Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.10.2012, Az. 5 StR 316/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 2440

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5 StR 316/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM [X.] DES VOLKES

URTEIL

vom 10.
Oktober
2012
in der Strafsache
gegen

wegen Vergewaltigung
u.a.

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Der 5. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung
vom
10. Oktober
2012, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender [X.] Basdorf,

[X.] Dr. Raum,
[X.] [X.],
[X.] Prof. Dr. König,
[X.] Bellay

als beisitzende [X.],

Oberstaatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt K.

,
Rechtsanwalt S.

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

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für Recht erkannt:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 6. Februar 2012 mit den zugehöri-gen Feststellungen
aufgehoben, soweit der Angeklagte frei-gesprochen worden ist, sowie
im Rechtsfolgenausspruch.

Auf die Revision des Angeklagten wird das genannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt [X.] ist.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Ju-gendschutzkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

[X.] n d e

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung, jeweils in Tateinheit mit schwerem sexuellem
Missbrauch von Kindern und Körper-verletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verur-teilt und der Nebenklägerin im Rahmen einer Adhäsionsentscheidung einen Schmerzensgeldbetrag zugesprochen. Vom Vorwurf, zwei weitere sexuelle Übergriffe begangen zu haben,
hat es ihn freigesprochen. Die vom [X.] vertretene Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich mit der Sachrüge gegen die den [X.] zugrunde liegende Beweiswürdi-gung sowie gegen die [X.] der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung. Die Revision des Angeklagten erhebt eine
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fahrensrüge und darüber hinaus die allgemeine Sachrüge. Beide [X.] haben Erfolg.

1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und
Wertungen getroffen.

a) Der wegen eines [X.] vorbestrafte Angeklagte bot der Mutter der am 26. Januar 2005 geborenen Nebenklägerin

Sc.

an einem nicht näher feststellbaren Tag zwischen Juni 2009 und [X.] 2010 an, auf die Nebenklägerin, die
in seiner Wohnung
übernachten sollte,
aufzu-passen.
Als die Nebenklägerin sich in seiner Obhut befand, zog er
die Hose ihres Schlafanzugs herunter, legte sie mit dem Bauch auf einen Tisch und cremte ihren Anus ein. Gegen den Willen des
sich wehrenden
Kindes
drang der Angeklagte mehrfach mit seinem Penis in dessen After ein.

Die Nebenklägerin, die noch mehrere Tage unter Schmerzen litt, er-zählte ihrer Mutter am nächsten Morgen,
was vorgefallen war. Diese unter-suchte die Nebenklägerin, konnte aber keine Verletzungen an der [X.] und dem After ihres Kindes entdecken. Sie schenkte
der Schilderung ihrer Tochter
zwar
keinen Glauben; gleichwohl brach sie den Kontakt zum
Ange-klagten ab. Eine Anzeige bei der Polizei erstattete sie nicht.
Zu
Ermittlungen kam es erst, als die Nebenklägerin sich am 12. März 2011 gegenüber
einer Freundin ihrer Mutter weinend offenbarte, die anschließend die Polizei ver-ständigte.

Die [X.] stützt die Verurteilung des
die Tat bestreitenden Angeklagten im Wesentlichen auf die von ihr als glaubwürdig bewertete [X.] mit [X.] durch alle Vernehmungen
zu halten, wenn sie
nicht erlebnisba

([X.]). Soweit die Nebenklägerin der Freundin ihrer Mutter am 12. März 2011 nur von einem vaginalen Geschlechtsverkehr erzählt hatte, stelle dies
die Erlebnisbasiertheit ihrer Aussage nicht in Frage, 2
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weil

entsprechend den Ausführungen der sachverständigen Zeugin Diplom-Psychologin G.

r-nehmung einer Fünfjährigen hinsichtlich After und [X.] noch wenig aus-geprägt sei
und die Abweichung daher aus Sicht der Geschädigten nicht das Kernge

19).
Des Weiteren sei der Umstand, dass die Nebenklägerin in ihrer polizeilichen Vernehmung den Tisch
neben der Couch, in der Hauptverhandlung hingegen den Küchentisch
als genaue Tat-örtlichkeit angegeben habe, als nicht wesentliche Abweichung anzusehen.
Diese Abweichung könne
als vergleichsweise nebensächliche Einzelheit ei-nerseits dem Alter der Nebenklägerin sowie dem
relativ lange zurückliegen-den Tatzeitraum, andererseits dem ungenauen Frageverhalten des [X.] geschuldet
sein.

b) Die
zugelassene Anklage warf dem Angeklagten darüber hinaus vor, die Nebenklägerin in seiner Wohnung im gleichen Zeitraum [X.] anal auf dem Tisch und einmal vaginal auf der Couch mit seinem Ge-schlechtsteil penetriert zu haben.

Die [X.] hat den Angeklagten insoweit aus tatsächlichen konnte.
In einer

gesondert

vorgenommenen
Beweiswürdigung führt sie aus: [X.] und [X.]

sei sie zwar überzeugt, dass es weitere Vorfälle gegeben habe
([X.] 32);
die Analyse der [X.] der Nebenklägerin ergebe aber trotz anzunehmender umfassender Aussagetüchtigkeit und Beruhen ihrer Angaben auf einem
wahren [X.] keine hinreichende [X.] ([X.] 33).
Zu Gunsten
des [X.]n könne die [X.]
daher
nur das zugrunde legen,
was die Nebenklägerin konstant ausgesagt habe und darüber hinaus mit den übrigen Zeugenaussagen in Übereinstimmung zu bringen sei.

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Die Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung, wonach der [X.] und der Geschlechtsverkehr auf dem Tisch [X.] haben, weiche zum einen erheblich von ihren Angaben im Ermitt-lungsverfahren ab. Darüber hinaus habe die Nebenklägerin erstmals in der Hauptverhandlung angegeben, dass ein [X.]lverkehr auch auf der Couch in der Wohnung ihrer Mutter vorgefallen sei, als diese einkaufen gewesen sei. Diese Aussage der Nebenklägerin sei mit ihren Angaben im [X.] nicht in Einklang zu bringen. Darüber hinaus habe ihre Mutter in Abrede gestellt, die Nebenklägerin in ihrer Wohnung jemals mit dem Ange-klagten allein gelassen zu haben; zudem habe diese nur einmal beim Ange-klagten in dessen Wohnung übernachtet.

c) Das [X.] hat des Weiteren zwei weitere Anklagevorwürfe, wonach der Angeklagte im gleichen Zeitraum in seiner Wohnung jeweils den Oralverkehr an der Nebenklägerin auf einem Tisch vollzogen habe, auf [X.] der Staatsanwaltschaft gemäß §
154 Abs.
2 [X.] eingestellt.

2. Die Beweiswürdigung des [X.] hält insgesamt rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die gegen die Freisprüche gerichtete Revision der Staatsanwalt-schaft ist begründet. Das Revisionsgericht muss es zwar
grundsätzlich hin-nehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts; die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt sich [X.], ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt ([X.], Urteile vom 2. Dezember 2005

5 [X.], [X.], 925, 928, insoweit in [X.]St 50, 299 nicht abgedruckt, und vom 18. September 2008

5 [X.], [X.], 401). Solche Rechtsfehler liegen hier vor.
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In den Freispruchsfällen
ist
bereits ein unauflösbarer Widerspruch da-rin
zu sehen, dass die [X.] einerseits überzeugt ist, dass die
Aus-sage der Nebenklägerin zu weiteren sexuellen Übergriffen des Angeklagten
auf einem
wahren Erlebnishintergrund basiert und es deshalb solche Über-griffe gegeben hat. Andererseits spricht sie den Angaben der Nebenklägerin
mit Blick auf deren widersprüchliche Schilderungen und daraus abgeleitete
Defizite der [X.] die Glaubhaftigkeit ab und zieht
zudem nicht abschließend bewertete Zeugenaussagen
heran, dass es zu weiteren Vorfäl-len

entgegen der Aussage der Nebenklägerin

keine Gelegenheit gege-ben
habe. Diese Wertungen sind miteinander nicht in Einklang zu bringen.

Darüber hinaus ermöglichen die Darlegungen des [X.] nicht die revisionsrechtliche Überprüfung, ob es die festgestellten Abweichungen in den Angaben der Nebenklägerin zutreffend bewertet hat. Es fehlt insoweit an einer hinreichenden Darstellung und Analyse der Aussageentstehung und -entwicklung.
Ebenso wenig ist dargelegt, woraus sich die [X.] weiterer sexueller Übergriffe aus den Schilderungen der Nebenklägerin ergibt.

Hinsichtlich der [X.] der Sicherungsverwahrung verweist der Senat auf die Ausführungen des [X.]. Für den Fall erneuter Verurteilung des Angeklagten in dem bisherigen [X.] darf der von der Staatsanwaltschaft nicht angefochtene (Einzel-) Straf-ausspruch nicht erhöht werden.

b) Die Revision des Angeklagten dringt ebenfalls mit der Sachrüge durch, weil sich die Beweiswürdigung auch zu seinen Lasten als durchgrei-fend rechtsfehlerhaft erweist.
Auf die Verfahrensrüge kommt es daher nicht
mehr
an.

In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht, muss sich das Tatgericht bewusst sein, dass die Aussage des einzigen Belastungszeugen 13
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einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der [X.] in solchen Fällen wenig
Verteidigungsmöglichkeiten besitzt. Nach der Rechtsprechung des [X.] müssen die Urteilsgründe er-kennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände in seine Überlegungen einbezogen hat. Dies gilt insbesondere, wenn der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr auf-rechterhält oder der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird (vgl. [X.], Urteil
vom 29. Juli 1998

1 StR 94/98, [X.]St 44, 153, 158 f.
mwN). Dann muss das Tatgericht jedenfalls regelmäßig außerhalb der [X.] liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben.
Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des [X.] nicht gerecht.

Die [X.] setzt sich im Rahmen der besonderen Glaubwür-digkeitsprüfung nicht damit auseinander, welche Auswirkungen die bei der Nebenklägerin zu
den Freispruchsfällen festgestellten Aussagedefizite auf den [X.] haben. Vielmehr steht die
Beweiswürdigung zu dem als erwiesen angesehenen Fall und
zu den
als nicht erwiesen angesehenen [X.] nahezu beziehungslos nebeneinander (vgl. [X.], Urteil
vom 12. Au-gust
2010

2 StR 185/10, und Beschluss vom 4. Mai 2011

5 [X.]/11).
Hinzu kommt, dass der erstmals in der Hauptverhandlung von der Nebenklä-gerin geschilderte sexuelle Übergriff des Angeklagten in der Wohnung der Mutter des [X.] auch im [X.] in die [X.] hätte einbezogen werden müssen.
Ebenso hätte es der Erörterung be-durft, ob die gemäß §
154 Abs.
2 [X.] in der Hauptverhandlung eingestell-ten Fälle des [X.] an der
Nebenklägerin erweislich waren
oder ob auch insoweit Glaubwürdigkeitsdefizite vorgelegen haben, die im Rahmen einer kritischen Gesamtwürdigung die Aussage der Nebenklägerin in Frage stellen könnten.
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3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Ent-scheidung. Die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens vor der [X.] wird nicht fernliegen. Die Aufhebung des Schuld-spruchs entzieht der
Adhäsionsentscheidung die Grundlage.

[X.]Raum [X.]

König Bellay

18

Meta

5 StR 316/12

10.10.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.10.2012, Az. 5 StR 316/12 (REWIS RS 2012, 2440)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2440

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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