Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.02.2018, Az. XI B 110/17

11. Senat | REWIS RS 2018, 13634

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Keine Beteiligung des Insolvenzverwalters am finanzgerichtlichen Verfahren


Leitsatz

NV: Der Insolvenzverwalter ist im Fall eines Aktivprozesses nicht mehr am finanzgerichtlichen Verfahren beteiligt, wenn er die Aufnahme des Rechtsstreits gegenüber dem Finanzgericht ablehnt.

Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 25. Oktober 2017 10 K 301/16 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen des [X.].

2

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) erließ am 2. Juni 2015 gegen [X.] einen Umsatzsteuerbescheid für 2013, mit dem die Umsatzsteuer im Wege der Schätzung auf 92.808 € festgesetzt wurde. Die Steuerschuld war im Wesentlichen entsprechend der Festsetzung gezahlt worden.

3

Nachdem gegen den Schätzungsbescheid durch [X.] Einspruch eingelegt worden war, reichte seine Steuerberaterin die Umsatzsteuererklärung für 2013 beim [X.] ein. Danach ergab sich eine verbleibende Umsatzsteuer in Höhe von 88.973 €. Der Einspruch wurde jedoch mit Einspruchsentscheidung vom 2. November 2016 als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen erhob [X.] am 2. Dezember 2016 Klage.

4

Das Insolvenzgericht bestellte mit Beschluss vom 3. Januar 2017 den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen des [X.] ([X.]. ...). Mit Beschluss vom 31. März 2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des [X.] eröffnet. Das Insolvenzgericht bestellte den Kläger gleichzeitig zum Insolvenzverwalter.

5

Mit Schreiben vom 8. Mai 2017 teilte der Kläger mit, dass er den [X.]echtsstreit nicht weiter verfolge. Das [X.] nahm mit Schreiben vom 20. Juni 2017 den [X.]echtsstreit auf.

6

Das Finanzgericht ([X.]) wies mit Urteil vom 25. Oktober 2017 die Klage als unbegründet ab. Es ließ die [X.]evision gegen sein Urteil nicht zu. Im [X.]ubrum des Urteils war der Kläger als solcher mit dem Zusatz "als Insolvenzverwalter über das Vermögen des [X.]" aufgenommen worden.

7

Mit Schreiben vom 28. November 2017 beantragte der Kläger beim [X.], das [X.]ubrum dahingehend zu ändern, dass [X.] anstelle des [X.] aufgenommen werde. Mit Schreiben der Berichterstatterin vom 29. November 2017 lehnte dies das [X.] ab.

8

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner beim [X.] ([X.]) am 1. Dezember 2017 eingegangenen Nichtzulassungsbeschwerde mit dem Vortrag, dass eine [X.]ubrumsberichtigung zu erfolgen habe.

Entscheidungsgründe

II.

9

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Das [X.] hat einen Verfahrensfehler begangen. Das [X.]ubrum des vorinstanzlichen Urteils ist fehlerhaft. Der Kläger war nicht mehr am finanzgerichtlichen Verfahren beteiligt.

1. Mit Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird grundsätzlich gemäß § 155 [X.]O i.V.m. § 240 der Zivilprozessordnung (ZPO) das finanzgerichtliche Verfahren unterbrochen (vgl. Gräber/[X.], Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 74 [X.]z 36, m.w.N.).

Die Aufnahme des Verfahrens richtet sich danach, ob es sich bei dem Verfahren um einen Aktiv- oder Passivprozess handelt. Dabei kommt es nicht auf die verfahrensrechtliche Stellung als Kläger oder Beklagter an (BFH-Urteil vom 7. März 2006 VII [X.] 11/05, [X.], 11, [X.], 573). Ein Aktivprozess ist dadurch gekennzeichnet, dass der Insolvenzschuldner eine Forderung geltend macht, die zur Insolvenzmasse gehört, und im Falle des Obsiegens die zur Verteilung stehende Masse vergrößern würde (vgl. BFH-Urteil in [X.], 11, [X.], 573; Loose, [X.] 2007, 101, m.w.N.; [X.], [X.] Steuer-Zeitung [X.], 103, 109). Bei einer Klage gegen einen Steuerbescheid kommt es darauf an, ob der Insolvenzschuldner die Steuer bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gezahlt hat. Er verfolgt dann mit seiner Klage wirtschaftlich einen Erstattungsanspruch, so dass ein Aktivprozess vorliegt (vgl. [X.], [X.], 103, 109 f., m.w.N. in [X.]. 110).

Nimmt der Insolvenzverwalter den Aktivprozess nach § 85 Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzordnung ([X.]) nicht auf, können sowohl der Insolvenzschuldner als auch die beklagte Finanzbehörde den [X.]echtsstreit aufnehmen (§ 85 Abs. 2 [X.]). Die Ablehnung durch den Insolvenzverwalter, die auch formlos gegenüber dem [X.] erklärt werden kann (ebenso [X.], [X.], 103, 110), führt dazu, dass der im Streit befindliche Massegegenstand freigegeben wird und die gesetzliche Prozessführungsbefugnis und Beteiligtenstellung wieder auf den Schuldner übergeht (Urteile des [X.] vom 7. Dezember 2006 IX Z[X.] 161/04, [X.]/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht --WM-- 2007, 406, [X.]z 18; vom 21. April 2005 IX Z[X.] 281/03, [X.], 1084, [X.]z 5 f. und 10; ebenso [X.], 6. Aufl., § 85 [X.]z 23; MünchKomm[X.]/ [X.], 3. Aufl, § 85 [X.]z 24; [X.], [X.], 103, 110).

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass der Kläger im Streitfall seit seinem Schreiben an das [X.] vom 8. Mai 2017 nicht mehr am finanzgerichtlichen Verfahren beteiligt war. Da [X.] mit seiner Klage wirtschaftlich eine Erstattung zuviel gezahlter Umsatzsteuer geltend gemacht hat, handelt es sich --wie auch das [X.] ausgeführt hat-- um einen Aktivprozess, dessen Aufnahme der Kläger als Insolvenzverwalter ablehnen konnte. Die Beteiligtenstellung und die gesetzliche Prozessführungsbefugnis stand mit dieser Erklärung wieder dem [X.] zu. Damit ist der Kläger fehlerhaft im [X.]ubrum des Urteils der Vorinstanz aufgenommen worden.

3. Dieser Fehler kann auch als Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden. Bei der vom [X.] zu beurteilenden gesetzlichen Prozessführungsbefugnis (Beteiligtenstellung) handelt es sich um eine Sachurteilsvoraussetzung, deren fehlerhafte Beurteilung einen Verfahrensmangel darstellt ([X.] vom 15. März 2002 VII B 120/01, [X.] 2002, 943; vom 23. November 2010 V B 133/09, [X.] 2011, 612, [X.]z 5; jeweils m.w.N.).

4. Der Kläger war auch berechtigt, gegen das Urteil der Vorinstanz die Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen, obwohl während des finanzgerichtlichen Verfahrens auf der Seite des Klägers ein gewillkürter [X.] eingetreten ist. Zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde sind grundsätzlich alle Beteiligten des Verfahrens der Vorinstanz berechtigt (§ 115 Abs. 1 i.V.m. § 57 [X.]O). Ist das Urteil gegen den falschen Beteiligten ergangen, weil das [X.] --wie im [X.] einen nach Klageerhebung eingetretenen gewillkürten [X.] übersehen hat, ist auch der irrtümlich als Beteiligter Behandelte zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde befugt; denn er muss die Möglichkeit haben, das zu Unrecht gegen ihn ergangene Urteil zu beseitigen (vgl. BFH-Urteil vom 12. Januar 1995 IV [X.] 83/92, [X.], 4, [X.] 1995, 488, unter I.1., [X.]z 13 für den Fall der [X.]evision).

5. Wegen dieses Verfahrensfehlers, der zur Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils geführt hat, ist die Vorentscheidung gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O aufzuheben und die Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Dies ist auch deshalb geboten, weil [X.] als richtiger Beteiligter bisher am Verfahren seit der Insolvenzeröffnung nicht beteiligt war.

6. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O).

Meta

XI B 110/17

20.02.2018

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 25. Oktober 2017, Az: 10 K 301/16, Urteil

§ 85 Abs 1 S 1 InsO, § 85 Abs 2 InsO, § 240 ZPO, § 155 FGO, § 116 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.02.2018, Az. XI B 110/17 (REWIS RS 2018, 13634)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13634

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

III B 103/15 (Bundesfinanzhof)

Hinausweisung des Insolvenzschuldners aus einem Passivprozess - Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis


IV R 11/16 (Bundesfinanzhof)

Kein Wegfall der Klage- und Prozessführungsbefugnis einer Personengesellschaft gegen Gewinnfeststellungsbescheide auf Grund der Eröffnung des …


VIII R 21/16 (Bundesfinanzhof)

Aufnahme eines durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochenen Einspruchsverfahrens


X R 9/20 (Bundesfinanzhof)

Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit bei Verwertung sicherungsübereigneten beweglichen Betriebsvermögens durch den absonderungsberechtigten Gläubiger


XI R 51/17 (Bundesfinanzhof)

Einspruchsbefugnis der Insolvenzschuldnerin (Bekanntgabe des Steuerbescheids an den Insolvenzverwalter) nach Einstellung des Insolvenzverfahrens; Fristwahrungseignung einer …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.