Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.08.2010, Az. VIII R 42/07

8. Senat | REWIS RS 2010, 4054

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Gegenstand

(Einschränkung des Schuldzinsenabzugs nach § 4 Abs. 4a EStG aufgrund von Überentnahmen nur in den Vorjahren - Keine verfassungsrechtlichen Bedenken)


Leitsatz

Eine Hinzurechnung nicht abziehbarer Schuldzinsen aufgrund von Überentnahmen nach § 4 Abs. 4a EStG ist auch dann vorzunehmen, wenn im Veranlagungszeitraum keine Überentnahme vorliegt, sich aber ein Saldo aufgrund von Überentnahmen aus den Vorjahren ergibt .

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten um die Hinzurechnung von Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a des Einkommensteuergesetzes (EStG).

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Steuerberater und erzielt Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Seinen Gewinn ermittelt er seit 1996 durch [X.] (§ 4 Abs. 1 EStG).

3

Zum 31. Dezember 1998 war das Kapitalkonto negativ. In den [X.] 1999 bis 2001 erwirtschaftete der Kläger folgende Gewinne und tätigte folgende Einlagen sowie Entnahmen:

4

Veranlagungszeitraum Einlagen Entnahmen Gewinn
1999  10.290 DM   154.942 DM 90.693 DM
2000 7.237 DM 168.323 DM 128.482 DM
2001 9.797 DM 169.507 DM 164.468 DM

                                                                                                                                

5

Im Streitjahr 2001 betrugen die betrieblichen, nicht auf Investitionsdarlehen entfallenden, Schuldzinsen 74.111 DM.

6

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) ermittelte für das Streitjahr als Bemessungsgrundlage für den Hinzurechnungsbetrag nach § 4 Abs. 4a EStG einen Betrag von 81.804 DM. Für das [X.] ergab sich zwar eine Unterentnahme in Höhe von 4.759 DM, aus den Vorjahren war jedoch eine verbleibende Überentnahme in Höhe von 86.563 DM zu berücksichtigen. Den Hinzurechnungsbetrag ermittelte das [X.] mit 4.908,24 DM und erhöhte die Einkünfte des Klägers entsprechend.

7

Das Finanzgericht ([X.]) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren dagegen erhobene Klage mit seinem --in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2007, 572-- veröffentlichten Urteil vom 19. Dezember 2006  11 K 5373/04 E ab.

8

Mit der Revision rügt der Kläger, das [X.] habe § 4 Abs. 4a EStG fehlerhaft angewendet. Die Voraussetzungen der Vorschrift seien nicht erfüllt, weil er im Streitjahr keine Überentnahme getätigt habe. Im Übrigen sei die Vorschrift verfassungswidrig. Sie verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes sowie gegen das Übermaßverbot und enthalte eine unzulässige Typisierung.

9

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil des [X.] aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid 2001 vom 26. Juli 2005 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung eines Gewinns aus selbständiger Arbeit von 164.468 DM festgesetzt wird.

Das [X.] beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Das [X.] hat zu Recht die von dem Kläger erklärten Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Streitjahr um einen Hinzurechnungsbetrag nach § 4 Abs. 4a [X.] i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 --StBereinG 1999-- vom 22. Dezember 1999 (BStBl I 1999, 2601) --[X.] 1999-- erhöht.

a) Das [X.] hat für den Senat bindend festgestellt, dass sämtliche vom Kläger erklärten Schuldzinsen betrieblich veranlasst waren. Danach ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Betriebsausgabenabzug aufgrund von Überentnahmen gemäß § 4 Abs. 4a [X.] 1999 eingeschränkt ist (vgl. zur vorrangigen Veranlassungsprüfung einzelner Zahlungsvorgänge Urteile des [X.] --BFH-- vom 21. September 2005 [X.], [X.], 238, [X.], 125; vom 21. Juni 2006 [X.], [X.], 1832; vom 29. März 2007 IV R 72/02, [X.], 514, [X.], 420).

b) Zu Recht hat das [X.] die Vorschrift des § 4 Abs. 4a Satz 1 [X.] 1999 auf die betrieblich veranlassten Zinsen des [X.] angewendet.

aa) Schuldzinsen sind nach § 4 Abs. 4a Satz 1 [X.] 1999 nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind. Eine Überentnahme ist in Satz 2 des § 4 Abs. 4a [X.] 1999 definiert als der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden nach Satz 4 (nach der Änderung durch das Steueränderungsgesetz 2001 vom 20. Dezember 2001, [X.], 3794 [X.]: Satz 3 der Vorschrift) typisiert mit 6 v.H. der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen der vorangegangenen Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben ([X.]), ermittelt. Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 4.000 DM (jetzt: 2.050 €) verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen (sog. Sockelbetrag oder [X.]), ist dem Gewinn hinzuzurechnen ([X.]; jetzt: Satz 4). Der Abzug von Schuldzinsen für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens bleibt nach Satz 6 (jetzt: [X.]) unberührt.

bb) Nach Ansicht des [X.] ist der Begriff der Überentnahme abschließend durch Satz 2 der Vorschrift definiert. Dieser sei auf das Wirtschaftsjahr bezogen. Falls im laufenden Wirtschaftsjahr keine Überentnahme getätigt worden sei, sei auch der gesetzliche Tatbestand des § 4 Abs. 4a [X.] 1999 nicht erfüllt. Eine Gewinnerhöhung komme danach nicht in Betracht, wenn im Wirtschaftsjahr eine sog. Unterentnahme vorliege (so auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 4 [X.] [X.] 1051, m.w.N., sowie [X.] 1068, 1070, m.w.N.).

cc) Gegen diese Ansicht spricht jedoch der Wortlaut des Satzes 1, der den [X.] der Vorschrift bildet und durch die nachfolgenden Sätze lediglich ergänzt wird. § 4 Abs. 4a Satz 1 [X.] 1999 spricht in der Mehrzahl von "Überentnahmen", enthält aber keine zeitliche Zuordnung der Überentnahmen zu bestimmten Wirtschaftsjahren.

Satz 4 der Vorschrift (jetzt: Satz 3) lässt indes erkennen, dass die Regelung periodenübergreifend angelegt ist und Schuldzinsen für Überentnahmen so lange nicht abziehbar bleiben sollen, bis der Überhang an Überentnahmen durch Gewinne und Einlagen wieder ausgeglichen ist. Diese periodenübergreifende Regelung greift auch dann ein, wenn im Streitjahr selbst keine Überentnahmen gegeben sind; allerdings sind dann --insoweit abweichend vom missglückten [X.] auch [X.] des Streitjahres zu berücksichtigen ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], Kommentar, § 4 [X.] 1657c; [X.] in [X.], [X.], 6. Aufl., [X.] 1998 ff., § 4 [X.] 649; [X.], in: [X.][X.], [X.], § 4 Ea 86; [X.], [X.] --[X.]-- 2000, 417, 427 f.).

dd) Diese Auslegung wird durch den aus der Entstehungsgeschichte ableitbaren Gesetzeszweck bestätigt. Der Gesetzgeber wollte mit § 4 Abs. 4a [X.] Gestaltungen in Form sog. Zwei- und Mehrkontenmodelle entgegenwirken und entwickelte im [X.] vom 24. März 1999 ([X.], 402) zunächst ein Zurechnungskonzept, nach dem nur die Entnahme von [X.] zulässig sein sollte. Mit dem StBereinG 1999 entschied sich der Gesetzgeber dann jedoch für die jetzige Fassung. Sie basiert auf einem Eigenkapitalmodell (vgl. zur Entstehung des § 4 Abs. 4a [X.] [X.], in: [X.][X.], a.a.[X.], § 4 Ea 1 ff.; [X.]/[X.], § 4 [X.] [X.] 596 f.). Der Betriebsinhaber soll, wenn das Eigenkapital negativ ist, dem Betrieb nicht mehr Mittel entziehen, als erwirtschaftet und eingelegt worden sind (vgl. [X.] in [X.], [X.], § 4 [X.] [X.] 656 k (1); [X.]/[X.], [X.], 29. Aufl., § 4 [X.] 529; [X.]/[X.], § 4 [X.] [X.] 596; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], a.a.[X.], § 4 [X.] 1657b; Korn in Korn, § 4 [X.] [X.] 844.1; [X.] in [X.], a.a.[X.], § 4 [X.] 648; [X.] Rheinland-Pfalz, Urteile vom 13. März 2003  6 K 2363/02, E[X.] 2003, 831, sowie 6 [X.], juris). Maßgeblich für die Ermittlung der nicht abziehbaren Schuldzinsen soll daher der jährlich fortzuschreibende Saldo aller Über- und [X.] sein.

Die Regelung in [X.]. 23, 24 des Schreibens des [X.] ([X.]) vom 17. November 2005 [X.] ([X.], 1019), wonach eine Überentnahme auch dann vorliegt, wenn sich diese nur aus Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre berechnet, entspricht daher dem Gesetzeszweck und dem möglichen Wortsinn des § 4 Abs. 4a [X.]. Deshalb war der Gesetzgeber nicht --wie der Kläger meint-- gehalten, in einem nachfolgenden Steuergesetz den Wortlaut der Vorschrift zu korrigieren.

ee) Die Vorschrift des § 4 Abs. 4a [X.] muss entgegen der Auffassung des [X.] nicht bei der Gewinnermittlung durch [X.] und der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 [X.] stets zum gleichen Ergebnis führen. § 4 Abs. 4a [X.] ist auch auf die Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 [X.] anzuwenden. Durch die unterschiedliche Gewinnermittlung ergeben sich in einzelnen Jahren unterschiedliche Beträge. Daher sind beim Wechsel der Gewinnermittlungsart anfallende Übergangsgewinne zu berücksichtigen (vgl. [X.]-Schreiben in [X.], 1019 [X.]. 8). Soweit ein Wahlrecht hinsichtlich der Gewinnermittlung besteht, obliegt es dem Steuerpflichtigen, das für ihn günstige Verfahren zu wählen.

2. Es bestehen auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung des § 4 Abs. 4a [X.] (a.[X.], Betriebs-Berater 2008, 417; [X.], [X.] 2006, 412; [X.], [X.] Steuerrecht --DStR-- 2010, 726).

a) Die Vorschrift ist formell verfassungsgemäß. § 4 Abs. 4a [X.] ist durch den Vermittlungsausschuss in das [X.] eingefügt worden. Durch das [X.] 2001 hat der Gesetzgeber § 4 Abs. 4a [X.] in Einzelfragen geändert und dadurch die Gesamtvorschrift in seinen Willen aufgenommen. Das Demokratieprinzip in Gestalt des Parlamentsvorbehalts wurde daher nicht verletzt (vgl. BFH-Urteil vom 21. September 2005 [X.], [X.], 227, [X.], 504; [X.], [X.] 2001, 509, 511; [X.], [X.] 2000, 417, 423; zum Bestätigungswillen bei vorkonstitutionellen Gesetzen vgl. Beschluss des [X.] vom 4. Juni 1985  1 BvL 14/84, [X.] 70, 126).

b) Auch materiell ist die Vorschrift verfassungsgemäß. Sie ist unter dem Blickwinkel des Nettoprinzips verfassungsrechtlich unbedenklich, da sie an Überentnahmen und somit an private Ursachen anknüpft (vgl. BFH-Urteil vom 7. März 2006 [X.], [X.], 501, [X.], 588; ebenso [X.]/[X.], § 4 [X.] [X.] 1037; [X.] in [X.], a.a.[X.], § 4 [X.] 625; [X.]/[X.], § 4 [X.] [X.] 610; [X.]/[X.], a.a.[X.], § 4 [X.] 522).

3. Schließlich bestehen auch gegen die gesetzliche Typisierung der nicht abziehbaren Schuldzinsen mit 6 v.H. der Überentnahmen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

a) Der Kläger meint zu Unrecht, der Gesetzgeber habe mit dem Gewinn den falschen Anknüpfungspunkt gewählt und seine Typisierungsbefugnis überschritten.

Die jetzige Gesetzesfassung verzichtet aus Praktikabilitätsgründen auf eine liquiditätsbezogene Betrachtung und knüpft an den jeweiligen Bestand des vorhandenen Eigenkapitals an, der grundsätzlich steuerunschädlich entnommen werden darf (vgl. BFH-Urteile in [X.], 227, [X.], 504; vom 21. September 2005 [X.]/02, [X.], 512; a.A. [X.], [X.], 726). Diese Anknüpfung ist sachgerecht, weil das Eigenkapital die im Betrieb erwirtschafteten Mittel abbildet, die für eine Entnahme zur Verfügung stehen.

b) Der Kläger macht ferner geltend, es fehle die Möglichkeit einen Gegenbeweis zu führen, dass die durch Entnahmen ausgelösten Zinsen tatsächlich niedriger sind (vgl. [X.]/ [X.], § 4 [X.] [X.] 1037, 1069; [X.]/[X.], Die Wirtschaftsprüfung 2006, 1105, 1109).

Das [X.] hingegen sieht zu Recht die Typisierung vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst. Der vom Gesetzgeber gewählte Zinssatz ist nicht überhöht und die Typisierung dient in erster Linie einem Vereinfachungszweck. Insbesondere erspart sie dem Steuerpflichtigen wie der Finanzverwaltung eine genaue umfangmäßige und zeitanteilige Zuordnung der angefallenen Zinsen, die sich letztlich nur bei einer liquiditätsbezogenen Betrachtungsweise leisten ließe. Die Typisierung erweist sich daher als technische Folge der praktikableren kapitalbezogenen Sichtweise (vgl. [X.], in: [X.] [X.], a.a.[X.], § 4 Ea 83; Tipke, [X.], 2. Aufl. 2000, § 7 S. 356 unten; [X.], [X.] 2000, 417, 427; [X.] in [X.], a.a.[X.], § 4 [X.] 654). Unbillige Ergebnisse sind im Einzelfall nach § 163 der Abgabenordnung zu korrigieren.

Meta

VIII R 42/07

17.08.2010

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 19. Dezember 2006, Az: 11 K 5373/04 E, Urteil

§ 4 Abs 4a EStG 1997 vom 22.12.1999, § 4 Abs 1 S 1 EStG 1997, § 4 Abs 3 EStG 1997, Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.08.2010, Az. VIII R 42/07 (REWIS RS 2010, 4054)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4054

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 K 1034/16

5 K 1375/16

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