Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.08.2017, Az. IV ZR 93/17

4. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 6260

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Gegenstand

Verpflichtung zur Leistung einer Prozesskostensicherheit: Gesellschaft mit Verwaltungssitz innerhalb der EU oder des EWR


Leitsatz

Von einer Gesellschaft, die einen Verwaltungssitz innerhalb der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterhält, kann Prozesskostensicherheit gemäß §§ 110 ff. ZPO nicht verlangt werden (im Anschluss an BGH, Urteil vom 1. Juli 2002, II ZR 380/00, BGHZ 151, 204).

Tenor

Die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 4. Juli 2017 erhobene Einrede der mangelnden Prozesskostensicherheit für das [X.] und möglicher anschließender Revision sowie ihr Antrag auf Anordnung weiterer Sicherheitsleistung werden zurückgewiesen.

Gründe

1

I. Die Klägerin ist eine auf den [X.]  ansässige Ltd., die gegen die Beklagte als Mitversicherer einen Anspruch aus einer Yachtkaskoversicherung verfolgt. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.

2

Durch Zwischenurteil vom 6. November 2014 hat das [X.] der Klägerin eine Prozesskostensicherheit aufgegeben, die nur die Kosten der ersten beiden Instanzen abdeckte. Im vorliegenden Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde begehrt die Beklagte nunmehr die Anordnung einer ergänzenden Prozesskostensicherheit für die Kosten der dritten Instanz.

3

Die Klägerin tritt diesem Antrag mit der Behauptung entgegen, dass sie jedenfalls seit 2014 einen Verwaltungssitz am Wohnsitz ihres gesetzlichen Vertreters in [X.] unterhalte. Dagegen unterhalte sie auf den S.     keine Geschäftsräume.

4

II. [X.] ist unbegründet. Zwar kommt die Anordnung einer weiteren Prozesskostensicherheit nach § 112 Abs. 3 ZPO in Betracht, wenn die geleistete Sicherheit nicht ausreicht. Die Klägerin ist aber bereits dem Grunde nach nicht zur Sicherheitsleistung gemäß § 110 ZPO verpflichtet.

5

1. Insoweit hat der [X.] selbständig zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 ZPO (noch) gegeben sind. Dem steht entgegen der Auffassung der Beklagten keine Bindungswirkung des Zwischenurteils des [X.]s entgegen, weil darin über eine Prozesskostensicherheit, die auch die dritte Instanz abdeckt, nicht entschieden worden ist (vgl. auch [X.], Zwischenurteil vom 30. Juni 2004 - [X.], NJW-RR 2005, 148, wo die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 ZPO in einem gleichgelagerten Fall ebenfalls selbständig geprüft worden sind).

6

2. Von einer Gesellschaft, die einen Verwaltungssitz innerhalb der [X.] oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den [X.] unterhält, kann Prozesskostensicherheit gemäß §§ 110 ff. ZPO nicht verlangt werden.

7

a) Als Ort des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von § 110 ZPO ist bei Kapitalgesellschaften deren Sitz anzusehen ([X.], Zwischenurteil vom 30. Juni 2004 - [X.], NJW-RR 2005, 148 unter 2a, juris Rn. 9). Umstritten und in der Rechtsprechung des [X.] bisher nicht abschließend geklärt ist allerdings, ob insoweit auf den [X.] oder den Verwaltungssitz abzustellen ist. Der [X.] hat diese Frage zuletzt in zwei Entscheidungen ausdrücklich offen gelassen ([X.], Zwischenurteil vom 30. Juni 2004 - [X.] aaO; Urteil vom 21. Juni 2016 - [X.] [X.], 1703 Rn. 12 ff.).

8

aa) In einem früheren Urteil hatte der [X.] allerdings bereits ausgeführt, dass die Anwendbarkeit des § 110 ZPO jedenfalls bei einem Verwaltungssitz innerhalb der [X.] ausscheide (Urteil vom 1. Juli 2002 - [X.]/00, [X.]Z 151, 204 unter III, juris Rn. 12). Auch die herrschende Auffassung in der Rechtsprechung der Instanzgerichte ([X.], Urteil vom 25. Februar 2015 - 2 U 57/14, juris Rn. 20; [X.] 2011, 267; OLG Karlsruhe NJW-RR 2008, 944; [X.] [X.], 903 f. juris Rn. 19) und in der Literatur ([X.], ZPO 23. Aufl. § 110 Rn. 9; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO 75. Aufl. § 110 Rn. 4; [X.]/[X.], ZPO 31. Aufl. § 110 Rn. 2; Musielak/Voit/Foerste, ZPO 14. Aufl. § 110 Rn. 4; [X.]/[X.], 5. Aufl. § 110 Rn. 13; [X.], Internationales Zivilprozessrecht 7. Aufl. Rn. 2004 d; Schütze, [X.] 2014, 272, 273 m.w.N. in [X.]. 9; [X.]. [X.] 2011, 245, 246) stellt generell auf den tatsächlichen Verwaltungssitz ab.

9

bb) Anderer Auffassung ist - außer dem [X.] im hiesigen Rechtsstreit - das [X.]. Nach dessen Ansicht soll es auf den [X.] ankommen, weil die Gesellschaft ohne größeren Aufwand ihren Verwaltungssitz verlegen und sich hierdurch dem Vollstreckungszugriff im Falle des Unterliegens entziehen könnte (OLG Schleswig [X.] 2014, 289, juris Rn. 16).

b) Zutreffend ist jedenfalls für die Fälle, in denen die Gesellschaft einen Verwaltungssitz in der [X.] oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den [X.] hat, die erstgenannte Auffassung.

Für die Anknüpfung an den Verwaltungssitz spricht bereits die Parallele zwischen dem Verwaltungssitz und dem "gewöhnlichen Aufenthalt", auf den der Wortlaut des § 110 Abs. 1 ZPO für natürliche Personen abstellt. Darüber hinaus besteht der Sinn und Zweck der Vorschrift darin, den obsiegenden Beklagten vor Schwierigkeiten bei der Durchsetzung seines [X.] zu bewahren, die typischerweise bei einer Vollstreckung außerhalb der [X.] oder des Gebietes der Vertragsstaaten des Abkommens über den [X.] und damit außerhalb der Anwendungsbereiche der [X.] ([X.]) Nr. 1215/2012 des [X.] und des Rats vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie der für vor dem 10. Januar 2015 eingeleitete Verfahren noch maßgeblichen Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 und des [X.] auftreten ([X.], Urteil vom 21. Juni 2016 - [X.], [X.], 1703 Rn. 20; BT-Drucks. 13/10871 S. 17). Für die Durchsetzbarkeit des [X.] kommt es aber eher auf den Verwaltungssitz als auf den Gründungs- oder satzungsmäßigen Sitz einer Gesellschaft an, weil sich das Betriebsvermögen der Gesellschaft regelmäßig an ihrem Verwaltungssitz befindet, wo die Geschäfte geführt werden; der statutarische Sitz kann eine "leere Hülle" sein. Darauf, dass im Einzelfall auch eine Vollstreckung am Verwaltungssitz gefährdet sein kann, kommt es nicht an, weil dieses Risiko nicht höher als bei inländischen Klägern ist (zutreffend Schütze, [X.] 2014, 272, 273).

Europarechtliche Gründe stehen einer Anknüpfung an den Verwaltungssitz jedenfalls bei Gesellschaften mit Verwaltungssitz innerhalb der [X.] oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den [X.] nicht entgegen, weil diese Anknüpfung gerade dazu führt, dass diese Gesellschaften keine Prozesskostensicherheit zu leisten haben und damit nicht an[X.] als inländische Gesellschaften behandelt werden.

Ob an den Verwaltungssitz auch dann anzuknüpfen wäre, wenn eine innerhalb der [X.] gegründete Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in ein Land verlegt, das weder der [X.] noch einem Vertragsstaat des Abkommens über den [X.] angehört, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden.

3. Für den Streitfall ist zugrunde zu legen, dass die Klägerin ihren Verwaltungssitz in [X.] hat.

a) Maßgebend dafür, wo eine juristische Person ihren Verwaltungssitz hat, ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen [X.], also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden ([X.], Urteile vom 21. Juni 2016 - [X.], [X.], 1703 Rn. 15; vom 15. März 2010 - [X.], [X.], 1003 Rn. 16; vom 21. März 1986 - [X.], [X.]Z 97, 269 unter II, juris Rn. 9; Beschlüsse vom 10. November 2009 - [X.], [X.], 275 Rn. 8; vom 10. März 2009 - [X.] 105/07, [X.], 987 Rn. 11; vom 21. Januar 2009 - [X.] 273/08, juris Rn. 18). Hat die Gesellschaft nur einen organschaftlichen Vertreter und unterhält sie an keinem anderen Ort Geschäftsräume, in denen dieser tätig ist, ist danach für ihren Verwaltungssitz der Aufenthaltsort ihres einzigen organschaftlichen Vertreters maßgebend.

b) So liegt es nach dem Vorbringen der Klägerin hier. Diese hat schlüssig dargelegt, dass sich ihr Verwaltungssitz in [X.] und damit innerhalb der [X.] befindet, indem sie vorgetragen hat, dass ihr einziger organschaftlicher Vertreter ("sole director") in [X.] wohnt sowie dass sie auf den [X.]keine Geschäftsräume unterhält, weil alleiniger Gesellschaftszweck Erwerb und Halten der streitgegenständlichen Yacht sei und sie über keinen anderweitigen Geschäftsbetrieb verfüge.

Für ihre gegenteilige Behauptung, dass sich der Verwaltungssitz der Klägerin nicht in der [X.] oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den [X.] befindet, ist die Beklagte beweispflichtig (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Dezember 2005 - [X.], NJW-RR 2006, 710, juris Rn. 13; [X.], 23. Aufl. § 110 Rn. 46; [X.]/[X.], 31. Aufl. § 110 Rn. 7), weil dies eine Voraussetzung der für sie günstigen Bestimmung des § 110 Abs. 1 ZPO ist. Insoweit fehlt es jedoch an einem ausreichend substantiierten Vorbringen unter Beweisantritt.

[X.]     

      

Felsch     

      

Harsdorf-Gebhardt

      

Lehmann     

      

Dr. Bußmann     

      

Meta

IV ZR 93/17

23.08.2017

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 13. Februar 2017, Az: 7 U 3659/16

§ 110 Abs 1 ZPO, §§ 110ff ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.08.2017, Az. IV ZR 93/17 (REWIS RS 2017, 6260)

Papier­fundstellen: MDR 2017, 1382-1383 WM2017,1944 REWIS RS 2017, 6260

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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