Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 23.01.2015, Az. V ZR 184/14

5. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 16644

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Gegenstand

Ausübung eines Wegerechts: Pflicht des Eigentümers des herrschenden Grundstücks zum nächtlichen Abschließen eines am Wegezugang eingerichteten Tores


Leitsatz

Ob der Eigentümer des mit einer Grunddienstbarkeit in Form eines Geh- und Fahrtrechts belasteten Grundstücks von dem Dienstbarkeitsberechtigten das Verschließen eines auf dem Weg angebrachten Tores für die Zeit zwischen 22 Uhr und 7 Uhr beanspruchen kann, lässt sich nicht generell, sondern nur unter umfassender Abwägung der beiderseitigen Interessen aufgrund einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls bestimmen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten zu 2 wird das Urteil des 12. Zivilsenats des [X.] vom 25. Juli 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als seine Widerklage gegen die [X.] zu 4 bis 6 gerichtet auf das Abschließen des [X.] in der [X.] von 22 Uhr bis 7 Uhr abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Beklagte zu 2 (im Folgenden: Widerkläger) ist Miteigentümer eines Grundstücks, das seit 2003 zugunsten des jeweiligen Eigentümers des dahinter liegenden, von den [X.] zu 4 bis 6 (im Folgenden: [X.]) bewohnten Grundstücks mit einer Grunddienstbarkeit in Form eines Geh- und Fahrtrechts belastet ist.

2

Der zu dem hinteren Grundstück führende Weg kann nur nach Öffnen eines von dem Widerkläger 2011 auf seinem Grundstück errichteten [X.] benutzt werden. Das [X.] lässt sich nur mechanisch bedienen. Eine Klingel für das hintere Grundstück befindet sich an [X.] nicht.

3

Der Widerkläger verlangt von den [X.]n - soweit hier von Interesse -, [X.] in der [X.] von 22 Uhr bis 7 Uhr nach dem Durchgang, der Durchfahrt oder der sonstigen Öffnung durch sie abzuschließen. Das [X.] hat die [X.]n entsprechend verurteilt, das [X.] hat die Widerklage abgewiesen. Mit der von dem [X.] zugelassenen Revision erstrebt der Widerkläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.

4

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung unter anderem in [X.] 2014, 805 veröffentlicht ist, meint, die Widerbeklagten seien zwar zum Schließen des [X.]s nach jeder Durchfahrt bzw. jedem Durchgang verpflichtet, nicht aber zum Abschließen des [X.]s in der [X.] von 22 Uhr bis 7 Uhr. Insoweit überwiege ihr Interesse an einem möglichst ungehinderten Zugang zu ihrer Wohnung das [X.] des [X.]. Durch das Abschließen des [X.]s zur Nachtzeit würde die Erreichbarkeit des hinteren Grundstücks insbesondere für Rettungsdienste wie Notarzt und Feuerwehr in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Ob anders zu entscheiden wäre, wenn sich am [X.] eine Klingelanlage befände und die Möglichkeit bestünde, das [X.] von der Wohnung der Widerbeklagten aus zu entriegeln, könne offen bleiben, da solche technischen Anlagen nicht vorhanden seien.

II.

5

1. Über die Revision des [X.] ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Inhaltlich beruht das Urteil jedoch nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 1962 - [X.], [X.], 79, 82).

6

2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

7

a) Zutreffend geht es allerdings davon aus, dass der Widerkläger der Sache nach einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 [X.] in Verbindung mit § 1020 Satz 1 [X.] geltend macht, wozu er als Miteigentümer gemäß § 1011 [X.] befugt ist. Es macht inhaltlich keinen Unterschied, ob den Widerbeklagten - positiv - aufgegeben wird, in der [X.] zwischen 22 Uhr und 7 Uhr das [X.] nach dem Öffnen abzuschließen oder ob sie es- negativ - zu unterlassen haben, in der fraglichen [X.] das [X.] zu öffnen, ohne es abzuschließen. Der von dem Widerkläger angestrebten, gemäß § 890 Abs. 1 ZPO zu vollstreckenden Unterlassungsverurteilung kommen sie nach, wenn sie entweder das [X.] während der genannten [X.] gar nicht öffnen oder es aber nach dem Öffnen abschließen.

8

b) [X.] verneint das Berufungsgericht aber die Voraussetzungen eines solchen Unterlassungsanspruchs.

9

aa) Gemäß § 1020 Satz 1 [X.] hat der Berechtigte bei der Ausübung einer Grunddienstbarkeit das Interesse des Eigentümers des belasteten Grundstücks tunlichst zu schonen. Verstößt er gegen diese Pflicht, stellt dies eine Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne des § 1004 Abs. 1 [X.] dar (vgl. Senat, Urteil vom 19. September 2008 – [X.], [X.], 3703, 3704). Entsprechendes gilt für die Personen, die wie die Widerbeklagten ihr Besitzrecht von dem [X.] ableiten (Senat, Urteil vom 21. Mai 1971 - [X.], [X.], 960, 962).

bb) Bei der Prüfung, ob eine Dienstbarkeit schonend ausgeübt wird, sind das Interesse des Grundstückseigentümers an der ungehinderten Nutzung seines Grundstücks und das Interesse des Begünstigen an der sachgemäßen Ausübung seines Rechts gegeneinander abzuwägen (Senat, Urteil vom 6. Februar 2004 - [X.], [X.] 2004, 307, 310 mwN). Das Ergebnis hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RGRK/[X.], [X.], 12. Aufl., § 1020 Rn. 3); hierzu zählen auch individuelle, in der Person des [X.] bzw. des [X.] begründete Gegebenheiten.

cc) Die Abwägung ist daher eine Frage der tatrichterlichen Würdigung und revisionsrechtlich nur darauf überprüfbar, ob der Tatrichter wesentliche Umstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt oder von der Revision gerügte Verfahrensfehler begangen hat (vgl. zur Kündigung aus wichtigem Grund [X.], Urteil vom 1. Dezember 1993 - [X.], NJW 1994, 443, 444; [X.], Urteil vom 25. März 1993 - [X.], NJW 1993, 1972, 1973). Ein solcher Fehler liegt hier aber vor. Das Berufungsgericht hat wesentliche Abwägungsgesichtspunkte nicht berücksichtigt.

(1) Es hat dem Interesse der Widerbeklagten im [X.] allein deshalb den Vorrang gegenüber dem - nicht näher spezifizierten - Interesse des [X.] an der Sicherung seines Grundstücks eingeräumt, weil durch das Abschließen des [X.]s zur Nachtzeit die Erreichbarkeit des hinteren Grundstücks insbesondere für Rettungsdienste wie Notarzt und Feuerwehr in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt werde. Zur Notwendigkeit eines solchen Einsatzes könne es nach allgemeiner Lebenserfahrung jederzeit und unabhängig von statistischen Wahrscheinlichkeiten kommen. Mit dieser abstrakten und pauschalen Überlegung wird das Berufungsgericht dem Erfordernis einer konkreten Gewichtung und Abwägung der beiderseitigen Interessen des [X.] und des [X.] nicht gerecht. Anstelle von generalisierenden Überlegungen ist eine einzelfallbezogene Betrachtungsweise notwendig. Deshalb überzeugt auch die in der älteren Rechtsprechung (vgl. RG Recht 1908, Nr. 2184; [X.], [X.]´s Archiv Bd. 63, [X.], 111; [X.] 23, 115, 120; im Ausgangspunkt auch [X.], NJW-RR 1986, 763) vertretene Ansicht, wonach grundsätzlich - gerade umgekehrt - dem Interesse des Eigentümers des belasteten Grundstücks an einem Abschließen des [X.]s zur Nachtzeit der Vorrang einzuräumen sei, nicht. Auch dies lässt zu wenig Raum für die Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles.

(2) Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Ausgangspunktes sind die Feststellungen des Berufungsgerichts zu dem - grundsätzlich bejahten - Interesse des [X.], das er an einem Abschließen des Gittertores zur Nachtzeit hat, unzureichend. Mit welchem Gewicht dieses Interesse in die Abwägung mit einzustellen ist, hängt zunächst davon ab, wie hoch das Risiko eines unbefugten Betretens des Grundstücks durch Dritte in der [X.] zwischen 22 Uhr und 7 Uhr ist (vgl. hierzu auch [X.], Anmerkung zur Entscheidung des Berufungsgerichts in [X.] 2014, 809, 810). Wenn es etwa auf seinem Grundstück oder jedenfalls im räumlichen Umfeld bereits zu entsprechenden Vorkommnissen, insbesondere zu Einbrüchen, gekommen ist, ist sein [X.] höher zu bewerten, als wenn es um die stets gegebene, allgemeine Gefahr von Einbrüchen geht. Hierzu verhält sich das Berufungsurteil nicht.

Von Bedeutung sind auch die örtlichen Verhältnisse und die Ausgestaltung des [X.]es. Ist beispielsweise das Wohnhaus des [X.] bereits anderweitig durch einen Zaun oder Ähnliches gesichert, verliert die mit einem Abschließen des [X.]es verbundene zusätzliche Sicherung an Bedeutung. Entsprechendes gilt für den Fall, dass das [X.] durch einen Unbefugten ohne größere Schwierigkeiten überwunden werden kann, so dass ein Abschließen die Sicherheit für den Widerkläger nicht entscheidend erhöht.

(3) In gleicher Weise setzt auch die Feststellung der Interessen der Widerbeklagten daran, das [X.] während der Nachtzeit nicht zu verschließen, eine konkrete Betrachtungsweise voraus. Ihrem Interesse an einer schnellen Erreichbarkeit des Grundstückes durch Rettungskräfte - hierauf stellt das Berufungsgericht in generalisierender Weise maßgeblich ab -, kommt im Rahmen der Abwägung eine besondere Bedeutung zu, wenn in der Person der Widerbeklagten Gründe - beispielsweise eine Erkrankung - vorliegen, die einen Rettungseinsatz wahrscheinlich machen.

In die Abwägung miteinzubeziehen sind auch die Beschwerlichkeiten, die für die Widerbeklagten entstehen, wenn sie in der fraglichen [X.] zwischen 22 Uhr und 7 Uhr Besucher empfangen möchten. Da das [X.] verschlossen ist, bedarf es einer vorherigen Absprache zwischen ihnen und den Besuchern, um den Zugang zu ermöglichen. Der Umfang der hiermit verbundenen Beeinträchtigungen und ihr Gewicht im Rahmen der Abwägung hängen entscheidend davon ab, wie häufig es zu solchen Besuchen während der Nachtzeit kommt. Das Berufungsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen, vielmehr ausdrücklich offen gelassen, ob das Abschließen des [X.]es zu einer relevanten Beeinträchtigung der Nutzung des [X.] für Besucher führt.

Demgegenüber kommt dem Aufwand, der für die Widerbeklagten mit dem Abschließen des [X.]es als solchem verbunden ist, im Rahmen der Abwägung keine eigenständige Bedeutung zu, weil zwischen den Parteien rechtskräftig fest steht, dass die Widerbeklagten verpflichtet sind, das [X.] nach jeder Durchfahrt oder jedem Durchgang zu schließen. Das zusätzliche Abschließen verursacht nur einen geringfügigen Mehraufwand, wie die Revision zu Recht anmerkt.

III.

Das Berufungsurteil ist wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers im Umfang der Anfechtung aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit die notwendigen weiteren Feststellungen getroffen werden können. Den Parteien ist zuvor Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen das hiermit zugestellte Versäumnisurteil des [X.] kann die säumige Partei binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab Zustellung beim [X.]  E i n s p r u c h  einlegen. Der Einspruch muss von einem beim [X.] zugelassenen Rechtsanwalt durch Einreichung einer Einspruchsschrift eingelegt werden.

Die Einspruchsschrift muss enthalten:

1. die Bezeichnung des Urteils, gegen das der Einspruch gerichtet wird;

2. die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Einspruch eingelegt werde.

Soll das Urteil nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen.

In der Einspruchsschrift sind die Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie [X.], die die Zulässigkeit der Klage betreffen, vorzubringen. Auf Antrag kann der Vorsitzende des erkennenden Senats die Frist für die Begründung verlängern.

Bei Versäumung der Frist für die Begründung ist damit zu rechnen, dass das nachträgliche Vorbringen nicht mehr zugelassen wird.

Im Einzelnen wird auf die Verfahrensvorschriften in § 78, § 296 Abs. 1, 3, 4, § 338, § 339 und § 340 ZPO verwiesen.

[X.]                    Schmidt-Räntsch                      Czub

                     Kazele                                   [X.]

Meta

V ZR 184/14

23.01.2015

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Versäumnisurteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Karlsruhe, 25. Juli 2014, Az: 12 U 155/13, Urteil

§ 1004 Abs 1 BGB, § 1020 S 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 23.01.2015, Az. V ZR 184/14 (REWIS RS 2015, 16644)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 16644

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

V ZR 184/14

12 U 34/20

V ZR 44/19

V ZR 17/20

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