Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.12.2015, Az. 1 StR 292/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 1414

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[X.]:[X.]:[X.]:2015:021215U1STR292.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
1
StR
292/15

vom
2. Dezember
2015
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 2. Dezember 2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender [X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,

der
[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
die [X.]in am Bundesgerichtshof
Cirener,
der [X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Mosbacher
und die [X.]in
am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],

Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

,
Rechtsanwalt

und
Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Rechtsanwalt

als Vertreter für den Nebenkläger G.

und
Rechtsanwältin

als Vertreterin für die Nebenklägerin M.

,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Auf die Revisionen
der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das
Urteil des [X.] Landshut
vom 19.
Januar
2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache
wird
zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsmittel, an eine andere als Schwurge-richt zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags
an
seiner Ehefrau
aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden
sich die Staatsanwaltschaft
und die Nebenkläger
mit ihren
auf die Sachrüge, die Nebenkläger zusätzlich auf eine Verfahrensrüge,
gestützten Revisionen. Mit der sofortigen Beschwerde wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Ent-scheidung über die Entschädigung des Angeklagten. Alle drei Revisionen [X.]n
schon mit der Sachrüge Erfolg.
I.
1.
Die
Anklage
legt dem Angeklagten zur Last, am 4.
Dezember 2013 unmittelbar nach 12.37
Uhr im von den Eheleuten gemeinsam
bewohnten An-wesen in E.

seine Ehefrau tätlich angegriffen und getötet zu haben, indem er ihr mit stumpfer Gewalteinwirkung Brüche der dritten und vierten
Rippe im rechten Brustkorb, Blutungen im Bereich des [X.] und des Mittelfell-1
2
-
4
-
raums sowie Blutergüsse am Kopf, an der rechten Schulter, an der linken
Brustdrüse sowie an beiden Armen
zufügte
und
ihr
dann den
Hals komprimierte
bzw. ihr Mund und Nase zuhielt und sie so erstickte.
2.
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen ge-troffen:
a)
Am 4.
Dezember 2013 nach 12.37
Uhr wurde die Ehefrau des [X.] im von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Anwesen in E.

durch mindestens 30
Faustschläge und weitere Tätlichkeiten von einer unbe-kannten Person, nicht ausschließbar dem Angeklagten, erheblich verletzt
und dann getötet. Sie erlitt unter anderem Brüche der dritten und vierten
Rippe im rechten Brustkorb, eine Vielzahl von Blutergüssen, vornehmlich auf den Hän-den und im Kopfbereich, nicht zuletzt auch eine blutende Wunde, verursacht durch eine Hautaufplatzung auf Höhe der linken Augenbraue. [X.] war jedoch ein Erstickungs-
bzw. [X.], der
im Zusammenhang mit den Tätlichkeiten am Opfer vorgenommen wurde und spätestens gegen 18.00
Uhr desselben Tages zum Tode führte.
b)
Das [X.] hat den
Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei-gesprochen. Die Tat könne ihm nicht nachgewiesen werden. Der Angeklagte habe für die [X.] zwischen 12.37 bis etwa 13.20
Uhr zwar kein Alibi, habe sich
am Tattag teils sonderbar verhalten und
zum Alkoholkonsum seiner Ehefrau teils
widersprüchliche Angaben gemacht; auch Konfliktthemen für
einen
Streit könnten nicht ausgeschlossen werden, wobei sich keine konkreten Anhalts-punkte ergeben
hätten, dass ein bestimmtes Thema tatsächlich eskaliert
sei. Letztendlich aber sei entscheidend,
dass eine
objektiv hohe Wahrscheinlichkeit 3
4
5
-
5
-
der Tatbegehung durch den Angeklagten nicht
habe
nachgewiesen werden können.
Viele Gesichtspunkte seien
einer unterschiedlichen Betrachtung zugäng-lich; solche, die
den Angeklagten eindeutig belasteten, lägen jedoch nicht vor. Die Vorgehensweise des [X.] bei der Auseinandersetzung
mit einer Vielzahl von Faustschlägen
und bei der Tötung
weise
zwar auf das Vorhandensein von Emotionen
beim Täter hin und
spräche
zunächst für
einen Täter im [X.] Umfeld. Jedoch komme nicht nur der Angeklagte als Täter in Betracht. Es habe auch ein großes Konfliktpotenzial mit anderen Personen aus dem [X.] Nahbereich
bestanden, insbesondere mit Familienmitgliedern im weiteren Sin-ne. Auch sei nur wenig bekannt,
wie die Verstorbene ihre Freizeit verbracht [X.]. Nach Überzeugung der Kammer könnten deshalb [X.] nicht ausge-schlossen werden. Da endgültig eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der [X.] durch den Angeklagten nicht habe nachgewiesen werden können, habe die Kammer keine sichere Überzeugung von seiner
[X.]chaft gewinnen
können, obwohl er als möglicher Täter nicht ausscheide.
II.
[X.] hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil sich die ihm zugrundeliegende Beweiswürdigung als nicht tragfähig erweist. Auf die er-hobenen Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
1. [X.] lässt die erforderliche
Gesamtwürdigung des Beweisstoffs
vermissen.
6
7
8
-
6
-
a) Ist eine Vielzahl einzelner Erkenntnisse angefallen, so ist eine Ge-samtwürdigung vorzunehmen
(st. Rspr.;
vgl. Senat,
Urteil vom 6. Februar 2002

1 [X.], [X.], 2188, 2189). Erst sie entscheidet letztlich darüber, ob der [X.] die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der [X.]chaft des Angeklagten ausreichen würde, [X.] die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtschau dem Tatrichter die ent-sprechende Überzeugung vermitteln. Beweisanzeichen können nämlich in einer Gesamtschau wegen ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen (vgl. Senat, Urteil vom 6. Februar 2002

1 [X.], [X.], 2188, 2189). Der Beweiswert einzelner Indizien ergibt sich zudem regelmäßig erst aus
dem Zusammenhang mit anderen Indizien, weshalb der Inbezugsetzung der Indizien
zueinander im Rahmen der Gesamtwürdigung besonderes Gewicht zukommt.
b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des [X.] nicht gerecht. Statt die Indizien mit ihrem jeweiligen Beweiswert in die Gesamt-würdigung einzustellen, spricht das [X.] einzelnen Umständen insge-samt einen belastenden Beweiswert mit der Begründung ab, diese seien keine

Indizien für die [X.]chaft des Angeklagten (vgl. UA S.
46, 49, 50, 53, 80, 81, 97, 108). Damit hat das [X.] rechtsfehlerhaft einzelne Beweisergebnisse als vorschnell aus-geschieden, anstatt die einzelnen Beweisanzeichen
mit dem ihnen zukommen-den Gewicht, also mit den ihnen innewohnenden belastenden und entlastenden Aspekten, in Beziehung zu setzen und im Zusammenhang mit anderen [X.] zu bewerten. Statt einer umfassenden Würdigung aller im Urteil n-9
10
-
7
-

r-keine wesentlichen Gesichtspunkte gefunden werden konnten, welche den [X.] eindeutig belasteten.
2. [X.] beruht auch auf dem Rechtsfehler. Zwar ist in vorliegendem Fall nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Beweislage infolge polizeili-cher Ermittlungsfehler (dem Angeklagten wurde etwa vor einer Sicherung der Spuren erlaubt, den [X.] zu reinigen) als schwierig darstellt. Ob der weitere Verfahrensgang zu einer Verurteilung oder einem Freispruch führen wird, ist gleichwohl angesichts der Beweislage offen.

11
-
8
-
III.
Durch die
Aufhebung des freisprechenden Urteils
wird die damit ver-knüpfte Entschädigungsentscheidung (§
8 Abs.
1 Satz
1 StrEG) und die hier-gegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos
([X.], Urteile vom 25.
April 2013

4
StR 551/12 und vom 25.
März 2010

1
StR
601/09).
Raum Jäger Cirener

Mosbacher

[X.]
12

Meta

1 StR 292/15

02.12.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.12.2015, Az. 1 StR 292/15 (REWIS RS 2015, 1414)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 1414

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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