Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.11.2017, Az. 2 StR 404/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 2250

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Gegenstand

Strafzumessung: Prüfungsreihenfolge zur Strafrahmenwahl bei Vorliegen eines minder schweren Falls und eines gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrundes bei einem versuchten Totschlag


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 9. Mai 2017 aufgehoben

a) im Ausspruch über die Einzelstrafe wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil der Geschädigten [X.],

b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet; außerdem hatte es eine Entscheidung im Adhäsionsverfahren getroffen. Nach Aufhebung dieses Urteils hinsichtlich der Verurteilung wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe sowie der Maßregel, jeweils mit den Feststellungen, hat das [X.] den Angeklagten nunmehr wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

Der [X.] hat, was die Strafzumessung hinsichtlich des versuchten Totschlags anbelangt, ausgeführt:

„Der Ausspruch über die Einzelstrafe in Höhe von neun Jahren Freiheitsstrafe hat hingegen keinen Bestand. Das [X.] hat unter Berücksichtigung des vertypten [X.]es des § 23 Abs. 2 StGB einen minder schweren Fall gemäß § 213 2. Alt. StGB verneint, von einer Milderung des Strafrahmens nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB abgesehen und die Strafe sodann aus dem nach § 21 StGB in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 StGB entnommen ([X.]/64 ff.).

Die Strafkammer hat dabei ersichtlich nicht bedacht, dass nach ständiger Rechtsprechung in den Fällen, in denen das Gesetz bei einer Straftat einen minder schweren Fall vorsieht und im Einzelfall ein gesetzlicher [X.] nach § 49 Abs. 1 StGB gegeben ist, bei der [X.] vorrangig zu prüfen ist, ob ein minder schwerer Fall vorliegt ([X.], Beschluss vom 19. November 2013 - 2 StR 494/13, [X.], 549). Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind bei der weitergehenden Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten [X.]es gemilderten Regelstrafrahmen zu Grunde legen ([X.] aaO). Das [X.] hat diese Prüfungsreihenfolge nicht beachtet, indem es den vertypten [X.] des § 23 Abs. 2 StGB neben den allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkten in die Prüfung des minder schweren Falls des § 213 2. Alt. StGB zwar einbezogen, den gleichfalls vorliegenden vertypten [X.] des § 21 StGB bei der Prüfung offensichtlich aber unberücksichtigt gelassen hat. So geht das [X.] von vornherein von dem falschen Ansatz aus, indem es die Prüfung auf die Frage beschränkt hat, ob von einer Milderung des Strafrahmens nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB oder nach § 213 2. Alt. StGB auszugehen war ([X.]/65). Selbst wenn das [X.] die dissoziale Persönlichkeitsstruktur und alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten zur Tatzeit zugunsten des Angeklagten in die Prüfung des minder schweren Falls miteinbezieht ([X.]), ergibt sich aus der Gesamtschau der Urteilsgründe, insbesondere aus der nachfolgenden Begründung für eine Verschiebung des Strafrahmens über §§ 21, 49 Abs. 1 StGB, gleichwohl, dass das [X.] das Vorliegen des weiteren vertypten [X.]es des § 21 StGB bei der Prüfung des minder schweren Falls gemäß § 213 2. Alt. StGB nicht im Blick gehabt hat.

Zwar hat das [X.] den nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 StGB (zwei Jahre bis 11 Jahre und drei Monate) zu Grunde gelegt ([X.]); doch der gemilderte Strafrahmen des § 213 2. Alt. StGB (1 Jahr bis 10 Jahre) wäre für den Angeklagten günstiger. Da sich das [X.] mit der Verhängung einer Einzelstrafe von neun Jahren an dem oberen Bereich des eröffneten Strafrahmens orientieren wollte ([X.]), kann nicht sicher ausgeschlossen werden, dass der Tatrichter unter Zugrundelegung des Strafrahmens des § 213 StGB zu einer niedrigeren Freiheitsstrafe gelangt wäre.

Die dem Strafausspruch zu Grunde liegenden Feststellungen sind im Übrigen rechtsfehlerfrei getroffen, weshalb sie aufrechterhalten bleiben können. Der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter wäre nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.

Die Aufhebung im Ausspruch über die Einzelstrafe zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.“

3

Dem tritt der Senat bei.

Appl     

       

Eschelbach     

       

Bartel

       

Grube     

       

[X.]     

       

Meta

2 StR 404/17

16.11.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kassel, 9. Mai 2017, Az: 2640 Js 34843/15 - 1 (6) Ks

§ 21 StGB, § 23 Abs 2 StGB, § 22 StGB, § 49 Abs 1 StGB, § 212 StGB, § 213 Alt 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.11.2017, Az. 2 StR 404/17 (REWIS RS 2017, 2250)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 2250

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