Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.08.2012, Az. III B 196/11

3. Senat | REWIS RS 2012, 3838

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Darlegung von Verfahrensmängeln bei mehrfacher Begründung des FG-Urteils - Überraschungsentscheidung - Fehler der Finanzverwaltung kein Verfahrensmangel i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO)


Leitsatz

1. NV: Hat das FG sein Urteil auf zwei Begründungen gestützt, gehört es zur schlüssigen Darlegung eines Verfahrensmangels, dass die vorgetragenen Tatsachen, die den Mangel ergeben sollen, beide Begründungen berühren .

2. NV: Mit der pauschalen Behauptung, wegen eines fehlenden rechtlichen Hinweises durch das FG habe kein entsprechender Tatsachenvortrag erfolgen können, wird das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung nicht ordnungsgemäß dargelegt .

Gründe

1

Die Beschwerde ist unzulässig und wird durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Dabei kann dahinstehen, ob dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wegen der Versäumung der für seine Nichtzulassungsbeschwerde geltenden Einlegungsfrist (§ 116 Abs. 2 Satz 1 [X.]O) die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre (§ 56 [X.]O). Jedenfalls genügt die Beschwerdebegründung nicht den Darlegungserfordernissen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O.

2

1. Soweit der Kläger rügt, der [X.] und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 [X.]O) verletzt, indem es das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren überraschend durch die Einspruchsentscheidung vom 22. April 2008 beendet habe, ohne vorher die durch seinen neuen Bevollmächtigten gestellte Anfrage vom 17. März 2008 zu beantworten, wird kein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O schlüssig dargelegt.

3

a) Nach § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O sind bei einer Verfahrensrüge die Tatsachen zu bezeichnen, die den Mangel ergeben. Eine Verfahrensrüge ist unzulässig, wenn sie nicht schlüssig ist, d.h. wenn die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tatsachen als solche nicht ausreichen oder nicht geeignet sind darzutun, dass der behauptete Verfahrensmangel vorliegt (s. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 27. November 2003 VII R 49/03, [X.], 521). Keine Verfahrensmängel im Sinne des Revisionsrechts sind grundsätzlich Fehler, die dem [X.] im Besteuerungsverfahren oder im außergerichtlichen Vorverfahren unterlaufen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 77).

4

b) Danach macht der Kläger mit seinem Vortrag keinen revisiblen Verfahrensmangel des Gerichtsverfahrensrechts geltend, sondern einen vermeintlichen Fehler des [X.] im Einspruchsverfahren.

5

Abgesehen davon ist der vom Kläger behauptete Verstoß nicht erkennbar. Dem verfahrensgegenständlichen [X.] 1999 vom 22. Mai 2007 lagen die Ergebnisse der beim Kläger durchgeführten Betriebsprüfung zugrunde. Der Kläger legte hiergegen mit Schreiben vom 19. Juni 2007 Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren selbst kam es zu mehreren [X.]. Die Anfrage des zuletzt tätigen Bevollmächtigten vom 17. März 2008 hat das [X.] mit Schreiben vom 11. April 2008 beantwortet. Weitere Erklärungen oder Beweismittel hat das [X.] in diesem Schreiben nicht angefordert. Ebenso haben keine sonstigen offenen Fristen existiert. Bei einer solchen Sachlage muss ein fachkundig vertretener Steuerpflichtiger jederzeit mit einer Entscheidung durch die [X.] des [X.] rechnen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der Kläger auf ein weiteres Zuwarten des [X.] vertrauen durfte.

6

2. Soweit der Kläger mit seinem Vortrag, das Finanzgericht ([X.]) habe den Inhalt des Vermerks des Betriebsprüfers als zutreffend erachtet, ohne ihm --dem [X.] vorher die Möglichkeit einzuräumen, Gegenteiliges zu beweisen, eine weitere Gehörsverletzung (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 [X.]O) und ggf. auch einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) rügt, sind auch diese Verfahrensmängel nicht schlüssig dargelegt.

7

a) Hat das [X.] seine Entscheidung alternativ oder kumulativ auf zwei Begründungen gestützt, kann die angefochtene Entscheidung nur dann auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen, wenn dieser Mangel beide Begründungen betrifft. Infolgedessen gehört es zur schlüssigen Darlegung eines derartigen [X.], dass die vorgetragenen Tatsachen, die den Mangel ergeben sollen, beide Begründungen berühren ([X.] vom 1. September 2004 X B 162/03, [X.] 2005, 224; Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 116 Rz 49).

8

b) Daran fehlt es in der Beschwerdebegründung. Das [X.] hat seine Entscheidung, wonach die formalen Voraussetzungen für die Bildung der [X.] nach § 7g Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung (EStG) nicht vorgelegen hätten, auf mehrere Begründungen gestützt.

9

Zum einen setze die Bildung der Rücklage --so das [X.]-- präzise Angaben zur Funktion und zu den voraussichtlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Wirtschaftsguts voraus. Der Kläger habe hingegen nur eine Rücklage in Höhe von 200.000 DM gebildet, ohne die einzelnen Wirtschaftsgüter näher zu bezeichnen. Das [X.] sei davon überzeugt, dass die anzuschaffenden Wirtschaftsgüter bei Rücklagenbildung noch nicht hinreichend bestimmt gewesen seien. Diese Überzeugungsbildung hat das [X.] maßgeblich aus den unterschiedlichen Einlassungen des [X.] gewonnen. So habe der Kläger einerseits laut dem genannten Vermerk des Betriebsprüfers, an dessen inhaltlicher Richtigkeit nicht zu zweifeln sei, geäußert, die Rücklage sei für ein geplantes Sportgeschäft gebildet worden, andererseits habe er im [X.]-Verfahren ausgeführt, die Rücklagenbildung sei für die EDV-Beratung und für einen neu zu eröffnenden Gastronomiebetrieb bestimmt gewesen.

Zum anderen setze die Rücklagenbildung --so das [X.]-- voraus, dass der Steuerpflichtige die Angaben zu Funktion und Höhe der voraussichtlichen Anschaffungskosten der Wirtschaftsgüter zeitnah, d.h. bei Aufstellung des Jahresabschlusses oder spätestens bei Abgabe der Steuererklärung mit entsprechender Verfolgbarkeit in der Buchführung erstelle. Das [X.] sei jedoch davon überzeugt, dass die mit Schriftsatz vom 17. August 2009 eingereichte Aufstellung hinsichtlich der anzuschaffenden Wirtschaftsgüter erst nachträglich erstellt worden sei. Dabei hat es sich entscheidend darauf gestützt, dass der Kläger eine entsprechende Aufstellung, obwohl die Frage nach den anzuschaffenden Wirtschaftsgütern bereits Gegenstand einer Besprechung während der Betriebsprüfung gewesen sei, erst im Klageverfahren vorgelegt habe. Ergänzend hat das [X.] noch ausgeführt, eine für einen geplanten Restaurantbetrieb gebildete Rücklage könne [X.] nicht den Gewinn aus der EDV-Beratung mindern, da ein Restaurantbetrieb ein gegenüber der EDV-Beratung und dem [X.] eigenständiger Betrieb wäre.

Demnach wäre ein substantiierter Vortrag dazu erforderlich gewesen, dass die von dem [X.] vorgenommene Würdigung, wonach der Vermerk des Betriebsprüfers die seinerzeitigen Angaben des [X.] inhaltlich zutreffend wiedergegeben habe, auch die übrigen Argumentationslinien des [X.] hätte beeinflussen können. Hierzu fehlt jedoch jeglicher Vortrag. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die vom Kläger gerügte Würdigung tatsächlich die übrigen Argumentationslinien berühren konnte. Selbst wenn man davon ausginge, dass die [X.] nicht für ein Sportgeschäft gebildet worden sei, wäre hierdurch jedenfalls die Würdigung, wonach es an einer zeitnahen Erstellung der erforderlichen Unterlagen gefehlt habe, nicht beeinflusst worden.

3. Auch die weitere von dem Kläger gerügte Gehörsverletzung, eine Überraschungsentscheidung liege darin, dass es das [X.] versäumt habe, auf das Erfordernis einer zeitnahen Erstellung der erforderlichen Unterlagen hinzuweisen, ist nicht ausreichend substantiiert.

a) Eine Überraschungsentscheidung ist gegeben, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.] vom 19. Juli 1996 VIII B 37/95, [X.] 1997, 124).

b) [X.] Angaben zu diesen Voraussetzungen macht der Kläger indes nicht. Mit der pauschalen Behauptung, bei einem vorherigen gerichtlichen Hinweis auf das Erfordernis einer zeitnahen Erstellung der erforderlichen Unterlagen hätten hierzu noch Ausführungen gemacht bzw. Nachweise vorgelegt werden können, wird jedenfalls das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung nicht schlüssig dargelegt.

Abgesehen davon ist ein solcher Verfahrensfehler nicht gegeben. Dem Kläger war die rechtliche Problematik bekannt. So hat das [X.] den Kläger bereits in dem genannten Antwortschreiben vom 11. April 2008 darauf hingewiesen, dass es für die Rücklagenbildung an einer zeitnahen Buchung und Dokumentation fehle. Im Übrigen hat der Kläger in seinem an das [X.] gerichteten Schriftsatz vom 17. August 2009 selbst vorgetragen, dass § 7g Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 EStG nur von der Bildung und Auflösung der Rücklage in der Buchführung spreche, nicht hingegen von dem Nachweis der Rücklagenbildung und wann diese Auflistung vorgelegt werden müsse.

Schließlich hat das [X.] den Kläger auch nicht mit seiner Tatsachenwürdigung, wonach es an einer zeitnahen Erstellung der erforderlichen Unterlagen fehle, überrascht. Vielmehr musste er eine solche Würdigung zumindest als möglich in Betracht ziehen.

4. Ebenso ist der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O) nicht schlüssig dargelegt.

a) Hierfür wäre insbesondere ein substantiierter Vortrag dazu erforderlich gewesen, warum die Klärung einer aufgeworfenen abstrakten Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liege. Es hätte dargelegt werden müssen, dass es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handele, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig wäre ([X.] vom 8. Juli 2004 VII B 35/04, [X.], 1621).

b) Hieran fehlt es in der Beschwerdebegründung. Der Kläger wirft schon keine abstrakte Rechtsfrage im vorstehend genannten Sinn auf. Vielmehr behauptet er im Stil einer Revisionsbegründung, das [X.] habe trotz Kenntnis davon, dass das Betriebsprüfungsfinanzamt ([X.] X) mangels Beauftragung unzuständig gewesen sei, das Einspruchsverfahren fortgesetzt. Eine fehlerhafte Rechtsanwendung rechtfertigt jedoch grundsätzlich keine Zulassung der Revision (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 2. November 2011 III B 48/11, [X.] 2012, 265, m.w.N.).

Im Übrigen legt der Kläger nicht dar, warum im Streitfall ein besonderer Prüfungsauftrag nach § 195 Satz 2 der Abgabenordnung erforderlich gewesen sein soll, obwohl nach § 17 Abs. 2 Satz 3 des [X.]. § 2 Abs. 1 Nr. 2 und Anlage 3 der Verordnung zur Bestimmung der Bezirke und Sitze der Finanzämter in [X.] und zur Übertragung von Zuständigkeiten vom 12. November 1999 ([X.] --GVBl BY-- 1999, 479) die Zuständigkeit des [X.] X allgemein für Betriebsprüfungen auf den Bezirk des [X.] Y ausgedehnt ist. Eine solche Regelung enthält auch die ab 1. Januar 2006 geltende Verordnung über Organisation und Zuständigkeiten in der [X.] Steuerverwaltung vom 1. Dezember 2005 (GVBl BY 2005, 596). Außerdem führt der Kläger nicht aus, warum die Prüfungsfeststellungen --trotz fehlender Anfechtung der [X.] nicht im Rahmen des Änderungsbescheids hätten berücksichtigt werden dürfen, obwohl nach der Rechtsprechung des [X.] grundsätzlich nur dann ein verfahrensrechtliches Verwertungsverbot für Prüfungsfeststellungen besteht, wenn die Prüfungsanordnung erfolgreich angefochten worden ist (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.] vom 25. März 2009 VIII B 210/08, [X.] 2009, 1396, m.w.N.).

Meta

III B 196/11

20.08.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 12. August 2011, Az: 13 K 1816/08, Urteil

§ 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.08.2012, Az. III B 196/11 (REWIS RS 2012, 3838)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3838

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

X B 69/12 (Bundesfinanzhof)

(Nachweis der Investitionsabsicht bei neu gegründeten Betrieben im Anwendungsbereich des § 7g EStG a.F. - …


VIII B 3/10 (Bundesfinanzhof)

Keine gemeinsame Ansparrücklage für mehrere Wirtschaftsgüter


III R 43/06 (Bundesfinanzhof)

Bildung einer Ansparabschreibung zur Kompensation eines Betriebsprüfungsmehrergebnisses - Fehlender Finanzierungszusammenhang - Fehlerhaftigkeit einer Bilanz trotz …


VIII R 23/09 (Bundesfinanzhof)

(Erst im Einspruchsverfahren geltend gemachte Ansparabschreibung - Keine Entscheidung im Revisionsverfahren über Kosten (§ 128 …


X B 83/16 (Bundesfinanzhof)

Gewinnzuschlag bei Reinvestitionsrücklage


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.