Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25.02.2011, Az. VII B 226/10

7. Senat | REWIS RS 2011, 9051

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Gegenstand

Zur einstweiligen Anordnung auf Rücknahme eines Insolvenzantrags


Leitsatz

1. NV: Gegen den beim Amtsgericht gestellten Antrag des FA, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerpflichtigen zu eröffnen, ist der Rechtsweg zu den Finanzgerichten gegeben .

2. NV: Das Rechtsschutzbedürfnis für die Anrufung des Finanzgerichts mit dem Ziel der Rücknahme des Insolvenzantrags seitens des Finanzamtes ist jedenfalls so lange gegeben, bis das Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen oder den Eröffnungsantrag des FA mangels kostendeckender Masse rechtskräftig abgelehnt hat .

3. NV: Der Antrag des FA, das Insolvenzverfahren zu eröffnen, ist kein Verwaltungsakt, aber schlichtes hoheitliches Handeln der Vollstreckungsbehörde, das den besonderen Anforderungen an eine fehlerfreie Ermessensausübung unterliegt. Zur Überprüfung dieser Ermessensentscheidung ist das FG zuständig. Es hat dabei zu prüfen, ob das FA die sich aus dem jeweiligen konkreten Steuerrechtsverhältnis ergebenden Besonderheiten umfassend gewürdigt hat .

4. NV: Um einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen, muss dargelegt werden, dass für die Stellung des Insolvenzantrags die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind oder dass der Antrag aus sachfremden Erwägungen oder unter missbräuchlicher Ausnutzung einer Rechtsstellung gestellt wurde .

Tatbestand

1

I. Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) gegen den Beschluss des Finanzgerichts ([X.]), mit dem sein Antrag, den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Insolvenzantrag zurückzunehmen, als unzulässig und unbegründet zurückgewiesen wurde.

2

Das [X.] hielt zwar den Rechtsweg zu den Finanzgerichten für den nach § 114 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) beurteilten vorläufigen Rechtsschutz für gegeben, es fehle jedoch am Rechtsschutzbedürfnis, da der gebotene Rechtsschutz gegen einen Insolvenzantrag des [X.] einfacher und sachnäher durch das Insolvenzgericht gewährt werden könne. Gründe für eine, im Falle der Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzes durch das [X.], stets gegebene Doppelbefassung verschiedener Gerichte mit denselben Fragen sah das [X.] nicht, alle potentiellen im Zusammenhang mit einer [X.] zu prüfenden Fragen, einschließlich derer, die in die Ermessensentscheidung des [X.] einzugehen hätten, seien auch durch das Insolvenzgericht zu prüfen und könnten von diesem ebenso gut geprüft werden.

3

Mangels eines Anordnungsanspruchs sei der Antrag außerdem unbegründet. Für den Insolvenzantrag fehle es nicht am [X.], da der Antragsteller seine Zahlungsunfähigkeit selbst vorgetragen habe. Der Antrag sei auch nicht unverhältnismäßig oder ermessensfehlerhaft: Bei Antragstellung sei ein Vollstreckungsaufschub nicht mehr wirksam gewesen, verrechenbare Guthaben, die zu einer vollständigen oder überwiegenden Tilgung der Rückstände hätten führen können, habe der Antragsteller weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht, für das [X.] sei das Vorhandensein einer die Kosten des Insolvenzverfahrens deckenden Masse --angesichts möglicher Anfechtungsansprüche bezüglich Zahlungen des Antragstellers auf Schulden der [X.] nicht fernliegend gewesen und eine akute Lebensgefahr wegen der Stressbelastung infolge der [X.] habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Auch sonstige Erwägungen des [X.] --Verzicht auf weitere Einzelzwangsvollstreckungen und die eidesstattliche Versicherung, Verhältnismäßigkeit der möglichen Auswirkung des Insolvenzantrags auf die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft vor dem Hintergrund der [X.] und der Zeitdauer der [X.] sah das [X.] als nachvollziehbar, jedenfalls nicht ermessensfehlerhaft an. Auch sah es keine Anhaltspunkte, dass das [X.] mit dem Antrag auf den Antragsteller Druck habe ausüben wollen, Teilzahlungen zu leisten oder die Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz beabsichtigt habe.

4

Der zugelassenen Beschwerde hat das [X.] nicht abgeholfen.

5

Der Antragsteller macht geltend, der Beschluss des [X.] sei grob fehlerhaft, das Gericht sei ohne nachvollziehbaren Grund von der ständigen Rechtsprechung des [X.] ([X.]) abgewichen. Eine in Aussicht gestellte weitergehende Beschwerdebegründung ist nicht eingegangen.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das [X.] hat es zu Recht abgelehnt, das [X.] im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 114 Abs. 1 [X.]O zur Rücknahme des Insolvenzantrags zu verurteilen.

7

1. Allerdings ist entgegen der Auffassung des [X.] das Rechtsschutzbedürfnis für die Anrufung des [X.] mit dem Ziel der Rücknahme des Insolvenzantrags seitens des [X.] jedenfalls solange gegeben, bis das Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen oder den Eröffnungsantrag des [X.] mangels kostendeckender Masse rechtskräftig abgelehnt hat und mit dieser Entscheidung des Insolvenzgerichts der Insolvenzantrag des [X.] seine Erledigung gefunden hat, denn nach § 13 Abs. 2 der Insolvenzordnung ([X.]) kann der Antrag danach nicht mehr zurückgenommen werden ([X.]sbeschluss vom 26. Februar 2010 [X.]/09, [X.], 1122).

8

a) Wie auch vom [X.] nicht infrage gestellt, ist gegen den beim Amtsgericht gestellten Antrag des [X.], das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerpflichtigen zu eröffnen, der [X.] gegeben (ständige Rechtsprechung, schon zur Konkursordnung, vgl. [X.]sbeschluss vom 11. Dezember 1990 [X.]/90, [X.] 1991, 787, m.w.N.).

9

b) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]s ist das Rechtsschutzinteresse für eine finanzgerichtliche Entscheidung zu bejahen. Der Antrag ist zwar kein Verwaltungsakt, aber schlichtes hoheitliches Handeln der Vollstreckungsbehörde. Er erfordert eine fehlerfreie Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung des konkreten Steuerschuldverhältnisses und zwar unabhängig von den Insolvenzvoraussetzungen ([X.]surteil vom 19. Dezember 1989 [X.]/89, [X.] 1990, 710). Zur Überprüfung dieser Ermessensentscheidung hält der [X.] seit jeher das [X.] und nicht das Insolvenzgericht für zuständig (z.B. [X.]sbeschluss vom 26. Februar 2007 [X.]/06, [X.] 2007, 1270).

aa) Die vom [X.] im [X.] an Stimmen in der Literatur vorgebrachten Argumente rechtfertigen nach Auffassung des beschließenden [X.]s nicht die Annahme, das allgemeine Rechtsschutzinteresse an der finanzgerichtlichen Kontrolle der Ermessensentscheidung des [X.] fehle.

Der [X.] teilt nicht die Auffassung des [X.], dass der sich aus den Vorschriften der [X.] ergebende Prüfauftrag an die Insolvenzgerichte faktisch deckungsgleich ist mit demjenigen der [X.] an die Finanzgerichte nach § 102 [X.]O i.V.m. den Vollstreckungsvorschriften der Abgabenordnung (AO).

Nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften (§§ 13, 14 [X.]) ist das [X.] hinsichtlich der Anforderungen an einen Insolvenzantrag den übrigen Gläubigern gleichgestellt. Die vom Insolvenzgericht zu prüfenden Voraussetzungen sind die Glaubhaftmachung der Forderung und des [X.], das rechtliche Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und --als grundrechtliche Schranke-- die Wahrung der Verhältnismäßigkeit.

Die Entscheidung des [X.], einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, unterliegt als hoheitliches Handeln einer Vollstreckungsbehörde darüber hinaus aber den besonderen Anforderungen an eine fehlerfreie Ermessensausübung ([X.]sbeschluss vom 1. Februar 2005 [X.]/04, [X.] 2005, 1002). Zu den dabei zu berücksichtigenden Umständen gehören zwar zweifellos auch jene, an denen das rechtliche Interesse des privatrechtlichen Gläubigers an der Insolvenzeröffnung nach §§ 13, 14 [X.] und die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu messen ist. Darüber hinaus aber hat das [X.] die sich aus dem jeweiligen konkreten Steuerrechtsverhältnis ergebenden Besonderheiten umfassend zu würdigen. Eine Deckungsgleichheit der zu prüfenden Aspekte mag es danach bei entsprechender Fallgestaltung geben, nicht aber dem Grunde nach. Daraus resultiert das Rechtsschutzinteresse an einer finanzgerichtlichen Prüfung eines vom [X.] gestellten Insolvenzantrags. Es gilt sicherzustellen, dass das [X.] alle entscheidungserheblichen Umstände gesehen und ermessensgerecht gewürdigt hat.

Als praktische Beispiele seien genannt: die Prognose über eine für den Vollstreckungsschuldner günstige Änderung eines Grundlagenbescheids; die Erfolgsaussicht eines noch offenen Erlass- oder Stundungsantrags; die Aussicht, dass die Abgabenschuld von einem weiteren Gesamtschuldner beglichen wird; die Bewertung der bisherigen Mitwirkung des [X.], der Höhe des Rückstandes und der Aussicht auf dessen --ggf. [X.] Tilgung; die Berücksichtigung der steuerlichen Auswirkungen eines Insolvenzantrags, z.B. bei einer bestehenden Organschaft.

bb) Ob das [X.] im konkreten Fall Anlass hatte, Gesichtspunkte dieser Art in seine Entscheidung, einen Insolvenzantrag zu stellen, einzubeziehen, ist keine Frage des allgemeinen Rechtsschutzinteresses, entscheidend für die Zulässigkeit des finanzgerichtlichen Rechtsbehelfs ist allein die Möglichkeit der fehlerhaften Ermessensausübung durch das [X.].

2. Nicht zu beanstanden ist die Entscheidung des [X.], dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Ermangelung eines Anordnungsanspruchs unbegründet ist. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch (§ 114 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 [X.]O, § 920 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung) nicht glaubhaft gemacht.

Dazu hätte dargelegt werden müssen, dass der in das [X.] Ermessen der Finanzbehörde gestellten Vollstreckungsmaßnahme --Insolvenzantrag-- (vgl. § 249 Abs. 1, § 251 Abs. 1 AO) ein Ermessensfehler (§ 102 [X.]O) anhaftet, sei es, dass für den Antrag die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind oder dass der Antrag aus sachfremden Erwägungen oder unter missbräuchlicher Ausnutzung einer Rechtsstellung gestellt wurde (vgl. z.B. [X.]-Beschluss in [X.] 1991, 787). Ein solcher Ermessensfehler kann bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung im Streitfall nicht festgestellt werden.

Das [X.] hat die maßgeblichen Gesichtspunkte für die vom [X.] getroffene Entscheidung, den Insolvenzantrag zu stellen, im Einzelnen erörtert und ist unter zutreffender Heranziehung der insoweit ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Insolvenzantrag des [X.] berechtigt war. Der Antragsteller hat weder Einwendungen gegen die tatsächlichen Feststellungen noch gegen die rechtliche Würdigung des [X.] erhoben. Der [X.] sieht deshalb keine Veranlassung für eine über die umfangreichen tatsächlichen Feststellungen und rechtlich überzeugenden Ausführungen des [X.] hinausgehende Begründung der Entscheidung.

Meta

VII B 226/10

25.02.2011

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG Hamburg, 15. November 2010, Az: 3 V 168/10, Beschluss

§ 114 FGO, § 102 FGO, § 13 Abs 2 InsO, § 249 Abs 1 AO, § 251 Abs 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25.02.2011, Az. VII B 226/10 (REWIS RS 2011, 9051)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9051

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AN 11 E 15.01794

1 VAs 38/19

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