Bundesfinanzhof, Urteil vom 03.11.2010, Az. VII R 21/10

7. Senat | REWIS RS 2010, 1750

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Gegenstand

Verstoß gegen den ordre public bei Vollstreckung ausländischer Steuerforderungen - Deutung des Begriffs der öffentlichen Ordnung - Nachprüfung ausländischer Entscheidung - Keine Verpflichtung des um Rechtshilfe ersuchenden Mitgliedstaats zur Übersetzung eines Verwaltungsakts


Leitsatz

1. Die Übermittlung eines Vollstreckungstitels durch einen um Vollstreckung ersuchenden Mitgliedstaat der Europäischen Union nach den Bestimmungen der RL 76/308/EWG unter Beifügung einer deutschen Übersetzung des Vollstreckungstitels hindert das FG nicht an der Prüfung, ob die Vollstreckung des ausländischen Titels in Deutschland gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) verstieße .

2. Das Gericht ist zu einer solchen Prüfung verpflichtet, wenn der in Deutschland ansässige Steuerpflichtige substantiiert besondere Umstände vorgetragen hat, die einen Verstoß gegen den ordre public zumindest möglich erscheinen lassen .

3. Ein solcher Verstoß liegt vor, wenn ein Mitgliedstaat einem in Deutschland ansässigen Abgabenpflichtigen eine in ausländischer Sprache abgefasste Zahlungsaufforderung zustellen lässt, der mangels einer Rechtsbehelfsbelehrung nicht entnommen werden kann, dass die Rechtsbehelfsfrist lediglich 15 Tage beträgt, und eine Art Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entweder im ausländischen Recht nicht vorgesehen oder trotz Geltendmachung von Gründen, welche die Fristversäumnis entschuldigen könnten, nicht geprüft worden ist .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist im Jahr 1995 durch Verschmelzung Rechtsnachfolgerin der [X.] geworden. Mit [X.] vom 14. Dezember 2004 bat die [X.] Zollverwaltung den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Hauptzollamt --H[X.]--) um Vollstreckung einer Forderung aus einer im Oktober 1995 der [X.] an ihrem Sitz in [X.] zugestellten Zahlungsaufforderung eines Zollamts ([X.]) in [X.] vom 26. Mai 1995. In dem [X.] war ein Urteil eines [X.]n [X.]s vom November 2000 als neuer vollstreckbarer Titel bezeichnet, das in beglaubigter Kopie mit einer Übersetzung ins [X.] beigefügt war. Das [X.] [X.] bestätigte das Urteil eines [X.]n Gerichts erster Instanz, mit dem die Klage der Klägerin gegen die Zahlungsaufforderung des [X.]n [X.] aufgrund verspäteter Einlegung eines Rechtsbehelfs abgewiesen worden ist. In dem [X.] waren u.a. der geschuldete Betrag sowie Zinsen und Kosten, der Zeitpunkt der Vollstreckbarkeit und das Bekanntgabedatum des [X.] benannt. Zudem wurde bestätigt, dass die in Art. 7 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 76/308/[X.] ([X.]/308/[X.]) des Rates vom 15. März 1976 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen im Zusammenhang mit Maßnahmen, die Bestandteil des Finanzierungssystems des [X.] für die Landwirtschaft sind, sowie von Abschöpfungen und Zöllen --[X.] Europäischen Gemeinschaften ([X.]) Nr. L 73/18-- (inzwischen ersetzt durch die Richtlinie 2008/55/[X.] vom 26. Mai 2008 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen, [X.] [X.] Nr. L 150/28) genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

2

Das H[X.] forderte die Klägerin zur Zahlung des von den [X.]n Behörden angeforderten Betrags auf und kündigte mit Schreiben vom 7. April 2005 die Vollstreckung an. Nachdem das H[X.] aufgrund der Hinterlegung einer Bürgschaftsurkunde die bereits eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen mit Bescheid vom 25. Mai 2005 einstweilen ausgesetzt und [X.] gewährt hatte, und nachdem die [X.] Zollverwaltung der [X.] Mitte mitgeteilt hatte, dass die von der Klägerin bei der obersten Dienststelle des [X.] eingelegte Verwaltungsbeschwerde abgewiesen worden sei, erging mit Schreiben vom 26. März 2008 eine weitere Zahlungsaufforderung mit dem Hinweis an die Klägerin, dass die zur Sicherheit hinterlegte Bürgschaftsurkunde verwertet werde, wenn bis zum 15. April 2008 keine Zahlung erfolgt sei.

3

Einspruch und Klage gegen die Androhung der [X.] hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) urteilte, dass das H[X.] die Verwertung zu Recht angekündigt habe (vgl. Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2010, Beilage 3, 33). Sämtliche Voraussetzungen für eine Vollstreckung nach dem Gesetz zur Durchführung der [X.] seien im Streitfall erfüllt. Es liege ein vollstreckbarer Titel vor, der sich aus dem Urteil des [X.]n [X.]s ergebe, das die Rechtmäßigkeit der an die Klägerin gerichteten Zahlungsaufforderung bestätigt habe. Ferner habe die ersuchende Behörde bestätigt, dass die in Art. 7 Abs. 2 Buchst. a und b [X.]/308/[X.] genannten Voraussetzungen erfüllt seien. Unstreitig sei zwischen den Beteiligten, dass der Rechtsweg in [X.] erschöpft sei. Es könne dahinstehen, ob die Klägerin einen Steuerbescheid erhalten habe. Denn das Urteil des [X.]n [X.]s trete an die Stelle des erforderlichen vollziehbaren Verwaltungsakts i.S. des § 251 Abs. 1 der Abgabenordnung. Ebenso wenig sei entscheidungserheblich, ob die Zahlungsaufforderung rechtmäßig zustande gekommen oder von den [X.]n Gerichten zu Recht bestätigt worden sei. Der Hilfsantrag der Klägerin, der auf die Feststellung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des [X.]n [X.]s gerichtet sei, sei zwar zulässig, jedoch könne er der Klage deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil die Zwangsvollstreckung auf der Grundlage des Urteils dieses Gerichts zulässig sei.

4

Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen sowie die Feststellung, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des [X.]n [X.]s unzulässig ist. Zur Begründung trägt sie vor, dass die Entscheidung des [X.]n [X.]s ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) verletze. Die Zahlungsaufforderung sei ohne Begründung und ohne Rechtsmittelbelehrung in [X.]r Sprache ergangen. Deshalb habe der an sich gebotene Rechtsbehelf innerhalb von 15 Tagen nicht fristgemäß eingelegt werden können. Nach dem Urteil des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) vom 14. Januar 2010 [X.]/08 ([X.], 146) sei dem Empfänger eines [X.] dieser Titel in einer Amtssprache des Mitgliedstaats zuzustellen, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz habe. Zu Unrecht sei die Klage von den [X.]n Gerichten allein aufgrund der Verfristung als unzulässig abgewiesen worden. Das Urteil des [X.]n [X.]s trage den rechtswidrigen Verwaltungsakt in sich. Somit verstoße die Vollstreckung aus diesem Urteil gegen wesentliche Grundsätze der [X.] Rechtsordnung. Daraufhin sei das Urteil des [X.]n [X.]s auch von einem [X.] Gericht überprüfbar. Einen Steuerbescheid (sog. Iscrizione a Ruolo) habe die [X.] Zollverwaltung nie erlassen. Gegenstand der gerichtlichen Verfahren in [X.] sei lediglich eine Zahlungsaufforderung gewesen (sog. Ingiunzione di Pagamento). Selbst nach [X.]m Recht setze die Vollstreckung einen nicht angefochtenen oder einen für vollstreckbar erklärten Steuerbescheid voraus.

5

Das H[X.] schließt sich der Auffassung des [X.] an. Bei der Prüfung, ob ein ausländisches Urteil oder ein ausländischer Vollstreckungstitel der öffentlichen Ordnung widerspreche, sei nicht auf den [X.], sondern auf den großzügigeren ordre public international abzustellen. Nach der Rechtsprechung des [X.] --BGH-- (Urteil vom 21. April 1998 XI ZR 377/97, [X.], 331) sei maßgeblich, ob das Ergebnis ausländischen Rechts im konkreten Fall zu den Grundgedanken der [X.] Regelung und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stehe, dass es nach [X.] Vorstellung untragbar erscheine. Auch nach der Rechtsprechung des [X.] zur ordre public Klausel in Art. 27 Nr. 1 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Übereinkommen 72/454/[X.]) vom 27. September 1968 ([X.] 1972, Nr. L 299/32) komme die Anwendung dieser Klausel nur dann in Betracht, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Staat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats stünde. Das Gericht des Vollstreckungsstaats habe grundsätzlich davon auszugehen, dass das in jedem Vertragsstaat eingerichtete Rechtsbehelfssystem den [X.] eine ausreichende Garantie biete. Im Streitfall sei der [X.] der Klägerin nicht verletzt worden, so dass ein Verstoß gegen den ordre public nicht vorliege. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin als Spedition Erfahrungen im internationalen Verkehr habe. Sie hätte das ihr von der [X.] Zollverwaltung zugestellte Schriftstück umgehend übersetzen und dessen Bedeutung rechtzeitig erkennen müssen. Die relativ kurze Rechtsbehelfsfrist von 14 Tagen sei für jemanden, der am geschäftlichen Verkehr teilnehme, nicht unzumutbar.

6

Ob die [X.] Zahlungsaufforderung eine Rechtsbehelfsbelehrung hätte enthalten müssen, sei allein nach [X.]m Recht zu beantworten. Die Zustellung sei im Rahmen der internationalen Amtshilfe erfolgt, nämlich nach dem Übereinkommen vom 7. September 1967 zwischen [X.], der Bundesrepublik [X.], [X.], [X.], [X.] und den [X.] über gegenseitige Unterstützung ihrer Zollverwaltungen ([X.] 1969, 66). Aus Art. 17 dieses Übereinkommens lasse sich nicht entnehmen, dass der [X.]n Zahlungsaufforderung eine Übersetzung in die [X.] hätte beigefügt werden müssen. Schließlich habe die Klägerin in [X.] den Rechtsweg beschritten. Für die Überprüfung des [X.] einschließlich seiner Zustellung seien weiterhin ausschließlich die [X.]n Behörden zuständig. Es könne sein, dass durch die in [X.] durchgeführten Gerichtsverfahren ein etwaiger Mangel aufgrund der fehlenden Übersetzung geheilt worden sei.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision der Klägerin ist begründet und führt zur Aufhebung des Urteils des [X.] und zur Zurückverweisung der Sache an dieses zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das Urteil des [X.] verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 [X.]O). Das [X.] hat verkannt, dass die Bestimmungen der [X.]/308/[X.] einer im Streitfall gebotenen Prüfung auf einen Verstoß gegen den ordre public nicht entgegenstehen.

8

1. Gemäß der in Art. 12 [X.]/308/[X.] festgelegten Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten ist ein Rechtsbehelf gegen die Forderung oder den Vollstreckungstitel in dem Mitgliedstaat einzulegen, in dem die ersuchende Behörde ihren Sitz hat; dagegen sind Rechtsbehelfe gegen Vollstreckungsmaßnahmen der ersuchten Behörde in dem Mitgliedstaat einzulegen, in dem sich die ersuchte Behörde befindet. Die Zuweisung der Zuständigkeiten trägt dem Umstand Rechnung, dass der Steuerbescheid und der Vollstreckungstitel nach den Rechtsvorschriften desjenigen Mitgliedstaats erlassen bzw. erwirkt worden sind, in dem die ersuchende Behörde ihren Sitz hat. Auf den nationalen Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, der um die Vollstreckung ersucht wird, beruhen die von diesem durchzuführenden Vollstreckungsmaßnahmen. Wie der [X.] entschieden hat, erlaubt es diese Zuständigkeitsverteilung der ersuchten Behörde grundsätzlich nicht, die Wirksamkeit und die Vollstreckbarkeit der Handlung oder der Entscheidung, um deren Zustellung von der ersuchenden Behörde ersucht wird, in Frage zu stellen ([X.]-Urteil in [X.] 2010, 146).

9

Allerdings gilt dieser Grundsatz nicht ausnahmslos. Der [X.] hat anerkannt, dass in besonderen Fällen die Instanzen des Mitgliedstaats, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz hat, zur Prüfung befugt sind, ob die Vollstreckung dieses Titels insbesondere die öffentliche Ordnung dieses Mitgliedstaats beeinträchtigte, und dass sie auch die Befugnis haben, gegebenenfalls die Gewährung der Unterstützung ganz oder teilweise zu versagen oder sie von der Einhaltung bestimmter Voraussetzungen abhängig zu machen. Es sei kaum denkbar, dass ein Vollstreckungstitel von einem Mitgliedstaat vollstreckt werde, wenn diese Vollstreckung seine öffentliche Ordnung beeinträchtigen könnte. Im Übrigen sei die Einrede der öffentlichen Ordnung in Art. 4 Abs. 3 [X.]/308/[X.] ausdrücklich vorgesehen ([X.]-Urteil in [X.] 2010, 146). Daraus folgt, dass allein die Übermittlung eines --evtl. gerichtlich bestätigten-- ausländischen Steuerbescheids oder Vollstreckungstitels eine Überprüfung auf einen Verstoß gegen den ordre public nicht ausschließt (zu einer entsprechenden Befugnis des Gerichts bei Anwendung des Vertrags zwischen der [X.] und der [X.] über Rechts- und Amtshilfe in Zoll-, [X.] und [X.] vom 11. September 1970 --[X.]-- vgl. [X.] vom 21. Februar 1978 [X.]/74, [X.], 480).

Das [X.] hat diese Prüfung zu Unrecht unterlassen, obwohl der von der Klägerin vorgetragene Sachverhalt dazu Anlass gegeben hätte. Die vom [X.] getroffenen Feststellungen erlauben es dem erkennenden [X.] auch nicht zu entscheiden, dass durch die Vollstreckung der ordre public nicht beeinträchtigt würde.

2. Der Begriff der öffentlichen Ordnung wird durch die [X.]/308/[X.] nicht definiert. Anhaltspunkte für seine Deutung lassen sich den entsprechenden Regelungen in internationalen Abkommen und der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung entnehmen. Eine Art. 4 Abs. 3 [X.]/308/[X.] vergleichbare ordre public Klausel findet sich in mehreren Vollstreckungs- und Rechtshilfeabkommen.

a) Art. 27 Nr. 1 des [X.]/[X.] bestimmt, dass eine Entscheidung nicht anzuerkennen ist, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem sie geltend gemacht wird, widerspräche. In Bezug auf diese Regelung hat der [X.] ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten selbst festlegen könnten, welche Anforderungen sich nach ihren innerstaatlichen Anschauungen aus ihrer öffentlichen Ordnung ergeben. Allerdings komme eine Anwendung der Klausel nur dann in Betracht, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Vertragsstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats stünde. Damit das Verbot der Nachprüfung der ausländischen Entscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit gewahrt bleibe, müsse es sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln, so dass mögliche Rechtsfehler nicht ausreichten ([X.]-Urteil vom 11. Mai 2000 [X.]/98, [X.]. 2000, I-2973).

b) Auch [X.] Revisionsgerichte haben in mehreren Entscheidungen zur Auslegung und zum Anwendungsbereich von ordre public Klauseln Stellung genommen. Gemäß Art. 4 [X.] kann Rechts- und Amtshilfe u.a. verweigert werden, wenn der ersuchte Staat der Ansicht ist, die Erledigung des Ersuchens sei geeignet, die öffentliche Ordnung (ordre public) zu beeinträchtigen. Wie der [X.] entschieden hat, eröffnet diese Klausel für das [X.] die Möglichkeit zur Prüfung, ob für die [X.] Behörde ein Anlass bestanden hätte, der ersuchenden [X.] Behörde die Rechts- und Amtshilfe zu verweigern, etwa wegen begründeter Bedenken gegen die Rechtsstaatlichkeit des [X.] Verfahrens bei der Entscheidung über den Anspruch oder seine Vollstreckbarkeit und wegen der Verpflichtung der [X.] gegenüber ihren Bürgern aus den [X.] der Art. 1 bis 19 sowie der Art. 101 und 103 GG ([X.]surteil in [X.], 480, 484).

In Bezug auf Art. 2 Nr. 1 des Vertrags zwischen der [X.] und der [X.] über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 6. Juni 1959 ([X.] 1960, 1246) hat der [X.] geurteilt, dass nicht auf den ordre public interne, sondern auf den großzügigeren anerkennungsrechtlichen ordre public international abzustellen sei. Mit diesem sei ein ausländisches Urteil nicht schon dann unvereinbar, wenn [X.] --hätte er den Prozess entschieden-- aufgrund zwingenden [X.]n Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Maßgeblich sei vielmehr, ob das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts im konkreten Fall zu den Grundgedanken der [X.]n Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stehe, dass es nach [X.]r Vorstellung untragbar erscheine ([X.]-Urteile in [X.]Z 138, 331, und vom 4. Juni 1992 [X.], [X.]Z 118, 312).

Hinsichtlich des verfahrensrechtlichen ordre public in Art. 34 Nr. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen bzw. Art. 5 Nr. 1 des [X.] über die Anerkennung und Vollstreckung von [X.] vom 2. Oktober 1973 hat der [X.] bestätigt, dass der Vorbehalt des ordre public nur in Ausnahmefällen eingreife. Eine Vollstreckbarerklärung könne insbesondere nicht schon deshalb versagt werden, weil die ausländische Entscheidung in einem Verfahren erlassen worden sei, das von zwingenden Vorschriften des [X.]n Prozessrechts abweiche. Ein Versagungsgrund sei vielmehr nur dann gegeben, wenn das Urteil des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen sei, das von den Grundsätzen des [X.]n Verfahrensrechts in einem solchen Maß abweiche, dass es nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden könne ([X.]-Urteil vom 26. August 2009 [X.], [X.]Z 182, 188; hinsichtlich der Anerkennung ausländischer Schiedssprüche [X.]-Urteil vom 15. Mai 1986 [X.], [X.]Z 98, 70).

3. Im Streitfall rügt die Revision zu Recht, dass das [X.] zu Unrecht einen Verstoß gegen den ordre public nicht in Betracht gezogen, sondern sich mit der Feststellung begnügt hat, dass es sich bei dem Urteil des [X.] um einen Vollstreckungstitel handele und die Klägerin den Rechtsweg in [X.] ausgeschöpft habe.

Der [X.] hält es daher für geboten, die Sache an das [X.] zurückzugeben, um diesem eine erneute Prüfung unter Beachtung der Rechtsauffassung des [X.]s zu ermöglichen.

Unter Berücksichtigung der dargestellten Rechtsprechung zum Begriff der öffentlichen Ordnung (ordre public) wird das [X.] im zweiten Rechtsgang den Vollstreckungstitel daraufhin zu überprüfen haben, ob eine Vollstreckung in [X.] die öffentliche Ordnung beeinträchtigte. Dies wäre dann anzunehmen, wenn der Vollstreckungstitel in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zu grundlegenden Prinzipien der [X.]n Rechtsordnung stünde, so dass das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts nach [X.]n Gerechtigkeitsvorstellungen untragbar erschiene. Dabei wird es nach Auffassung des erkennenden [X.]s entscheidend darauf ankommen, ob die Rechtsvorgängerin der Klägerin eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte erwirken können und ob sie sich in zumutbarer Weise darum bemüht hat.

a) Im Streitfall ist einerseits zu berücksichtigen, dass es sich bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin nicht um eine Privatperson, sondern um ein Speditionsunternehmen gehandelt hat, das in die [X.] eingeführte Waren durch mehrere [X.] --u.a. auch durch [X.]-- beförderte. Von einem solchen Unternehmen kann erwartet werden, dass einem von den [X.]n Zollbehörden zugestellten Schreiben, selbst wenn es in [X.] abgefasst ist, Beachtung geschenkt wird. Denn die Annahme ist nicht fernliegend, dass es in Verbindung mit einer geschäftlichen Transaktion, z.B. mit einem grenzüberschreitend durchgeführten Transport, steht. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin hätte demnach nicht untätig bleiben, sondern sich in angemessener Zeit um eine Übersetzung bemühen müssen, um zeitnah Kenntnis vom Inhalt des Schriftstücks zu erlangen. Den Inhalt des Schreibens hätte sie schließlich zum Anlass nehmen müssen, weitere Erkundigungen einzuziehen. Andererseits ist im Streitfall jedoch dem Umstand besondere Beachtung zu schenken, dass ausweislich der [X.]n Übersetzung des Urteils des [X.] die Frist für die Anfechtung eines "Zahlungsbefehls in Zollsachen" mit 15 Tagen relativ kurz bemessen war. Zudem geht es um die Anwendung ausländischen Rechts und um Zollrecht, einer speziellen und nicht leicht verständlichen Materie des [X.]. Die fehlende Übersetzung und die fehlende Rechtsmittelbelehrung lassen eine Fristüberschreitung entschuldbar erscheinen, so dass nach [X.]m Rechtsverständnis eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht gekommen wäre.

Für das Strafbefehlsverfahren hat das [X.] ([X.]) entschieden, dass ein der [X.]n Sprache nicht hinreichend mächtiger Ausländer, dem ein Strafbefehl in [X.]r Sprache ohne eine verständliche Belehrung über den Rechtsbehelf des Einspruchs zugestellt worden ist, im Falle des [X.] nicht anders behandelt werden kann, als wenn die Rechtsmittelbelehrung unterblieben ist mit der Folge, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden muss ([X.]-Beschlüsse vom 10. Juni 1975  2 BvR 1074/74, [X.]E 40, 95, und vom 7. April 1976  2 BvR 728/75, [X.]E 42, 120). Auch nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) darf eine unzureichende Kenntnis der [X.]n Sprache nicht dazu führen, dass der Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör verkürzt wird; deshalb sind Sprachschwierigkeiten des Beteiligten bei der Prüfung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand angemessen zu berücksichtigen ([X.]-Beschluss vom 21. Mai 1997 [X.], [X.]/NV 1997, 634).

Aus den Akten geht indes nicht hervor, innerhalb welchen Zeitraums sich die Klägerin um eine Übersetzung der Zahlungsaufforderung und um die für die Einlegung des Rechtsbehelfs erforderlichen Rechtsauskünfte bemüht hat. Feststellungen hierzu hat das [X.] nicht getroffen. Im zweiten Rechtsgang wird das [X.] deshalb den Fragen nachgehen müssen, ob nach [X.] Recht die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bestanden hat, ob und innerhalb welchen Zeitraums die Rechtsvorgängerin der Klägerin einen entsprechenden Antrag gestellt und Gründe für eine unverschuldete Fristversäumung geltend gemacht hat und ob diese Einwendungen von den [X.] Behörden bzw. Gerichten berücksichtigt worden sind.

Sollte eine Art Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach [X.] Recht überhaupt nicht möglich gewesen sein, ist der erkennende [X.] der Auffassung, dass ein Verstoß gegen den ordre public vorliegt, der einer Vollstreckung der geltend gemachten Forderung entgegenstünde. Das Gleiche gilt, wenn sich herausstellen sollte, dass ein substantiiert und zeitnah gestellter Antrag, die Fristversäumnis zu entschuldigen, weil sie darauf beruhe, dass sich die Klägerin trotz aller entsprechenden zumutbaren Bemühungen Kenntnis vom Inhalt der ihr zugestellten [X.] Zahlungsaufforderung nicht habe verschaffen können, unbeachtet geblieben ist. In diese Richtung deutet der [X.] das Vorbringen der Klägerin in der Tatsacheninstanz. Der Vortrag der Klägerin hätte das [X.] daher veranlassen müssen, dieser Frage nachzugehen.

b) Die fehlende Rechtsbehelfsbelehrung allein hält der erkennende [X.] indes nicht für ausreichend, um einen Verstoß gegen den ordre public zu begründen (vgl. zum Erfordernis einer Rechtsmittelbelehrung nach [X.]r höchstrichterlicher Rechtsprechung in Sachen, die kein Steuerrecht betreffen und deshalb auf den Streitfall nicht übertragen werden können, Entscheidungen des [X.] vom 20. Juni 1995  1 BvR 166/93, [X.]E 93, 99; vom 28. Juli 1998  1 BvR 781/94, Zeitschrift für offene Vermögensfragen 1998, 339, und vom 30. Januar 1991  2 BvR 712/90, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1991, 766, sowie Urteile des [X.]s (OLG) [X.] vom 27. Februar 2003  1 AK 29/02, Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht 2004, 199, und des [X.] vom 7. August 2006  1 Ausl 16/05, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2007, 109).

c) Auch die fehlende Übersetzung der Zahlungsaufforderung reicht für sich allein für die Annahme eines Verstoßes gegen den ordre public nicht aus, zumal das [X.] im Streitfall nicht festgestellt hat, nach welchen Vorschriften die Zustellung bewirkt worden ist und die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in den Blick genommen wurde. Ergänzend bemerkt der [X.], dass dem Urteil des [X.] in [X.] 2010, 146 eine Pflicht des um Rechtshilfe ersuchenden Mitgliedstaats zur Übersetzung eines an in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Abgabenpflichtigen gerichteten Verwaltungsakts nicht zu entnehmen ist. Vielmehr hat der [X.] lediglich darauf hingewiesen, dass die Funktion der rechtzeitigen Zustellung nach Art. 5 [X.]/308/[X.] darin bestehe, den Empfänger in die Lage zu versetzen, Gegenstand und Grund des zugestellten Rechtsakts zu verstehen und seine Rechte geltend zu machen. Da der Empfänger des Vollstreckungstitels in der Lage sein müsse, zumindest den Gegenstand und den Grund des Antrags mit Bestimmtheit zu identifizieren, müsse die Zustellung in einer Amtssprache des Mitgliedstaats erfolgen, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz hat. Begründet hat der [X.] diese Auffassung mit dem Ziel der Beitreibungsrichtlinie, insbesondere die wirksame Durchführung der Zustellung von Verfügungen und Entscheidungen zu gewährleisten. Im Streitfall war dem Vollstreckungstitel, dem Urteil des [X.], eine [X.] Übersetzung beigefügt.

d) Hingeben kann dem Argument des [X.] nicht gefolgt werden, dass die Vollstreckung bereits deshalb keinen rechtlichen Bedenken begegnet, weil das Urteil des [X.] in [X.]r Sprache vorliege und es deshalb auf die Rechtmäßigkeit der Zahlungsaufforderung nicht mehr ankommen könne. Der Übersetzung des Urteils des [X.] ist zu entnehmen, dass sich das Gericht mit der Rechtmäßigkeit der Zahlungsaufforderung überhaupt nicht befasst, sondern seine Entscheidung ausschließlich auf die Verfristung des Rechtsbehelfs gestützt hat. Es hat hierzu ausgeführt, dass es in erster Linie notwendig sei, den letzten Anfechtungsgrund zu prüfen, "da dieser im Wesentlichen die Frage der Fristmäßigkeit des erhobenen Widerspruchs gegen den Zahlungsbefehl" betreffe, bei welcher [X.] zu einem negativen Ergebnis gekommen sei und diese Frage präjudiziellen Charakter zu den anderen in der [X.] erwähnten Punkten habe. Zu einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Gericht offensichtlich keine Stellung bezogen. Damit ist das Urteil grundsätzlich geeignet, etwaige nach rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht hinnehmbare Mängel des vorangegangenen Verwaltungsverfahrens (evtl. Ausschluss der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) zu perpetuieren. In diesem Fall stünde auch das die Verwaltungsentscheidung bestätigende Urteil in einem solch starken Widerspruch zu den Grundgedanken der [X.]n Regelungen, dass die Vollstreckung auf Grundlage eines solchen Titels untragbar erschiene, so dass sie unter Berufung auf den ordre public zu verweigern wäre.

Dem Urteil des [X.] ist allerdings nicht zu entnehmen, ob die Vorinstanz das Vorliegen von [X.], sollten sie überhaupt geltend gemacht worden sein, geprüft hat, so dass das [X.] [X.] überhaupt Anlass hatte, auf diese Frage einzugehen. Auch dies wird im zweiten Rechtsgang zu klären sein.

Meta

VII R 21/10

03.11.2010

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 25. Juni 2009, Az: 14 K 3563/08, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 7 Abs 1 EGBeitrG, Art 4 Abs 3 EWGRL 308/76, Art 5 EWGRL 308/76, Art 7 Abs 2 EWGRL 308/76, Art 12 EWGRL 308/76, Art 34 Nr 1 EGV 44/2001

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 03.11.2010, Az. VII R 21/10 (REWIS RS 2010, 1750)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1750

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