Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.10.2019, Az. 1 C 43/18

1. Senat | REWIS RS 2019, 2110

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Gegenstand

Abstammung von einem bei Kriegsende noch lebenden deutschen Volkszugehörigen


Leitsatz

1. § 4 Abs. 1 Nr. 3 und § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG liegt ein weiter, generationenübergreifender Abstammungsbegriff zugrunde, der neben den Eltern auch die Voreltern, mithin die Großeltern und gegebenenfalls auch die Urgroßeltern erfasst (Bestätigung der Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2008 - 5 C 8.07 - BVerwGE 130, 197).

2. Spätaussiedler im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG kann nur sein, wer von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt, der zu dem nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 BVFG maßgeblichen Stichtag noch gelebt und seinen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet hat.

3. Die deutsche Volkszugehörigkeit der Person, von der die Abstammung hergeleitet wird, beurteilt sich im Rahmen sowohl des § 4 Abs. 1 Nr. 3 als auch des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Geburt des Aufnahmebewerbers.

Tatbestand

1

Der im April 1964 geborene Kläger ist [X.] Staatsangehöriger. Er begehrt die Aufnahme als Spätaussiedler.

2

Sein Vater und seine im August 1935 geborene Mutter sind in seiner im Mai 2011 ausgestellten Geburtsurkunde jeweils mit [X.] Nationalität vermerkt. In der im Mai 2011 ausgestellten Geburtsurkunde seiner Mutter sind sein im September 1942 im [X.] gefallener Großvater mütterlicherseits mit [X.] und seine im März 1997 verstorbene Großmutter mütterlicherseits mit [X.] Nationalität vermerkt. In die im August 1993 beziehungsweise im März 1995 ausgestellten Inlandspässe des [X.] wurde dessen Nationalität jeweils mit der Angabe "[X.]" eingetragen.

3

Im März 2015 beantragte der Kläger seine Aufnahme als Spätaussiedler aus den Republiken der ehemaligen [X.]. Antrag und Widerspruch blieben ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es habe nicht feststellen können, dass der Kläger von einem [X.] Staatsangehörigen oder [X.] Volkszugehörigen abstamme. Seine Eltern seien nicht als [X.] Volkszugehörige anzusehen, weil sie sich nicht zum [X.] Volkstum bekannt hätten. Auch der Großvater mütterlicherseits sei kein [X.] Volkszugehöriger, da auch in Bezug auf seine Person nicht ersichtlich sei, dass er sich bis zum Beginn der allgemeinen, gegen die [X.] Bevölkerung gerichteten Vertreibungsmaßnahmen in der früheren [X.] am 22. Juni 1941 zum [X.] Volkstum bekannt habe. Es lägen keine zu Lebzeiten ausgestellten Urkunden vor, in denen er mit [X.] Nationalität eingetragen sei.

4

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] zurückgewiesen. Der Kläger könne nicht Spätaussiedler im Sinne des allein in Betracht kommenden § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] sein. Er stamme nicht von einer Person ab, die die Stichtagsvoraussetzung des 8. Mai 1945 nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 [X.] erfülle, da der insoweit einzig in Betracht zu ziehende Großvater mütterlicherseits bereits im September 1942 verstorben sei. Daher bedürfe es keiner weitergehenden Prüfung, ob dieser [X.] Volkszugehöriger gewesen sei.

5

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.]. Der Wortlaut der Norm bedürfe einer erweiternden Auslegung, da die Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht dazu führe, dass die Abstammung über eine elterliche oder großelterliche Bezugsperson nicht hergeleitet werden könne, wenn sich diese bis zum Stichtag am 22. Juni 1941 zur [X.] Bevölkerungsgruppe bekannt habe, danach indes Opfer einer Verschleppungsmaßnahme geworden und in deren Rahmen, insbesondere vertreibungsbedingt, verstorben sei. In einem solchen Fall genüge es, dass nach dem Versterben der Bezugsperson vor dem Stichtag wenigstens eine weitere Person feststellbar sei, die von dieser Bezugsperson abstamme, selbst aber nicht [X.] Volkszugehörige im Sinne von § 6 [X.] sei.

6

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil, soweit dieses den Abstammungsbegriff auf die Eltern- und Großelterngeneration beschränkt habe. [X.] sei hingegen die Rechtsauffassung des [X.], Spätaussiedler im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] könne nur sein, wer von einem [X.] Staatsangehörigen oder Volkszugehörigen abstamme, der an den in § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] in Bezug genommenen Stichtagen noch gelebt habe. An die Stelle des betreffenden Stichtages trete in einem solchen Fall der vor diesem Zeitpunkt liegende Todestag. Das Oberverwaltungsgericht habe bislang nicht geprüft, ob der Großvater des [X.] mütterlicherseits [X.] Volkszugehöriger im Sinne des § 6 Abs. 1 [X.] gewesen sei.

7

Der Vertreter des [X.] beim [X.] hat sich nicht an dem Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des [X.] ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung von § 4 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge ([X.] - [X.]) i.V.m. § 6 [X.] a.F., soweit es davon ausgeht, für die Frage der Abstammung könne nicht auf die Mutter des [X.] abgestellt werden, da diese [X.] Volkszugehörige sei (1.). Das Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO) (2.). In Ermangelung hinreichender tatsächlicher Feststellungen zu der Volkszugehörigkeit der Mutter des [X.] war der Rechtsstreit an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) (3.).

9

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der hier vorliegenden Verpflichtungsklage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des [X.] - sie zu berücksichtigen hätte. Der von dem Kläger im Wege der Verpflichtungsklage verfolgte Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides beurteilt sich somit in rechtlicher Hinsicht grundsätzlich nach dem [X.] in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 ([X.]), zuletzt geändert durch Art. 3 des am 11. Mai 2019 in [X.] getretenen Gesetzes vom 6. Mai 2019 ([X.]). Ein abweichender Beurteilungszeitpunkt ist nur zugrunde zu legen, wenn und soweit das materielle Recht dies ausnahmsweise gebietet. Dies ist hier in Bezug auf die Beurteilung der Volkszugehörigkeit der Mutter des [X.] der Fall (s.u. 1.c).

Gemäß § 26 [X.] wird Personen, die die [X.] als [X.] verlassen wollen, um im Geltungsbereich des [X.]es ihren ständigen Aufenthalt zu nehmen, nach Maßgabe der folgenden Vorschriften ein Aufnahmebescheid erteilt. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.] wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den [X.]n erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als [X.] erfüllen. [X.] ist gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] in der Regel ein [X.] Volkszugehöriger, der die Republiken der ehemaligen [X.] nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor seit seiner Geburt seinen Wohnsitz in den [X.]n hatte, wenn er vor dem 1. Januar 1993 geboren ist und von einer Person abstammt, die die Stichtagsvoraussetzung des 8. Mai 1945 nach § 4 Abs. 1 [X.] [X.] oder des 31. März 1952 nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 [X.] erfüllt, es sei denn, dass Eltern oder Voreltern ihren Wohnsitz erst nach dem 31. März 1952 in die [X.] verlegt haben. Wer nach dem 31. Dezember 1923 geboren worden ist, ist gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] [X.] Volkszugehöriger, wenn er von einem [X.] Staatsangehörigen oder [X.] [X.] abstammt und sich bis zum Verlassen der [X.] durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum [X.] Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur [X.] Nationalität gehört hat.

1. Sowohl § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] als auch § 6 Abs. 2 [X.] liegt ein weiter, generationenübergreifender Abstammungsbegriff zugrunde, der neben den Eltern auch die Voreltern, mithin die Großeltern und gegebenenfalls auch die Urgroßeltern erfasst (a). [X.] im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] kann nur sein, wer von einem [X.] Staatsangehörigen oder [X.] [X.] abstammt, der zu dem nach § 4 Abs. 1 [X.] oder 2 [X.] maßgeblichen Stichtag noch gelebt hat (b). Die [X.] Volkszugehörigkeit der Person, von der die Abstammung hergeleitet wird (im Folgenden: Bezugsperson), beurteilt sich im Rahmen sowohl des § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] als auch des § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Geburt des [X.]s (c). Das Oberverwaltungsgericht hat im Einklang mit § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] entschieden, dass der Großvater mütterlicherseits des [X.] als Bezugsperson ausscheidet (d). Demgegenüber ist es in Bezug auf eine etwaige [X.] Volkszugehörigkeit der Mutter des [X.] von einem unzutreffenden Prüfungsmaßstab ausgegangen (e).

a) Sowohl § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] als auch § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] liegt ein weiter, generationenübergreifender Abstammungsbegriff zugrunde (vgl. [X.], Urteil vom 25. Januar 2008 - 5 C 8.07 - [X.]E 130, 197 Rn. 12 ff.). Dieser erfasst als Bezugspersonen nicht allein die Eltern, sondern auch die Voreltern, zu denen neben den Großeltern gegebenenfalls auch die Urgroßeltern zählen (a.A. OVG Münster, Urteil vom 2. Juli 2018 - 11 A 2091/17 - juris Rn. 22 ff.). Eine geschlossene Kette [X.] Staatsangehörigkeit oder [X.] Volkszugehörigkeit ist insoweit nicht erforderlich.

Der Begriff der Voreltern ist nach seinem natürlichen [X.]rachgebrauch nicht auf eine bestimmte Anzahl von Generationen begrenzt. Er steht vielmehr für eine unbestimmte Bezeichnung der entfernteren Ahnen ([X.] Wörterbuch von [X.] und [X.], [X.] 1854-1961, Bd. 26 <1951>, [X.]. 998) und erfasst in biologischer Hinsicht die Verwandten in gerader aufsteigender Linie (§ 1589 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. auch von [X.], Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht, Stand September 2019, § 6 [X.] n.F. Rn. 198 f.). Auch im vertriebenenrechtlichen Kontext weist nichts auf eine Beschränkung des [X.] oder für den Abkömmlingsbegriff auf das Erfordernis einer durch die [X.] Staatsangehörigkeit oder die [X.] Volkszugehörigkeit vermittelten ununterbrochenen Kette hin.

Systematisch bedingt gerade der Umstand, dass der Status als [X.] im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] auch Personen offensteht, die bis zum 31. Dezember 1992 geboren wurden, dass die Urgroßeltern als mögliche Bezugspersonen nicht auszuschließen sind. Dass es einer geschlossenen Kette [X.] Staatsangehörigkeit oder [X.] Volkszugehörigkeit im Rahmen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] und des § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht bedarf, folgt aus einem Umkehrschluss aus § 6 Abs. 2 Satz 2 [X.], dem zufolge das Bekenntnis zum [X.] Volkstum auch durch den Nachweis familiär - und damit auch durch andere Personen als die Eltern - vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden kann (von [X.], Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht, Stand September 2019, § 6 [X.] n.F. Rn. 205).

Der weite, generationenübergreifende Abstammungsbegriff trägt dem Ausmaß der Erschütterungen, die die Lebensgrundlagen der Angehörigen der [X.] Minderheiten während und infolge des [X.] durch gewaltsame Umsiedlung, [X.], Zerstreuung und Unterdrückung in den [X.]n beeinträchtigten, und den Auswirkungen der staatlichen Assimilationsmaßnahmen auf das Leben der Deutschstämmigen in der ehemaligen [X.] (vgl. [X.]. 15/955 [X.]4) in angemessener Weise Rechnung. Eines auf die Voreltern bezogenen ungeschriebenen "Generationenschnitts" bedarf es nicht, da das Gesetz den Erwerb des [X.]status in § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] durch den Verweis auf die Stichtagserfordernisse des § 4 Abs. 1 [X.] und 2 [X.] und den "[X.]" der Geburt des [X.]s vor dem 1. Januar 1993 ([X.], Urteil vom 19. April 1994 - 9 C 20.93 - [X.]E 95, 311 <315 f.>) sowie in § 6 Abs. 2 [X.] durch das Bekenntnis zum [X.] Volkstum und dessen Bestätigung ausdrücklichen zeitlichen und sachlichen Beschränkungen unterwirft (vgl. bereits [X.], Urteil vom 25. Januar 2008 - 5 C 8.07 - [X.]E 130, 197 Rn. 14).

Auch die Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] und des § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] weist weder auf einen solchen "Generationenschnitt" noch darauf, dass ein "Überspringen von Generationen" nicht möglich sein soll. Ein solches Normverständnis ist insbesondere den Materialien des Gesetzes zur Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen (Kriegsfolgenbereinigungsgesetz) nicht zu entnehmen. Ebenso wenig berühren die durch das am 14. September 2013 in [X.] getretene Zehnte Gesetz zur Änderung des [X.]es vom 6. September 2013 ([X.] I S. 3554) bewirkten Änderungen des § 6 Abs. 2 [X.] das Merkmal der Abstammung, für das der Gesetzgeber jedenfalls seit dem Urteil des [X.] vom 25. Januar 2008 - 5 C 8.07 - von einem generationenübergreifenden Abstammungsbegriff ausgehen musste. Diese Änderungen betrafen vielmehr allein die weitere - in Abgrenzung zu § 6 Abs. 1 [X.] - eigenständig geregelten Voraussetzungen des Bekenntnisses zum [X.] Volkstum und der Bestätigung dieses Bekenntnisses. Insbesondere rechtfertigt es die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, die familiäre Vermittlung der [X.] [X.]rache nicht länger als unabdingbare Voraussetzung für die [X.] Volkszugehörigkeit anzusehen und vor allem jüngeren deutschstämmigen Personen alternativ auch ein Bekenntnis zum [X.] Volkstum durch den Nachweis anderweitig erworbener ausreichender [X.] [X.]rachkenntnisse zu ermöglichen ([X.]. 17/13937 S. 6 und 7), nicht, nunmehr den unverändert gebliebenen Abstammungsbegriff teleologisch auf solche Voreltern [X.] Volkszugehörigkeit zu beschränken, denen eine maßgebliche Erziehungs- oder Prägungsfunktion zukam und die so in der Lage waren, [X.] Volkszugehörigkeit auch tatsächlich generationenübergreifend zu vermitteln oder den Abkömmling sonst volkstumsmäßig zu prägen. Eine derartige Einschränkung könnte - allzumal nach dem Verzicht auf eine zwingende familiäre Vermittlung der [X.] [X.]rache - allein der Gesetzgeber vornehmen.

b) [X.] im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] kann nur sein, wer von einem [X.] Staatsangehörigen oder einem [X.] [X.] abstammt (aa), der zu dem nach § 4 Abs. 1 [X.] oder 2 [X.] maßgeblichen Stichtag noch - mit Wohnsitz im [X.] - gelebt hat (bb).

aa) Die Person, von der der [X.] abstammt, muss ihrerseits die [X.] Staatsangehörigkeit oder die [X.] Volkszugehörigkeit besitzen.

Allerdings ist der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] insoweit unergiebig, als er einerseits ein entsprechendes einschränkendes Merkmal nicht ausdrücklich vorsieht, andererseits einem solchen auch nicht widerstreitet.

Auf das Erfordernis einer [X.] Staatsangehörigkeit oder einer [X.] Volkszugehörigkeit der Bezugsperson weist indes insbesondere der enge Konnex zwischen § 4 Abs. 1 [X.] und § 6 Abs. 2 [X.] (in diesem Sinne auch von [X.], Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht, Stand September 2019, § 6 [X.] n.F. Rn. 204). Danach bedingt der Status als [X.] im Sinne des § 4 Abs. 1 [X.] im Regelfall, dass der [X.] [X.] Volkszugehöriger ist, was gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] dann der Fall ist, wenn er von einem [X.] Staatsangehörigen oder [X.] [X.] abstammt und sich bis zum Verlassen der [X.] durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum [X.] Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur [X.] Nationalität gehört hat. Somit ist [X.] im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] nur derjenige [X.] Volkszugehörige, der seinerseits von einem [X.] Staatsangehörigen oder [X.] [X.] abstammt. Abstammung bedeutet mithin Abstammung von [X.] Personen (vgl. [X.], Urteil vom 28. Februar 1979 - 8 C 61.78 - [X.] 412.3 § 6 [X.] Nr. 37 S. 17).

Dieses Ergebnis der systematischen Auslegung wird durch den Sinn und Zweck des § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] bestätigt. Mit dem Wohnsitzerfordernis zu bestimmten Stichtagen wird der zeitlich-örtliche Bezug zu den [X.] hergestellt, von denen die [X.] Bevölkerung in den [X.]n (als sog. Erlebnisgeneration) betroffen war; die Regelung erfasst in [X.] und 2 unmittelbar nur [X.] Volkszugehörige und setzt dies in Nr. 3 für die Bezugsperson erkennbar voraus. Dieses Verständnis liegt erkennbar auch dem Urteil des 5. Senats vom 25. Januar 2008 - 5 C 8.07 - ([X.]E 130, 197 Rn. 14) zugrunde.

Es wird auch durch die Entstehungsgeschichte des § 4 [X.] bestätigt. So führte die Bundesregierung in ihrem Entwurf des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes aus, in § 4 [X.]-E werde der Personenkreis der [X.] abgegrenzt. Maßgebendes Kriterium für die Eigenschaft des [X.]s sei neben bestimmten Stichtagserfordernissen die [X.] Volkszugehörigkeit. Als [X.] Volkszugehörige kämen nach § 6 [X.]-E nur Personen in Betracht, die (bezogen auf das Kriegsende) von einem [X.] Staatsangehörigen oder [X.] [X.] abstammten oder denen [X.] im Sinne des § 6 [X.]-E vermittelt worden seien, die sie dem [X.] Volkstum zuwiesen. Dies und das weiterhin geforderte aktuelle Bekenntnis zum [X.] Volkstum in den [X.]n stellten sicher, dass nur Personen berücksichtigt würden, die sich das Bewusstsein, [X.] Volkszugehörige zu sein, erhalten hätten ([X.]. 12/3212 S. 22 f.). Dass § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] nunmehr weder ein durchgängiges Bekenntnis zum [X.] Volkstum noch zur Bestätigung dieses Bekenntnisses eine innerfamiliäre Vermittlung [X.] [X.]rachkenntnisse oder sonstiger Elemente [X.] Volkszugehörigkeit zwingend fordert, ändert nichts an der Funktion der Abstammung als Grundvoraussetzung für die Zugehörigkeit zum [X.] Volkstum.

bb) § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] setzt im Unterschied zu § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] zudem voraus, dass die Bezugsperson die Stichtagsvoraussetzung des 8. Mai 1945 nach § 4 Abs. 1 [X.] [X.] oder des 31. März 1952 nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 [X.] erfüllt. Sie muss daher grundsätzlich am 8. Mai 1945, für den Fall ihrer Vertreibung oder der Vertreibung eines Elternteils am 31. März 1952, ihren Wohnsitz in dem [X.] gehabt und damit zu diesen Stichtagen noch gelebt haben.

Der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. [X.] oder 2 [X.] ist diesbezüglich eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich. Eine analoge Anwendung oder teleologische Extension der Norm auf den Fall der Abstammung des [X.]s von einem Vorelternteil [X.] Volkszugehörigkeit, der bei Beginn der mit dem Ausbruch des [X.] am 22. Juni 1941 einsetzenden inneren [X.] ([X.], Urteil vom 13. Juni 1995 - 9 [X.] - [X.] 412.3 § 6 [X.] Nr. 78 S. 39 und 42 ff.) seinen Wohnsitz in dem [X.] hatte und diesen bis zu seinem Tod vor dem Wirksamwerden der [X.] Kapitulation am 8. Mai 1945 beibehalten hatte, kommt nicht in Betracht. Insoweit fehlt es schon an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Problematik des Vorversterbens der Bezugsperson war im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, das zum Erlass des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes geführt hat, wenn auch in anderem Zusammenhang, Gegenstand sowohl des Entwurfs der Bundesregierung zu § 6 Abs. 2 [X.]-E ([X.]. 12/3212 [X.]) als auch eines [X.] des [X.] in der Sitzung des [X.] am 3. September 1992 (Prot. der 220. Sitzung vom 3. September 1992 S. 57); sie ist indes vom Gesetzgeber - zumal in § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] - nicht aufgegriffen worden. Es entspricht deshalb dem Willen des Gesetzgebers, dass dem [X.] in Fällen des [X.] [X.] Volkszugehörigkeit nur ein nachfolgendes Glied der Generationenfolge, d.h. ein am 8. Mai 1945 lebender Abkömmling des Verstorbenen, die Abstammung im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] vermitteln kann. Dafür muss es sich indes (auch) bei dieser Person um einen [X.] [X.] handeln.

c) Im Rahmen sowohl des § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] als auch des § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist hinsichtlich des Vorliegens der [X.] Volkszugehörigkeit der Bezugsperson auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Geburt des [X.]s abzustellen.

Sowohl § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] als auch § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] knüpfen, wenn auch in anderem Zusammenhang, an das Merkmal der Geburt an. Wie unter a) ausgeführt, ist der Begriff der Abstammung in dem Sinne biologisch geprägt, als keine weitergehende Vermittlung der [X.] Volkszugehörigkeit im sprachlich-kulturellen oder [X.] Sinne gefordert ist. Ob jemand von einem [X.] [X.] oder [X.] Staatsangehörigen abstammt, wird dann aber im Zeitpunkt der Geburt fixiert und ist keinen Veränderungen im weiteren Zeitverlauf zugänglich. Dass sich die [X.] Volkszugehörigkeit der Person, von der der [X.] seine Abstammung herleitet, damit generell nach § 6 [X.] in der vor dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung beurteilt, erweist sich auch im Ergebnis als sachgerecht. Denn der für die Beurteilung der [X.] Volkszugehörigkeit von [X.]n aktuell geltende § 6 Abs. 2 [X.] ist erkennbar auf den [X.] selbst zugeschnitten und nicht auf Personen, die zumeist nicht selbst aussiedeln wollen und teilweise schon verstorben sind. [X.] § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] sicherzustellen, dass der [X.] seine Abstammung auf einen bei Kriegsende im [X.] lebenden und damit von den [X.] potentiell betroffenen [X.] [X.] zurückführen kann, kann die [X.] Volkszugehörigkeit dieser Bezugsperson sinnvoll nur nach den Kriterien des alten Rechts, das maßgeblich auf Umstände bei Beginn der allgemeinen [X.] abstellte (siehe näher unten), geprüft werden.

d) Gemessen daran hat das Oberverwaltungsgericht im Einklang mit § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] entschieden, dass der Großvater mütterlicherseits des [X.] als Bezugsperson ausscheidet, da er bereits im September 1942 im [X.] gefallen war und somit am 8. Mai 1945 keinen Wohnsitz im [X.] mehr hatte.

e) Demgegenüber verstößt die Annahme des [X.], für die Frage der Abstammung könne nicht auf die Mutter des [X.] abgestellt werden, da diese nach dessen Angaben und den vorgelegten Unterlagen [X.] Volkszugehörige sei, gegen § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] i.V.m. § 6 [X.] a.F., da das Berufungsgericht dieser Bewertung nach dem Zusammenhang ersichtlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung, nicht hingegen diejenige im Zeitpunkt der Geburt des [X.] zugrunde gelegt hat. Damit ist es von einem unzutreffenden Prüfungsmaßstab ausgegangen.

Ausgehend von der Rechtslage im Zeitpunkt der Geburt des [X.] wäre die Volkszugehörigkeit seiner Mutter unter Rückgriff auf die Grundsätze der Rechtsprechung zu § 6 [X.] in der vor dem 1. Januar 1993 gültigen Fassung zu beurteilen gewesen. Das alte, bis zum 31. Dezember 1992 geltende Recht unterschied zwischen [X.] Personen, nämlich solchen, die bei Beginn der allgemeinen [X.] für ein Bekenntnis reif genug waren, zu diesem Zeitpunkt noch nicht [X.] Personen (sog. bekenntnisunfähige Frühgeborene) und nach diesem Zeitpunkt geborenen Personen (sog. [X.]ätgeborene) ([X.], Urteil vom 29. August 1995 - 9 [X.] - [X.]E 99, 133 <136 f.>). Zu Beginn der [X.] am 22. Juni 1941 war die Mutter des [X.] noch keine sechs Jahre alt und damit bekenntnisunfähig. Bei einem Kind, das kurz vor Beginn der allgemeinen [X.] noch nicht selbst ein verbindliches eigenes Volkstumsbekenntnis ablegen konnte, war entscheidend auf die Volkszugehörigkeit der Eltern und bei Eltern verschiedenen Volkstums wiederum darauf abzustellen, ob der die Familie prägende Elternteil zum maßgeblichen Zeitpunkt [X.] Volkszugehöriger war. Maßgebend war daher insoweit, ob sich die Eltern oder der die Familie zu diesem Zeitpunkt prägende Elternteil kurz vor Beginn der [X.] zum [X.] Volkstum bekannt haben. Eines zusätzlichen späteren Bekenntnisses des zu diesem Zeitpunkt Minderjährigen und einer späteren Bestätigung des Bekenntnisses bedurfte es nicht, weil es auf das Verhalten nach dem maßgebenden Zeitpunkt nicht ankam. Somit konnte auch ein Kind aus einer Familie im gemischten Volkstum [X.] Volkszugehörigkeit sein, wenn der die Familie prägende Elternteil [X.] Volkszugehöriger war ([X.], Urteile vom 11. Dezember 1974 - 8 C 97.73 - [X.] 412.3 § 6 [X.] Nr. 27 S. 26 f., vom 23. Februar 1988 - 9 C 41.87 - [X.]E 79, 73 <75 f.> und vom 16. Februar 1993 - 9 C 25.92 - [X.]E 92, 70 <73>).

Das Oberverwaltungsgericht hat es - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - unterlassen zu prüfen, ob die Mutter des [X.] im maßgeblichen Zeitpunkt von dessen Geburt nach der seinerzeitigen Rechtslage mit Blick auf eine etwaige [X.] Volkszugehörigkeit ihres Vaters als [X.] Volkszugehörige einzustufen war. Während die Großmutter mütterlicherseits nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] [X.]r Volkszugehörigkeit war, soll der Großvater mütterlicherseits nach dem von Seiten der Beklagten bestrittenen Vortrag des insoweit darlegungs- und feststellungsbelasteten [X.] die [X.] Volkszugehörigkeit besessen haben. Wäre er für diesen Fall bei Beginn der [X.] zudem der für die Bekenntnislage in der Familie prägende Elternteil gewesen, so wäre die Mutter des [X.] in dem maßgeblichen Zeitpunkt von dessen Geburt ebenfalls als [X.] Volkszugehörige einzustufen.

2. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht nach § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig dar, weil die in dem angegriffenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen die Entscheidung der anderweitigen [X.] nicht tragen.

3. Da dem [X.] eine Entscheidung in der Sache selbst zugunsten des [X.] gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 [X.] VwGO in Ermangelung hinreichender tatsächlicher Feststellungen insbesondere zu der Frage, ob der Kläger die [X.] Volkszugehörigkeit vermittelt durch seine Mutter von seinem Großvater mütterlicherseits ableiten kann, nicht möglich ist, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Meta

1 C 43/18

29.10.2019

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 27. August 2018, Az: 11 A 2663/17, Urteil

§ 2 BVFG, § 3 BVFG, § 4 Abs 1 Nr 2 BVFG, § 4 Abs 1 Nr 1 BVFG, § 4 Abs 1 Nr 3 BVFG, § 6 Abs 2 S 1 BVFG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.10.2019, Az. 1 C 43/18 (REWIS RS 2019, 2110)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2110

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