftungsausschluss zumindest dann, wenn die Anzeige des Arbeitgebers nicht aus eigenem Antrieb, sondern erst aufgrund von Hinweisen oder Feststellungen eines [X.]s erfolgt, versagt werden müsste, kam es hiernach nicht mehr an. Aus dem gleichen Grund brauchte der erkennende Senat auch nicht der [X.] der Klägerin --in Form des übergangenen [X.] nachzugehen. Denn nach der vorstehend vom Senat zugrunde gelegten Rechtsauffassung kam es auch nicht mehr darauf an, wann und in welcher Tiefe der [X.] Kenntnisse über die Steuerhinterziehung der [X.] erlangt hatte.

4. Dass das [X.] die streitbefangene Lohnsteuer nebst Annexsteuern --abgesehen von der Frage des [X.] durch einen Haftungsbescheid festsetzen durfte, ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht mehr streitig.

Meta

VI R 29/08

21.04.2010

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Bremen, 21. Mai 2008, Az: 2 K 74/07 (1), Urteil

§ 42d Abs 2 EStG 2002, § 41c Abs 1 Nr 2 EStG 2002, § 41c Abs 4 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.04.2010, Az. VI R 29/08 (REWIS RS 2010, 7460)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 7460

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI R 47/18 (Bundesfinanzhof)

Rechtswidrigkeit eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids bei Unterschreitung des Auswahlermessens


VI R 84/10 (Bundesfinanzhof)

Lohnsteuerprivileg des Arbeitgebers in der Schifffahrt - Verweildauer von 183 Tagen auf einem Schiff desselben …


VI R 30/17 (Bundesfinanzhof)

Keine Kürzung der einbehaltenen Lohnsteuer bei überwiegend nicht qualifiziertem Betrieb eines Handelsschiffes im Wirtschaftsjahr


VI R 3/15 (Bundesfinanzhof)

Kein Lohnsteuer-Haftungsbescheid gegen den Arbeitgeber bei Festsetzungsverjährung der Lohnsteuerschuld gegenüber dem Arbeitnehmer


VI R 19/20 (Bundesfinanzhof)

(Kein Werbungskostenabzugsverbot gemäß § 12 Nr. 3 EStG bei der Haftungsinanspruchnahme des Geschäftsführers für Lohnsteuer, …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.