Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.08.2017, Az. IV ZR 93/17

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 6251

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:230817BIVZR93.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 93/17
vom
23. August 2017
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja

[X.]Z: nein

[X.]R: ja

ZPO § 110 Abs. 1

Von einer Gesellschaft, die einen Verwaltungssitz innerhalb der [X.] oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den [X.] unterhält, kann Prozesskostensicherheit gemäß §§ 110 ff. ZPO nicht verlangt werden (im [X.] an [X.], Urteil vom 1. Juli 2002 -
II ZR 380/00, [X.]Z 151, 204).

[X.], Beschluss vom 23. August 2017 -
IV ZR 93/17 -
OLG [X.]

LG [X.] I

-
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-

Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch
die Vorsitzende Richterin [X.],
[X.], die Richterin [X.], den
Richter Lehmann und die Richterin Dr.
Bußmann

am
23. August
2017

beschlossen:

Die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 4.
Juli 2017 erhobene Einrede der mangelnden [X.] für das [X.] und möglicher anschließender Revision sowie ihr [X.] auf Anordnung weiterer Sicherheitsleistung wer-den zurückgewiesen.

Gründe:

[X.] Die Klägerin ist eine auf den S.

ansässige Ltd., die ge-gen die Beklagte als Mitversicherer einen Anspruch aus einer Yachtkas-koversicherung verfolgt. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos ge-blieben. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläge-rin.

Durch [X.] vom 6. November 2014 hat das [X.] der Klägerin eine Prozesskostensicherheit aufgegeben, die nur die Kos-ten der ersten beiden Instanzen abdeckte. Im vorliegenden Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde begehrt die Beklagte nunmehr die Anord-1
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nung einer ergänzenden Prozesskostensicherheit für die Kosten der [X.].

Die Klägerin tritt diesem Antrag mit der Behauptung entgegen, dass sie jedenfalls seit 2014 einen Verwaltungssitz am Wohnsitz ihres gesetzlichen Vertreters in [X.] unterhalte.
Dagegen unterhalte sie auf
den S.

keine Geschäftsräume.

I[X.] [X.] ist unbe-gründet.
Zwar kommt die Anordnung einer weiteren [X.] nach §
112 Abs.
3 ZPO in Betracht, wenn die geleistete [X.] nicht ausreicht. Die Klägerin ist aber
bereits dem Grunde nach nicht zur Sicherheitsleistung gemäß §
110 ZPO verpflichtet.

1.
Insoweit hat der Senat selbständig zu prüfen, ob die Vorausset-zungen des §
110 Abs.
1 ZPO (noch) gegeben sind. Dem steht entgegen der
Auffassung der Beklagten keine Bindungswirkung des Zwischenur-teils des [X.]s entgegen, weil darin über eine [X.], die auch die dritte Instanz abdeckt, nicht entschieden worden ist (vgl. auch [X.], [X.] vom 30.
Juni 2004 -
VIII [X.], NJW-RR 2005, 148, wo die Voraussetzungen des §
110 Abs.
1 ZPO in einem gleichgelagerten Fall ebenfalls selbständig geprüft worden sind).

2. Von einer Gesellschaft, die einen Verwaltungssitz innerhalb der [X.] oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den [X.]
unterhält, kann [X.] gemäß §§
110
ff. ZPO nicht verlangt werden.

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a) Als Ort des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von §
110 ZPO ist bei Kapitalgesellschaften deren Sitz
anzusehen ([X.], [X.] vom 30. Juni 2004 -
VIII [X.], NJW-RR 2005, 148 unter 2a, juris Rn. 9).
Umstritten
und in der Rechtsprechung des [X.] bisher nicht abschließend geklärt ist allerdings, ob insoweit auf den [X.] oder den Verwaltungssitz abzustellen
ist. Der [X.] hat diese Frage zuletzt in zwei Entscheidungen ausdrücklich of-fen gelassen ([X.], [X.] vom 30. Juni 2004 -
VIII [X.] aaO; Urteil vom 21. Juni 2016 -
X [X.] [X.], 1703
Rn. 12
ff.).

aa) In einem früheren Urteil hatte der [X.] allerdings bereits ausgeführt, dass die Anwendbarkeit des § 110 ZPO jedenfalls bei einem Verwaltungssitz innerhalb der [X.]
ausscheide (Urteil vom 1.
Juli 2002 -
II ZR 380/00, [X.]Z 151, 204 unter III, juris Rn.
12). Auch die herrschende Auffassung in der Rechtsprechung der Instanzgerichte ([X.], Urteil vom 25.
Februar 2015 -
2 U 57/14, juris Rn.
20; OLG [X.] [X.] 2011, 267; OLG Karlsruhe
NJW-RR 2008, 944; [X.] [X.], 903
f.
juris Rn. 19) und in der Literatur ([X.], ZPO 23. Aufl.
§ 110 Rn. 9; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO 75. Aufl.
§ 110 Rn. 4; [X.]/[X.], ZPO 31. Aufl.
§ 110 Rn. 2; Musielak/Voit/Foerste, ZPO 14. Aufl.
§ 110 Rn. 4; [X.]/[X.], 5. Aufl.
§ 110 Rn. 13; [X.], [X.] Zivilprozessrecht 7.
Aufl. Rn.
2004 d; Schütze, [X.] 2014, 272, 273 m.w.N.
in Fn.
9; [X.]. [X.] 2011, 245, 246) stellt generell auf den tatsächlichen Verwaltungssitz ab.

bb) Anderer Auffassung ist -
außer dem [X.] im hiesigen Rechtsstreit -
das [X.]. Nach dessen Ansicht soll es auf den [X.] ankommen, weil die Ge-7
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sellschaft ohne größeren Aufwand ihren Verwaltungssitz verlegen und sich hierdurch dem Vollstreckungszugriff im Falle des Unterliegens ent-ziehen könnte (OLG Schleswig [X.] 2014, 289, juris Rn.
16).

b) Zutreffend ist jedenfalls für die Fälle, in denen die Gesellschaft einen Verwaltungssitz in der [X.] oder eines [X.] über den [X.]
hat,
die erstgenannte Auffassung.

Für die Anknüpfung an den Verwaltungssitz spricht bereits die [X.] zwischen dem Verwaltungssitz und dem "gewöhnlichen Aufent-halt", auf den der Wortlaut des § 110 Abs. 1 ZPO für natürliche Personen abstellt. Darüber hinaus besteht der Sinn und Zweck der Vorschrift darin, den obsiegenden Beklagten vor Schwierigkeiten bei der Durchsetzung seines [X.] zu bewahren, die typischerweise bei einer Vollstreckung außerhalb der [X.] oder des Gebie-tes der Vertragsstaaten des
Abkommens über den [X.] und damit außerhalb der Anwendungsbereiche der [X.] ([X.]) Nr. 1215/2012 des [X.] und des Rats vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die [X.] und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil-
und Handels-sachen sowie der für vor dem 10. Januar 2015 eingeleitete Verfahren noch maßgeblichen Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 und des [X.] auftreten ([X.], Urteil vom 21. Juni 2016 -
X [X.], [X.], 1703 Rn. 20; BT-Drucks. 13/10871 S. 17). Für die Durchsetz-barkeit des [X.] kommt es aber eher auf den Verwaltungssitz als auf den Gründungs-
oder satzungsmäßigen Sitz [X.] an, weil sich das Betriebsvermögen der Gesellschaft regelmäßig an ihrem Verwaltungssitz befindet, wo die Geschäfte geführt 10
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werden; der statutarische Sitz kann eine "leere Hülle"
sein. Darauf, dass im Einzelfall auch eine Vollstreckung am Verwaltungssitz gefährdet sein kann, kommt es nicht an, weil dieses Risiko nicht höher als bei inländi-schen Klägern ist (zutreffend Schütze,
[X.] 2014, 272, 273).

Europarechtliche Gründe stehen einer Anknüpfung an den Verwal-tungssitz jedenfalls bei Gesellschaften mit Verwaltungssitz innerhalb der [X.] oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den [X.] nicht entgegen, weil diese
Anknüp-fung gerade dazu führt, dass diese Gesellschaften keine Prozesskosten-sicherheit zu leisten haben und damit nicht an[X.] als inländische Ge-sellschaften behandelt werden.

Ob an den Verwaltungssitz auch dann anzuknüpfen wäre, wenn eine innerhalb der [X.] gegründete Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in ein Land verlegt, das weder der [X.] noch einem Vertragsstaat des Abkommens über den [X.] angehört, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden.

3. Für den Streitfall ist zugrunde zu legen, dass die Klägerin ihren Verwaltungssitz in [X.]
hat.

a) Maßgebend dafür, wo eine juristische Person ihren Verwal-tungssitz hat, ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen [X.], also der Ort, wo die grundlegenden Ent-scheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende [X.] umgesetzt werden ([X.], Urteile
vom 21. Juni 2016 -
X [X.], [X.], 1703 Rn. 15; vom 15. März 2010 -
II ZR 27/09, [X.], 1003 Rn. 16; vom 21. März 1986 -
V [X.], [X.]Z 97, 269 un-12
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ter II, juris Rn. 9; Beschlüsse
vom 10. November 2009

[X.], [X.], 275 Rn. 8; vom 10.
März 2009 -
VIII [X.], [X.], 987 Rn. 11; vom 21. Januar 2009

Xa
ARZ 273/08, juris Rn. 18). Hat die Gesellschaft nur einen organschaftlichen Vertreter und unterhält sie an keinem anderen Ort Geschäftsräume, in denen dieser tätig ist, ist danach für ihren Verwaltungssitz der Aufenthaltsort ihres einzigen organschaftli-chen Vertreters maßgebend.

b) So liegt es
nach dem Vorbringen
der Klägerin hier. Diese hat schlüssig dargelegt, dass sich ihr Verwaltungssitz in [X.] und [X.] innerhalb der [X.] befindet, indem sie vorgetragen hat, dass ihr einziger organschaftlicher Vertreter ("sole director") in [X.] wohnt sowie dass sie auf den S.

keine Geschäftsräume unterhält, weil alleiniger Gesellschaftszweck Erwerb und Halten der streitgegenständlichen Yacht sei und sie über keinen anderweitigen [X.] verfüge.

Für ihre gegenteilige Behauptung, dass sich der Verwaltungssitz der Klägerin nicht in der [X.] oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den [X.] befindet, ist die Beklagte beweispflichtig (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Dezember 2005 -
III ZB 73/05, NJW-RR 2006, 710, juris Rn.
13; [X.], 23. Aufl.
§ 110 Rn. 46; [X.]/[X.],
31. Aufl.
§ 110 Rn. 7), weil

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dies eine Voraussetzung der für sie günstigen Bestimmung des § 110 Abs. 1 ZPO ist. Insoweit fehlt es jedoch an einem ausreichend [X.] Vorbringen unter Beweisantritt.

[X.] [X.]

[X.]

Lehmann Dr. Bußmann

Vorinstanzen:
LG [X.] I, Entscheidung vom 05.08.2016 -
14 [X.]/13 -

OLG [X.], Entscheidung vom 13.02.2017 -
7 U 3659/16 -

Meta

IV ZR 93/17

23.08.2017

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.08.2017, Az. IV ZR 93/17 (REWIS RS 2017, 6251)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 6251

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