Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.05.2012, Az. AnwZ (Brfg) 3/12

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2012, 5974

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Gegenstand

Verleihungsvoraussetzungen für die Bezeichnung Fachanwalt für Insolvenzrecht: Berücksichtigungsfähigkeit von praktischen Tätigkeiten als Insolvenzverwalter und theoretischen Kenntnissen durch Veröffentlichungen in Fachzeitschriften; Notwendigkeit eines Fachgespräches


Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs [X.] vom 21. November 2011 wird abgelehnt.

Auf den Antrag des [X.] wird die Berufung gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs [X.] vom 21. November 2011 zugelassen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung im Berufungsverfahren vorbehalten.

Der Geschäftswert des Zulassungsverfahrens wird auf 12.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger ist seit dem 30. August 1996 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und Mitglied der [X.]eklagten. Seit 2005 wird er regelmäßig von [X.] zum Insolvenzverwalter bestellt; einen Fachanwaltslehrgang hat er nicht besucht. Mit Schreiben vom 5. März 2007 beantragte er bei der [X.]eklagten die Verleihung der [X.]efugnis, die [X.]ezeichnung "Fachanwalt für Insolvenzrecht" zu führen. Zum Nachweis seiner besonderen theoretischen Kenntnisse berief er sich unter anderem auf verschiedene von ihm stammende Veröffentlichungen in Fachzeitschriften sowie ein von ihm für die Insolvenzrichter beim [X.]          erstelltes [X.] für Insolvenzplanverfahren bei geschlossenen Immobilienfonds und legte - auf Anregung des Vorsitzenden des Fachausschusses der [X.]eklagten - eine 110-seitige Zusammenstellung (mit 5 Aktenordnern) vor; diese enthielt eine Erläuterung und Zuordnung von ihm im Rahmen von 130 Insolvenzverfahren erstellter Schriftstücke (Gutachten; [X.]erichte; Schriftsätze) zu den einzelnen [X.]ereichen des Fachgebiets Insolvenzrecht (§ 14 [X.]). Mit [X.]escheid vom 21. Dezember 2009 lehnte die [X.]eklagte - entgegen dem Votum ihres Fachausschusses - den Antrag ab; der Widerspruch des [X.] wurde mit [X.]escheid vom 9. Juni 2010 zurückgewiesen. Zur [X.]egründung verwies die [X.]eklagte darauf, dass durch die Veröffentlichungen und das [X.] nicht alle Rechtsgebiete des § 14 [X.] abgedeckt seien; die vom Kläger im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit erworbenen praktischen Erfahrungen seien nicht geeignet, den Nachweis theoretischer Kenntnisse zu ersetzen. Auf die hiergegen gerichtete Klage hat der [X.] - unter Zurückweisung der weitergehenden Klage - die [X.]escheide der [X.]eklagten aufgehoben und diese verpflichtet, über den Antrag unter [X.]eachtung der in den Urteilsgründen ausgeführten Rechtsauffassung - die [X.]eklagte habe den Antrag nicht zurückweisen dürfen, ohne dass zuvor ein Fachgespräch (§ 7 [X.]) stattgefunden habe - neu zu befinden.

2

Gegen dieses Urteil richten sich die Anträge beider Parteien auf Zulassung der [X.]erufung.

II.

3

1. Der nach § 112e Satz 2 [X.], § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag des [X.] hat Erfolg; es bestehen, soweit zum Nachteil des [X.] erkannt worden ist, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

4

Der [X.] hat die vom Kläger vorgelegten Arbeitsunterlagen als nur zum Nachweis praktischer Erfahrungen (§ 5 Abs. 1g [X.]) geeignet angesehen und sie als zum [X.]eleg der notwendigen theoretischen Kenntnisse (§ 4 Abs. 3 [X.]) auf den anderweitig nicht abgedeckten Teilgebieten des § 14 [X.] unerheblich außer [X.]etracht gelassen. Nach der Senatsrechtsprechung sind demgegenüber zum Nachweis dieser Kenntnisse alle geeigneten [X.]eweismittel und Erkenntnisquellen zu berücksichtigen; dementsprechend kann es auch genügen, wenn ein Antragsteller auf seine berufliche Tätigkeit zurückgreift und aussagekräftige, mit entsprechendem theoretischen Niveau bearbeitete Schriftsätze bzw. Aktenauszüge oder sonstige Arbeitsnachweise vorlegt, aus denen sich die notwendigen Kenntnisse ableiten lassen (vgl. Senatsbeschluss vom 21. November 1994 - [X.] ([X.]) 46/94, [X.]RAK-Mitt. 1995, 73, 75 zur mit § 7 Abs. 3 [X.] inhaltsgleichen Vorgängerregelung in § 8 Abs. 3 RAFach[X.]ezG; ferner Senatsbeschluss vom 19. Juni 2000 - [X.] ([X.]) 59/99, [X.], 3648, 3649).

5

2. Der nach § 112e Satz 2 [X.], § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag der [X.]eklagten ist unbegründet; die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 4 VwGO) liegen nicht vor. Die maßgeblichen Rechtsfragen zum Fachgespräch sind in der Senatsrechtsprechung geklärt. Sollten, was im Rahmen der [X.]erufung des [X.] zu klären sein wird (s.o.), die vorgelegten Unterlagen zur Abdeckung aller Fachgebiete des § 14 [X.] nicht ausreichend gewesen sein, war es rechtsfehlerhaft, den Antrag des [X.] auf Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung abzulehnen, ohne zuvor ein Fachgespräch durchzuführen.

6

Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung zu § 7 [X.] in der bis zum 31. Dezember 2002 gültigen Fassung die Auffassung vertreten, dass Gegenstand eines Fachgesprächs nur die Rechtsgebiete sein können, in denen der Nachweis der in den §§ 4, 5 [X.] geforderten Kenntnisse und Erfahrungen anhand der eingereichten Unterlagen noch nicht geführt ist; hat der Antragsteller ausreichende Unterlagen (§ 6 [X.]) vorgelegt, ist für ein Fachgespräch kein Raum (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23. September 2002 - [X.] ([X.]) 40/01, [X.]RAK-Mitt. 2003, 25, 26 ff. und 7. März 2005 - [X.] ([X.]) 11/04, [X.]RAK-Mitt. 2005, 123 f. m.w.N.; siehe auch Senatsbeschluss vom 21. Juni 1999 - [X.] ([X.]) 91/98, [X.]GHZ 142, 97, 99 m.w.N. zu § 10 RAFach[X.]ezG). Das Fachgespräch tritt damit nicht als eigenständige Prüfung der fachlichen Qualifikation des [X.]ewerbers neben die in der [X.] geforderten Nachweise, sondern hat [X.]edeutung nur als ergänzende [X.]eurteilungsgrundlage für die Fälle, in denen die schriftlichen Unterlagen nicht ausreichen, der Nachweis im Rahmen eines Fachgesprächs aber noch aussichtsreich erscheint (Senatsbeschluss vom 23. September 2002, aaO S. 27). Diese Rechtsprechung gilt - bei verfassungskonformer Auslegung der [X.]estimmung - weiterhin auch für die ab 1. Januar 2003 geltende Neufassung des § 7 [X.] (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 7. März 2005, aaO [X.] und vom 6. März 2006 - [X.] ([X.]) 36/05, [X.], 1513 Rn. 32). Soweit die [X.]eklagte aus bestimmten Formulierungen des Senatsbeschlusses vom 16. April 2007 ([X.] ([X.]) 31/06, [X.]RAK-Mitt. 2007, 166 Rn. 11 ff.) ableiten möchte, dass im vorliegenden Fall im Rahmen des § 4 Abs. 3 [X.] eine Ersetzung des fehlenden Nachweises theoretischer Kenntnisse in einzelnen Teilbereichen des § 14 [X.] durch ein Fachgespräch unmöglich sei, ist dies unzutreffend. In dem zitierten [X.]eschluss ging es um die praktischen Erfahrungen aus "mindestens 5 eröffneten Verfahren aus dem ersten bis sechsten Teil der [X.] als Insolvenzverwalter" (§ 5 Abs. 1g Nr. 1 [X.]). Insoweit hat der Senat unter Hinweis unter anderem darauf, dass zum Nachweis dieser besonderen praktischen Kenntnisse ein Fachgespräch nicht zielführend sei und die [X.] in § 5 Abs. 1g Nr. 3 und 4 auch eine spezielle Ersetzungsregelung vorsehe, eine Verpflichtung der damaligen [X.]eklagten zur Führung eines Fachgesprächs verneint. Hieraus lässt sich für den vorliegenden Fall nichts ableiten. Im Übrigen hat der Senat in der Folgezeit ausdrücklich Fachgespräche bei Defiziten im Nachweis theoretischer Kenntnisse im Anwendungsbereich des § 4 Abs. 3 [X.] für zulässig erachtet (vgl. [X.]eschluss vom 21. Juli 2008 - [X.] ([X.]) 62/07, Anw[X.]l. 2008, 711, 712; siehe zur Ersetzung auch [X.]eschluss vom 25. Februar 2008 - [X.] ([X.]) 14/07, NJW-RR 2008, 927 Rn. 7 ff.). Er hat lediglich im Hinblick auf die begrenzte - nicht eigenständige, sondern nur ergänzende - Funktion des Fachgesprächs (s.o.) deutlich gemacht, dass ein solches zum Nachweis nicht in [X.]etracht kommt, wenn die vom Antragsteller im Rahmen des § 4 Abs. 3 [X.] vorgelegten Unterlagen in wesentlichen Teilen unzureichend sind und deshalb kein partieller Klärungsbedarf besteht ([X.]eschluss vom 21. Juli 2008, aaO). Hiervon kann im vorliegenden Fall, in dem allein durch die vorgelegten Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und das erstellte [X.] die Teilgebiete des § 14 [X.] mehrheitlich abgedeckt sind, nicht gesprochen werden.

III.

7

Das Verfahren wird als Verfahren über die [X.]erufung des [X.] fortgesetzt; der Einlegung einer [X.]erufung durch den Kläger bedarf es nicht (§ 112e Satz 2 [X.], § 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO).

Tolksdorf                                           Roggenbuck                                            Seiters

                             [X.]

Meta

AnwZ (Brfg) 3/12

30.05.2012

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend Anwaltsgerichtshof Berlin, 21. November 2011, Az: I AGH 6/10

§ 4 Abs 3 FAO, § 5 Abs 1 Buchst g FAO, § 6 FAO, § 14 FAO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.05.2012, Az. AnwZ (Brfg) 3/12 (REWIS RS 2012, 5974)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5974

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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