Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.09.2017, Az. IX ZR 261/15

9. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 5346

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Gegenstand

Abschluss eines Werklieferungsvertrages nach Insolvenzantrag des Unternehmers: Bestellerkündigung nach Insolvenzverfahrenseröffnung


Leitsatz

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers stellt für sich genommen keinen wichtigen, die Vergütungsansprüche des Unternehmers ausschließenden Grund für die Kündigung eines nach dem Eröffnungsantrag geschlossenen Werklieferungsvertrages dar.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des [X.] vom 21. Oktober 2015 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Verwalter in dem am 1. April 2013 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (fortan: Schuldnerin). In einem Rahmenvertrag vom 28. Juli 2008 hatte sich die Schuldnerin gegenüber der [X.]n zur Lieferung näher bezeichneter Metallgussteile an näher bezeichnete bezugsberechtigte Werke verpflichtet. Im Oktober 2012 beantragte sie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Mit Beschluss vom 22. Oktober 2012 wurde der Kläger zum vorläufigen Verwalter über das Vermögen der Schuldnerin bestellt und angeordnet, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam waren. Der Kläger machte eine Fortsetzung der Lieferungen von einem Preisaufschlag von 30 v.H. abhängig. Unter dem 1./4. März 2013 schlossen die Parteien eine Vereinbarung, nach welcher die [X.] weiter beliefert wurde, aber einen Aufschlag von 30 v.[X.] zu zahlen hatte. Die Vereinbarung sollte mit Ablauf des 31. März 2013 enden, wenn keine Verlängerung zustande kommen würde.

2

Am 26. März 2013 wurde der Kläger zum starken vorläufigen Verwalter bestellt. Am 27. März 2013 übersandte der Kläger der [X.]n den Entwurf einer neuen Vereinbarung, in welcher auf die Bestellung zum vorläufigen starken Insolvenzverwalter und auf die in Aussicht genommene Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. April 2013 Bezug genommen wurde. Für Lieferungen der Schuldnerin ab dem 1. April 2013 sollte die [X.] einen Aufschlag von 38 v.H. auf den bis zur Vereinbarung vom 1./4. März 2013 geltenden Nettopreis zahlen. In Abschnitt d) des Entwurfs heißt es:

3

"Während der Laufzeit dieser Vereinbarung übt … (der Verwalter) sein Wahlrecht nach § 103 [X.] nicht aus. Die Weiterbelieferung - auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens - ist für die Parteien keine konkludente Erfüllungswahl hinsichtlich der zwischen … (der Schuldnerin) und … (der [X.]n) bereits vor Antragstellung abgeschlossener Verträge im Sinne von § 103 [X.]."

4

Die [X.] antwortete unter dem 28. März 2013, sie wolle sich nicht weiter unter Druck setzen lassen und sehe keine Grundlage für eine weitere Geschäftsbeziehung. Dieses Schreiben ging am 2. April 2013 beim Kläger ein. Der Kläger antwortete am 2. April 2013 unter Bezugnahme auf ein Telefonat vom selben Tage, er werde die Produktion für die [X.] einstellen. Die [X.] erwiderte am 3. April 2013, ihrer Ansicht nach liege in den seit dem 1. April 2013 ausbleibenden Lieferungen eine implizite Wahl der Nichterfüllung, so dass keine Einwände gegen den Produktionsstopp bestünden. Am 11. April 2013 schrieb ein der Kanzlei des Klägers angehörender Rechtsanwalt auf dem Briefpapier der Anwaltskanzlei ohne Hinweis darauf, dass er für den Kläger als Verwalter handeln wolle, an die [X.], nicht der Kläger, sondern die [X.] habe die Geschäftsbeziehung beendet. Wenn die [X.] an einer einvernehmlichen Regelung interessiert sei, sei der Kläger bereit, die von der [X.]n abgerufenen Teile zu den Preisen und Bedingungen der Vereinbarung vom 1./4. März 2013 zu liefern.

5

Der Kläger meint, die [X.] habe mit dem Schreiben vom 28. März 2013 den zwischen ihr und der Schuldnerin geschlossenen Werklieferungsvertrag wirksam gekündigt. Er verlangt, soweit jetzt noch von Interesse, den in der Fortführungsvereinbarung vereinbarten Werklohn abzüglich ersparter Aufwendungen für die bestellten, aber nicht abgenommenen Metallgussteile in Höhe von 1.106.000,61 € nebst Zinsen sowie die Feststellung, dass die [X.] zum Ersatz sämtlicher durch die Nichtabnahme entstandener gegenwärtiger und künftiger Schäden verpflichtet sei. Das [X.] hat die [X.] insoweit antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der [X.]n ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision will die [X.] weiterhin die vollständige Abweisung der Klage erreichen.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

I.

7

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der zwischen der Schuldnerin und der [X.] bestehende Rahmenvertrag sei durch die Fortführungsvereinbarung Anfang März 2013 modifiziert worden, habe aber fortbestanden. Die einzelnen Abrufe hätten jeweils zu [X.]n geführt. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die angeforderten Leistungen abzunehmen und nach Maßgabe der Fortführungsvereinbarung zu bezahlen. Die Vergütungsansprüche seien nicht durch eine Nichterfüllungswahl gemäß § 103 [X.] obsolet geworden. Das Wahlrecht entstehe erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens; Rechtshandlungen vor dem 1. April 2013 seien insoweit unbeachtlich. Das Schreiben der [X.] vom 28. März 2013 stelle eine Kündigung gemäß § 649 [X.] dar. Ein Rücktrittsgrund nach anderen Vorschriften des [X.] habe nicht bestanden. Insbesondere habe das Schreiben vom 26. März 2013 keinen solchen Grund geboten. Der Kläger habe sich allerdings vertragswidrig verhalten. Von einer zum Rücktritt berechtigenden endgültigen und ernsthaften [X.] könne jedoch nicht ausgegangen werden. Die Beklagte müsse daher die vereinbarte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen zahlen.

II.

8

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

9

1. Zwischen der [X.] und der Schuldnerin sind [X.] zustande gekommen, indem die Beklagte nach Maßgabe des Rahmenvertrages vom 28. Juli 2008 und der [X.] vom 1./4. März 2013 Leistungen der Schuldnerin abgerufen hat. Die Schuldnerin hatte bewegliche nicht vertretbare Sachen nach Maßgabe der jeweils aktuellen Anlage zum Rahmenvertrag herzustellen. Für die Verträge gelten damit die in § 651 Satz 3 [X.] genannten Bestimmungen, insbesondere diejenige des § 649 [X.].

2. Mit ihrem dem Kläger am 2. April 2013 zugegangenen Schreiben vom 28. März 2013 hat die Beklagte diese Verträge wirksam gekündigt.

a) Die Auslegung des Schreibens vom 28. März 2013 als Kündigungserklärung durch das Berufungsgericht kann revisionsrechtlich nur daraufhin überprüft werden, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind oder wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen wurde ([X.], Urteil vom 7. Februar 2002 - I ZR 304/99, [X.]Z 150, 32, 37; vom 12. April 2016 - [X.], [X.]Z 210, 30 Rn. 49). Solche Auslegungsfehler liegen hier nicht vor.

b) Die [X.] konnten nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 649 [X.] gekündigt werden.

(1) Die Bestellungen aus der [X.] vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aus welchen der Kläger seinen Anspruch herleitet, stellten gegenseitige Verträge gemäß § 103 [X.] dar, die im [X.]punkt der Eröffnung weder von der Schuldnerin noch von der [X.] vollständig erfüllt worden waren. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte auf den Bestand und den Inhalt dieser Verträge keinen Einfluss. Sie blieben vielmehr in der Lage bestehen, in welcher sie sich bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens befanden (vgl. [X.], Urteil vom 25. April 2002 - [X.], [X.]Z 150, 353, 359; vom 7. Februar 2013 - [X.], [X.]Z 196, 160 Rn. 8; MünchKomm-[X.]/[X.], 3. Aufl., § 103 Rn. 15). Als Folge der Eröffnung verloren die Ansprüche der [X.] auf die bestellten Metallgussteile und diejenigen der Schuldnerin auf den entsprechenden Werklohn allerdings ihre Durchsetzbarkeit ([X.], Urteil vom 25. April 2002, aaO; vom 19. November 2015 - [X.], [X.], 90 Rn. 18). Die Beklagte konnte ihre Ansprüche auf Lieferung der bestellten Teile nicht mehr durchsetzen; der Kläger als Verwalter konnte, solange er nicht die Erfüllung der Verträge wählte, weder die Abnahme der Teile noch die Zahlung von Werklohn verlangen. Die Verträge mussten grundsätzlich insolvenzrechtlich abgewickelt werden.

(2) Das in § 649 [X.] geregelte Kündigungsrecht des Bestellers besteht auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers fort.

Die [X.] enthält keine Vorschrift, welche das Kündigungsrecht des Bestellers in der Insolvenz des Unternehmers ausschließt. Der Schutz der Masse verlangt keine derartige Einschränkung des Kündigungsrechts. Die Vorschrift des § 649 Satz 1 [X.] gestattet es dem Besteller, den Werkvertrag jederzeit zu kündigen. Die Zubilligung dieses freien Kündigungsrechts beruht auf der gesetzgeberischen Überlegung, dass vorzugsweise der Besteller an der Ausführung der Werkleistungen interessiert ist und er deshalb die Möglichkeit einer Lösung vom [X.] erhalten soll, dass dieses Interesse entfällt. Dem in erster Linie auf die Vergütung gerichteten Interesse des Werkunternehmers trägt § 649 Satz 2 [X.] dadurch Rechnung, dass ihm der Anspruch auf die Gegenleistung im Ausgangspunkt auch für diejenigen Leistungen verbleibt, die er wegen der Kündigung des Vertrages nicht mehr erbringen muss ([X.], Urteil vom 27. Januar 2011 - [X.], [X.]Z 188, 149 Rn. 11). Nichts anderes gilt für [X.] über unvertretbare Leistungen.

Der [X.] hat die Frage der Zulässigkeit einer Kündigung nach § 649 [X.] in der Insolvenz des Unternehmers noch nicht entschieden. In früheren Entscheidungen ist er jedoch vom Fortbestand eines vertraglich vereinbarten Kündigungsrechts nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgegangen ([X.], Urteil vom 27. Mai 2003 - [X.], [X.]Z 155, 87, 90). Eine Kündigung nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2, § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) in der Insolvenz des Unternehmers wurde insbesondere deshalb für zulässig gehalten, weil diese Bestimmung nicht wesentlich vom gesetzlichen Leitbild des § 649 [X.] abweiche ([X.], Urteil vom 7. April 2016 - [X.], [X.]Z 210, 1 Rn. 25 f). Das Kündigungsrecht gemäß § 649 [X.] wird damit stillschweigend vorausgesetzt. Schließlich ist auch der Gesetzgeber der [X.] von einem jederzeitigen Kündigungsrecht des Bestellers in der Insolvenz des Unternehmers ausgegangen (vgl. BT-Drucks. 12/2443, [X.] zu § 137 [X.]-E).

c) Die Kündigung war schließlich nicht im Hinblick auf eine im Schreiben des [X.] vom 27. März 2013 enthaltene Erfüllungsablehnung unwirksam.

(1) Gemäß § 103 [X.] kann der Verwalter die Erfüllung eines vor der Eröffnung des Insolvenzverfahren geschlossen, beidseits nicht vollständig erfüllten Vertrages verlangen oder die Erfüllung des Vertrages ablehnen. Er ist nicht berechtigt, den Vertrag inhaltlich zu ändern. Es gibt grundsätzlich keine den ursprünglichen Vertrag modifizierende oder nur einzelne Ansprüche oder Rechte betreffende Erfüllungswahl ([X.], Urteil vom 10. August 2006 - [X.], [X.]Z 169, 43 Rn. 14). Ein Erfüllungsverlangen unter Vorbehalten wird deshalb häufig als Ablehnung der Erfüllung anzusehen sein ([X.], Urteil vom 11. Februar 1988 - [X.], [X.]Z 103, 250, 253 zu § 17 KO).

(2) Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 103 [X.] entsteht jedoch erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig. Das Wahlrecht steht dem Insolvenzverwalter zu, nicht dem vorläufigen Insolvenzverwalter. Es setzt zudem einen gegenseitigen Vertrag zwischen dem Insolvenzschuldner und dem anderen Teil voraus, welcher zur [X.] der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von keiner Vertragspartei vollständig erfüllt war. Vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann diese Voraussetzung nicht erfüllt sein. Die Vorschrift des § 103 [X.] steht im Zweiten Abschnitt des Dritten Teils der [X.], welcher sich mit den Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens befasst. Sinn und Zweck der Vorschrift ist schließlich der Schutz der Insolvenzmasse. § 103 [X.] ermöglicht dem Verwalter, einen von keiner Seite bereits vollständig erfüllten gegenseitigen Vertrag zum Vorteil der Masse und damit der Gläubigergesamtheit auszuführen und damit zugleich dem Vertragspartner den durch das funktionelle [X.] vermittelten Schutz zu erhalten (vgl. [X.], Urteil vom 7. März 2002 - [X.], [X.]Z 150, 138, 148 mwN). Ob das Festhalten am [X.] nützt, kann typischerweise erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entschieden werden. Die Vorschrift des § 22 [X.], welche die Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters regelt, verweist schließlich nicht auf § 103 [X.]. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s und allgemeiner Meinung in der Fachliteratur ist § 103 [X.] daher auf den vorläufigen Insolvenzverwalter nicht anwendbar (vgl. etwa [X.], Urteil vom 30. Januar 1986 - [X.], [X.]Z 97, 87, 90 (zu § 17 KO); vom 8. November 2007 - [X.], [X.], 2331 Rn. 9; vom 26. Juni 2008 - [X.], [X.], 1442 Rn. 30; MünchKomm-[X.]/[X.], 3. Aufl., § 103 Rn. 150; HK-[X.]/[X.], 8. Aufl., § 103 Rn. 117 f; [X.]/Ringstmeier, [X.], 19. Aufl., § 103 Rn. 21).

(3) Die Revision verweist demgegenüber auf die Senatsrechtsprechung zur Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters ohne Verfügungsbefugnis ([X.], Urteil vom 9. Dezember 2004 - [X.], [X.]Z 161, 315; vom 10. Januar 2013 - [X.], [X.], 510 Rn. 18; vom 7. April 2016 - [X.], [X.]Z 210, 1 Rn. 52). Der Vertragspartner des späteren Insolvenzschuldners, der mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters einen Vertrag geschlossen oder Leistungen des Schuldners entgegen genommen hat, kann unter bestimmten Voraussetzungen darauf vertrauen, dass die Rechtshandlung Bestand hat, also vom Verwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr angefochten wird. Ebenso müsse der Verwalter unter den genannten Umständen an Verträge gebunden sein, deren Erfüllung der vorläufige Verwalter ohne Verfügungsbefugnis verlangt habe. Gleiches müsse in dem hier gegebenen Fall gelten, dass der vorläufige Verwalter der Sache nach erklärt habe, nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht an den bestehenden Verträgen festhalten zu wollen. Der Verwalter müsse an die Erklärungen des vorläufigen Verwalters gebunden sein.

Eine Übertragung des Rechtsgedankens der Rechtsprechung zur Einschränkung der Anfechtung von Rechtshandlungen, denen der vorläufige Verwalter zugestimmt hatte, auf das Schreiben des [X.] vom 27. März 2013 kommt hier schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht. Die von der Revision in Bezug genommene Senatsrechtsprechung beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes. Der Gläubiger darf regelmäßig davon ausgehen, die Leistungen des Schuldners behalten zu dürfen, wenn der vorläufige Verwalter vorbehaltlos zugestimmt hat (vgl. [X.], Urteil vom 10. Januar 2013, aaO). Das Angebot vom 27. März 2013 stammte vom Kläger als dem damaligen vorläufigen starken Verwalter. Hätte die Beklagte das Angebot angenommen, wäre ein den Kläger als endgültigen Verwalter bindender Vertrag zustande gekommen (§ 55 Abs. 2 Satz 1 [X.]). Die Beklagte hat das Angebot jedoch nicht angenommen; dazu war sie auch nicht verpflichtet. Wie der Kläger sich nunmehr nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verhalten würde, war damit offen. Gemäß § 103 [X.] konnte er die Erfüllung der bis zu diesem [X.]punkt geschlossenen, von keiner Seite vollständig erfüllten [X.] nach Maßgabe der Vereinbarung vom 1./4. März 2013 wählen oder aber deren Erfüllung ablehnen. Im Schreiben vom 27. März 2013 heißt es dazu nur, Lieferungen vor Abschluss der neuen Vereinbarung stellten keine Erfüllungswahl im Sinne von § 103 [X.] dar. Es war also nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die bestellten Metallgussteile nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch geliefert werden würden, auch wenn die Beklagte den Entwurf nicht unterzeichnete. Ob unter ganz besonderen Umständen der Verwalter an Erklärungen des vorläufigen Verwalters, nach der Eröffnung einen Vertrag erfüllen oder nicht erfüllen zu wollen, gebunden sein kann (§ 242 [X.]), bedarf damit keiner Entscheidung. Ebenso bleibt offen, welche Rechte die Beklagte bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus diesem Schreiben hätte herleiten können.

3. Die Voraussetzungen einer Kündigung aus wichtigem Grund waren nicht erfüllt.

a) Die Vorschrift des § 314 [X.] greift nicht ein. Gemäß § 314 Abs. 1 Satz 2 [X.] ist ein wichtiger Grund, der zur Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses berechtigt, dann gegeben, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Der Rahmenvertrag aus dem [X.] stellte ein Dauerschuldverhältnis dar. Eine Kündigung dieses Vertrages ist jedoch nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Auch der Feststellungsantrag betrifft nur die Schäden, die aus der Nichterfüllung der einzelnen [X.] entstanden sind und noch entstehen werden.

b) Eine Kündigung aus wichtigem Grund sieht § 649 [X.] in seiner derzeit noch geltenden Fassung nicht vor. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s ist der Auftraggeber eines Werkvertrages jedoch berechtigt, den Vertrag zu kündigen, wenn durch ein schuldhaftes Verhalten des Auftragnehmers der Vertragszweck so gefährdet ist, dass der vertragstreuen [X.] die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann ([X.], Urteil vom 23. Mai 1996 - [X.], [X.], 2023, 2024 mwN; vom 7. April 2016 - [X.], [X.]Z 210, 1 Rn. 40). Kündigt der Besteller aus wichtigem Grund, entfällt der Vergütungsanspruch des Auftragnehmers aus § 649 Satz 2 [X.] für noch nicht erbrachte Leistungen ([X.], Urteil vom 7. April 2016, aaO Rn. 40, 52 mwN).

(1) Im Bauvertragsrecht ist ein wichtiger Grund unter anderem dann anzunehmen, wenn der Auftragnehmer das für den Bauvertrag als eines auf Kooperation der Vertragspartner angelegten Langzeitvertrags vorauszusetzende Vertrauensverhältnis durch sein schuldhaftes Verhalten derart empfindlich stört, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet und dem Auftraggeber die Vertragsfortsetzung nicht mehr zumutbar ist ([X.], Urteil vom 7. April 2016, aaO). Die Vorschrift des § 648a Abs. 1 Satz 2 [X.] in der Fassung des [X.] (u.a.) vom 28. April 2017 ([X.]l. I 969), die am 1. Januar 2018 in [X.] treten wird, erlaubt eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werks nicht zugemutet werden kann; allerdings entfällt der Vergütungsanspruch des Unternehmers im Fall einer berechtigten Kündigung aus wichtigem Grund nicht insgesamt (vgl. § 648a Abs. 5 [X.]-neu).

(2) In der bereits zitierten Entscheidung vom 7. April 2016 ([X.], [X.]Z 210, 1 Rn. 53 ff, 61) hat der für das Werkvertragsrecht zuständige [X.]. Zivilsenat des [X.]s einen wichtigen Grund für die Kündigung eines Bauvertrages bereits im Eigenantrag des Unternehmers auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gesehen. Der Auftraggeber eines Bauvertrages habe regelmäßig ein schwerwiegendes, die Interessen der Insolvenzgläubiger an einer Fortführung des Bauvertrages erheblich überwiegendes Interesse daran, sich im Falle eines Eigeninsolvenzantrages des Auftragnehmers frühzeitig vom Vertrag lösen zu können und den ihm durch die anderweitige Vergabe der Restarbeiten etwa entstehenden Schaden geltend zu machen, ohne gemäß § 649 Satz 2 [X.] gegenüber dem Insolvenzverwalter zur Zahlung einer Vergütung für nicht erbrachte Leistungen verpflichtet zu sein. Wegen der dem Verwalter eingeräumten angemessenen Überlegungszeit sei dem Auftraggeber nicht zuzumuten, dessen Entschließung über die Fortführung des Bauvertrages nach § 103 [X.] abzuwarten. Zudem habe der Auftragnehmer mit seinem Eigenantrag zum Ausdruck gebracht, dass ihm die finanziellen Mittel zur vertragsgemäßen Erfüllung des Bauvertrages fehlten und er keine Gewähr mehr für die ordnungsgemäße Vertragserfüllung geben könne. Der Verwalter, welcher mit der Eröffnung an die Stelle des Schuldners trete, könne das für die Erfüllung des [X.] nicht in gleicher Weise für sich in Anspruch nehmen wie der Schuldner vor dem Eröffnungsantrag. Seine fehlende Liquidität habe der Schuldner gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 [X.] auch dann zu vertreten, wenn er gemäß § 15a [X.] zur Antragstellung verpflichtet gewesen sei.

Auf den hier vorliegenden Fall der Kündigung einzelner [X.] lässt sich diese Rechtsprechung nicht übertragen. Die Beklagte hat ihre Kündigung nicht auf den Eigenantrag der Schuldnerin vom Oktober 2012 gestützt. Die Kündigung betraf vielmehr Verträge, die erst nach dem Insolvenzantrag und in dessen Kenntnis geschlossen worden waren.

(3) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welche die Beklagte zum Anlass ihrer Kündigung genommen hat und die ebenfalls auf den von der Schuldnerin zu vertretenden Mangel an Zahlungsmitteln zurückzuführen ist, stellt keinen wichtigen Grund für die Kündigung der zuvor geschlossenen [X.] dar.

aa) Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin hatte die Beklagte zwar keine Sicherheit mehr darüber, ob der Verwalter die Verträge erfüllen würde oder nicht. Sie hatte nur noch die Möglichkeit den Verwalter gemäß § 103 Abs. 2 Satz 2 [X.] zur Ausübung des Wahlrechts aufzufordern. Der Verwalter hat unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 [X.]) seine Entscheidung mitzuteilen. Welche Überlegungsfrist angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Falles (vgl. BT-Drucks. 12/2443, [X.] zu § 117 [X.]-E). Mit einer Entscheidung innerhalb weniger Tage hätte die Beklagte nicht ohne weiteres rechnen können, auch wenn die Interessen des Bestellers, der sich gegebenenfalls anderweitig eindecken muss, zu berücksichtigen sind (vgl. [X.]/[X.], [X.], 2014, § 103 Rn. 211 f). Überdies bestand das im Insolvenzverfahren typischerweise höhere Risiko des Scheiterns der Betriebsfortführung. Selbst wenn der Kläger also die Erfüllung der [X.] gewählt hätte, wäre aus Sicht der [X.] möglicherweise zu befürchten gewesen, dass die Leistungen nicht ordnungsgemäß erbracht werden würden.

bb) Sowohl das Risiko der verzögerten Entscheidung über die Erfüllung der Verträge als auch dasjenige der Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren hat der Vertragspartner des Insolvenzschuldners nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens jedoch hinzunehmen; eine Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigen sie nicht. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters aus § 103 [X.] kann durch eine Kündigung aus wichtigem Grund nicht unterlaufen werden. Das gilt sowohl in zeitlicher als auch in persönlicher Hinsicht. Die [X.] räumt dem Verwalter die Möglichkeit ein, sich unverzüglich - also innerhalb angemessener, den Interessen beider Vertragsparteien Rechnung tragender Frist - für oder gegen eine Erfüllung vor der Eröffnung geschlossener und beidseitig nicht vollständig erfüllter Verträge zu entscheiden. Entscheidet er sich für die Erfüllung eines Vertrages, ist der Vertrag wie vereinbart durchzuführen. Diese Rechte des Verwalters hält die [X.] für so bedeutend, dass sie im Voraus nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt werden dürfen (§ 119[X.]). Dann können sie aber auch nicht nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Begründung einer Kündigung aus wichtigem Grund wegen einer typischerweise mit ihnen verbundenen Gefährdung des Vertragszwecks herangezogen werden.

(4) Auf das Schreiben des [X.] vom 27. März 2013 konnte die Kündigung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr gestützt werden. Der Kläger hat in diesem Schreiben - folgt man zugunsten der [X.] der Auslegung des Berufungsgerichts - zwar angekündigt, dass er sich nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr an die Vereinbarung vom 1./4. März 2013 gebunden sehen würde. Die fehlende Bindung an Verträge, die vor der Eröffnung geschlossen wurden und im [X.]punkt der Eröffnung von keiner Seite vollständig erfüllt waren, ist in § 103 [X.] jedoch vorgesehen. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung aus wichtigem Grund vor der Eröffnung möglich gewesen wäre, bedarf keiner Entscheidung.

4. Der Anspruch aus § 649 Satz 2 [X.] setzt keine Erfüllungswahl des Verwalters voraus. Zwar kann der Verwalter grundsätzlich nur aus solchen Verträgen vertragliche Ansprüche herleiten, deren Erfüllung er gewählt hat (vgl. [X.], Urteil vom 19. November 2015 - [X.], [X.], 90). Nachdem die Beklagte die [X.] jedoch wirksam gekündigt hatte, war eine Erfüllung der Herstellungs- und Lieferungsansprüche der [X.] aus Rechtsgründen ausgeschlossen.

5. Gemäß § 649 Satz 2 [X.] kann der Kläger Zahlung der vereinbarten Vergütung verlangen. Er muss sich dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung der Verträge an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Einwendungen gegen die Berechnung des Anspruchs erhebt die Revision nicht.

Kayser     

      

Lohmann     

      

Pape   

      

Grupp     

      

Möhring     

      

Meta

IX ZR 261/15

14.09.2017

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 21. Oktober 2015, Az: 7 U 4916/14, Urteil

§ 103 InsO, § 649 BGB, § 651 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.09.2017, Az. IX ZR 261/15 (REWIS RS 2017, 5346)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 3369 MDR 2017, 1326-1328 WM2017,1951 REWIS RS 2017, 5346


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IX ZR 261/15

Bundesgerichtshof, IX ZR 261/15, 14.09.2017.


Az. 7 U 4916/14

OLG München, 7 U 4916/14, 21.10.2015.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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