Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.03.2010, Az. I R 69/08

1. Senat | REWIS RS 2010, 8379

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Gegenstand

Dienstreisen eines Grenzgängers im Ansässigkeitsstaat außerhalb der Grenzzone führen zu Nichtrückkehrtagen


Leitsatz

NV: Bei einer Beschäftigung in der Grenzzone während des ganzen Kalenderjahres geht die Grenzgängereigenschaft nach Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich nur dann verloren, wenn der Arbeitnehmer an mehr als 45 Arbeitstagen (Nichtrückkehrtagen) entweder nicht zum Wohnsitz zurückkehrt oder ganztägig außerhalb der Grenzzone für seinen Arbeitgeber tätig ist. Dienstreisen außerhalb der Grenzzone führen hierbei auch insoweit zu Nichtrückkehrtagen, als sie im Ansässigkeitsstaat durchgeführt werden (Anschluss an Senatsurteil vom 11. November 2009 I R 84/08, BFHE 227, 410, BFH/NV 2010, 527).

Tatbestand

1

I. Streitig ist die [X.]nwendung der Grenzgängerregelung des [X.]rt. 13 [X.]bs. 5 des [X.]bkommens zwischen der [[X.].] und der [[X.].] zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige [X.]mts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 ([[X.].] 1961, 398) i.d.F. vom 28. September 1989 ([[X.].] 1990, 772) --DB[X.]-[[X.].]-- auf einen in [[X.].] ansässigen und in [[X.].] beschäftigten [X.]rbeitnehmer.

2

Bei der Klägerin und [[X.].] (Klägerin), einer KG mit Sitz in [X.]/[[X.].], war in den Streitjahren 2001 bis 2003 als Verkaufsleiter der in [X.]/[[X.].] wohnende [X.]rbeitnehmer [X.] beschäftigt. [X.] führte in den Streitjahren an 75 (2001), 66 (2002) und 65 (2003) Tagen Dienstreisen außerhalb des in [X.]rt. 13 [X.]bs. 5 Buchst. b DB[X.]- [[X.].] festgelegten [X.] (der sog. Grenzzone) durch, die nach den im Erörterungstermin beim Finanzgericht (FG) vorgelegten [X.]ufstellungen u.a. auf folgende Tage entfielen:

3

                                     

2001

2002

2003

Dienstreisetage insgesamt

75

66

65

eintägige Dienstreisen mit Beginn und Ende am Wohnsitz (ohne Wochenenden) 3 10 8
Dienstreisetage mit Übernachtung (ohne Hinreisetage und Wochenenden) 28 17 19
Hinreisetage mit [X.]breise vom Sitz der Klägerin (ohne Wochenenden) 16 13 13
Rückreisetage mit Rückkehr zum Wohnsitz nach 17 Uhr (ohne Wochenenden) 3 7 6

4

Die Klägerin sah [X.] in den Streitjahren als Grenzgänger i.S. des [X.]rt. 13 [X.]bs. 5 DB[X.]-[[X.].] an und unterwarf dessen [X.]rbeitslohn nicht dem Lohnsteuerabzug.

5

Im [X.]nschluss an eine Lohnsteuer-[X.]ußenprüfung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --F[X.]--) gegenüber der Klägerin einen Haftungsbescheid für die Streitjahre über Lohnsteuer und [X.] in Höhe von insgesamt … €. Er ging hierbei davon aus, dass sich [X.] in den Streitjahren an jeweils mehr als 45 Tagen außerhalb des Grenzgebietes aufgehalten habe und daher nicht als Grenzgänger i.S. des [X.]rt. 13 [X.]bs. 5 DB[X.]-[[X.].] anzusehen sei.

6

Der hiergegen erhobenen Klage gab das [X.], [X.]ußensenate Freiburg, mit Urteil vom 10. Juni 2008  11 K 21/06, veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1857, statt.

7

Mit der Revision rügt das F[X.] die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

9

Dem Revisionsverfahren ist das [X.] ([X.]) beigetreten (§ 122 [X.]bs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das [X.] hat keinen [X.]ntrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur [X.]ufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Klageabweisung (§ 126 [X.]bs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.]O). Das [X.] hat zu Unrecht entschieden, dass [X.] in den Streitjahren als Grenzgänger i.S. des [X.]rt. 13 [X.]bs. 5 D[X.][X.]-[X.] mit seinen gesamten Einkünften aus nichtselbständiger [X.]rbeit in [X.] zu besteuern und der angefochtene [X.] deshalb rechtswidrig ist.

1. [X.] war in den Streitjahren gemäß § 1 [X.]bs. 4 des Einkommensteuergesetzes 1997/2002 (EStG 1997/2002) beschränkt steuerpflichtig; er unterlag gemäß § 49 [X.]bs. 1 Nr. 4 EStG 1997 bzw. Nr. 4 [X.]uchst. a EStG 1997 i.d.F. des Standortsicherungsgesetzes/§ 49 [X.]bs. 1 Nr. 4 [X.]uchst. a EStG 2002 mit den in den Streitjahren erzielten Einkünften aus der im Inland ausgeübten nichtselbständigen [X.]rbeit der Einkommensteuer. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (vgl. § 118 [X.]bs. 2 [X.]O) hatte [X.] in den Streitjahren einen Wohnsitz in [X.] und übte seine [X.]rbeit im Inland für die Klägerin aus.

2. Entgegen der [X.]uffassung des [X.] war die [X.]usübung des hiernach bestehenden [X.]esteuerungsrechts im Streitfall nicht durch [X.]rt. 13 [X.]bs. 5 D[X.][X.]-[X.] eingeschränkt. Denn [X.] ist in den Streitjahren nicht als Grenzgänger anzusehen.

a) Nach [X.]rt. 13 [X.]bs. 5 [X.]uchst. a D[X.][X.]-[X.] können Einkünfte aus nichtselbständiger [X.]rbeit von Personen, die im Grenzgebiet eines Vertragsstaates arbeiten und ihre ständige Wohnstätte, zu der sie in der Regel jeden Tag zurückkehren, im Grenzgebiet des anderen Vertragsstaates haben, abweichend von [X.]rt. 13 [X.]bs. 1 D[X.][X.]-[X.] nur in diesem anderen Staat besteuert werden. Das Grenzgebiet umfasst nach [X.]rt. 13 [X.]bs. 5 [X.]uchst. b D[X.][X.]-[X.] die Gemeinden, deren Gebiet ganz oder teilweise höchstens 20 km von der Grenze entfernt liegt; die Grenzgängerregelung ist auch für alle Personen anwendbar, die ihre ständige Wohnstätte in den [X.] [X.] haben und in [X.] Gemeinden arbeiten, deren Gebiet ganz oder teilweise höchstens 30 km von der Grenze entfernt liegt ([X.]rt. 13 [X.]bs. 5 [X.]uchst. c D[X.][X.]-[X.]). [X.] hatte nach den Feststellungen des [X.] seine ständige Wohnstätte in einem [X.] Grenzdepartement und war im Grenzgebiet in [X.] beschäftigt (vgl. allgemein [X.]MF-Schreiben vom 11. Juni 1996, [X.], 645).

b) Ein [X.]rbeitnehmer verliert die Grenzgängereigenschaft nicht bereits dadurch, dass er nicht täglich von seinem [X.]rbeitsort im Grenzgebiet an seinen Wohnsitz zurückkehrt. Die Nichtrückkehr des [X.]rbeitnehmers an einem [X.]rbeitstag ist insoweit unschädlich, wenn die Summe der [X.]rbeitstage, an denen es an einer solchen Rückkehr fehlt, eine Höchstgrenze nicht überschreitet. Zur Festlegung der Höchstgrenze für diese sog. [X.] kann auf die [X.] zwischen den Vertragsparteien zur [X.]nwendung der Grenzgängerregelung zurückgegriffen werden (Senatsbeschluss vom 25. November 2002 [X.], [X.], 119, [X.], 375). Danach geht die Grenzgängereigenschaft --bei einer [X.]eschäftigung in der Grenzzone während des ganzen [X.] nur dann verloren, wenn der [X.]rbeitnehmer an mehr als 45 [X.]rbeitstagen entweder nicht zum Wohnsitz zurückkehrt oder außerhalb der Grenzzone für seinen [X.]rbeitgeber tätig ist ([X.]MF-Schreiben vom 3. [X.]pril 2006, [X.], 304 [X.]. [X.]; vgl. bereits [X.]MF-Schreiben vom 20. Februar 1980, [X.], 88).

Der Senat hat mit dem Urteil vom 11. November 2009 [X.]/08 ([X.], 410, [X.], 390) entschieden, dass eintägige Dienstreisen außerhalb der Grenzzone zu [X.] führen, wenn der [X.]rbeitnehmer an diesen Tagen nicht zugleich innerhalb der Grenzzone gearbeitet hat; bloße Transferreisen innerhalb der Grenzzone sind insoweit unbeachtlich. Dies gilt in gleicher Weise für [X.] bei mehrtägigen Dienstreisen außerhalb der Grenzzone. [X.] bei mehrtägigen Dienstreisen außerhalb der Grenzzone zählen nur dann zu den [X.], wenn der [X.]rbeitnehmer nicht vor der [X.]breise zwischen seinem Wohnsitz und dem [X.]rbeitsort in der Grenzzone gependelt ist.

c) Nach diesen Grundsätzen hat [X.] durch seine Dienstreisen außerhalb der Grenzzone in den Streitjahren die Höchstgrenze von 45 [X.] überschritten.

Nach den Feststellungen des [X.] hat [X.] in den Streitjahren an drei (2001), zehn (2002) und acht (2003) Tagen eintägige Dienstreisen außerhalb der Grenzzone durchgeführt, die am Wohnsitz des [X.] begannen und endeten. [X.] hat an diesen Tagen seine [X.]rbeit nicht zugleich in der Grenzzone ausgeübt. Dies gilt in gleicher Weise für die Tage, an denen er von mehrtägigen Dienstreisen außerhalb der Grenzzone an seinen Wohnsitz zurückgekehrt ist (2001: drei Tage, 2002: sieben Tage, 2003: sechs Tage). [X.]n den [X.]n von mehrtägigen Dienstreisen außerhalb der Grenzzone ist [X.] jedenfalls an den Tagen nicht vor der [X.]breise zwischen seinem Wohnsitz und dem [X.]rbeitsort am Sitz der Klägerin hin und her gependelt, an denen er die Dienstreise vom Sitz der Klägerin aus angetreten hat (2001: 16 Tage, 2002 und 2003: jeweils 13 Tage). Einschließlich der weiteren Dienstreisetage mit Übernachtungen außerhalb der Grenzzone (2001: 28 Tage, 2002: 17 Tage, 2003: 19 Tage) liegen damit im Streitfall insgesamt 50 (2001), 47 (2002) und 46 (2003) [X.] vor.

Entgegen der [X.]uffassung des [X.] führen Dienstreisen außerhalb der Grenzzone auch insoweit zu [X.], als [X.] sie im [X.]nsässigkeitsstaat durchgeführt hat. Denn die für die [X.]eurteilung der [X.] maßgebliche Verständigungsvereinbarung in [X.], 304 stellt allein darauf ab, ob der [X.]rbeitnehmer --bei eintägigen Dienstreisen und bei [X.]n-- ganztägig außerhalb der Grenzzone tätig geworden oder --bei Dienstreisetagen mit auswärtiger Übernachtung-- nicht an seinen Wohnsitz zurückgekehrt ist. Der Zweck der Grenzgängerregelung steht der Einbeziehung der Dienstreisetage mit auswärtiger Übernachtung im [X.]nsässigkeitsstaat in die [X.]erechnung der [X.] nicht entgegen, da es hierfür nicht auf die [X.]eziehung des [X.]rbeitnehmers zum [X.]nsässigkeitsstaat als solchem, sondern allein darauf ankommt, ob die persönliche [X.]indung des [X.]rbeitnehmers an den Wohnort gelockert wird (vgl. zu [X.]rt. 15a D[X.][X.]-Schweiz 1992 Senatsurteil vom 11. November 2009 [X.], [X.], 449). Soweit die [X.]erücksichtigung von [X.] auf der ganztägigen Tätigkeit außerhalb der Grenzzone beruht, bleibt zwar die persönliche [X.]indung an den Wohnort infolge der Rückkehr des [X.]rbeitnehmers an den Wohnsitz erhalten; dies gilt jedoch unabhängig davon, ob der [X.]rbeitnehmer hierbei im [X.]nsässigkeitsstaat tätig geworden ist. Tätigkeiten im [X.]nsässigkeitsstaat zählen daher nur insoweit nicht zu den [X.], als sie vom [X.]rbeitnehmer innerhalb der dortigen Grenzzone ausgeübt worden sind ([X.]MF-Schreiben in [X.], 304 [X.]. [X.] 3.).

3. Das [X.] ist von einer anderen rechtlichen [X.]eurteilung der abkommensrechtlichen Zuordnung des [X.]esteuerungsrechts ausgegangen. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Sache ist spruchreif. Der [X.] des F[X.] ist rechtmäßig. Das [X.]esteuerungsrecht für die Einkünfte des [X.] aus der im Inland ausgeübten Tätigkeit für die Klägerin steht nach [X.]rt. 13 [X.]bs. 1 Satz 1 D[X.][X.]-[X.] in den Streitjahren [X.] zu. Die entsprechenden Einkünfte des [X.] unterliegen gemäß § 38 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 1997/2002 der Lohnsteuer. Über die Höhe der von der Klägerin einzubehaltenden und abzuführenden Lohnsteuer besteht zwischen den [X.]eteiligten kein Streit. Die Inanspruchnahme der Klägerin als [X.]rbeitgeberin des [X.] nach § 42d EStG 1997/2002 ist schließlich nicht ermessensfehlerhaft; dies ergibt sich aus den Ermessenserwägungen in der Einspruchsentscheidung des F[X.]. Dort ist ausgeführt, dass eine Veranlagung des [X.] zur Einkommensteuer aufgrund der beschränkten Steuerpflicht nach § 50 [X.]bs. 5 EStG 1997/2002 ausscheide (vgl. Senatsurteil vom 20. Juni 1990 [X.], [X.]FHE 161, 117, [X.]St[X.]l II 1992, 43, unter [X.]) und die Klägerin sich ferner damit einverstanden erklärt habe, als Haftende anstelle des [X.] in [X.]nspruch genommen zu werden (vgl. Urteil des [X.]undesfinanzhofs --[X.]FH-- vom 7. Dezember 1984 VI R 72/82, [X.]FHE 142, 494, [X.]St[X.]l II 1985, 170, unter [X.]; [X.]FH-[X.]eschluss vom 19. Juli 1995 VI [X.] 28/95, [X.]FH/NV 1996, 32).

Meta

I R 69/08

17.03.2010

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 10. Juni 2008, Az: 11 K 21/06, Urteil

§ 1 Abs 4 EStG 2002, § 38 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002, § 42d EStG 2002, § 49 Abs 1 Nr 4 EStG 2002, § 50 Abs 5 EStG 2002, Art 13 Abs 1 S 1 DBA FRA, Art 13 Abs 5 DBA FRA, § 1 Abs 4 EStG 1997, § 38 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 1997, § 42d EStG 1997, § 49 Abs 1 Nr 4 EStG 1997, § 50 Abs 5 EStG 1997

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.03.2010, Az. I R 69/08 (REWIS RS 2010, 8379)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8379

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