Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16.08.2016, Az. 9 AS 4/16

9. Senat | REWIS RS 2016, 6706

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Gegenstand

Rechtsweg - Alleinentscheidung des Vorsitzenden


Tenor

Das [X.] ist zuständig.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten nach übereinstimmender Erledigungserklärung noch über die Kosten des Rechtsstreits.

2

Aufgrund fälliger Steuerrückstände pfändete das klagende Land das Arbeitseinkommen von [X.] bei dem Beklagten. Nach Ausbleiben einer Drittschuldnererklärung hat das klagende Land bei dem [X.] einen Mahnbescheid gegen den Beklagten auf Zahlung von 46.456,54 Euro erwirkt. Hiergegen hat der Beklagte fristgerecht Widerspruch eingelegt. Nach Abgabe des Rechtsstreits an das [X.] zur Durchführung des streitigen Verfahrens haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt und wechselseitige Kostenanträge gestellt.

3

In der Folge hat das [X.] nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 4. Mai 2016 den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen. Dieses hat die Übernahme des Rechtsstreits mit Beschluss vom 29. Juni 2016 durch den Vorsitzenden allein abgelehnt und den Rechtsstreit dem [X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Der Verweisungsbeschluss entfalte keine Bindungswirkung, weil er auf einer erheblichen Rechtsverletzung beruhe. Eine Verweisung des Rechtsstreits nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG allein wegen der Kosten sei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr möglich.

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II. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens liegen vor.

5

1. Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Auch ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss, der nicht hätte ergehen dürfen, ist grundsätzlich einer weiteren Überprüfung entzogen. Nur bei krassen Rechtsverletzungen kommt eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ausnahmsweise in Betracht ([X.] 21. Dezember 2015 - 10 [X.]/15 - Rn. 13 mwN).

6

2. In entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO hat die Bestimmung des zuständigen Gerichts zu erfolgen, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist ([X.] 21. Dezember 2015 - 10 [X.]/15 - Rn. 14 mwN; 12. Juli 2006 - 5 [X.]/06 - Rn. 6 mwN). Erforderlich ist, dass es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung von rechtskräftigen Verweisungsbeschlüssen kommt und keines der infrage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, der Rechtsstreit werde von diesem nicht prozessordnungsgemäß betrieben, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist. Zuständig für die Zuständigkeitsbestimmung ist derjenige oberste Gerichtshof des [X.], der zuerst angegangen wird ([X.] 21. Dezember 2015 - 10 [X.]/15 - aaO).

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3. Die die [X.] leugnende Entscheidung des Arbeitsgerichts konnte gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG durch Alleinentscheidung des Vorsitzenden ergehen.

8

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG erlässt die nicht aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergehenden Beschlüsse und Verfügungen der Vorsitzende allein, soweit nichts anderes bestimmt ist. Eine solche Bestimmung hat der Gesetzgeber für einen negativen Kompetenzstreit von Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten nicht getroffen. Nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ergeht der Beschluss nach § 17a Abs. 4 GVG über die Zulässigkeit des Rechtswegs als solcher außerhalb der mündlichen Verhandlung stets durch die Kammer. Dies gilt auch für die Entscheidung über die Abhilfe oder [X.] einer sofortigen Beschwerde, da es sich um eine erneute Entscheidung in der Sache handelt ([X.] 17. September 2014 - 10 [X.] - Rn. 6, [X.]E 149, 117). Eine entsprechende Anwendung der Besetzungsregelung des § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG auf die die [X.] leugnende Entscheidung des Arbeitsgerichts kommt mangels vergleichbarer Interessenlage nicht in Betracht. Die rechtskräftige Entscheidung über den Rechtsweg erzeugt gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG eine Bindungswirkung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist. Diese weitgehende Wirkung entfaltet die [X.] an den zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufenen obersten Gerichtshof des [X.] nicht, da erst dieser selbst die bindende Entscheidung trifft.

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4. Zuständiges Gericht ist das [X.]. Die Verweisung des Rechtsstreits durch das [X.] an das [X.] ist bindend.

a) Die Verweisung des Rechtsstreits ist grundsätzlich unabänderlich und bindend für das verweisende Gericht. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG ergangen anzusehen ist, weil er auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör beruht, nicht durch [X.] erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (zu § 281 ZPO vgl. [X.] 21. Dezember 2015 - 10 [X.]/15 - Rn. 22).

b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Das [X.] war nach übereinstimmender Erledigungserklärung in der Hauptsache zwar das für die Kostenentscheidung zuständige Gericht. Der Verweisungsbeschluss des [X.] ist jedoch noch im Rahmen des § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG ergangen.

aa) Ein Verweisungsbeschluss nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG setzt voraus, dass das Verfahren bereits rechtshängig ist ([X.] 25. Februar 2016 - IX ZB 61/15 - Rn. 9; vgl. auch [X.] 9. Februar 2006 - 5 [X.]/06 - Rn. 17). Ein vor Rechtshängigkeit der Klage ergehender Verweisungsbeschluss nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG entfaltet dementsprechend keine Bindungswirkung ([X.] 9. Februar 2006 - 5 [X.]/06 - aaO). Bei nicht streitiger Beendigung des Verfahrens - so auch bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen - sind die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs und die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht mehr zu prüfen, weil der Rechtsstreit in der Hauptsache nicht mehr anhängig ist. Eine Verweisung an das zuständige Gericht nur wegen der noch zu treffenden Kostenentscheidung kommt nicht in Betracht (vgl. BVerwG 8. April 2016 - 1 [X.] - Rn. 16; [X.] 18. März 2010 - I ZB 37/09 - Rn. 9; MüKoZPO/[X.] 4. Aufl. § 91a Rn. 57; [X.]/Vollkommer ZPO 31. Aufl. § 91a Rn. 58 „Verweisung“; GMP/Germelmann 8. Aufl. § 48 Rn. 96; [X.]/[X.]/Walker ArbGG 4. Aufl. § 48 Rn. 39). Für eine Kostenentscheidung ist es nicht notwendig, dass die Zulässigkeit des Rechtswegs geklärt wird (vgl. GMP/Germelmann aaO; [X.]/[X.]/Walker aaO).

bb) Die Abweichung von diesen Grundsätzen durch das [X.] erscheint jedoch nicht willkürlich. Sie entbehrt nicht jedweder gesetzlichen Grundlage. Das [X.] hat seinem Verweisungsbeschluss die für die Zuständigkeit in der Hauptsache maßgeblichen Bestimmungen zugrunde gelegt. Hieraus hätte sich eine Zuständigkeit des [X.] ergeben. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a iVm. § 3 ArbGG ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet, wenn - wie vorliegend das klagende Land gegen den Beklagten - im Rahmen einer sogenannten Drittschuldnerklage eine Forderung aus dem Arbeitsverhältnis geltend gemacht wird (vgl. GMP/Schlewing 8. Aufl. § 3 Rn. 9; [X.]/[X.] 16. Aufl. § 3 ArbGG Rn. 2; [X.]/[X.] 7. Aufl. § 3 ArbGG Rn. 3). Die Verweisung des Rechtsstreits an das [X.] führt deshalb nicht zu einer nicht mehr hinnehmbaren Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach niemand [X.] entzogen werden darf.

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

    Zimmermann    

        

        

        

        

        

        

                 

Meta

9 AS 4/16

16.08.2016

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend ArbG Düsseldorf, 29. Juni 2016, Az: 7 Ca 2973/16, Beschluss

§ 17a Abs 2 S 3 GVG, § 48 Abs 1 ArbGG, § 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 53 Abs 1 S 1 ArbGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16.08.2016, Az. 9 AS 4/16 (REWIS RS 2016, 6706)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 3469 REWIS RS 2016, 6706


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 9 AS 4/16

Bundesarbeitsgericht, 9 AS 4/16, 16.08.2016.


Az. 7 Ca 2973/16

Arbeitsgericht Düsseldorf, 7 Ca 2973/16, 29.06.2016.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses an das Gericht eines anderen Rechtswegs: Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts vor Erlass des …


9 Ta 48/18 (Landesarbeitsgericht Köln)


Referenzen
Wird zitiert von

X ARZ 588/22

X ARZ 587/22

X ARZ 586/22

2 ARs 196/16

24 Ca 676/17

1 SHa 36/18

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