Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.02.2020, Az. IV ZR 220/19

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 11835

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[X.]:[X.]:BGH:2020:260220BIVZR220.19.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 220/19
vom
26.
Februar 2020
in dem Rechtsstreit

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Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch
die Vorsitzende Richterin [X.],
die Richterin [X.], den
Richter Lehmann,
die Richterinnen Dr.
[X.] und
Dr.
Bußmann

am 26.
Februar 2020

beschlossen:

Auf die Beschwerde
der Beklagten
wird die Revision ge-gen das Urteil
des 4.
Zivilsenats des [X.]s Naumburg
vom 11.
Juli
2019
zugelassen.

Das
vorbezeichnete Urteil
wird gemäß § 544 Abs. 9
ZPO aufgehoben und
die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: bis 65.000

Gründe:

[X.] Der Kläger macht Leistungsansprüche aus einer bei der [X.] seit 2009 bestehenden Berufsunfähigkeitsversicherung geltend.

Der Kläger war selbständiger Marktleiter zweier Supermarktfilialen. Im Oktober 2010 stellte er einen Leistungsantrag wegen Berufsunfähig-keit aufgrund psychischer Erkrankungen. Nachdem die Beklagte ihre Leistungspflicht zunächst anerkannt hatte, leitete sie ab 2012 mehrere Nachprüfungsverfahren ein und stellte schließlich aufgrund eines im April 1
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2014 erstatteten psychiatrischen Gutachtens des von ihr beauftragten Sachverständigen Dr. S.

mit Schreiben vom 12. August 2014 ihre Leistungen zum 30. November 2014 ein, da der Kläger nicht mehr be-rufsunfähig sei.

Der Kläger hat die weitere Zahlung der vereinbarten [X.] zuzüglich Überschussbeteiligung (diesbezüglich hat er zu-sätzlich einen Auskunftsantrag gestellt) sowie die Beitragsbefreiung für die [X.] ab Januar 2015

zum Teil im Wege der Feststellung, zum Teil durch Erstattung gezahlter Beiträge

und die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten begehrt. Er hat sich hierzu auf ein von ihm in Auftrag ge-gebenes fachpsychiatrisches Gutachten der Frau Dr. H.

vom 2. Februar 2015 berufen, die ihm darin eine weiter bestehende Berufsunfä-higkeit von mindestens 50% attestiert hat.

I[X.] Das [X.]
hat die Klage nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen
Dr. Se.

abgewiesen; das [X.] hat ihr nach persönlicher Anhörung des [X.] und ergänzender [X.] des gerichtlichen Sachverständigen in vollem Umfang stattge-geben.

Es hat ausgeführt, der Beklagten sei der ihr obliegende Beweis, dass der Kläger wieder berufsfähig sei, nicht gelungen. Die gegenteilige Auffassung des [X.] beruhe auf Gehörsverletzungen und Feh-lern bei der Beweiswürdigung.

So habe das [X.] den Kläger nicht persönlich angehört. Die im Berufungsverfahren durchgeführte Anhörung des [X.] habe Erhel-3
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lung gebracht und

neben den Feststellungen des Sachverständigen

wesentlich zur Überzeugung des Gerichts beigetragen. Sie habe die Schwierigkeiten des [X.], in seinem zuletzt ausgeübten Beruf tätig zu sein und seinen Lebensalltag zu bewältigen, aufgezeigt.

Zu Recht rüge der Kläger, dass der gerichtliche Sachverständige die Gegenüberstellung des Zustandes des [X.] bei Anerkenntnis und den geänderten Zustand außer [X.] gelassen habe. Sein Ergebnis, dass [X.] Berufsunfähigkeit nicht vorliege, sei nicht schlüssig. Eine hinreichend konkrete Auseinandersetzung mit den Feststellungen der Privatgutachterin Dr. H.

sei weder im schriftlichen Gutachten noch bei der Anhörung vor dem [X.] erfolgt und auch die Anhö-rung vor dem ([X.] habe diesbezüglich keine Erhellung gebracht.

Insgesamt enthielten seine Ausführungen keine nachvollziehbare Erklärung, warum er von der Einschätzung der Frau Dr. H.

abwei-che. Sie habe die vom Kläger im zuletzt ausgeübten Beruf benötigten Fähigkeiten differenziert aufgeschlüsselt und jeweils prozentual einge-schätzt. Eine konkrete Würdigung dieser Einschätzung und Aussagen dazu, warum der Sachverständige
diese nicht teile, fehlten. Seine
Aus-führungen, dass der Kläger allein infolge der langjährig in Anspruch ge-nommenen Psychotherapie nunmehr in der Lage sein müsse, in seiner ursprünglichen Tätigkeit zu arbeiten, könnten nicht überzeugen. Ihnen
fehle jeder Bezug zu den konkreten Angaben, die der Kläger bei den [X.] und auch umfassend vor dem ([X.] getätigt habe.

Danach
stehe im Ergebnis außer Frage, dass der Kläger zu einer Leitungsfunktion wie zuvor jedenfalls in den zurückliegenden Jahren und 7
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derzeit nicht in der Lage und damit berufsunfähig sei. Denn ganz maß-geblich für seine Tätigkeit
sei die Fähigkeit, eigenverantwortlich unter-nehmerische Entscheidungen zu treffen sowie das Personal zu führen und anzuleiten. In diesen Bereichen liege eine deutlich über 50% einge-schränkte Fähigkeit des [X.] vor.

Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hierge-gen wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II[X.] [X.] hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9
ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Die Beklagte
rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht den Beweisantrag der Beklagten auf Einholung eines Sachverständigengut-achtens zu dem von ihr behaupteten Wegfall der Berufsunfähigkeit nur unvollkommen entsprochen und die Ausführungen in dem von der [X.]
eingeholten Privatgutachten nicht berücksichtigt hat.

1. Legt eine [X.] ein medizinisches Gutachten vor, das im Ge-gensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständi-gen steht, so ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall -
wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger -
den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare
Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt. Einwän-de, die sich aus einem Privatgutachten gegen das Gutachten des [X.] Sachverständigen ergeben, muss das Gericht ernst nehmen, 10
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ihnen nachgehen und den Sachverhalt weiter aufklären. Dazu kann es den Sachverständigen zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutach-tens veranlassen. Insbesondere bietet sich die mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen gemäß § 411 Abs. 3 ZPO an. Ein Antrag der beweispflichtigen [X.] ist dazu nicht erforderlich. Gegebenenfalls hat das Gericht den Sachverständigen unter Gegenüberstellung mit dem Privatgutachter anzuhören, um dann entscheiden zu können, wieweit es den Ausführungen des Sachverständigen folgen will. Wenn der gericht-lich bestellte Sachverständige weder durch schriftliche Ergänzung seines Gutachtens noch im Rahmen seiner Anhörung die sich aus dem Privat-gutachten ergebenden Einwendungen auszuräumen vermag, muss der Tatrichter im Rahmen seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung gemäß § 412 ZPO ein weiteres Gutachten einholen (st.
Rspr.; Senatsbeschlüsse
vom 12.
Januar 2011

IV
ZR 190/08, [X.], 552 Rn.
5; vom 18.
Mai 2009

IV [X.], [X.], 575
Rn.
7; jeweils m.w.N.).

2. Diese Vorgaben hat das Berufungsgericht nicht ausreichend be-achtet.

a) Nicht zu beanstanden ist allerdings, dass es
das Gutachten des Dr.
Se.

in Anbetracht der gegenteiligen Ausführungen der Privat-gutachterin Dr. H.

für nicht ausreichend gehalten hat.

Insoweit ist es seiner Aufgabe der kritischen Würdigung des Ge-richtsgutachtens unter Berücksichtigung eines Privatgutachtens gegen-teiligen Inhalts gerade nachgekommen. Im Übrigen ist die Würdigung erhobener Beweise und damit auch die von Sachverständigengutachten grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten. Das Revisionsgericht prüft le-diglich nach, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 13
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ZPO mit dem [X.] und den [X.] umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also voll-ständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Er-fahrungssätze verstößt (Senatsurteil vom 19.
Juli 2017

IV ZR 535/15, [X.], 1134 Rn.
24 m.w.N.).

Derartige Verstöße sind hier nicht feststellbar.
Insbesondere ist entgegen der Auffassung der Beklagten
nicht davon auszugehen, dass das Berufungsgericht aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachver-ständigen ersichtliche Aggravationstendenzen beim Kläger unberücksich-tigt gelassen hätte.
Da es das Gutachten aus anderen, hiervon unabhän-gigen Gründen für unzureichend hielt, um die sich aus dem [X.] Dr.
H.

ergebenden Bedenken gegen das Ergebnis des Gutachtens auszuräu-men, war es vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus nicht erforder-lich, auf diesen Gesichtspunkt einzugehen.

b) Auf Grundlage dieser Annahme hätte das Berufungsgericht aber seiner Entscheidung nicht alleine das Privatgutachten der Frau Dr.
H.

sowie
die Angaben des [X.] ohne weitere sachverständige [X.] zugrunde legen dürfen, sondern hätte ein weiteres Gutachten einho-len müssen (vgl. oben unter Ziff.1
a.E.).

Bei dem vom Kläger vorgelegten Privatgutachten handelte es sich unbeschadet der Verpflichtung des Gerichts, ein solches Gutachten ernst zu nehmen und ebenfalls kritisch zu würdigen, nicht um ein Beweismittel; ein Privatgutachten ist vielmehr als besonders
substantiierter [X.]vor-trag einzuordnen, der seinerseits Gegenstand einer Beweisaufnahme 16
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sein kann (vgl. Senatsbeschluss
vom 13.
November
2013

IV ZR
224/13, [X.], 104 Rn.
8). Beweispflichtig für den Wegfall der [X.] ist hier allerdings die Beklagte, deren Beweisantritt aber mit der Einholung eines nach der eigenen Auffassung des Berufungsge-richts unzureichenden Gutachtens nicht erschöpft war.

c) Zudem hat sich das Berufungsgericht nicht mit dem von der [X.] eingeholten
Privatgutachten
auseinandergesetzt. Soweit es zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Wegfall der Berufsunfähigkeit des [X.] nicht bewiesen sei, bestand auch insoweit die Verpflichtung, sich mit dagegen bestehenden Einwänden aus einem Privatgutachten

hier demjenigen des Dr.
S.

auseinanderzusetzen. Dieses war,
anders als der Kläger
meint,
nicht schon deshalb entbehrlich, weil sich das Be-rufungsgericht mit dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen befasst hat, der
zum selben Ergebnis wie Dr.
S.

gelangt ist. Denn vom Berufungsgericht wird nicht dargelegt, dass das Gutachten von Dr.
S.

denselben Bedenken begegnet, aufgrund derer
es das Gerichtsgutachten
für nicht überzeugend hielt. Es ist vielmehr auf dieses Gutachten gar nicht eingegangen.

Das wird das Berufungsgericht auch zu beachten haben, sollte es nach der Einholung eines weiteren Gutachtens erneut zum selben Er-gebnis kommen.

3. Schließlich liegt eine weitere Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten durch das Berufungsgericht darin, dass es dem Kläger ei-nen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten
zugesprochen hat, ohne auf die zahlreichen von der Beklagten hiergegen vorgebrach-ten
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Einwände eingegangen zu sein.
Die bloße Nennung des §
280 BGB als Anspruchsgrundlage genügte insoweit nicht.

[X.] [X.] Leh-mann

Dr. [X.]

Dr. Bußmann

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 19.04.2018 -
5 O 144/15 -

OLG Naumburg, Entscheidung vom 11.07.2019 -
4 U 55/18 -

Meta

IV ZR 220/19

26.02.2020

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.02.2020, Az. IV ZR 220/19 (REWIS RS 2020, 11835)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11835

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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