Bundespatentgericht, Beschluss vom 31.05.2017, Az. 9 W (pat) 30/14

9. Senat | REWIS RS 2017, 10182

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Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 10 2007 037 346

hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) auf die mündliche Verhandlung vom 31. Mai 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] [X.] sowie [X.] [X.]. [X.], [X.] und [X.]. Geier

beschlossen:

1. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin 1 (Einsprechende) wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin 2 (Patentinhaberin) wird zurückgewiesen, soweit sie über den Hilfsantrag hinausgeht.

Gründe

I

1

Die [X.] des [X.] hat nach Prüfung eines Einspruchs das am 8. August 2007 angemeldete Patent 10 2007 037 346, dessen Erteilung am 16. September 2010 veröffentlicht wurde, mit der Bezeichnung

2

„Steuergerät für eine Bremsanlage eines [X.] und Verfahren zum Steuern einer Bremsanlage“

3

durch den am Ende der mündlichen Anhörung vom 15. Juli 2014 verkündeten Beschluss im Umfang des in der Anhörung überreichten [X.] beschränkt aufrechterhalten.

4

Die Beschlussbegründung wurde von den Unterzeichnenden am 30. Juli 2014 signiert, jeweils in einer separaten Beschlussausfertigung versandt und von beiden Beteiligten am 4. August 2014 laut jeweiligem Empfangsbekenntnis empfangen.

5

Gegen diesen Beschluss richtet sich die mit Schriftsatz vom 18. August 2014 eingelegte Beschwerde der Einsprechenden, die am 19. August 2014 per Fax eingegangen ist. Sie ist der Meinung, dass der Gegenstand des beschränkt aufrechterhaltenen Patents unzulässig erweitert sei. Darüber hinaus sei der Gegenstand in der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung des Patentanspruchs 1 nicht erfinderisch ausgehend von einer der Druckschriften

6

[X.]: EP 1 541 437 A2 oder

7

[X.]: [X.] 2005 020 626 [X.],

8

in Kombination mit einer der Druckschriften

9

[X.]: [X.]/30243 [X.]: [X.] 03 310 T2 oder

[X.]: [X.] „[X.] (ABS) für Nutzfahrzeuge“, veröffentlicht im November 1990.

Mit Schriftsatz vom 27. August 2014, eingegangen am selben Tag per Fax, hat die Patentinhaberin ebenfalls Beschwerde gegen den Beschluss der [X.] des [X.] eingelegt. Sie widerspricht dem Vorbringen der Einsprechenden und Beschwerdeführerin 1 und verteidigt ihr Patentbegehren im Umfang der mit dem Schreiben vom 1. Juni 2014 eingereichten Patentansprüche 1 bis 24 zum Hauptantrag im Einspruchsverfahren, hilfsweise beantragt sie die Beschwerde der Einsprechenden als unbegründet zurückzuweisen.

Die Einsprechende, Beschwerdeführerin 1 und Beschwerdegegnerin zu 2 führte hierzu mit Schriftsatz vom 15. Januar 2016 aus, dass auch der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach dem Hauptantrag im Einspruchsverfahren auf einer unzulässigen Erweiterung beruhe, sowie zumindest die Gegenstände der unabhängigen Patentansprüche 1 und 24 aus gleichen Gründen, wie vorstehend genannt, nicht erfinderisch seien.

In der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2017 beantragt die Beschwerdeführerin 1 und Einsprechende zuletzt,

den Beschluss der [X.] vom 15. Juli 2014 aufzuheben und das erteilte Patent 10 2007 037 346 zu widerrufen. Ferner beantragt sie, die Beschwerde der Patentinhaberin umfassend zurückzuweisen.

Die Beschwerdeführerin 2 und Patentinhaberin stellt den Antrag,

den Beschluss der [X.] des [X.] vom 15. Juli 2014 aufzuheben, das Patent 10 2007 037 346 in beschränktem Umfang nach Maßgabe folgender Unterlagen aufrechtzuerhalten:

– Patentansprüche 1 bis 24 gemäß Schriftsatz vom 1. Juli 2014,

– Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift

und die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen (Hauptantrag).

Hilfsweise beantragt sie, die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen.

Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

Steuergerät (60) für eine Bremsanlage eines [X.], wobei die Bremsanlage

- Betriebsbremszylinder (400) und [X.] (402) zum Bremsen des [X.],

- ein elektronisches Steuergerät (60),

- Sensoren (220, 30, 230) zum Erfassen des Bewegungszustandes des [X.],

- ein Fußbremsventil (430) zum Betätigen der Betriebsbremse,

- eine [X.] (22), über die von der Betätigungsart der [X.] (22) abhängige Fahrerwünsche an das elektronische Steuergerät (60) übermittelbar sind,

- ein Modul (62) mit elektrisch ansteuerbaren Ventilen für ein Antiblockiersystem und ein Modul (64) mit elektrisch ansteuerbaren Ventilen für eine elektrisch gesteuerte Feststellbremse umfasst,

- wobei das elektronische Steuergerät (60) sowohl die Beeinflussung des Antiblockiersystems regelt als auch ein Öffnen und Schließen der elektrisch gesteuerten Feststellbremse übernimmt,

dadurch gekennzeichnet,

- dass die Funktion des Antiblockiersystems und die Funktion der elektrisch gesteuerten Feststellbremse im Defektfall getrennt voneinander deaktiviert werden können.

Diesem Patentanspruch 1 schließen sich die [X.] 2 bis 23 gemäß Hauptantrag an.

Der geltende Patentanspruch 24 gemäß Hauptantrag lautet:

Verfahren zum Steuern einer Bremsanlage (60) für ein mit einem Anhänger koppelbares Nutzfahrzeug, mit

- Betriebsbremszylindern (400) und [X.]n (402) zum Bremsen des [X.],

- ein elektronisches Steuergerät (60),

- Sensoren (220, 30, 230) zum Erfassen des Bewegungszustandes des [X.],

- einem Fußbremsventil (430) zum Betätigen der Betriebsbremse,

- einer [X.] (22), über die von der Betätigungsart der [X.] (22) abhängige Fahrerwünsche an das elektronische Steuergerät (60) übermittelt werden,

- einem Modul (62) mit elektrisch ansteuerbaren Ventilen für ein Antiblockiersystem und einem Modul (64) mit elektrisch ansteuerbaren Ventilen für eine elektrisch gesteuerte Feststellbremse mit einem Anhängersteuerventil zum [X.] eines Anhängers,

- wobei das elektronische Steuergerät (60) unter Verwendung des Moduls (64) für die elektrisch gesteuerte Feststellbremse und insbesondere des vorhandenen [X.] (120) eine kontrollierte Steckbremsung einleitet und überwacht, falls eine Streckbremsung angefordert wird,

dadurch gekennzeichnet,

- dass bei einem Defekt des Antiblockiersystems die Funktion des Antiblockiersystems getrennt von der Funktion der elektrisch gesteuerten Feststellbremse deaktiviert wird, und dass bei einem Defekt der elektrisch gesteuerten Feststellbremse die Funktion der elektrisch gesteuerten Feststellbremse getrennt von der Funktion des Antiblockiersystems deaktiviert wird.

Die Patentansprüche 1 bis 23 gemäß Hilfsantrag entsprechen den Patentansprüchen 1 bis 23 gemäß Hauptantrag.

Zu den jeweiligen [X.]n, der jeweils geltenden Beschreibung sowie zu weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Folgende weitere Druckschriften befinden sich im Verfahren:

D1: [X.] 2006 041 011 [X.],

D4: [X.] 975 [X.],D5: [X.] 43 27 759 [X.],D6: [X.] 198 57 393 [X.]: EP 1 366 964 A2,D8: [X.] 2005 043 607 [X.],D9: [X.]2 06 222 [X.],D10: [X.]3 33 966 [X.]: [X.] 2007/028579 [X.],D12: [X.] 602 08 804 T2,D13: [X.] 37 41 790 [X.],D16: [X.] 2004 017 719 [X.]: [X.] 42 08 001 [X.].

II

1. Die erhobenen Beschwerden sind statthaft und auch sonst zulässig (§ 73 Abs. 1 und 2 Satz 1 [X.], § 6 Abs. 1 Satz 1 PatKostG).

2. [X.] musste der Erfolg versagt bleiben.

Hingegen war der Beschwerde der Patentinhaberin insoweit stattzugeben, als dass diese zur Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden führt, denn der Senat konnte weder feststellen, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag gegenüber dem ursprünglichen Anmeldegegenstand in unzulässiger Weise erweitert ist, noch dass dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik am Anmeldetag des [X.] eine hinreichende Anregung für einen Gegenstand mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag zu entnehmen war oder dieser gar vollständig vorbekannt war.

3. [X.] betrifft gemäß den Absätzen [0002] und [0003] der [X.]chrift, im folgenden [X.] genannt, ein Steuergerät für eine Bremsanlage eines [X.] sowie ein Verfahren zum Steuern einer Bremsanlage für ein mit einem Anhänger koppelbares Nutzfahrzeug.

Bremsanlagen für Nutzfahrzeuge unterliegen im Allgemeinen strengen Bestimmungen hinsichtlich Ausfall- und Betriebssicherheit. Ein besonderes Augenmerk werde dabei üblicherweise auf eine Redundanz der [X.] gelegt, um das Nutzfahrzeug im Defektfall noch sicher zum Halten bringen zu können. Weiterhin solle eine möglichst ausfallsichere Feststellbremse zur Verfügung gestellt werden, um ein unbeabsichtigtes Wegrollen des [X.] sicher zu verhindern. Weitere teilweise elektronisch gesteuerte [X.], wie ABS, [X.] etc., seien in Abhängigkeit von dem Verwendungszweck der Nutzfahrzeuge mittlerweile üblich.

Dadurch könne, insbesondere bei leichten kleinen Nutzfahrzeugen, die Situation entstehen, dass entweder hochintegrierte Komplettlösungen verbaut werden müssten, die die erwünschten Sicherheitsmerkmale bei weitem übertreffen, oder autarke Einzelsysteme verbaut würden, die speziell an die Kundenwünsche für die jeweiligen Nutzfahrzeuge angepasst sind.

Ein elektronisches Bremssystem ([X.]) stelle eine solche hochintegrierte Sicherheitslösung für ein Nutzfahrzeug dar, die bekannte [X.], wie ABS, [X.] etc., vereinigt. Es werde für alle Achsen eine permanente drucklastabhängige Regelung der Bremswirkung vorgenommen, wobei der Regelkreis sowohl über Drucksensoren als auch über Raddrehzahlsensoren geschlossen werde. Weiterhin erfolge die [X.], zum Beispiel für eine Streckbremsung, elektrisch (vgl. Absatz [0003] der [X.]).

Sowohl der Einbau eines hochintegrierten Fahrsicherheitssystems als auch die Verwendung autarker Systeme, die dann eventuell nicht alle erwünschten Eigenschaften aufwiesen, könne sinnvoll sein. Die Verwendung eines hochintegrierten Fahrsicherheitssystems, das üblicherweise nur in große und schwere Nutzfahrzeuge eingebaut werde und alle Kundenwünsche erfüllen könne, würde im Allgemeinen nicht nur die Kosten für das leichtere Nutzfahrzeug erhöhen. Vielmehr könne auch das Gewicht der kompletten Sicherheitsausrüstung das Gesamtgewicht des leichteren [X.] signifikant erhöhen und wertvollen Bauraum beanspruchen, da auch nicht benötigte Komponenten verbaut werden müssen. Die Kosten, das Gewicht und der beanspruchte Bauraum seien bei dem schweren Nutzfahrzeug weniger bedeutend, da sie nur einen Bruchteil des Gesamtpreises, des Gesamtgewichts bzw. des verfügbaren Raumes ausmachten. Insbesondere bei leichten Nutzfahrzeugen könne es hingegen erwünscht sein, Gewichts- und Bauraumeinsparungen durch die Verwendung autarker Systeme zu erzielen (vgl. Absatz [0004] der [X.]).

Aufgabe der Erfindung sei es daher, die notwendigen Bauteile zur Integration der für ein insbesondere leichtes Nutzfahrzeug erwünschten [X.] zu reduzieren und dadurch die Ausfallsicherheit zu erhöhen. Gleichzeitig sollen möglichst viele der sich bietenden Synergien hinsichtlich der Funktionalität ausgenutzt werden, ohne die Sicherheit des [X.] negativ zu beeinflussen (vgl. Absatz [0007] der [X.]).

Diese Aufgabe werde mit den Merkmalen der unabhängigen Ansprüche gelöst.

4. Als Fachmann wird bei der nachfolgenden Bewertung des Standes der Technik sowie dem Verständnis des Streitgegenstands von einem Durchschnittsfachmann ausgegangen, der als Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Fahrzeugtechnik ausgebildet ist. Dieser ist auf dem Gebiet der Entwicklung von Fahrzeugbremssystemen für Nutzfahrzeuge tätig und verfügt auf diesem Gebiet über mehrere Jahre Berufserfahrung.

5. Hauptantrag

Der Hauptantrag der Patentinhaberin kann keinen Erfolg haben. So ist zwar der Gegenstand nach Patentanspruchs 1 des [X.]es gemäß Hauptantrag patentfähig, wie folgend bereits im Hinblick auf den Hilfsantrag ausgeführt, dessen [X.] den Patentanspruch 1 in identischer Fassung umfasst. Allerdings umschreibt das Verfahren des unabhängigen Patentanspruchs 24 in seiner Gesamtheit eine technische Lehre, die der Fachmann den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als mögliche Ausgestaltung der Erfindung entnehmen kann (vgl. [X.], Beschluss vom 11. September 2001 – [X.], B[X.]E 44, 284 – Drehmomentübertragungseinrichtung).

5.1 Zur Erleichterung von Bezugnahmen sind die Merkmale des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag nachstehend in Form einer Merkmalsgliederung wiedergegeben.

1.0 Steuergerät (60) für eine Bremsanlage eines [X.], wobei die Bremsanlage umfasst:

1.1 Betriebsbremszylinder (400) und [X.] (402) zum Bremsen des [X.],

1.2 ein elektronisches Steuergerät (60),

1.3 Sensoren (220, 30, 230) zum Erfassen des Bewegungszustandes des [X.],

1.4 ein Fußbremsventil (430) zum Betätigen der Betriebsbremse,

1.5 eine [X.] (22), über die von der Betätigungsart der [X.] (22) abhängige Fahrerwünsche an das elektronische Steuergerät (60) übermittelbar sind, und

1.6 ein Modul (62) mit elektrisch ansteuerbaren Ventilen für ein Antiblockiersystem und ein Modul (64) mit elektrisch ansteuerbaren Ventilen für eine elektrisch gesteuerte Feststellbremse,

1.7 wobei das elektronische Steuergerät (60) sowohl die Beeinflussung des Antiblockiersystems regelt als auch ein Öffnen und Schließen der elektrisch gesteuerten Feststellbremse übernimmt,

dadurch gekennzeichnet,

1.8 dass die Funktion des Antiblockiersystems und die Funktion der elektrisch gesteuerten Feststellbremse im Defektfall getrennt voneinander deaktiviert werden können.

5.2 Die Prüfung der Patentfähigkeit erfordert regelmäßig eine Auslegung des Patentanspruchs, bei der dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen sind ([X.] – [X.], Urteil vom 17. Juli 2012 – [X.], [X.]Z 194, 107-120, B[X.]E 53, 299-300). Dies gilt auch für das Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren. Dazu ist zu ermitteln, was sich aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als unter Schutz gestellten technische Lehre ergibt, wobei der Fachmann auch die Beschreibung und Zeichnung heranzuziehen hat ([X.] – Informationsübermittlungsverfahren, Beschluss vom 17. April 2007 – X ZB 9/06 –, [X.]Z 172, 108-118, B[X.]E 2008, 291).

Der vorstehend definierte Fachmann entnimmt dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ein auf ein elektronisches Steuergerät gerichtetes Schutzbegehren, wobei dieses Steuergerät für den Einsatz in einer Bremsanlage geeignet ist, welche zumindest die Merkmale 1.1 bis 1.6 umfasst. Im Besonderen weist die anzusteuernde Bremsanlage dabei ein erstes Modul mit elektrisch ansteuerbaren Ventilen für ein Antiblockiersystem und ein zweites Modul mit elektrisch ansteuerbaren Ventilen für eine elektrisch gesteuerte Feststellbremse auf. Mithin muss das Steuergerät vorrichtungs- und programmsteuerungstechnisch hierfür vorgerüstet sein, was aus der Anführung der Bestandteile der Bremsanlage und der Steuerungsfunktionalität des elektronischen Steuerungsgeräts folgt. Entsprechend dem als solchen erkennbaren Zirkelschluss im Wortlaut des Merkmals 1.2 in Bezug zu Merkmal 1.0 setzt der Fachmann somit das elektronische Steuergerät (60) des Merkmals 1.0 mit dem Steuergerät (60) des Merkmals 1.2 gleich.

Das elektronische Steuergerät ist gemäß Merkmal 1.7 dabei in der Lage sowohl die Beeinflussung des Antiblockiersystems in dem genannten ersten Modul zu regeln, als auch ein Öffnen und Schließen der elektrisch gesteuerten Feststellbremse in dem genannten zweiten Modul zu übernehmen; hierdurch ist somit die Fähigkeit zur elektrischen Ansteuerung des Antiblockiersystems und der Feststellbremse impliziert.

Vorliegend ist somit die elektronische Steuereinheit für beide [X.], Antiblockiersystem und Feststellbremse, zuständig, denn die elektronische Steuereinheit regelt die Steuerung des Antiblockiersystems und steuert zugleich die Funktion der elektrisch gesteuerten Feststellbremse (vgl. auch Absatz [0010] der [X.]).

Darüber hinaus können gemäß Merkmal 1.8 die von dem Steuergerät geleistete Funktion hinsichtlich des Antiblockiersystems und die geleistete Funktion hinsichtlich der elektrisch gesteuerten Feststellbremse getrennt voneinander deaktiviert werden. Das beanspruchte Steuergerät ist somit funktionell derart hergerichtet, dass die von ihm geleistete entsprechende Funktion bewusst außer [X.] gesetzt werden kann. Es unterscheidet sich insofern von einem Steuergerät, welches diese Funktionen weiter bereitstellt, diese aber nicht mehr ausgeführt werden, da nachfolgende, nicht dem Steuergerät zuzurechnende Einrichtungen entsprechende Befehle nicht mehr verarbeiten.

Die getrennte Deaktivierung einer der beiden Funktionen erfolgt im Defektfall. Dieser kann nach Absatz [0049] der [X.] aufgrund eines in dem Steuergerät auftretenden Fehlerfalls eintreten. Er umfasst aber auch einen Defekt, welchen das Antiblockiersystem oder die elektrische Feststellbremse als Teilsystem der Bremsanlage aufweisen können (vgl. Absätze [0022] und [0028] der [X.]). Somit kann auch ein Defekt des Antiblockiersystems oder ein Defekt des Feststellbremssystems, welcher außerhalb des Steuergeräts auftritt, zu einer Deaktivierung der von dem Steuergerät bereitgestellten Funktionalität führen.

Soweit die Patentinhaberin zwar zustimmt, dass gemäß der Beschreibung dem Defektfall sowohl Defekte außerhalb des Steuergeräts wie auch Fehler innerhalb des Steuergeräts zuzuordnen sind, sie den in Merkmal 1.8 angeführten Defektfall jedoch ausschließlich auf die innerhalb des Steuergeräts anfallenden Fehler beschränkt sehen möchte, da der Patentanspruch 1 nur auf das Steuergerät gerichtet sei, kann ihr darin somit nicht gefolgt werden. Dies zumal die Patentinhaberin hinsichtlich der Offenbarung bezüglich des [X.] gemäß ihrem Schriftsatz vom 15. Juli 2014 explizit auf den Absatz [0022] der [X.] verweist.

5.3 Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ist zulässig, denn dessen Gegenstand ist in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen als zur Erfindung gehörig offenbart sowie auch beschränkt gegenüber dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung.

Der Senat legt zur Beurteilung des Inhalts der Anmeldung in der ursprünglichen eingereichten Fassung die damit vollständig übereinstimmende Offenlegungsschrift [X.] 2007 037 346 [X.], im folgenden [X.] genannt, zugrunde.

Die Merkmale 1.0 bis 1.6 gehen unmittelbar und wörtlich aus dem Oberbegriff des ursprünglichen Patentanspruchs 1 hervor.

Das Merkmal 1.7 findet seinen Ursprung in dem [X.] des ursprünglichen Patentanspruchs 1, wonach “das elektronische Steuergerät (60) sowohl die Beeinflussung des Antiblockiersystems als auch der elektrisch gesteuerten Feststellbremse übernimmt“. Es unterscheidet sich jedoch von dem ursprünglichen Merkmal im Wortlaut dadurch, dass das Steuergerät nun die Beeinflussung des Antiblockiersystems nicht mehr „übernimmt“, sondern „regelt“.

In Absatz [0009] der [X.] ist hierzu zunächst vergleichbar ausgeführt, „dass das elektronische Steuergerät sowohl die Beeinflussung des Antiblockiersystems als auch der elektrisch gesteuerten Feststellbremse übernimmt“. Im Weiteren ist in diesem Absatz jedoch beschrieben, dass als Steuergerät eine einzelne Steuereinheit für beide [X.] verwendet werden kann, wobei die elektronische Steuereinheit – und somit das Steuergerät – die Steuerung des Antiblockiersystem „regelt“ und zugleich die Funktion der elektrisch gesteuerten Feststellbremse steuert. Das Merkmal 1.7 geht daher aus dem ursprünglichen Patentanspruch 1 in Verbindung mit der [X.] [0009] der [X.] hervor. Es ist daher auch in seiner Kombination mit den Merkmalen 1.0 bis 1.6 ursprungsoffenbart.

Das gegenüber der erteilten Fassung des Patentanspruchs 1 beschränkend wirkende Merkmal 1.8 entstammt dem ursprünglichen Anspruch 15, wobei über dessen Sinngehalt hinaus die Deaktivierung einer der beiden beanspruchten Funktionen nur „im Defektfall“ vollzogen wird. Dieser ist, wie vorstehend dargelegt, im Sinne der Absätze [0022], [0028] und [0049] der [X.] entsprechend auszulegen, und somit in den wortgleichen Absätzen [0021], [0027] und [0048] der [X.] offenbart.

Insofern die Einsprechende eine unzulässige Erweiterung darin sehen möchte, dass sie den beiden in Absatz [0021] der [X.] enthaltenen Sätzen einen Sinngehalt derart unterstellt, dass sich der erste Satz auf die Deaktivierung von Funktionen der Systeme, der zweiten Satz hingegen, vom Merkmal 1.8 im Wortlaut abweichend, auf die Deaktivierung von Teilsystemen bezieht, kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden. Denn für den Fachmann hat die steuerungstechnische Deaktivierung eines die Funktion bereitstellenden Teilsystems, wie des Antiblockiersystems bzw. des Feststellbremssystems, auch gleichsam die Deaktivierung der Funktion zur Folge.

5.4 Der gewerblich anwendbare Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik unstreitig neu.

Darüber hinaus beruht er auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

5.4.1 Aus der Druckschrift [X.] geht unstreitig ein Steuergerät gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 hervor.

So offenbart die Druckschrift [X.] eine Bremsanlage für ein Nutzfahrzeug mit den Merkmalen 1.1 sowie 1.3 bis 1.6, welche darüber hinaus ein Zentralsteuergerät [X.]-[X.] sowie eine in ein weiteres [X.] integrierte, autarke Bremskreissteuerung aufweist. Die autarke Bremskreissteuerung kann dabei eine eigene ABS-Regelung beinhalten und derart aufgebaut sein, dass sie auf eine Eingabe eines Parkbremssignals hin auch die Feststellbremse ansteuert (vgl. Absätze [0021] und [0026] sowie Ansprüche 20 und 25).

Das [X.] stellt daher ein elektronisches Steuergerät im Sinne der Merkmale 1.0 bzw. 1.2 dar, welches für die Bremsanlage eines [X.] hergerichtet ist und welches gemäß Merkmal 1.7 sowohl die Beeinflussung eines Antiblockiersystems regelt als auch ein Öffnen und Schließen einer elektrisch gesteuerten Feststellbremse übernimmt.

Nach Absatz [0014] enthalten sowohl das Zentralsteuergerät als auch die autarke Bremskreissteuerung jeweils zwei Rechner, die sich gegenseitig überwachen, wobei bei erkannter Fehlfunktion in einem der Rechner der jeweils andere Rechner das gesamte Zentralsteuergerät bzw. die gesamte autarke Bremskreissteuerung abschaltet ([X.]). Im Falle eines innerhalb des Steuergerätes auftretenden Fehlers schaltet sich somit das entsprechende Steuergerät vollständig ab. Dessen Funktion wird dann in der Folge von dem weiteren Steuergerät übernommen; bei Ausfall des Zentralsteuergeräts somit von der autarken Bremskreissteuerung in [X.] und umgekehrt.

Eine weiterführende Steuerung oder Regelung des Steuergeräts 5, welche auf Defekte reagiert, die innerhalb des Antiblockiersystems oder der Feststellbremse, aber außerhalb des Steuergeräts 5 auftreten, bzw. ein Teilabschalten des Steuergeräts 5 beim zu Tage treten von anderweitigen Fehlern innerhalb des Steuergeräts 5 bedingt, ist der Druckschrift [X.] jedoch nicht zu entnehmen.

Somit geht aus der Druckschrift [X.] nicht das Merkmal 1.8 hervor, wonach durch das Steuergerät die Funktion des Antiblockiersystems und die Funktion der elektrisch gesteuerten Feststellbremse im Defektfall getrennt voneinander deaktiviert werden können.

Selbst wenn der Fachmann im Weiteren ausgehend von der Druckschrift [X.] eine der Druckschriften [X.], [X.] oder [X.] berücksichtigen würde, so könnte er jedoch nicht zu dem in dem Patentanspruch 1 beanspruchten Gegenstand gelangen.

So beschreibt die Druckschrift [X.] ein Bremssystem für ein [X.]fahrzeug mit einer Steuereinheit, welche einen Antiblockierschutzregler und einen Regler zur Bremskraftverteilung umfasst (Ansprüche 1 und 2). Tritt ein Defekt innerhalb des Bremssystems auf, wie beispielsweise an der Rückförderpumpe, kann die Steuereinheit ausschließlich den Antiblockierschutzregler abschalten, so dass die Funktion des Antiblockiersystems deaktiviert ist, die Funktion der Bremskraftverteilung aber nach wie vor gegeben ist (Seite 6, Zeilen 21 bis 27; Seite 8, Zeilen 23 bis 26). Im Fall eines Fehlers innerhalb der Steuereinheit, beispielsweise im Bereich der Mikrocomputer, schaltet sich diese jedoch zwingend vollständig ab (vgl. Seite 10, Zeilen 15 bis 28), so wie vergleichbar auch das vorab beschriebene Steuergerät 5, welche aus der Druckschrift [X.] bekannt ist.

Daher könnte die Druckschrift [X.] den Fachmann lediglich dazu veranlassen, die in dem [X.] der Druckschrift [X.] implementierte Regelung derart weiterzubilden, dass diese bei einem das Antiblockiersystem betreffenden, außerhalb des Steuergeräts vorliegenden Defektfall auch nur das Antiblockiersystem als Teilsystem abschaltet und daher aus diesem Grund die Funktion des Antiblockiersystems in diesem Fall deaktiviert.

Dass darüber hinaus mittels des Steuergeräts jedoch auch die Funktion der elektrisch gesteuerte Feststellbremse in einem die elektrisch gesteuerte Feststellbremse betreffenden Defektfall getrennt von dem Antiblockiersystem deaktiviert werden kann, dafür gibt die Druckschrift [X.] keinen Anlass.

Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden [X.] nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es – abgesehen von den Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist – in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen ([X.], Urteil vom 30. April 2009 – [X.], [X.]Z 182, 1-10, B[X.]E 51, 289 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung).

Eine diesbezügliche Anregung kann auch die Druckschrift [X.] nicht geben.

So offenbart die Druckschrift [X.] ein Fahrzeug mit einem elektrohydraulischen Bremssystem [X.], das von einem elektronischen Steuergerät geregelt wird. Das Fahrzeug ist weiter mit einem separaten elektrisch betriebenen Feststellbremssystem [X.] ausgerüstet und enthält ferner ein mechanisches Sicherheitssystem, das einen Hauptzylinder umfasst, der mit dem Bremspedal verbunden ist und so angeordnet ist, dass er hydraulisch mit entsprechenden Bremsstellgliedern an den [X.] verbunden ist, um im Fall eines Totalausfalls des elektrohydraulischen Bremssystems [X.] zumindest eine gewisse Bremswirkung bereitzustellen (vgl. Absatz [0003]). Dieser sogenannte „Durchdrückbremsmodus“ kann dabei gemäß Absatz [0011] durch die elektrisch betriebene Feststellbremse unterstützt werden.

Das elektrohydraulische Bremssystem [X.] wie auch das Feststellbremssystem [X.] umfassen jedoch jeweils eine eigene separate Steuereinheit 13 bzw. 40. Diese überwachen sich zwar gegenseitig auf ihren Zustand, wobei eine Aktivierung der Unterstützung der Feststellbremse beispielsweise nur dann vollzogen wird, wenn ein Defekt innerhalb des elektrohydraulischen Bremssystem [X.] vorliegt, arbeiten ansonsten aber autark. Ein Deaktivieren der Funktion der elektrisch gesteuerten Feststellbremse [X.] durch die zugehörige Steuereinheit 40 in einem Defektfall der Feststellbremse ist in der Druckschrift [X.] jedoch nicht beschrieben. Somit die Druckschrift [X.] hierzu auch keine Anregung geben kann.

Die Druckschrift [X.] offenbart ein gemeinsames Steuergerät für ein Antiblockiersystem ABS und eine Antischlupfregelung [X.]. Dieses kann im Fehlerfall, zum Beispiel beim Ausfall externer Komponenten, nur die Wirkung des Antiblockiersystems oder der Antischlupfregelung aufheben (vgl. Abschnitt 5, Spalten 3 bis 6, „Systemreaktionen bei Fehlern“). Der Betrieb bzw. die Ansteuerung einer Feststellbremse ist jedoch an keiner Stelle angesprochen.

Damit könnte die Druckschrift [X.], vergleichbar der Druckschrift [X.], den Fachmann allenfalls dazu veranlassen, die in dem [X.] der Druckschrift [X.] implementierte Regelung derart weiterzubilden, dass dieses bei einem das Antiblockiersystem betreffenden, außerhalb des Steuergeräts vorliegenden Defektfall auch nur das Antiblockiersystem als Teilsystem abschaltet und aus diesem Grund die Funktion des Antiblockiersystems deaktiviert. Dass darüber hinaus mittels des Steuergeräts jedoch auch die Funktion der elektrisch gesteuerte Feststellbremse in einem die elektrisch gesteuerte Feststellbremse betreffenden Defektfall getrennt von dem Antiblockiersystem deaktiviert werden kann, dafür gibt auch die Druckschrift [X.] keinen Anlass.

5.4.2 Die Druckschrift [X.] offenbart eine Bremsvorrichtung einer Zugfahrzeug-Anhängerkombination.

Diese umfasst ein als [X.] bezeichnetes Steuergerät, welches der Ansteuerung einer Anhängerstreckbremse dient. Dieses elektronische Steuersystem kann dabei in einem ersten Ausführungsbeispiel in das Steuergerät eines elektronischen Bremssystems [X.] integriert sein, welches mit einer Antiblockierfunktion versehen ist (Anspruch 2).

Inwiefern das Steuergerät [X.] auch ein Öffnen und Schließen einer elektrisch gesteuerten Feststellbremse in Analogie zu dem Merkmal 1.7 des Patentanspruchs 1 übernimmt, lässt die Druckschrift [X.] offen. Denn eine Feststellbremse wird ausschließlich in Absatz [0029] erwähnt und dort auch nur als möglicher Ort zur Integrierung eines elektro-pneumatischen Wandlers [X.] in den in diesem zweiten Ausführungsbeispiel auch das Steuergerät [X.] integriert ist.

Dies kann aber dahingestellt bleiben, da auch aus der Druckschrift [X.] unstrittig das Merkmal 1.8 nicht hervor geht.

Selbst wenn der Fachmann im Weitern ausgehend von der Druckschrift [X.] eine der Druckschriften [X.], [X.] oder [X.] berücksichtigen würde, so könnte er jedoch nicht zu dem in dem Patentanspruch 1 beanspruchten Gegenstand gelangen. Denn die Druckschriften [X.], [X.] und [X.] können, wie vorstehend dargelegt, zumindest keine Anregung dafür geben, dass mittels eines gemeinsamen Steuergeräts die Funktion der elektrisch gesteuerte Feststellbremse in einem die elektrisch gesteuerte Feststellbremse betreffenden Defektfall getrennt von dem Antiblockiersystem deaktiviert werden kann.

5.4.3 Alle weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften hat die Einsprechende zu Recht weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung zur Frage der Patentfähigkeit des Gegenstandes nach Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag aufgegriffen. Deren Gegenstände liegen auch nach dem Verständnis des Senats offensichtlich von der Erfindung noch weiter ab als der zuvor berücksichtigte Stand der Technik. Sie können daher ebenfalls keine Anregung zum Gegenstand nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag geben oder diesen vorwegnehmen.

5.4.4 Aus alledem folgt, dass der insgesamt in Betracht gezogene Stand der Technik – in welcher Art Zusammenschau auch immer – dem Fachmann einen Gegenstand mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht hat nahelegen können.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist daher patentfähig.

5.5 Zur Erleichterung von Bezugnahmen sind die Merkmale des Patentanspruchs 24 gemäß Hauptantrag nachstehend in Form einer Merkmalsgliederung wiedergegeben.

24.0 Verfahren zum Steuern einer Bremsanlage (60) für ein mit einem Anhänger koppelbares Nutzfahrzeug, mit

24.1 Betriebsbremszylindern (400) und [X.]n (402) zum Bremsen des [X.],

24.2 einem elektronisches Steuergerät (60),

24.3 Sensoren (220, 30, 230) zum Erfassen des Bewegungszustandes des [X.],

24.4 einem Fußbremsventil (430) zum Betätigen der Betriebsbremse,

24.5 einer [X.] (22), über die von der Betätigungsart der [X.] (22) abhängige Fahrerwünsche an das elektronische Steuergerät (60) übermittelt werden,

24.6 einem Modul (62) mit elektrisch ansteuerbaren Ventilen für ein Antiblockiersystem und einem Modul (64) mit elektrisch ansteuerbaren Ventilen für eine elektrisch gesteuerte Feststellbremse mit einem Anhängersteuerventil zum [X.] eines Anhängers,

24.7 wobei das elektronische Steuergerät (60) unter Verwendung des Moduls (64) für die elektrisch gesteuerte Feststellbremse und insbesondere des vorhandenen [X.] (120) eine kontrollierte Streckbremsung einleitet und überwacht, falls eine Streckbremsung angefordert wird,

dadurch gekennzeichnet,

24.8 dass bei einem Defekt des Antiblockiersystems die Funktion des Antiblockiersystems getrennt von der Funktion der elektrisch gesteuerten Feststellbremse deaktiviert wird,

24.9 und dass bei einem Defekt der elektrisch gesteuerten Feststellbremse die Funktion der elektrisch gesteuerten Feststellbremse getrennt von der Funktion des Antiblockiersystems deaktiviert wird.

5.6 Diesem Patentanspruch entnimmt der Fachmann ein Verfahren, das mehrere der Steuerung einzelner Bestandteile einer Bremsanlage dienende Verfahrensschritte umfasst, die für ein mit einem Anhänger koppelbares Nutzfahrzeug konzipiert und gegenständlich mit den Merkmalen 24.1 bis 24.6 ausgebildet ist.

Das in Merkmal 24.2 zur Durchführung des beanspruchten Verfahrens angeführte elektronische Steuergerät ist dabei gemäß Merkmal 24.7 lediglich dadurch spezifiziert, dass es unter Verwendung des Moduls für die elektrisch gesteuerte Feststellbremse eine kontrollierte Steckbremsung einleitet und überwacht, falls eine Streckbremsung angefordert wird; diesen Merkmalen kommt in der beanspruchten Patentkategorie insoweit Bedeutung zu, dass ein Verfahrensschritt eine Streckbremssteuerung betrifft. Eine steuerungstechnische Integration hinsichtlich der Beeinflussung des Antiblockiersystems in das Steuergerät, so wie es für die vorrichtungstechnische Beschaffenheit des Steuergeräts offenbart und in dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag beansprucht wird, ist hier weder ausdrücklich noch zwangsläufig implizite verfahrenstechnische Maßnahme des Merkmals 24.8. Der Auffassung der Patentinhaberin, wonach das in Merkmal 24.2 beanspruchte elektronische Steuergerät, welches die Bremsanlage umfasse, ein Steuergerät gemäß einem der vorhergehenden nebengeordneten Ansprüche sei (vgl. Schriftsatz vom 15. Juli 2015, Übergang Seite 2 zu Seite 3) und dem Verfahrensanspruch 24 daher gleichsam auch ein durch dessen Aufbau bedingter spezifischer Verfahrensablauf zwingend zu unterstellen sei, kann daher nicht gefolgt werden.

Das Verfahren ist ferner gemäß den Merkmalen 24.8 und 24.9 durch die beiden Verfahrensschritte gekennzeichnet, wonach zum einen bei einem Defekt des Antiblockiersystems die Funktion des Antiblockiersystems getrennt von der Funktion der elektrisch gesteuerten Feststellbremse deaktiviert wird, und zum anderen bei einem Defekt der elektrisch gesteuerten Feststellbremse die Funktion der elektrisch gesteuerten Feststellbremse getrennt von der Funktion des Antiblockiersystems deaktiviert wird, wobei zur Auslegung des Merkmals „Defekt“ und der „Deaktivierung einer Funktion“ auf die vorstehenden Auslegungen zum Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag verwiesen wird.

Während der zweite Verfahrensschritt in Verbindung mit Merkmal 24.7 in der Ausführung dabei zwingend dem elektronischen Steuergerät zuzuordnen ist, lässt der erste Verfahrensschritt den Ort seiner Ausführung bzw. Auslösung offen, denn wie vorstehend ausgeführt ist eine steuerungstechnische Integration hinsichtlich der Beeinflussung des Antiblockiersystems in das Steuergerät nicht zwangsläufig zu unterstellen.

5.7 Ein solches Verfahren ist den ursprünglichen Unterlagen, die am Anmeldetag des [X.] beim [X.] eingereicht wurden, jedoch nicht zu entnehmen, so dass aus diesem Grund der Patentanspruch 24 gemäß Hauptantrag unzulässig ist.

Ein Verfahren zumindest mit den Merkmalen 24.0 bis 24.7 ist zunächst dem hinsichtlich dieser Merkmale [X.] ursprünglichen Patentanspruch 25 zu entnehmen.

Die weiteren Merkmale 24.8 und 24.9 finden sich in ihrem Wortlaut zwar sinngemäß in dem ursprünglichen Anspruch 15 wieder, sofern dieser singulär betrachtet wird, jedoch richtet sich der ursprüngliche Patentanspruch 15 aufgrund seines [X.] auf zumindest den ursprünglichen Patentanspruch 1 auf ein Steuergerät, welches sowohl die Beeinflussung des Antiblockiersystems als auch der elektrisch gesteuerten Feststellbremse übernimmt.

Auch mit Blick auf die gesamten Anmeldeunterlagen, insbesondere der Absätze [0021] und [0031] der [X.], ist der Verfahrensschritt, wonach bei einem Defekt des Antiblockiersystems die Funktion des Antiblockiersystems getrennt von der Funktion der elektrisch gesteuerten Feststellbremse deaktiviert wird, in seiner Ausführung ausschließlich auf ein Steuergerät bezogen, welches sowohl die Beeinflussung des Antiblockiersystems als auch der elektrisch gesteuerten Feststellbremse übernimmt. Denn so zielen, wie auch die Patentinhaberin in ihrem Schriftsatz vom 15. Juli 2015 auf Seite 2 zu den [X.] der [X.] ausführt, der Absatz [0021] der [X.] auf ein Steuergerät, wie es in dem ursprünglichen Anspruch 1 definiert ist, und der Absatz [0031] der [X.] auf eine Bremsanlage, welche ebenso ein solches Steuergerät umfasst.

Wie vorstehend ausgeführt, lässt Merkmal 24.8 den Ort seiner Ausführung jedoch offen, denn eine steuerungstechnische Integration hinsichtlich der Beeinflussung des Antiblockiersystems in das Steuergerät ist keine beanspruchte verfahrenstechnische Maßnahme, so dass insbesondere die Durchführung des Verfahrens nicht mehr einem gemeinsamen Steuergerät zuordenbar ist.

Somit liegt hier hinsichtlich des Merkmals 24.8 eine Verallgemeinerung vor.

Für die Ursprungsoffenbarung des Gegenstands eines Patentanspruchs ist es nach der ständigen Rechtsprechung erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann. Dabei sind zur Vermeidung einer unbilligen Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des [X.] auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zugelassen ([X.] Urteil vom 17. Juli 2012, [X.] 117/11, [X.]Z 194, 107-120 – [X.] m. w. N. unter Rz. 52). Dies vornehmlich dann, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind, denn es gibt keinen Rechtssatz des Inhalts, dass ein Patentanspruch nur in der Weise beschränkt werden könne, dass sämtliche Merkmale eines Ausführungsbeispiels, die der Aufgabenlösung förderlich sind, insgesamt in den Patentanspruch eingefügt werden müssten ([X.], Beschluss vom 23. Januar 1990 – [X.] –, [X.]Z 110, 123-127, B[X.]E 31, 277-278 – [X.]; [X.], Urteil vom 15. November 2005 – [X.] –, B[X.]E 2006, 286 - Koksofentür).

Werden allerdings in den Patentanspruch nur einzelne Merkmale eines Ausführungsbeispiels der Erfindung aufgenommen, geht die sich daraus ergebende Merkmalskombination dann über den Inhalt der Anmeldung hinaus, wenn sie in ihrer Gesamtheit eine technische Lehre umschreibt, die der Fachmann den ursprünglichen Unterlagen nicht als mögliche Ausgestaltung der Erfindung entnehmen kann ([X.], Beschluss vom 11. September 2001 – [X.], B[X.]E 44, 284, Drehmomentübertragungseinrichtung).

Dies ist hier bezogen auf den Verfahrensschritt 24.8 jedoch der Fall. Denn es ist ausschließlich Lehre der angemeldeten Erfindung, dass sowohl die Regelung der Steuerung des Antiblockiersystems als auch die Steuerung der Funktion der elektrischen Feststellbremse von dem einen gemeinsamen elektronischen Steuergerät ausgeführt werden (vgl. auch Absätze [0009] und [0031] der [X.]). So dass in der Folge die nun beanspruchte Lehre über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus geht und der Fachmann diese den Anmeldeunterlagen nicht als Ausgestaltung der Erfindung entnehmen kann.

5.8 Einer Beurteilung der weiteren abhängigen Patentansprüche 2 bis 23 bedarf es in der Folge nicht, da mit dem nicht gewährbaren Patentanspruch 24 dem Antrag als Ganzes nicht stattgegeben werden kann ([X.] GRUR 1997, 120 ff. – elektrisches Speicherheizgerät).

6. Hilfsantrag

Mit dem [X.] gemäß Hilfsantrag erweist sich das Patent indes im beschränkten Umfang als bestandsfähig.

Die Fassung des Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag ist gegenüber der Fassung des Patentanspruch 1 nach Hauptantrag identisch. Insofern gelten vorstehende Aussagen zum Patentanspruch 1 nach Hauptantrag. Das in Patentanspruch 1 beanspruchte Steuergerät ist in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen somit offenbart, sowie weder vorbekannt noch durch den Stand der Technik nahegelegt.

Dies gilt ebenso für die konkreten Weiterbildungen des Steuergeräts nach den darauf rückbezogenen Patentansprüchen 2 bis 23.

Die vorgenommenen Änderungen der geltenden Beschreibung betreffen Anpassungen von Textpassagen an den nun beanspruchten Gegenstand im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung und ohne Erweiterung des Schutzbereichs sowie zusätzliche Ausführungen zum Stand der Technik. Diese Änderungen sind ohne weiteres zuzulassen.

Meta

9 W (pat) 30/14

31.05.2017

Bundespatentgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 31.05.2017, Az. 9 W (pat) 30/14 (REWIS RS 2017, 10182)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10182

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