Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.12.2012, Az. 5 StR 407/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 367

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Gegenstand

Untreue: Voraussetzungen einer faktischen Geschäftsführerstellung gegenüber einem abhängigen Unternehmen


Leitsatz

Zu den Anforderungen an die Annahme einer faktischen Geschäftsführerstellung gegenüber einem abhängigen Unternehmen.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten   N.   wird das Urteil des [X.] vom 12. Dezember 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit es ihn betrifft; die Feststellungen hierzu – mit Ausnahme derjenigen zum Verhältnis des Angeklagten zur Gesellschafterin der [X.] – bleiben bestehen.

Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Untreue in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung hat es von der Gesamtfreiheitsstrafe drei Monate als vollstreckt erkannt. Die Revision des Angeklagten erzielt den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s errichtete der Angeklagte die „[X.]“, deren Geschäftsgegenstand die Sanierung und Vermarktung von Immobilien war. Im Tatzeitraum war er Geschäftsführer der [X.], die als Komplementärin in verschiedenen und für jedes Bauvorhaben gesondert gegründeten Kommanditgesellschaften (nachfolgend: [X.]’s) fungierte. Die [X.]’s beauftragten als Generalübernehmer für Sanierungsarbeiten die [X.], deren bestellte Geschäftsführerin im Tatzeitrum die Mitangeklagte [X.].    war. Gesellschafterin der [X.] war die [X.] mit im Tatzeitraum wechselnden Alleingesellschaftern.

3

Zur Durchführung der Bauvorhaben beauftragte die [X.] ihrerseits Generalunternehmer und verschiedene Subunternehmer, wobei sie faktisch als „Schutzschild vor den [X.]’s“ ([X.] agierte, um die Ansprüche der unbezahlten oder nur zum Teil bezahlten Leistungserbringer abzufangen. Sie erteilte teilweise Aufträge, ohne dass die Absicht bestand, diese vollständig zu bezahlen. Überdies veranlasste die [X.] kleine und unerfahrene Handwerksunternehmen dazu, trotz Ausbleibens ihrer Bezahlung weitere Leistungen zu erbringen. Die [X.]’s finanzierten die Vorhaben durch Darlehen, die auf der Grundlage von Abschlagsrechnungen der [X.] direkt an die Generalübernehmerin ausgezahlt wurden. Von diesen Beträgen überwies die Mitangeklagte [X.].   auf Veranlassung des Angeklagten und einem gemeinsamen Tatplan entsprechend größere Summen aufgrund rechtsgrundloser Stornierungen der Abschlagsrechnungen direkt an die [X.]’s. Den Angeklagten war dabei bewusst, dass der stornierte Betrag nicht ausgeglichen werden würde und die Stornierung deshalb einen Verzicht auf die Forderung bedeutete. Durch die so veranlassten Stornierungen geriet die [X.] selbst zunehmend in [X.] und konnte Handwerksleistungen nicht mehr bezahlen; letztlich führten sechs Stornierungen bzw. Rücküberweisungen der [X.] im Zeitraum vom 13. April 2004 bis 23. August 2005 über einen Betrag von insgesamt mehr als 820.000 € (Taten 1 bis 6, [X.]) zur Insolvenz der [X.], was die Angeklagten zumindest billigend in Kauf nahmen.

4

Das [X.] ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte faktischer Geschäftsführer der [X.] war und seine Vermögensbetreuungspflicht ihr gegenüber verletzt habe, indem er die Mitangeklagte [X.].    zu den rechtsgrundlosen Stornierungen (Taten 1 bis 6) angewiesen habe. Er habe „im Einverständnis mit dem jeweiligen Gesellschafter die Stellung des Geschäftsführers tatsächlich eingenommen, indem er den wesentlichen Teil der klassischen Kernbereiche der Unternehmung bestimmt habe“; seine tatsächliche Verfügungsmacht habe sich daraus ergeben, dass die Mitangeklagte [X.].   – wie er gewusst habe – seinen Anweisungen stets loyal gefolgt sei (vgl. [X.] 59).

5

2. Die Verurteilung wegen Untreue hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen tragen nicht die Annahme, dass der Angeklagte gegenüber der [X.] vermögensbetreuungspflichtig nach § 266 Abs. 1 StGB war.

6

Grundlage einer Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB kann neben Gesetz, behördlichem Auftrag oder Rechtsgeschäft auch ein sogenanntes „tatsächliches Treueverhältnis" sein. Ein solches „tatsächliches Treueverhältnis“ kann dadurch begründet sein, dass der Betreffende die organschaftlichen Aufgaben eines Geschäftsführers übernommen und diese ausgeführt hat [X.], StGB, 60. Aufl., § 266 Rn. 40, 42; [X.], 12. Aufl., § 266 Rn. 61, 65). Daneben kann aus einer tatsächlichen Übernahme eines nicht ganz unbedeutenden Pflichtenkreises – ohne dass eine faktische Organstellung vorliegen muss – eine Vermögensbetreuungspflicht auch dadurch begründet werden, dass der Betreffende diese Interessen wahrnimmt und der [X.] auf die pflichtgemäße Wahrnehmung vertrauen darf (vgl. [X.], Urteil vom 14. Juli 1999 – 3 [X.], [X.], 558). Dass eine der beiden vorgenannten Voraussetzungen hier vorliegt, belegen die Feststellungen indes nicht.

7

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] ist als Geschäftsführer auch derjenige anzuerkennen, der die Geschäftsführung mit Einverständnis der Gesellschafter ohne förmliche Bestellung faktisch übernommen hat, tatsächlich ausübt und gegenüber dem formellen Geschäftsführer eine überragende Stellung einnimmt oder zumindest das deutliche Übergewicht hat (vgl. [X.], Urteile vom 24. Juni 1952 – 1 [X.], [X.]St 3, 32, 37 f., vom 22. September 1982 – 3 StR 287/82, [X.]St 31, 118, 122, und vom 10. Mai 2000 – 3 [X.], [X.]St 46, 62, 64 f.).

8

Den Urteilsgründen lässt sich zwar entnehmen, dass der Angeklagte tatsächlich einen erheblichen Einfluss gegenüber der bestellten Geschäftsführerin der [X.] hatte, die nahezu keine eigenständigen Entscheidungen getroffen hat. Dies reicht aber für sich genommen nicht aus, um eine faktische Organstellung zu begründen. Im vorliegenden Fall fehlten dem Angeklagten nämlich die für eine organschaftliche Stellung typischen Befugnisse. Die Feststellungen ergeben nicht, dass er etwa eine Bankvollmacht hatte, oder im Außenverhältnis Pflichten übernahm, die typischerweise mit der Stellung eines Organs verbunden sind (wie etwa gegenüber Sozialversicherungsträgern oder Finanzbehörden). Sind dem Betreffenden solche Kompetenzen nicht übertragen, spricht dies indiziell gegen die Annahme einer faktischen Geschäftsführung, weil sie zu den Essentialien einer Organstellung zählen (vgl. [X.], Urteil vom 27. Juni 2005 – [X.], [X.], 1414).

9

Die Urteilsgründe legen nicht dar, dass dem Angeklagten entsprechende auf das Außenverhältnis bezogene Befugnisse jedenfalls faktisch übertragen wurden. Die insoweit pauschale Feststellung, der Angeklagte habe „im Einvernehmen mit der Gesellschafter-GmbH von Anfang an die Stellung des Geschäftsführers“ eingenommen ([X.] 12), wird nicht näher begründet. Die Urteilsgründe ergeben zwar, dass der Angeklagte die Geschäftsführerin der [X.] eingestellt hat ([X.] 3, 54) und die Gesellschafterin keinen Einfluss auf die Geschäftsführung der [X.] genommen, sondern die Mitangeklagte [X.].    zu Fragen der Geschäftsführung auf den Angeklagten verwiesen hat ([X.] 52). Die Feststellungen verhalten sich indes nicht dazu, in welchem Verhältnis der Angeklagte zu der Gesellschafterin der [X.] stand und aus welchen Gründen und in welchem Umfang ihm eine derartige Machtposition – möglicherweise auch gegenüber der Gesellschafterin – eingeräumt worden sein soll. Dies wäre auch deshalb erörterungsbedürftig gewesen, weil das [X.] die Anweisungen des Angeklagten zu den rechtgrundlosen Stornierungen als pflichtwidrig gewertet hat, für die kein Einverständnis der [X.] bestanden hat (vgl. [X.] 52).

Allerdings hat die Rechtsprechung es im Einzelfall auch ausreichen lassen, wenn der faktische Geschäftsführer den förmlich bestellten Geschäftsführer anweisen kann und er durch ihn die Geschäftspolitik des Unternehmens tatsächlich bestimmt (vgl. [X.], Urteil vom 11. Dezember 1997 – 4 [X.], [X.], 416; vgl. auch [X.], Urteil vom 25. Februar 2002 – [X.], [X.]Z 150, 61). Beruht die Macht des [X.] allein darauf, dass er sich gegenüber dem formellen Geschäftsführer in den wesentlichen unternehmerischen Fragen durchsetzen kann, bedarf das Verhältnis zur [X.] vertiefter Betrachtung. Diesem Erfordernis werden die Urteilsgründe gleichfalls nicht gerecht. Dass ein außenstehender Dritter, der weder Mitgesellschafter noch Angestellter ist, sondern vielmehr auf der Seite des – wenngleich wirtschaftlich einflussreichen – Auftraggebers steht, über seine wirtschaftliche Macht als Auftraggeber hinaus ermächtigt ist, die Geschäfte seines Vertragspartners zu führen und damit auch verpflichtet ist, dessen Vermögensinteressen zu schützen, erklärt sich aufgrund der bloß faktischen Einflussnahme nicht selbst. Vielmehr wird in solchen Fällen der Abhängigkeit des Geschäftspartners die übermächtige Vertragsgegenseite häufig die Geschäftstätigkeit des abhängigen Geschäftspartners bestimmen können. Dies genügt aber nicht für die Annahme einer „faktischen Geschäftsführung“, auch weil ansonsten der Angeklagte gegenläufigen Vermögenspflichten, nämlich für den Vertragspartner und das eigene Unternehmen, ausgesetzt wäre. Derjenige, der im Rahmen von schuldrechtlichen Beziehungen jedoch eigene Interessen im Wirtschaftsleben verfolgt, kann nicht die Vermögensinteressen der anderen Vertragspartei wahrnehmen. Deshalb sollen grundsätzlich auch nur [X.] typisierte Schuldverhältnisse mit Geschäftsbesorgungscharakter Treuepflichten begründen können (vgl. [X.], aaO Rn. 75 f.; [X.], aaO Rn. 38 und vgl. auch [X.], Urteil vom 13. Mai 2004 – 5 [X.]; [X.]St 49, 147, 155, und Beschluss vom 2. April 2008 – 5 [X.], [X.]St 52, 182, 186 f.).

Um vorliegend bewerten zu können, dass der Angeklagte im „Einvernehmen“ mit der Gesellschafterin die Geschäfte für die [X.] faktisch geführt hat, hätte es einer eingehenden Darlegung der Hintergründe sowie der Art und des Umfanges dieses „Einvernehmens“ bedurft. Maßgeblich ist, dass der Angeklagte in die [X.] hinein über ein solches Machtpotential verfügt, das ihn in die Lage versetzt, die Unternehmensentscheidungen zu determinieren. Eine solche weitgehende Beherrschung wird regelmäßig gegeben sein, wenn die Gesellschafterin der [X.] für ihn handelt. Dies setzt grundsätzlich entweder eine persönliche Abhängigkeit oder aber ein aus anderen Gründen einverständliches Zusammenwirken mit ihr voraus, die es rechtfertigen, die [X.] als gleichsam abhängige und unselbständige Strohmannfirma für das Unternehmen des Angeklagten zu sehen. Nur dann kann dem Angeklagten auch eine weitere Vermögensbetreuungspflicht auferlegt werden (vgl. zu den Pflichtenstellungen im faktischen GmbH-Konzern: [X.], Urteil vom 10. Juli 1996 – 3 StR 50/96, [X.]R StGB § 266 Abs. 1 Vermögensbetreuungspflicht 25). Ob eine entsprechende Abhängigkeit der Gesellschafterin der [X.] oder ein Zusammenwirken mit ihr vorlag, bleibt indes unerörtert und kann ohne nähere Kenntnis der Beziehungen des Angeklagten zur [X.] der [X.] nicht beurteilt werden.

b) Unabhängig davon, ob dem Angeklagten aufgrund der Reichweite seiner Einflussnahme tatsächlich eine faktische Organstellung innerhalb der [X.] zukam, genügen die bisher getroffenen Feststellungen auch im Übrigen nicht zur Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht. Zwar knüpft der Treubruchtatbestand des § 266 Abs. 1 StGB nicht an die formale Position als Geschäftsführer, sondern an die tatsächliche Verfügungsmacht über ein bestimmtes Vermögen an, wenn damit ein schützenswertes Vertrauen in die pflichtgemäße Wahrnehmung der Vermögensinteressen verbunden ist (vgl. [X.], Urteile vom 10. Juli 1996 – 3 StR 50/96 aaO, und vom 14. Juli 1999 – 3 [X.], [X.], 558, [X.] aaO Rn. 33). Feststellungen dazu, ob und inwieweit dem Angeklagten das Vermögen der [X.] von Seiten ihrer Gesellschafterin unterhalb der Geschäftsführerebene „anvertraut“ worden ist und eine Vermögensbetreuungspflicht besteht, hat das [X.] indes nicht getroffen. Es kann aus den bereits unter a) angeführten Gründen nicht beurteilt werden, ob dem Angeklagten von [X.] faktisch eine weitgehende Betriebsführung eingeräumt worden ist oder ob lediglich in einer Vielzahl von Einzelentscheidungen seiner wirtschaftlichen Machtstellung als Organ des praktisch einzigen Geschäftspartners jeweils nachgegeben wurde.

3. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer tatgerichtlicher Sachaufklärung und Prüfung. Die Feststellungen – mit Ausnahme derjenigen zum Verhältnis des Angeklagten zur Gesellschafterin der [X.] – können bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann weitere Feststellungen treffen, soweit sie den aufrechterhaltenen nicht widersprechen.

Raum     

        

für den wegen Urlaubs
an der Unterschriftsleistung
gehinderten Ri[X.] Schaal

        

[X.]

                 

Raum   

                 
        

Dölp     

        

     Bellay     

        

Meta

5 StR 407/12

13.12.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 12. Dezember 2011, Az: 514 KLs 1/11

§ 266 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.12.2012, Az. 5 StR 407/12 (REWIS RS 2012, 367)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 367

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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