Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28.01.2015, Az. X B 103/14

10. Senat | REWIS RS 2015, 16429

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Gegenstand

Bestimmung der Reichweite eines Zwischenurteils, das hinter dem Inhalt der Entscheidungsgründe zurückbleibt; Entbehrlichkeit einer Betriebsaufgabeerklärung


Leitsatz

1. NV: Bei Widersprüchen zwischen dem Tenor und den Gründen einer Gerichtsentscheidung ist grundsätzlich allein der (positive) Entscheidungsausspruch (Tenor) maßgebend für die Reichweite der Entscheidung. Nur dort, wo aus dem Tenor der Entscheidungsumfang nicht zu ersehen ist oder über seinen Inhalt Zweifel möglich sind, dürfen Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend zur Auslegung der Entscheidungsformel herangezogen werden.

2. NV: Die Verwirklichung des Tatbestands der Betriebsaufgabe setzt --abgesehen von den in § 16 Abs. 3b EStG geregelten Fällen-- grundsätzlich nicht zwingend eine Aufgabeerklärung voraus.

3. NV: Eine Revisionszulassung wegen Divergenz setzt voraus, dass die herangezogenen Rechtssätze sowohl im angefochtenen Urteil als auch in der vermeintlichen Divergenzentscheidung tragend waren.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 8. Juli 2014  9 K 2384/10 E wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen eines [X.]chuldners ([X.]), der gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb von [X.]pielhallen erzielte. [X.] schloss [X.] die [X.]pielhallen und gab die [X.] zurück. Am 17. März 2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des [X.] eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

2

Aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) zur [X.] aus dem Betrieb von Geldspielautomaten beantragte der Kläger am 9. November 2005 den Erlass geänderter Umsatzsteuerbescheide. Am 30. Januar 2006 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) die [X.] für die Jahre 1999 bis 2002 entsprechend herab. Aus den Bescheiden ergaben sich Erstattungsansprüche von insgesamt 222.131,52 €.

3

Am 13. Juli 2006 erließ ein anderes Finanzamt ([X.]) einen [X.] gegen den Kläger, in dem es die genannten Erstattungsansprüche gegen [X.]teuerforderungen in Höhe von 160.371,40 € aufrechnete, die es zur Insolvenztabelle angemeldet hatte. Es verblieb ein Betrag von 61.760,12 €, der an den Kläger ausgezahlt wurde. Der [X.] ist noch nicht bestandskräftig; seine Rechtmäßigkeit ist Gegenstand des beim [X.]. [X.]enat des [X.] ([X.]) anhängigen Revisionsverfahrens [X.] R 29/14.

4

Einkommensteuerrechtlich erfasste das [X.] den [X.] in dem im vorliegenden Verfahren angefochtenen, gegen den Kläger ergangenen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 20. November 2009 als nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 222.131 €.

5

Nach erfolglosem Einspruch machte der Kläger im Klageverfahren geltend, die Einkommensteuerschulden seien keine Masseverbindlichkeiten, sondern lediglich Insolvenzverbindlichkeiten. [X.]ie seien nach [X.] bereits in dem Rumpfwirtschaftsjahr anzusetzen, das mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geendet habe und in dem die [X.]-Entscheidung bekanntgegeben worden sei. Auch fehle es an einer Betriebsaufgabe. Hilfsweise seien Einkünfte aus Gewerbebetrieb nur in Höhe des tatsächlich zur Insolvenzmasse gelangten Betrages von 61.760 € anzusetzen. Im Übrigen fehle es wegen der noch nicht eingetretenen Bestandskraft des [X.]s an einem Zufluss.

6

Das Finanzgericht ([X.]) erließ ein Zwischenurteil mit dem folgenden Tenor: "Die [X.] auf Grund des Urteils des [X.] vom 17.02.2005 zu den Aktenzeichen Rs. [X.]/02 und [X.]/02 sind nach der Betriebsaufgabe im Jahre 2004 als nachträgliche Einkünfte in sinngemäßer Anwendung des § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz unter Berücksichtigung des Zu- und Abflussprinzips zu ermitteln." In den Entscheidungsgründen finden sich --über die Begründung des Entscheidungstenors hinaus-- auch Ausführungen dazu, dass die Einkommensteuer 2006 einen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten [X.]teueranspruch darstelle, der als Masseverbindlichkeit gegen den Kläger habe festgesetzt werden dürfen.

7

Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, zur [X.]icherung einer einheitlichen Rechtsprechung und wegen eines Verfahrensmangels.

8

Das [X.] tritt der Beschwerde entgegen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

Keiner der vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe ist tatsächlich gegeben.

1. Als Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) rügt der Kläger, das Zwischenurteil sei wegen fehlender Eindeutigkeit seines Tenors wirkungslos. Im Tenor habe das [X.] nur zur Frage der Betriebsaufgabe und der Gewinnermittlungsart entschieden. [X.]oweit in den Entscheidungsgründen das Vorliegen einer Masseverbindlichkeit bejaht worden sei, sei etwas begründet worden, über das im Tenor nicht entschieden worden sei. Damit sei die Bindungs- und Rechtskraftwirkung des Zwischenurteils unklar.

Der gerügte Verfahrensmangel ist nicht gegeben, weil der [X.] --dessen Inhalt der Kläger zutreffend dargestellt hat-- für sich genommen eindeutig ist und damit zugleich die Reichweite der Entscheidung umgrenzt.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (grundlegend [X.]-Urteil vom 17. November 1992 VIII R 35/91, [X.] 1993, 316, unter 1.b aa, m.w.N.) ist grundsätzlich allein der (positive) Urteilsausspruch maßgebend für die Reichweite eines Urteils. Nur dort, wo aus ihm der [X.] nicht zu ersehen ist --wie beispielsweise bei [X.] oder wo über seinen Inhalt Zweifel möglich sind, dürfen Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend zur Auslegung der Urteilsformel herangezogen werden.

Vorliegend lässt der Tenor des Zwischenurteils den [X.] positiv erkennen. Bei isolierter Betrachtung des Tenors bestehen auch keine Zweifel über dessen Inhalt. Damit ergibt sich die Reichweite der vorinstanzlichen Entscheidung allein aus dem [X.]. Das [X.] hat daher ausschließlich über die Verwirklichung einer Betriebsaufgabe im [X.] sowie über die in der Folgezeit anzuwendende Gewinnermittlungsart entschieden. Die darüber hinausgehenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen sind für das angefochtene Urteil nicht tragend.

2. Vor diesem Hintergrund kann auch die [X.] (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) des [X.] nicht durchgreifen.

Eine Revisionszulassung wegen Divergenz setzt voraus, dass die herangezogenen Rechtssätze sowohl im angefochtenen Urteil als auch in der vermeintlichen Divergenzentscheidung tragend waren (vgl. [X.]enatsbeschluss vom 18. Januar 2011 [X.]34/10, [X.] 2011, 813, unter 2.b, m.w.N.). Daran fehlt es vorliegend, weil die Rechtssätze, die der Kläger der vorinstanzlichen Entscheidung --zutreffend-- entnommen hat, sich ausschließlich auf die Ausführungen des [X.] zur Einordnung der Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit beziehen. Dieser Teil der Entscheidungsgründe hat aber keinen Einfluss auf den Tenor des Zwischenurteils gehabt.

3. Aus denselben Gründen kann die Revision auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage zur Unterscheidung zwischen Masse- und Insolvenzverbindlichkeiten zugelassen werden. Auch diese Frage betrifft ausschließlich den nicht tragenden Teil der Entscheidungsgründe. [X.]ie wäre daher in einem künftigen Revisionsverfahren im [X.]treitfall nicht klärungsfähig (vgl. zur Voraussetzung der Klärungsfähigkeit [X.]enatsbeschluss vom 23. Januar 2013 [X.]84/12, [X.] 2013, 771, unter [X.], m.w.N.).

4. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die --entscheidungstragenden-- Ausführungen des [X.] zur Betriebsaufgabe hat der Kläger nicht in einer Weise dargelegt, die den Anforderungen des § 116 Abs. 3 [X.]atz 3 [X.]O genügt.

Formgerechte Darlegungen setzen in einem solchen Fall voraus, dass die Beschwerdebegründung konkrete Rechtsfragen bezeichnet und auf deren Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit im angestrebten Revisionsverfahren sowie auf deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht ([X.] vom 18. November 2010 VII B 12/10, [X.] 2011, 406, unter [X.], m.w.N.).

Vorliegend fehlt es bereits an der Formulierung einer konkreten Rechtsfrage. Der Kläger beschränkt sich vielmehr darauf, die materiell-rechtliche Richtigkeit der vorinstanzlichen Entscheidung in Frage zu stellen, was im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich nicht ausreichend ist ([X.] vom 11. Februar 2003 VIII B 159/02, [X.] 2003, 1062, und vom 26. November 2003 [X.]124/02, [X.] 2004, 754, unter [X.]).

Auch fehlt es an Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit. Der Kläger vertritt zwar sinngemäß die Auffassung, eine Betriebsaufgabeerklärung sei in allen Fällen der Betriebsaufgabe zwingend erforderlich. Er setzt sich aber nicht damit auseinander, dass dies von der Rechtsprechung und der herrschenden Literaturauffassung --mit Ausnahme der heute in § 16 Abs. 3b des Einkommensteuergesetzes geregelten Fälle, die vorliegend aber nicht einschlägig sind-- anders gesehen wird (vgl. [X.]/Wacker, E[X.]tG, 33. Aufl., § 16 Rz 188; Kulosa in [X.]/[X.]/[X.], § 16 E[X.]tG Rz 537, beide mit zahlreichen Nachweisen auf die [X.]-Rechtsprechung).

[X.]chließlich ist auch die Klärungsfähigkeit in einem künftigen Revisionsverfahren nicht dargelegt. Der Kläger vertritt sinngemäß wohl die Auffassung, [X.] habe die [X.]pielhallen ohne wesentliche Betriebsgrundlagen geführt. Er setzt sich aber nicht mit der [X.] Frage auseinander, ob die Konzessionen, deren Rückgabe durch [X.] vom [X.] ausdrücklich festgestellt worden ist, als wesentliche Betriebsgrundlage angesehen werden können.

5. Für das nach der nunmehr eingetretenen Rechtskraft des Zwischenurteils vom [X.] fortzusetzende Verfahren zur Vorbereitung des [X.] weist der [X.]enat auf die folgenden Gesichtspunkte hin:

a) Objektiv dürfte eine Divergenz der Ausführungen im nichttragenden Teil der Entscheidungsgründe des vorinstanzlichen Urteils zum Urteil des [X.] Rheinland-Pfalz vom 11. [X.]eptember 2013  2 K 2120/12 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1404) sowie eine grundsätzliche Bedeutung der dort getroffenen Aussagen wohl gegeben sein. [X.]ollte das [X.] daher im Endurteil oder einem weiteren Zwischenurteil entsprechende Ausführungen wiederholen, wird es die Zulassung der Revision nochmals zu prüfen haben, zumal zu den aufgeworfenen Rechtsfragen beim [X.] bereits die Revisionsverfahren [X.], [X.] und [X.] anhängig sind.

b) Nach Ergehen des angefochtenen Zwischenurteils hat das [X.] das Klageverfahren bis zum Ergehen einer Entscheidung im Revisionsverfahren über den Abrechnungsbescheid gemäß § 74 [X.]O ausgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem Zwischenurteil hänge die Entscheidung des Rechtsstreits u.a. davon ab, ob der Abrechnungsbescheid Bestand habe.

Der [X.]enat weist darauf hin, dass sich dem Zwischenurteil eine solche Aussage jedenfalls ausdrücklich nicht entnehmen lässt.

6. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

7. Von einer weiteren Darstellung des [X.]achverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der [X.]enat gemäß § 116 Abs. 5 [X.]atz 2 Halbsatz 2 [X.]O ab.

Meta

X B 103/14

28.01.2015

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 8. Juli 2014, Az: 9 K 2384/10 E, Zwischenurteil

§ 99 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 16 Abs 3 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28.01.2015, Az. X B 103/14 (REWIS RS 2015, 16429)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 16429

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