Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.01.2011, Az. 4 StR 409/10

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 10685

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Gegenstand

Vermögensbetreuungspflicht des Gerichtsvollziehers: Berechnung und Einbehalt überhöhter Gebühren zum Nachteil der Gläubiger


Leitsatz

Den Gerichtsvollzieher trifft kraft seiner gesetzlichen Stellung als Vollstreckungsorgan im Rahmen des ihm erteilten Vollstreckungsauftrags eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger.

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] ([X.]) vom 22. April 2010 wird

a) das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen [X.], 29, 60 und 75 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen;

b) das vorbezeichnete Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Untreue in Tateinheit mit Gebührenüberhebung in 57 Fällen und der [X.] in sieben Fällen schuldig ist.

Die Einzelstrafen für die Taten [X.], 15, 18, 23, 26, 28, 29, 33, 39, 41, 44, 48, 50, 53, 55, 58, 60, 62, 65, 70, 73, 75, 77 und 81 der Urteilsgründe entfallen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Angeklagte hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Gebührenüberhebung in 81 Fällen, jeweils in Tateinheit mit Untreue, und wegen Abgabenüberhebung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zudem hat es dem Angeklagten die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, für die Dauer von zwei Jahren aberkannt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen und Wertungen erhob der Angeklagte als Gerichtsvollzieher in einer Vielzahl von Vollstreckungsverfahren zu hohe Gebühren. Nachdem der Angeklagte in den verschiedenen Vollstreckungsverfahren bereits früher tätig gewesen war und Teilzahlungen der Schuldner entgegen genommen hatte, erbrachten die Schuldner in den einzelnen Fällen jeweils weitere freiwillige Teilleistungen an den Angeklagten. Dieser hätte für die Entgegennahme dieser weiteren Teilzahlungen nach den [X.] (Gerichtsvollzieherkostengesetz – GvKostG) vom 19. April 2001 ([X.] I S. 623) maximal jeweils Gebühren in Höhe von 3,60 € ansetzen dürfen. Soweit der Vollstreckungsschuldner freiwillig an den Gerichtsvollzieher zahlt, fällt - nach § 10 Abs. 2 Satz 3 GvKostG für jede Zahlung - lediglich eine Hebegebühr nach Nr. 430 KV-GvKostG in Höhe von 3 € an ([X.], Kostengesetze, 39. Aufl., 430 KVGv Rn. 3), die als Festgebühr die gesamte Tätigkeit des Gerichtsvollziehers abgilt. Hinzu kommt die Pauschale für sonstige bare Auslagen nach Nr. 713 KV-GvKostG in Höhe von 20 % des Betrages von 3 €. Tatsächlich berechnete der Angeklagte in den einzelnen Fällen Gebühren von 21,10 € und erhob damit um 17,50 € überhöhte Gebühren, die er jeweils von den vereinnahmten Teilzahlungen der Schuldner vor Weiterleitung an die Gläubiger in Abzug brachte.

3

2. Der Senat stellt das Verfahren aus verfahrensökonomischen Gründen auf Antrag des [X.] gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte in den Fällen [X.], 29, 60 und 75 der Urteilsgründe verurteilt worden ist. Den Urteilsgründen ist nämlich in den Fällen [X.], 60 und 75 nicht hinreichend zu entnehmen, ob der Angeklagte überhöhte Gebühren anlässlich freiwilliger Teilzahlungen der Vollstreckungsschuldner erhoben hat. Im Fall [X.] sind die von der [X.] getroffenen Feststellungen zu den erhaltenen und weitergeleiteten Beträgen widersprüchlich.

4

3. In den verbleibenden Fällen tragen die Feststellungen die Verurteilung des Angeklagten wegen Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB. Entgegen der Ansicht des [X.]s hat der Angeklagte allerdings jeweils Untreuetaten zum Nachteil der Gläubiger begangen. Durch die Berechnung überhöhter Gebühren und deren Einbehalt bei der Weiterleitung der vereinnahmten Teilzahlungen hat der Angeklagte die ihm als Gerichtsvollzieher gegenüber den Gläubigern obliegende Vermögensbetreuungspflicht verletzt und den Gläubigern einen Vermögensnachteil zugefügt.

5

a) Den Gerichtsvollzieher trifft [X.] als Vollstreckungsorgan gemäß §§ 753 ff. ZPO im Rahmen des ihm erteilten Vollstreckungsauftrags eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Gläubigern (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 20. Oktober 1959 – 1 [X.], [X.]St 13, 274; [X.], 31). Zwar handelt der Gerichtsvollzieher hoheitlich und wird nicht als Vertreter des Gläubigers tätig ([X.]/[X.], ZPO, 28. Aufl., § 753 Rn. 4). Die Zwangsvollstreckung dient aber den Gläubigerinteressen. Sie erfordert als verfahrenseinleitende Prozesshandlung einen Antrag des Gläubigers. Damit bestimmt der Gläubiger Beginn, Art und Ausmaß des Vollstreckungszugriffs. Er hat die Herrschaft über seinen vollstreckbaren Anspruch und bleibt somit auch "Herr" seines Verfahrens ([X.]/[X.] aaO Vor § 704 Rn. 19). Zudem hat der Gerichtsvollzieher die Vorschriften der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher ([X.]) zu beachten (vgl. [X.]/[X.] aaO § 753 Rn. 4). Deren Einhaltung gehört nach § 1 Abs. 4 [X.] zu den Amtspflichten des Gerichtsvollziehers. Nach § 58 Nr. 1 [X.] handelt der Gerichtsvollzieher bei der ihm zugewiesenen Zwangsvollstreckung selbständig. Er hat gemäß § 58 Nr. 2 [X.] die Weisungen des Gläubigers insoweit zu berücksichtigen, als sie mit den Gesetzen oder der Geschäftsanweisung nicht in Widerspruch stehen. Insbesondere hat der Gerichtsvollzieher nach § 106 Nr. 6 [X.] die empfangene Leistung und nach § 138 Nr. 1 [X.] bzw. § 170 [X.] gepfändetes oder ihm gezahltes Geld nach Abzug der Vollstreckungskosten unverzüglich an den Gläubiger abzuliefern. Gegen diese Amtspflichten hat der Angeklagte verstoßen, indem er das von den [X.] erhaltene Geld im Umfang der zuviel einbehaltenen Gebühren nicht an die Gläubiger weitergeleitet hat.

6

b) Die Forderung des jeweiligen Gläubigers ist zwar nicht bereits durch die Zahlung des jeweiligen Vollstreckungsschuldners an den Angeklagten als Gerichtsvollzieher im Sinne des § 362 BGB teilweise erfüllt worden. Die Erfüllungswirkung gemäß § 362 BGB tritt bei Zahlung erst ein, wenn der Gerichtsvollzieher das empfangene Geld an den Gläubiger weitergeleitet hat. Fehlt es hieran, ist die beizutreibende Forderung nicht durch Erfüllung erloschen ([X.], Beschluss vom 29. Januar 2009 – [X.], [X.], 466; [X.]/ [X.] aaO § 754 Rn. 6). § 362 Abs. 2 BGB i.V.m. § 185 BGB ist nicht anwendbar, weil die Rechtsstellung des Gerichtvollziehers gemäß § 754 ZPO nicht auf einem bürgerlich-rechtlichen Rechtsverhältnis zum Gläubiger, sondern auf seiner Stellung als auch im Bereich der Entgegennahme freiwilliger Zahlungen hoheitlich handelndes Organ der Zwangsvollstreckung beruht.

7

Auf freiwillige Zahlungen des Schuldners an den Gerichtsvollzieher ist aber § 815 Abs. 3 ZPO analog anwendbar ([X.], Beschluss vom 29. Januar 2009 – [X.], [X.], 466, 467; [X.]/[X.] aaO § 754 Rn. 6; Musielak/[X.], ZPO, 7. Aufl., § 815 Rn. 5). Nach der überwiegenden Ansicht in der Rechtsprechung und Literatur wird § 815 Abs. 3 ZPO nicht als [X.], sondern als eine von § 270 BGB abweichende Regelung über die Gefahrtragung verstanden (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Januar 2009 – [X.] aaO; Urteil vom 30. Januar 1987 – [X.], [X.] 102, 366; [X.]/[X.] aaO § 815 Rn. 2; Musielak/[X.] aaO § 815 Rn. 4; [X.]/[X.], 3. Aufl., § 815 Rn. 14). Der Schuldner ist bei freiwilliger Leistung unter dem Druck drohender Pfändung ebenso schutzwürdig wie bei der Wegnahme ([X.], Beschluss vom 29. Januar 2009 – [X.] aaO; Musielak/[X.] aaO § 815 Rn. 5). Dieser Schutz des Schuldners trägt dem Umstand Rechnung, dass er auf den weiteren Verfahrensablauf keinen Einfluss nehmen kann ([X.]/[X.] aaO § 815 Rn. 14). Verwendet der Gerichtsvollzieher das Geld nicht entsprechend den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften, trägt der Gläubiger somit die Gefahr. Er kann den Schuldner nicht nochmals in Anspruch nehmen.

8

4. Die Annahme selbständiger, real konkurrierender Taten durch das [X.] hält in den vom [X.] in seiner Antragsschrift vom 10. August 2010 genannten Fällen sowie in den Fällen [X.] und 13 der Urteilsgründe der rechtlichen Überprüfung nicht stand. In diesen Fällen teilte der Angeklagte die von den [X.] geleisteten Zahlungen auf und leitete die Gelder am selben Tag an zwei Gläubiger weiter, wobei er jeweils zu hohe Gebühren in Höhe von 17,50 € in Abzug brachte. Die jeweils am selben Tag vorgenommenen Überweisungen bzw. Ausbuchungen stehen in natürlicher Handlungseinheit. Eine solche liegt vor, wenn zwischen einer Mehrheit strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des [X.] auch für einen Dritten objektiv als [X.] erscheint, und wenn die einzelnen Betätigungen auf einer einzigen Willensentschließung beruhen ([X.], Beschlüsse vom 14. September 2010 – 4 [X.]; vom 3. August 2010 – 4 [X.] und vom 18. Mai 2010 – 4 [X.] m.w.N.). Angesichts des Umstandes, dass die am selben Tag vorgenommenen Überweisungen bzw. Ausbuchungen jeweils denselben Vollstreckungsschuldner betrafen, liegt es nahe, dass der Angeklagte die Verfügungen zusammen erledigte und nicht aufgrund eines neuen Tatentschlusses handelte.

9

Da jeweils zwei Gläubiger geschädigt wurden, ist gleichartige Idealkonkurrenz gegeben ([X.], Urteil vom 1. Oktober 1985 – 1 [X.], wistra 1986, 67; [X.], Beschlüsse vom 8. April 1998 – 1 StR 128/98, [X.], 234 und vom 9. März 2010 – 4 StR 23/10; vgl. auch Fischer, StGB, 58. Aufl., § 266 Rn. 194 m.w.N.).

5. Einer Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe bedarf es nicht. Denn durch die Zusammenfassung mehrerer Taten zu jeweils einer einzigen Tat ändert sich deren Schuldgehalt nicht ([X.], Beschlüsse vom 3. August 2010 – 4 [X.] und vom 9. März 2010 – 4 [X.]). Der Senat schließt im Hinblick auf die Anzahl und Höhe der verbleibenden Einzelstrafen - 57 [X.] von einem Monat und sieben [X.] von drei Monaten - aus, dass die verhängte Gesamtstrafe bei zutreffender Beurteilung des [X.] und ohne die eingestellten Fälle niedriger ausgefallen wäre.

6. Der nur geringe Teilerfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten nach § 473 Abs. 4 StPO teilweise von den nach der [X.] verbleibenden, durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen.

[X.]

                       Mutzbauer                                            [X.]

Meta

4 StR 409/10

07.01.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankenthal, 22. April 2010, Az: 2 KLs 5101 Js 12960/07, Urteil

§ 266 Abs 1 StGB, § 753 ZPO, §§ 753ff ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.01.2011, Az. 4 StR 409/10 (REWIS RS 2011, 10685)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10685

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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